Die Triffids

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
29. Juli 2006
Abgelegt unter:
Lesen

Die Triffids

Infolge eines Naturphänomens, der Nacht der grünen Blitze, ausgelöst (angeblich) durch einen Meteoritenschauer, erblindet die Masse der Menschheit. Und bereits wenige Tage danach beginnt eine Seuche ihr letales Werk. Der vor dem Chaos stehenden menschlichen Zivilisation droht aber noch von einer anderen Seite tödliche Gefahr. Seit einigen Jahrzehnten kennt man eine neue Spezies: „Die Triffids“, eine fleischfressende Pflanze, aus der sich ein besonders hochwertiges, industriell vielseitig verwertbares Öl gewinnen lässt. Es handelt sich um ein Gewächs, das nicht allein einen für Mensch und Tier tödlichen Giftstachel besitzt. Triffids können sich fortbewegen und besitzen noch weitere bemerkenswerte Fähigkeiten. Sie sind lernfähig, in der Lage miteinander zu kommunizieren und beginnen im Laufe der Zeit, die Jagd auf die sich in Gruppen zusammenschließenden Überlebenden zu organisieren.

Die im Zentrum der Handlung stehende Figur, der Biochemiker Masen, besitzt bereits seit der Kindheit Erfahrungen mit den Triffids, die nicht nur industriell im Großen gezüchtet werden, sie werden auch als Exoten — mit amputiertem, allerdings nachwachsendem (!) Giftstachel — angekettet an Pflöcke in Gärten und Parks gehalten. Dass hiervon eine Bedrohung ausgehen könnte, ist offenbar niemand rechtzeitig in den Sinn gekommen. Weder hat man diese Gattung eingehend erforscht, noch Rezepte für ihre Vernichtung im Notfall entwickelt. Jetzt liegt das Kind im Brunnen: Für die Sehenden bildet eine einzelne Triffid selbst mit intaktem Giftstachel eine nur mäßige Gefahr, die Blinden hingegen werden für die Killerpflanzen zur leichten Beute. Wo besagte Triffids exakt herstammen bleibt im Dunkel. Im 1951 erschienenen Roman ist dem Zeitgeist entsprechend die Rede von biochemischen Experimenten der „Roten“ — heute würde man wie beim Aids-Virus postulieren: aus einem genetischen Labor entwichen.

Masen vermutet darüber hinaus, dass es sich bei den mit dem Meteoritenschauer verbundenen Lichterscheinungen mit fataler Wirkung eben nicht um ein natürliches Phänomen, sondern um eine per Satellit im All platzierte und durch die Meteoriten außer Kontrolle geratene Super-Vernichtungswaffe gehandelt haben könne.

Die Überlebenden sehen sich nicht nur vor außergewöhnliche Herausforderungen gestellt, sie müssen erkennen, dass die Zeit kostbar und dass das, was man aus den Trümmern der ehemaligen Zivilisation noch nutzen kann, endlich ist. Und so rivalisieren verschiedene sozial stark unterschiedlich organisierte Gruppierungen Überlebender um einen Neuanfang, der letztlich durch die in Massen auftauchenden Triffids zusätzlich in Frage gestellt ist. Der Schluss bleibt offen, aber das Buch lässt zumindest einen Hoffnungsschimmer: Eine liberal-demokratische Gruppierung hat sich auf einer der Kanal-Inseln etabliert und diese von den Triffids befreit. Von hier könnte, irgendwann einmal, der Beginn einer neuartigen, möglicherweise sogar besseren menschlichen Epoche auf dem Planeten Erde ausgehen.

Sicher spiegelt sich in John Wyndhams Endzeitszenario die Stimmung der Nachkriegsära wider: die Erinnerung an das Inferno des Zweiten Weltkrieges und eine ungewisse durch den Kalten Krieg belastete Gegenwart und Zukunft. Aber selbst heute, 55 Jahre nach dem Erscheinen, sind „Die Triffids“ nicht allein eine nach wie vor spannende Science-Fiction-Story. Die Thesen und Schlüsse des Romans sind vielmehr nach wie vor überraschend frisch geblieben. Angesichts des seit Ende der 1970er bröckelnden Glaubens an allein positive Wirkungen des technischen Fortschritts, und ebenso angesichts der gestellten Frage nach den Grenzen des Wachstums, erscheint der Roman insgesamt sogar überraschend aktuell. Derzeit bewegen besonders Freilandexperimente mit gentechnisch verändertem Saatgut die Gemüter vieler und da ist es zu den (symbolischen) Triffids nur noch ein Schritt. Der Roman spielt außerdem elegant mit dem Gedanken, das drohende Ende sei durch eigene Dummheit und Größenwahn der Gattung Mensch zumindest mitverschuldet worden.

Im Rahmen des durchdachten Szenarios wird angesichts einer totalen globalen Katastrophe so manche zeitlose gesellschaftspolitische Frage thematisiert. So wird über menschliches (Gruppen-)Verhalten in extremen Situationen, dem vollständigen Verlust traditioneller Wertvorstellungen und sozialer Bindungen, über individuelle Entscheidungen kontra Gruppenzwang sowie aufkeimenden militanten Neofeudalismus reflektiert. Ebenso unterhöhlt wird der Glaube an die Allmacht der Supermacht USA: So äußert in der frühen Phase der Katastrophe jemand die illusorische Hoffnung, man müsse nur bis Weihnachten durchhalten, dann seien die Amerikaner da — was damals ungewöhnlich war, heutzutage fast schon karikierend wirkt. Dies alles erhebt die Neuausgabe von John Windhams Roman über plumpen Horror und rein nostalgisch geprägten Lesespaß hinaus und macht das Buch zur sowohl reizvollen als auch kaum patinierten, vielmehr anregenden Sci-Fi-Lektüre — geeignet nicht nur für die Ferienzeit 2006.

Der Name John Wyndham ist übrigens das Pseudonym für John B. Harris. Das Buch ist im Outfit passend — betont pflanzengrüner Schutzumschlag und ebensolches Lesezeichen aus Leinen — in „Die grüne Reihe“ erschienen im Verlag Heinrich und Hahn.

Für all diejenigen, die bis jetzt den (film-)musikalischen Bezug vermisst haben: Wyndhams Endzeitszenario ist bislang leider eher drittklassig für die Leinwand und den TV-Schirm adaptiert worden, z. B. im grottigen The Day of the Triffids • Blumen des Schreckens (1962, Musik: Ron Goodwin).

Erschienen
2006
Seiten:
262
Verlag:
Heinrich & Hahn Verlagsgesellschaft
Kennung:
3-86597-036-2
Zusatzinfomationen:
18,90 € (D)

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