Don Camillo und Peppone

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
30. Dezember 2009
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Nein, „Don Camillo“ steht nicht wirklich für offenbar unzählige italienische Ristorantes und Pizzerien in deutschen Landen! Hier sind vielmehr die im Nachkriegs-Italien angesiedelten, unverwechselbar verfilmten Geschichten Giovannino Guareschis um den schlitzohrigen und rauflustigen Priester Don Camillo (Fernandel) und seinen großmäuligen Kontrahenten, den kommunistischen Bürgermeister Giuseppe Bottazzi, genannt Peppone (Gino Cervi) gemeint. In einer kleinen Welt irgendwo im Norden Italiens, in einer flachen Gegend liegt zwischen dem Po und den Apenninen das kleine Dorf Boscaccio (in den Filmen dienten die Orte Boretto und Brescello als Kulisse). Hier stehen sich die beiden ehemaligen Widerstandskämpfer wie Hund und Katze gegenüber und wollen jeder auf seine Art die Probleme der Wiederaufbaujahre sinnvoll lösen. Dabei porträtieren die beiden Protagonisten originell das Spannungsfeld aus erzkatholischer Tradition und kommunistischer Aufbruchstimmung im ländlichen Nachkriegs-Italien. Erfrischend ist dabei der Wortwitz in den häufiger eingeschobenen Dialogen zwischen Don Camillo und dem ihn vom Kreuz herab kritisierenden und mahnenden Jesus, wie „Deine Worte schmecken wie Kommissbrot, Herr.“ „Deshalb halten sie auch ewig, Don Camillo!“ Derartiges verhindert gekonnt, dass der hinter den Kinofabeln nach Guareschi spürbare Apell an die konträren politischen Kräfte, den Wiederaufbau gemeinsam zu bewältigen, moralinsauer wird. Die mit dem unverwechselbaren Duo Fernandel und Gino Cervi produzierten Filme wurden die Bekanntesten. Sie entstanden in den Jahren 1952 bis 1965 und bilden die eigentliche Don-Camillo-Reihe. Die sich völlig anders gebenden Nachfolger, insbesondere die allein klamaukige Terence-Hill-Verfilmung, Keiner haut wie Don Camillo (1983), kann man nicht ernsthaft hinzuzählen. Dabei sind die drei Filme der 50er wohl die stärksten: Don Camillo • Don Camillo und Peppone (1952), Il ritorno di Don Camillo • Don Camillos Rückkehr (1953) und Don Camillo e l’onorevole Peppone • Die große Schlacht des Don Camillo (1955). Don Camillo Monsignore ma non troppo • Hochwürden Don Camillo (1961) sowie Il compagno Don Camillo • Genosse Don Camillo (1965) flachen dagegen merklich ab.

Alessandro Cicognini (1906—1995) war ein italienischer Komponist dessen Kinokarriere in den 30er Jahren begann. Wie auch sein Kollege Angelo Francesco Lavagnino hat er am renommierten Mailänder Konservatorium „Giuseppe Verdi“ eine vorzügliche klassische Ausbildung genossen. Nach seinen außerhalb Italiens praktisch unbekannten frühen Arbeiten für Regisseure wie Guido Brignone, Augusto Genina, Amleto Palermi oder Alessandro Blasetti wird der Name Cicognini in erster Linie mit dem Kino des italienischen Neorealismus verbunden. Dafür stehen besonders seine Arbeiten für Vittorio De Sica, Sciuscià • Schuhputzer (1946), Ladri di biciclette • Fahrraddiebe (1948), Miracolo a Milano • Das Wunder von Mailand (1951) und Umberto D (1952). Der Ruhm De Sicas machte auch Cicognini international bekannt. Und so vertonte er in Folge ebenso internationale Produktionen: u. a. den Kostümstreifen Ulysses • Die Fahrten des Odysseus (1954, Regie: Mario Camerini), Summertime • Traum meines Lebens (1955, Regie: David Lean), A Breath of Scandal • Olympia (1960, Regie: Michael Curtiz) sowie verschiedene Hollywoodromanzen mit Sophia Loren wie The Black Orchid • Die schwarze Orchidee (1958, Regie: Martin Ritt) oder auch die beiden Komödien Melville Shavelsons It Started in Naples • Es begann in Neapel (1959) und The Pigeon that took Rome • Es begann in Rom (1961). Mitte der 60er Jahre und nach mehr als 100 Kompositionen für die tönende Leinwand zog sich Cicognini offenbar völlig desillusioniert aus dem Filmgeschäft zurück. Anscheinend hat er das allermeiste der in seinem privaten Archiv vorhandenen Noten- und Tonbandmaterialien selbst vernichtet.

Auf Tonträger ist von Cicognini auch daher nur wenig greifbar und das Wenige ist klangtechnisch oftmals eher dürftig. In Italien sieht es, was die Archivsituation bei Filmmusik anbelangt, leider im Allgemeinen nicht gut aus. Originaleinspielungen von Filmmusiken sind in der Regel erst ab Anfang der 60er einigermaßen flächendeckend erhalten. Filmmusiken der 30er bis 50er Jahre sind nur noch bruchstückhaft vorhanden. Von den frühen italienischen Magnet-Stereoton-Experimenten der Fifties scheint ebenfalls nichts überlebt zu haben. Dabei spielt bei dem Material, was überhaupt gehoben werden kann, der Musikverlag und das Plattenlabel CAM die entscheidende Rolle. Cicognini selbst hat sich in einem Interview von 1979 rückblickend über die in den 40er Jahren in Italien üblichen Methoden bei der Aufnahme von Filmmusik sinngemäß folgendermaßen beklagt: „Dieselbe Technik, die zum Aufzeichnen der Geräuscheffekte eingesetzt wurde, diente auch zum Aufzeichnen der Musik. Da es keine speziellen Tonstudios mit geeigneter Akustik für Musikeinspielungen gab, erfolgten die Orchesteraufnahmen dort, wo man auch drehte. Und entsprechend klangen die Ergebnisse meist wirklich nur schlimm. Daran war in der Praxis kaum etwas zu verbessern. Entsprechend traurig sind meine Erinnerungen an die damals erfolgten Aufnahmen meiner Musik.“ Wobei der Sound der noch vorhandenen Tonmaster aus den 50ern ebenfalls nur selten als zufrieden stellend bezeichnet werden kann und noch bis etwa Mitte der 60er den technischen Top-Standards merklich hinterher hinkt. Von der mitunter erstaunlichen Qualität so mancher amerikanischen Lichttoneinspielung der dreißiger und vierziger Jahre kann man da nur träumen. Und was die Filmtonspuren italienischer Filme der 40er Jahre anbelangt, sind diese aus musikalischer Sicht kaum noch genießbar.

Nicht nur hierzulande ist Alessandro Cicognini heutzutage in erster Linie durch seine Vertonungen für die populäre Don-Camillo-Reihe geläufig. Aber selbst im Mutterlande Italien hat es erst im Jahr 2008 die Originaleinspielung zum 1965er Il compagno Don Camillo • Genosse Don Camillo als CD-Veröffentlichung des Labels Digitmovies (CDDM 121) auf den Sammlermarkt geschafft. Im zu Ende gehenden Jahr 2009 hat nun das Label Cinevox Records hierzu ein Kleinod aufgetischt. Der Dirigent und Arrangeur Fabrizio Francia hat, da die Originalpartituren nicht mehr existieren, Teile der Musiken in äußerst mühsamer Detailarbeit direkt durch Abhören der Filmtonspuren rekonstruiert. Dabei ist Material aus allen fünf mit Fernandel und Gino Cervi produzierten Filmen (s. o.), so zusammengestellt worden, dass sich eine repräsentative, insgesamt gut fließende Suite ergibt. Eingespielt worden ist die eine knappe Stunde umfassende große Zusammenstellung vom Orchester des Konservatoriums „Antonio Vivaldi“ in Alessandria unter der Leitung von Marcello Rota — der mit Nino Rota übrigens nicht verwandt ist.

Das den Reigen eröffnende melodische Hauptthema für Don Camillo ist ein Ohrwurm par excellence. Es kommt im Walzertakt daher und erinnert in seinem schwelgerischen Ausdruck an italienische Volkslieder. Und direkt im Anschluss wird der Kontrahent Peppone vergleichbar treffend charakterisiert. Der kommunistische Bürgermeister erhält ein Thema zugeordnet, das im Gestus wie ein etwas großspuriger Zirkusmarsch wirkt. Mit diesen beiden prägnanten melodischen Einfällen, die auch in sehr hübschen Varianten erscheinen, wird das nun Folgende in sehr ansprechender Weise gestaltet. Cicogninis Musik passt zu den Filmen wie angegossen. Im Tonfall ist diese reizende Komödienmusik typisch italienisch. Hier hat Cicognini im allerbesten Sinne den Volkston getroffen. Dabei kommt nicht nur hier und da Nino Rota in den Sinn. Es klingt auch nach italienischer Oper von Mascagni bis zurück zu Rossini, wobei vieles direkt auf das Bild komponiert ist. Das aus dem klassischen Hollywood geläufige „Mickey-Mousing“ trifft es hier in einer abgeschwächten, nicht überbetont cartoonhaften Bedeutung recht gut. Das rund 40-köpfige Konservatoriumsorchester unter Marcello Rota ist mit hörbarem Engagement bei der Sache und dürfte in den Proportionen dem Original entsprechen. Da wird spielfreudig, flott und gelegentlich auch mal mit einer gehörigen Portion opernhaften Pathos’ aufgespielt. Im Verbund mit der adäquaten digitalen Aufnahmetechnik ist außerdem die sehr ansprechend ausgeführte Instrumentierung dieser Kompositionen fein durchhörbar. Das was hier aus den Boxen erschallt, entspricht auch annähernd den originalen Filmeinspielungen: Damit sind diese Filmmusiken adäquat wiedererweckt.

Was der Dirigent und seine Mannen hier leisten, ist qualitativ mit den hochwertigen Bemühungen David Schecters und damit den Einspielungen der Reihe „Monstrous Movies“ vergleichbar. Auch das 14-seitige Begleitheft ist ähnlich ansprechend gemacht. Die Texte sind allerdings leider nur in Italienisch vorhanden. Das ist zumindest unglücklich, wie auch die angegebene Limitierung der Edition auf nur 500 Exemplare Verwunderung hervorruft. Denn gerade die Don-Camillo-Musiken dürften, wie auch die Filme, sowohl in Deutschland als auch international ein gewisses Potential besitzen.

Was eine wertungsmäßige Einstufung angeht, sind Cicogninis Kompositionen zur Don-Camillo-Reihe inspiriert und liebevoll ausgeführt. Sie gehen aber bei allem unmittelbarem Charme kompositorisch nicht über sehr solides Handwerk hinaus. Der Komponist war in jedem Fall ein versierter Schreiber sanglicher Themen, hat ähnlich wie Victor Young so manche unmittelbar eingängige Melodie auf’s Papier gebracht. Zumindest die zugänglichen Kompositionen für Vittorio-De-Sica-Filme (s. u.) sowie die Don-Camillo-Musiken rangieren wohl etwa auf dem Level der guten bis sehr guten Arbeiten Youngs. „Fette“ vier Sterne erachte ich daher für die Don-Camillo-Kompilation als angemessen. Zusammen mit der sehr ambitionierten Darbietung und Präsentation wird dies dann noch in eine Albumwertung von viereinhalb Sternen aufgestockt.

3610Für den Cicognini-Interessierten ist zum Einstimmen darüber hinaus noch eine bereits 1995 durchaus passabel produzierte Kompilations-CD mit Neueinspielungen verfügbar „Alessandro Cicognini per Vittorio De Sica“ (Legend CD 023). Auf dieser sind Suiten aus den folgenden sieben Filmen von Vittorio De Sica vertreten: Schuhputzer, Fahrraddiebe, Das Wunder von Mailand, Umberto D, L’oro di Napoli • Das Gold von Neapel (1954), Il tetto • Das Dach (1956) und Il Giudizio Universale • Das jüngste Gericht findet nicht statt (1961). Giorgio Spacca hat dazu wie auch Fabrizio Francia durch Abhören der Filmtonspuren aufwendig Notenmaterial rekonstruiert. Die Einspielungen erfolgten im italienischen Fabriano mit dem Orchestra Sinfonica delle Marche und dem ortsansässigen Santa Cecilia Chor unter dem Dirigat von Nicola Samale.

Das Orchester ist eher noch etwas kleiner besetzt als bei den aktuellen Don-Camillo-Neueinspielungen von Marcello Rota, was aber den sicher nicht im Hollywoodformat agierenden Klangformationen im Nachkriegs-Italien schon entsprechen dürfte. Technisch kann diese 1995er Initiative zwar nun weder den Bemühungen Charles Gerhardts für RCA, den Resultaten der Reihe Chandos-Movies noch den aktuellen Neueinspielungen des Tadlow Labels Paroli bieten. Aber was es hier über rund 65 Minuten zu hören gibt, ist nicht etwa lieblos runter gespielt, sondern vielmehr durchaus solide interpretiert.

Fazit: Die humorvolle und zugleich so typisch italienisch-glutvolle Musik zu den Filmkomödien der Don-Camillo-Reihe der 50er und 60er Jahre ist dank der Bemühungen des Teams um den Dirigenten Marcello Rota für das italienische Label Cinevox Records erfolgreich zu neuem Leben erweckt worden. Es bleibt zu hoffen, dass es dem aus dem klassischen Segment herkommenden Marcello Rota vergönnt sei, seinem überraschenden wie viel versprechenden Einstieg ins Genre italienischer Filmmusik weitere Projekte folgen zu lassen.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2009.

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Erschienen:
2009
Land:
Italien
Gesamtspielzeit:
55.22 Minuten
Sampler:
Cinevox Records
Kennung:
CD MDF 641

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