Dinosaurier-Special

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
6. Dezember 2000
Abgelegt unter:
Special

Dino-Fieber und kein Ende? Das neue Animations-Spektakel Disneys Dinosaurier und die von „ProSieben“ ausgestrahlte und koproduzierte BBC-Fernsehserie Walking with Dinosaurs • Dinosaurier — Im Reich der Giganten stellen zweifellos einen neuen Höhepunkt der Urviecher-Welle dar. Grundsätzlich ist die Begeisterung für die Kolosse der Urzeit aber nicht neu, sondern ein periodisch wiederkehrendes Phänomen. Ich erinnere mich gut an The Valley of Gwangi • Gwangis Rache (1968), wo mich als Halbwüchsiger der von Trickspezialist Ray Harryhausen animierte Allosaurus ähnlich begeistert hat wie heute die technisch natürlich erheblich verbesserten Dino-Animationen in Jurassic Park (1993) und The Lost World: Jurassic Park • Vergessene Welt — Jurassic Park (1997) eine neue Generation von Kino-Freunden. Die jetzige Dino-Welle wurde mit einem Zeichentrickfilm von Don Bluth, The Land Before Time • In einem Land vor unserer Zeit (1988), begründet und durch die genannten Kino-Produktionen, aber auch TV-Produktionen wie die US-Familienserie Die Dinos (1991-93) weiter genährt und am Leben gehalten.

Disneys Dinosaurier und die BBC-Serie

Die bereits im Jahr 1994 begonnenen Arbeiten an Disneys Dinosaurier markieren — zumindest in Sachen Aufwand — ein Projekt der Superlative. Insgesamt etwa 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren an dem Projekt beteiligt — vergleichbar mit den klassischen Disney-Zeichentrick-Filmen der späten dreißiger und der vierziger Jahre; insgesamt ca. 3,2 Millionen Rechenstunden brauchten die eingesetzten Computer; die Dateien belegten zusammen einen Speicherplatz, der der Kapazität von etwa 70 000 CD-ROMs entspricht; die Live-Action-Crew reiste rund 18 Monate um den Globus, um spektakuläre Landschaftsaufnahmen als Hintergründe für den Film aufzunehmen …

Während der Disney-Film ausschließlich den Unterhaltungsaspekt in den Vordergrund stellt, ist die TV-Produktion Dinosaurier — Im Reich der Giganten des studierten Zoologen und Dokumentarfilmers Tim Haines erheblich stärker an den wissenschaftlichen Fakten orientiert. Disney vermenschlicht Teile seiner Dino-Welt nach bewährt klassischer Manier — wie z. B. in Bambi (1943) — und nimmt sich auch sonst einige Freiheiten heraus. Nicht allein die Primaten sind ihrer Zeit voraus, es sind hier (zum teil fantasiehaft verfremdet) Tiergattungen nebeneinander zu sehen, die völlig unterschiedlichen Epochen der Dino-Ära entstammen.

Tim Haines TV-Film ist eine im Stil moderner Tierfilm-Dokumentationen erstellte und in lebendigem Erzählstil gehaltene High-Tech-Wissenschaftsshow. Nach der Erstausstrahlung im Jahr 1999 wurde neben großer Zustimmung auch — zum Teil überzogene — Kritik am Wahrheitsgehalt des Gezeigten laut. Haines’ Film hat nie den Anspruch erhoben, die exakte Wahrheit zu zeigen, sondern vielmehr nur eine mögliche Form des Lebens der Dinosaurier. Dazu sollte man sich vor Augen halten, dass bei allen vergangenen Dingen, die restauriert und rekonstruiert werden müssen — selbst im günstigsten Falle — eben kein Original, sondern „nur“ eine gute Annäherung entstehen kann. Exakte, dabei für Laien aber eher trockene und zwangsläufig lückenhafte wissenschaftliche Erkenntnisse dienten als Basis für eine populärwissenschaftliche Aufbereitung der Ära der Urzeit-Giganten. Die Lücken im Wissen mussten hierbei sehr behutsam mit Wahrscheinlichem ausgefüllt werden, um ein plastisches und lebendiges Gesamtbild entstehen zu lassen. Trotz gewisser Einschränkungen — die allerdings nur für Paläontologen von Bedeutung sein dürften — ist hier ein überzeugendes und stimmiges Gesamtbild einer gewaltigen Epoche der Erdgeschichte entstanden. Einzelne Szenen wurden zwar mit Puppen-Modellen realisiert, der überwiegende Teil der Darsteller entstammt aber dem Computer. Die Animationen der verschiedenen Urzeit-Echsen sind durchweg sehr beachtlich, nur vereinzelt gibt es Szenen, die in einigen Details nicht völlig überzeugen. Das positive Gesamtbild dieser faszinierenden High-Tech-Zeitreise wird dadurch allerdings nicht wesentlich beeinträchtigt. Offenbar hatte das Produktionsteam auch einigen Spaß bei den Dreharbeiten: Wenn der Tyrannosaurus gegen die Linse der Kamera geifert, dürften viele Zuschauer ob des packenden „Live-Eindruckes“ schmunzeln.

Mehr als (nur) eine ganze Klasse weniger (bier-)ernst nehmen darf oder muss man Disneys Dinosaurier. Als ich seinerzeit den Trailer im Kino das erste Mal gesehen habe, war ich vom Gezeigten nur teilweise angetan, die disney-typische (menschliche) Mimik der mit großem Aufwand computergenerierten Dinos irritierte mich dann doch ein wenig. Vermutlich ist in Sachen rauer Urzeit-Bewohner die Erwartungshaltung einfach mehr auf „Realität“ programmiert. Dem Kinofilm gelang es dann ebenfalls nicht, mich richtig zu überzeugen. Vieles von dem, was man in Haines’ TV-Serie sehen kann, spiegelt sich hier zwar in überaus originell verspielter Form wider; die sich wie Menschen des beginnenden 21. Jahrhunderts gebärdenden prähistorischen Viecher sind zwar nett, aber in meinen Augen gerade deswegen nicht überzeugend geraten.

Insgesamt wirkt der ganze Film eher wie ein High-Tech-Aufguss von dem bereits genannten In einem Land vor unserer Zeit und weniger wie ein wirklich neuartiges Filmprojekt. Viele potentielle Zuschauer scheinen wohl ebenfalls Probleme mit den auf modern getrimmten Dinos zu haben; bleiben doch die Zuschauer-Zahlen deutlich hinter den Erwartungen zurück …

Die Filmmusik zu Disneys Dinosaurier:

James Newton Howard hat dem Disney-Film ein sehr passendes musikalisches Gewand verpasst. Schöne melodische Einfälle und orchestrale Vielfalt prägen eine Komposition, die im afrikanischen Touch der Rhythmen und Chor-Passagen an Goldsmiths Arbeit zu The Ghost and the Darkness • Der Geist und die Dunkelheit (1996) und an Zimmers The Lion King • Der König der Löwen (1994) erinnert. Howards Tonschöpfung ruht auf einem groß besetzten Orchester-Fundament und setzt Synthetisches nur zurückhaltend — dafür um so gekonnter — ein. Das Ergebnis rangiert in der Wertigkeit ein Stück hinter Snow Falling on Cedars • Schnee, der auf Zedern fällt, wo der Komponist im Gebrauch der Mittel — auf völlig andere Art — noch geschickter und ausgefeilter gearbeitet hat. James Newton Howards Film-Musik zu Disneys Dinosaurier präsentiert sich auf der ganzen Linie nicht nur als wohltuendes Beispiel orchestertechnischer Brillanz, sondern auch als üppiges Hörvergnügen.

Gegenüber der amerikanischen Version enthält die deutsche CD noch den Song „Can Somebody Tell Me Who I Am?“ von der Gruppe Orange Blue, der wenig glücklich als zweiter Track platziert ist — programmieren des Players hilft, einen kräftigen stilistischen (Ein-)Bruch zu vermeiden.

Die BBC-Serie Dinosaurier — Im Reich der Giganten auf DVD

Die DVD von e-m-s präsentiert den ProSieben-Dreiteiler in der ursprünglichen Konzeption, nämlich in sechs Folgen von jeweils rund 30 Minuten Länge. Etwas merkwürdig ist, dass die DVD keinen Time-Code (Informationen zur Spielzeit) enthält. Die Serie wird im Fernseh-Breitbild-Format (16:9 entspricht 1:1,78) präsentiert. Der Bildeindruck (Farbe, Schärfe, Detailliertheit) ist insgesamt sehr gut, nur ganz vereinzelt sind leichte Schlieren oder Unschärfen zu erkennen.

Auch der Ton (in Deutsch und Englisch) kommt ansprechend in Dolby Digital 2.0 daher und erzeugt eine stimmungsvolle Klangkulisse für die interessanten Bilder. Mit allzu vordergründig krachenden Effekten haben sich die Toningenieure zurückgehalten, wohl um den Eindruck einer seriösen Dokumentation nicht zu untergraben.

Das ebenfalls im Fernsehen gezeigte rund 25-minütige „Making Of“ kann sequentiell — Bild im Bild — als „Special Feature“ angewählt werden. An charakteristischen Stellen der Dokumentation erfolgt dann eine kurze Unterbrechung und anhand der Einblendung wird das Gezeigte erklärt. Dies ist zwar keine schlechte Idee, allerdings hätte ich mir hier die zusammenhängende Dokumentation zusätzlich gewünscht. Dinosaurier — Im Reich der Giganten ist auf DVD insgesamt eine sehr ansprechende und wertvolle Dokumentation, die man Dinomanen und nicht nur denen ausdrücklich empfehlen kann.

Das Buch zur BBC-Serie

Das Buch „Dinosaurier — Im Reich der Giganten“ erschien bereits im letzten Jahr, parallel zur ersten Ausstrahlung der TV-Serie auf ProSieben. Hier kann der Leser die Dinos nicht nur im üppigen Bildmaterial in durchweg hervorragenden Standbildern bewundern, gegenüber den Serienfolgen bekommt er auch noch erheblich mehr an Informationen geliefert. Die Einteilung im Buch erfolgt analog zum britischen Original der Serie in sechs Kapiteln. In einer Einführung erläutert der Autor sehr gut die Probleme bei der „Rekonstruktion“ des urzeitlichen
Lebens und gibt damit einen Eindruck von den aufwändigen Vorbereitungen für die Fernsehserie. Ergänzend ist jedem Kapitel darüber hinaus eine Sonderseite mit „exakten“ Fakten vorangestellt, wodurch man zusätzlich eine Vorstellung vom Verhältnis von Realität zu (notwendiger) Fiktion bekommt. Auch zwischendurch gibt es immer wieder vom Erzähltext optisch deutlich abgehobene Einschübe mit weiteren Fakten. Der Fließtext ist im Stil einer sachlichen Dokumentation gehalten, dabei ist er jedoch keinesfalls trocken, sondern wirkt wie eine spannende Erzählung.

Die revolutionären Highlights des Buches sind zweifellos die fast durchweg überzeugend lebensnah wirkenden Computergrafiken von Dingen, die kein menschliches Auge jemals „live“ wird sehen können. Im Gegensatz zu den zwar charmanten, aber eher gemäldeartigen klassischen Illustrationen von Künstlern wie John Sibbick, Douglas Henderson oder Dan Varner wirken die Computergrafiken durch ihren Realismus einfach lebendiger und damit packender. Insofern ist Haines’ Buch auch eines, das aus der respektablen Zahl an guten Dinosaurier-Publikationen ein Stück hervorsticht. Somit ist das Buch sicher eine optimale Ergänzung zur gelungenen TV-Serie und nicht allein für jene interessant, die durch Disneys Dinosaurier auf den Geschmack gekommen sind.

Fazit: Disneys Dinosaurier und/oder die BBC-Serie Dinosaurier — Im Reich der Giganten? Die Frage kann nur individuell entschieden werden. Während der Kinofilm eine tricktechnisch perfekte, ansonsten mit den wissenschaftlichen Fakten aber nur oberflächlich operierende reine Unterhaltung ist, wird mit der TV-Serie der mehr wissenschaftlich Interessierte angesprochen. Die nicht nur tricktechnisch überzeugende, faszinierende Zeitreise durch die Ära der urzeitlichen Riesenechsen sei allen Dino-Interessierten besonders in Form der sehr ansprechenden DVD empfohlen. Das Buch von Tim Haines’ zur TV-Serie ist eine perfekte Ergänzung der DVD, wobei das Duo auch — aber nicht nur — zur Vor- oder Nachbereitung von Disneys Dinosaurier perfekt tauglich ist.

Die vor rund 65 Millionen Jahren zu Ende gegangene Ära der Dinosaurier hat schon bei Generationen von Kinogängern immer wieder Begeisterung ausgelöst. Die Faszination einiger der prähistorischen „Rock-Stars“ liegt wohl nicht zuletzt in ihrer gewaltigen Größe, sondern vielleicht auch ein wenig darin begründet, dass der dagegen eher zerbrechlich wirkende Mensch ihnen in der Aggressivität nahe steht. Es bleibt abzuwarten, ob es unserer Gattung gelingen wird, über einen nur annähernd vergleichbaren Zeitraum (etwa 150 Millionen Jahre) die Erde zu beherrschen.

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