Die Rächer

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
16. April 2006
Abgelegt unter:
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Die Rächer

Durch Steven Spielbergs Film Munich sind das Olympia-Attentat von 1972 und seine ebenso mörderischen Folgen wieder stärker ins Blickfeld gerückt. Spielberg und sein Drehbuchautor Tony Kushner schöpften aus höchst fragwürdiger Quelle: dem bereits 1984 erschienenen „Die Rache ist unser“ (dt. Taschenbuchtitel „Schwarzer September“) des kanadischen Journalisten George Jonas. Was der Autor als die „wahre Geschichte eines israelischen Anti-Terror-Teams“ bezeichnet, gilt unter Kennern des Geheimdienstmilieus jedoch zum beträchtlichen Teil als ausgewachsener Humbug, der anscheinend auf den Erinnerungen eines fantasievollen El-Al-Sicherheitsagenten basiert.

Spielbergs im Stile eines Politthrillers der 70er Jahre, auch kameratechnisch (Janusz Kaminski) eindrucksvoll inszeniertes Filmdrama ist in erster Linie eine Allegorie um eine zwar nicht neue, seit dem September 2001 aber besonders aktuelle Frage: Es geht um die Rechtmäßigkeit, Wirksamkeit und damit letztlich um den Erfolg politisch motivierter Gewaltaktionen. Insofern mögen sich viele Zuschauer an manchem letztlich unglaubwürdigen Handlungskonstrukt nicht allzu sehr stören. Da Munich sich aber nicht mit einem fiktiven, sondern realen Fall befasst, hätte ihm m. E. eine größere Faktentreue trotzdem besser getan.

Aaron J. Klein, Autor des kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienenen „Die Rächer“ („Striking Back“, 2005), ist ebenfalls Journalist. Der Israeli ist aber nicht nur Jerusalem-Korrespondent des US-Magazins „Time“, sondern interessanterweise zugleich Kenner des israelischen Geheimdienstes Mossad. Kleins sehr sachlich, aber nicht trocken, sondern detailliert und lebendig geschriebenes Buch liest sich in Teilen wie ein Politthriller. Dabei verliert es sich aber keineswegs im Reißerischen, sondern ist bemüht, ohne zu beschönigen, ein sachliches, sich (weitestgehend) auf Fakten stützendes, überzeugendes Bild der Ereignisse zu entwerfen.

Minutiös werden die tragischen Vorgänge in München, im September 1972 geschildert und analysiert. Diesem das Vorspiel für die Racheaktionen des Mossad bildenden Ereignis ist rund ein Drittel des Buchtextes gewidmet. Dabei wird deutlich, wie völlig ahnungslos, dilettantisch und letztlich inkompetent die deutschen Behörden im Umgang mit Terroristen waren, aber auch welche Versäumnisse auf israelischer Seite den Anschlag ebenfalls begünstigten. Es klingt auch an, wie bedeutungsvoll diese erste weltweit über das Fernsehen miterlebbare Terroraktion für die politisch motivierte Gewalt werden sollte.

Anschließend werden die geheimen Racheaktionen der Israelis, die erst im Juni 1992 ihr letztes Opfer trafen, facettenreich beschrieben, wobei auch die angebliche Unfehlbarkeit des Mossad kritisch betrachtet wird. Abschließend wird im „Epilog“ bei der Beurteilung des „Wertes“ der Anschläge eine fast ausschließlich ernüchternde Bilanz gezogen: Klein stellt unter anderem fest, dass die Israelis schon früh erkannten, dass niemand aus der Führungsriege der palästinensischen Aktivisten in Reichweite der Vergeltungsschläge kam. Man suchte sich deshalb Zielpersonen auf der unteren Ebene und verschleierte dies durch gezielte, irreführende Mitteilungen an die Medien.

Aaron J. Kleins „Die Rächer“ bietet erstmalig eine insgesamt sehr plausibel erscheinende Schilderung der Abläufe, der Racheaktionen des Mossads an den Olympia-Mördern, die der Wahrheit erheblich näher kommen dürfte, als alles zuvor zum Thema publizierte. Seine sorgfältig recherchierte, analytische Betrachtung der Ereignisse ist sowohl lesenswert für diejenigen, die, nicht nur, aber vielleicht auch nach einem Besuch von Munich, glaubwürdigere Hintergrundinformationen zum israelischen Rachefeldzug erhalten möchten. Dass dabei keine Langweile aufkommt, ist ein zusätzlicher Pluspunkt.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2006.

Erschienen
2006
Seiten:
285
Verlag:
Deutsche Verlagsanstalt, München
Kennung:
3-421-04205-5
Zusatzinfomationen:
(D) € 17,90

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