Die Lincoln Verschwörung (Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. Mai 2012
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(5/6)

Bild

(5/6)

Ton

(4.5/6)

Extras

(4/6)

Dass das Attentat auf Präsident Lincoln im April 1865 nur Teil einer geplanten Anschlagsserie war, welche die Regierung der kurz zuvor siegreich aus dem US-Bürgerkrieg hervorgegangenen Nordstaaten traf, ist selbst in den USA nur wenig geläufig. Neben dem Präsidenten sollten in fast zeitgleich erfolgenden Anschlägen Vizepräsident Johnson und Außenminister Seward getötet werden. Doch der von Robert Redford inszenierte Film zielt nicht etwa auf eine minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse um die Ermordung Präsident Lincolns ab, sondern betont vielmehr das Allegorische in den Vorfällen nach dem Attentat, in denen das Recht rücksichtslos gebeugt worden ist, um in einem Schauprozess präsentierte Täter möglichst schnell zu verurteilen. The Conspirator • Die Lincoln Verschwörung ist der erste Film, den die 2008 gegründete „The American Film Company“ (TAFC) produzierte. Diese hat es sich auf die Fahnen geschrieben, mit ihren Produktionen eher unkommerziell, nämlich als Zeuge der amerikanischen Geschichte, hervorzutreten.

Der englische Originaltitel lautet interessanterweise nicht wie eventuell aufgrund des deutschen Verleihtitels zu vermuten „The Conspiracy = Die Verschwörung“, sondern vielmehr The Conspirator „Der Verschwörer“. Während der deutsche Verleihtitel Die Lincoln Verschwörung das gewollt Allgemeingültige hinter dem nur als Aufhänger dienenden Lincoln-Attentat eher verdeckt, wird dies im letztlich mehrdeutigen Originaltitel The Conspirator, umso klarer herausgestellt. Wen aber hat Regisseur Robert Redford mit „Verschwörer“ überhaupt gemeint? Die am Abend des 14. April 1865 erfolgten Anschläge waren zwangsläufig nicht die Tat eines Einzeltäters. Insofern kommt weder der damals sehr populäre Schauspieler John Wilkes Booth, der Lincoln erschoss, noch einer seiner Mittäter in Frage. Hierbei kann es vielmehr nur um den gehen, der sich im nachfolgenden Lincoln-Prozess gegen das Recht verschworen hat. Kommt dafür vielleicht der als Vertreter der Anklage eingesetzte Joseph Holt in Frage, der völlig skrupellos auch vor Zeugenbestechung nicht zurückschreckt, um sein Ziel zu erreichen? Letztlich kann aber eigentlich nur der hinter der gesamten juristischen Farce stehende zynische Kriegsminister Stanton gemeint sein, der die von der Verfassung garantierten Rechte rücksichtslos einem vermeintlich höheren Zweck opfert, um den noch labilen nationalen Frieden zu sichern.

Der Film fokussiert exemplarisch auf Mary Surrat, eine Pensionswirtin, bei der die Verschwörer und ihr an der Verschwörung ebenfalls beteiligter Sohn John verkehrten, und das ihr im Rahmen des Lincoln-Prozesses angetane Unrecht. Sie war die einzige weibliche Angeklagte im Verfahren und die erste Frau, die durch eine amerikanische Bundesbehörde (zusammen mit drei weiteren Angeklagten) hingerichtet wurde. Entsprechend sind die Mitangeklagten konsequenterweise nur Beiwerk, und selbst auf Lincoln wird nicht näher eingegangen. Dieser wird sogar fast gar nicht gezeigt. Lincolns Gesicht ist nur einmal ganz kurz aus der Distanz während der schicksalhaften Aufführung im Ford’s Theatre zu sehen. Zum historischen Hintergrund erfährt man denn auch nur so viel, dass man die entscheidenden Konturen des als Modell dienenden historischen Falles erkennen kann: In knapp 17 Minuten wird die Vorgeschichte des Kriegsgerichtsprozesses gegen Mary Surrat, vom Attentat bis zum Prozessbeginn, zusammengefasst.

Dabei ist Redfords Film im Gezeigten keineswegs oberflächlich. Die detailgetreue historische Ausstattung sorgt für überzeugende Atmosphäre. Dazu trägt neben der sehr sorgfältigen Ausstattung in Kostümen und Interieurs auch das der Zeit der Filmhandlung entsprechende, blasse Lampen- und Gaslicht bei. Moderne Scheinwerfer kamen nicht zum Einsatz. Das schärft den Blick des Zuschauers für das Zeitgebundene der Filmhandlung. In den ausgefeilten Dialogen kommt dann das zeitlos Gültige zum Ausdruck. Überzeugende schauspielerische Leistungen einer auch in den kleinen Rollen vorzüglich besetzten Darstellerriege unterstützen die sehr überzeugende, in Teilen auch durchaus emotional packende Gesamtwirkung. So wird, wenn der schwerverletzte Lincoln über die Straße in ein gegenüber dem Theater liegendes Haus getragen wird (wo er am nächsten Tag seinen Verletzungen erlag), die Betroffenheit der Anwesenden eindrucksvoll spürbar.

In einzelnen Momenten mag Redfords Film um der guten Sache willen zwar etwas plakativ erscheinen, aber das mindert den Rang dieses leidenschaftlichen Plädoyers für die Wahrung demokratischer Grundrechte, auch in schwierigen Zeiten, keineswegs. Kommt besagtes doch ohne falsches Pathos herüber. Der junge Anwalt Frederik Aiken (James McAvoy) wird Verteidiger von Mary Surrat (Robin Wright). Er denkt zuerst, wie zweifellos die Mehrzahl der Zeitgenossen: „Wie kann man solche Leute überhaupt verteidigen?“, und muss von seinem Mentor, Senator Reverdy Johnson (Tom Wilkinson), erst mahnend an seinen Eid erinnert werden: „Dieses Vorhaben, Zivilisten vor ein Militärgericht zu stellen, ist eine Gräueltat.“ Doch schon bald wandelt er sich zum glühenden, wenn auch aussichtslosen Verteidiger rechtstaatlicher Prinzipien. Damit isoliert er sich zunehmend nicht nur in seinem Bekanntenkreis. Er wird auch auf offener Straße angefeindet, wobei die fast zufällig wirkende Anrempelei eines Unionssoldaten noch das Subtilste ist.

Es wird aber auch klar, wie kritisch die Situation in jenen Tagen für die Regierung der Nordstaaten war. Zwar hatte General Lee als Oberkommandierender der Südstaatenarmee, mit der Armee von Nord-Virginia am 10. April bei Appomattox Court House kapituliert — siehe auch unser „US-Bürgerkriegs-Special“. Damit war der Krieg zwischen den Staaten aber nur nominell beendet. Der Sieg stand noch auf sehr wackligen Füßen, denn die weiteren noch im Felde stehenden konföderierten Streitkräfte, z.B. General Johnstons rund 75.000 Mann starke Armee in North Carolina, waren zwar schwer angeschlagen. Sie mussten Lees Beispiel aber erst noch folgen, und das zog sich noch einige Zeit hin. (Der letzte größere konföderierte Truppenverband streckte erst am 23. Juni 1865 die Waffen — er wurde interessanterweise von einem Angehörigen der Cherokee-Indianer, Stand Watie, geführt, der es im Heer der rassistischen Südstaaten 1864 sogar zum Brigade-General gebracht hatte.)

Der Film macht dazu die unter dem Jubel über die Kapitulation Lees noch verborgene Angst und damit die auch durch die „Medien“, z.B. durch gezielte Zeitungsmeldungen, bis zur allgemeinen Paranoia aufgeheizte Stimmung jener Tage deutlich, ohne dass er dabei seine Figuren simpel überzeichnet. Er stilisiert auch den Kriegsminister Edwin M. Stanton (Kevin Kline) nicht einfach zum Bösewicht. Vielmehr wird klar herausgestellt, dass dieser ein sehr verdienter Mitstreiter Lincolns gewesen ist. In einem erstklassig inszenierten Wort-Duell — ziemlich exakt nach einer Stunde Film — zwischen Senator Reverdy Johnson und Kriegsminister Edwin M. Stanton werden die Gründe deutlich, für die jener offenbar bereit ist, die rechtstaatlichen Prinzipien der Verfassung zeitweilig zu opfern: „Dieser Prozess leistet mehr zur Wahrung des Friedens als jeder zu Papier gebrachte Vertrag. Der Krieg muss gewonnen bleiben! Darin liegt meine oberste Verantwortung!“, meint Stanton, der durch ein schnell zum Abschluss gebrachtes Verfahren den besiegten Süden von weiteren Komplotten abhalten und die Rachegelüste im Norden dämpfen will. Senator Johnson bemerkt dazu vor Gericht: „Wenn unsere Vorväter gewollt hätten, dass einst die Tyrannei obsiegt, wären der Präsident und sein Kriegsminister mit solchen Instrumenten der Willkür ausgestattet worden. Aber stattdessen entwarfen sie eine Verfassung und Gesetze, um genau dem vorzubeugen. Und das taten sie eben gerade für Zeiten wie diese.“ Dass Zivilisten nicht vor ein Militärtribunal gehören, sondern vor ein ziviles Schwurgericht, wurde übrigens ein Jahr nach dem Prozess gegen Mary Surrat vom Obersten US-Bundesgericht festgestellt. Einer der am Tribunal beteiligten Militärs war interessanterweise General Major Lewis Wallace, derjenige, der einige Jahre später seinen berühmten Historien-Roman „Ben Hur“ in Angriff nahm.

Redfords Film ist aber auch noch in einem weiteren Punkt um Realitätsnähe bemüht, indem er nicht unterschlägt, dass der Aufrechte, der das Recht verteidigt, häufig kaum Unterstützung findet: Und so wird auch Frederik Aiken am Ende, als sich die Ereignisse zuspitzen, von seinem Mentor, Senator Reverdy Johnson, komplett im Stich gelassen.

Darüber hinaus wird deutlich, unter welchem Druck auch Dritte, wie die Tochter Mary Surrats, stehen, und ebenso, dass es Kräfte gibt, welche dem flüchtigen Mitverschwörer John Surrat helfen (in Kanada) unterzutauchen, bis sich die Hysterie des Augenblicks gelegt hat. Und exakt das rechtfertigt auch die frei erfundene, allerdings unprätentiös inszenierte Begegnung zwischen Aiken und John Surrat am Schluss des Films, die gerade im Zusammenhang mit dem erklärenden Abspann legitimiert wird: John Surrat kam nämlich bereits nicht mehr vor ein Militärtribunal (s. o.), sondern vor ein Zivilgericht und wurde sogar freigelassen. Inwieweit seine Mutter schuldig war, ist bis heute ungeklärt und wird auch im Film offen gelassen. Doch was das Gezeigte dazu an Schlussfolgerungen zulässt, erscheint im Hinblick auf das Schicksal von John Surrat und auf die bereits 1869 erfolgte Begnadigung der übrigen zu lebenslangen Haftstrafen Verurteilten des Lincoln-Prozesses recht eindeutig.

Natürlich weckt der Fall und das dazu im Film Gezeigte Assoziationen zu den Anschlägen vom 11. September 2001: dem daraus hervorgegangenen „Patriot Act“ und natürlich dem bis heute auf Guantánamo existierenden US-Gefangenenlager für politische Häftlinge, welchen die von der US-Verfassung garantierten Grundrechte nicht zugestanden werden. Dass auch für die Gefangenen im Lincoln-Prozess die Haftbedingungen barbarisch waren, sie nicht nur meist schwer gefesselt waren, sondern außerdem (bis auf Mary Surrat) eng geschnürte Masken tragen mussten, bleibt im Film eine nur knappe Randnotiz. Dass dies Folter gleichkommt, wird dazu allerdings in der Boni-Dokumentation zur Verschwörung (s. u.) auf der BD eindeutig festgestellt.

Mark Isham hat das Gerichtsdrama sehr zurückhaltend mit einer Musik unterlegt, die sich aus folkiger Americana und streicherdominierten Barber-Anklängen zusammensetzt und primär hinter den Bildern agiert. In Spannungspassagen gibt es von Zimmer’scher Rhythmik und Minimal-Music dominierte Passagen und gerade diese sind es, die abseits der Bilder eher wenig aussagekräftig erscheinen.

Die leise Drohung im o. g. Schlüssel-Dialog von Kriegsminister Stanton, triebe es der junge Anwalt zu weit, dann würde er sich Feinde machen, die nicht so schnell vergessen, bewahrheitete sich auch im realen Leben. Die juristische Karriere des Frederik Aiken wurde durch sein Engagement bei der Verteidigung von Mary Surratt letztlich vernichtet. Sein Anwaltsbüro ging im Folgejahr des Prozesses in Konkurs. Im Anschluss daran arbeitete Aiken bis zu seinem frühen Tod 1878 ausschließlich als Reporter für die neu gegründete Zeitung Washington Post. Und an dieser Stelle schließt sich, wenn man so will, auch der Kreis: Verkörperte Robert Redford, der unerschütterliche Hollywood-Liberale, doch bereits vor 35 Jahren deren berühmtesten Reporter, den Watergate-Enthüller Bob Woodward, in Die Unbestechlichen (1976).

Die Lincoln Verschwörung auf Blu-ray

Etwas problematisch erscheint mir der gerade durch Einsatz von (zu) viel Weichzeichner nicht immer zum Vorteil beeinflusste Look des Films. Redford und Kameramann Newton Thomas Sigel haben sich außerdem für überhöhten Kontrast und gedämpfte Farbgebung entschieden. Das bedingt allerdings auch qualitative Einschränkungen bei der Bildqualität, die zwangsläufig keine Spitzenwerte erreichen kann. Der Weichzeichner verleiht den Bildern dazu einen mitunter etwas weihevollen Gemälde-Touch. Dies wirkt sich auf den ansonsten zu Recht eher nüchtern und reportagehaft gehaltenen Stil ebenfalls nicht unbedingt vorteilhaft aus. Hierzu hätten die im Rahmen der den Hauptteil des Bonusmaterials bildenden Dokumentation zum historischen Fall, „Die Verschwörung“, zu sehenden knackig scharfen Bilder vom Set m. E. doch besser gepasst. Alles erscheint aber durch die eigenwillig fahle Farbgebung nicht nur grau dominiert, sondern in den relativ dunklen Gerichtsszenen führen Wechselwirkungen zwischen den vom Weichzeichner leicht diffus (unscharf) gehaltenen Bildern und dem dezent sichtbaren Filmkorn in Teilbereichen mitunter zu erkennbarer Unruhe. Derartiges beeinträchtigt natürlich zusätzlich das sich ansonsten immer wieder einstellende HD-Feeling. Der dazu etwas frontlastige Ton in 5.1 DTS-HD Master Audio ist der Kammerspiel-Thematik angepasst. Er kommt eher unauffällig, aber solide gestaltet daher.

Von den Boni sind, neben eher promomäßigem Kleinzeug wie einem „Mini-Making-of“, der informative Audiokommentar von Robert Redford und ebenso die bereits erwähnte Dokumentation zum historischen Hintergrund bemerkenswert. Die aus verschiedenen thematisch orientierten Clips bestehende Doku ist eine recht gelungene Mischung aus historischen Fakten und Making-of. Allerdings gibt es zu beiden englischsprachigen Features leider keine deutschen Untertitel. Das ist schon ärgerlich und gibt bei der Ausstattung einen Stern Abzug.

Fazit: Robert Redfords Die Lincoln Verschwörung ist kein actionüberladener Hollywood-Blockbuster, sondern ein zwar eher ruhiges, aber dafür umso eindringlicheres Kammerspiel mit beträchtlichem Tiefgang. Diese sehenswerte, keineswegs staubtrockene, vielmehr lebendig inszenierte Lektion in Sachen Demokratie ist etwas, das auch dem Nachwuchs an den Schulen im Politikunterricht gezeigt und dort diskutiert werden sollte.

Die Präsentation von Blu-ray ist solide bis gut. Beim Bild zeigen sich immer wieder leichte qualitative Einschränkungen, die in erster Linie auf die gewollte Bildästehetik zurückzuführen sind, also zu Lasten der Produktion gehen — was eine gerechte Bewertung der Bildqualität der BD nicht gerade einfacher macht. Mit den leider nur im englischen Originalton versehenen Boni kann man ansonsten sehr zufrieden sein.

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2012.

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Originaltitel:
The Conspirator

Regisseur:
Redford, Robert Jr.

Erschienen:
2012
Vertrieb:
Tobis & Universal Pictures
Zusatzinformationen:
USA 2011

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