„1900, woher nimmst du deine Musik?“ – so beginnt eine interessante und dabei äußerst witzige Szene im neuesten Giuseppe-Tornatore-Film Die Legende vom Ozeanpianisten • La Legenda del pianista sull’oceano (1998), für den natürlich wieder Ennio Morricone die Musik komponierte. Zum bekanntesten Produkt zwischen Morricone und Tornatore gehört mit aller Sicherheit Cinema Paradiso (1989).
1900 (Tim Roth), deshalb so genannt, weil er im gleichnamigen Jahr auf einem Schiff als Waisenkind aufgefunden wurde und dieses nie verlassen hat, versucht die Frage durch einfache Beispiele zu beantworten. Er sucht sich willkürlich Personen aus der vergnügten Masse heraus, die sich im schiffseigenen Salon aufhalten, und gibt dem äußeren Erscheinungsbild durch Zuspielen eigener spontan komponierter Klaviermusik eine völlig neue Bedeutung. Genauso funktioniert Filmmusik und deshalb macht das den Ozeanpianisten zu einer der wichtigsten Filmmusikpartituren dieses Jahres (bzw. letzten Jahres, veröffentlicht wurde der Score ja erst dieses Jahr). Werfen wir doch einen beherzten, kurzen Blick auf Filme mit ähnlichen Szenen. Da wäre zum einen La Strada (1954) von Federico Fellini. Das Trompetenthema hat hier eine wichtige Funktion und wird gleichermaßen stark „im“ Film vom sichtbaren Instrument, als auch in der eigentlichen Filmmusik (vom unsichtbaren Orchester) aufgegriffen. Noch krasser ist es bei C’Era Una Volta Il West • Spiel mir das Lied vom Tod (1969) von Sergio Leone. Die verschiedenen Personen, allen voran „Mundharmonika“, sind auf musikalischer Ebene dermaßen präsent, dass einem schon Angst und Bange wird, wenn wir auch nur das Thema hören. Wie Morricone selbst sagt, wird die Filmmusik sehr oft durch den Regisseur schlecht. Man müsse ihr Raum lassen, damit sie sich entfalten könne.
Und das kann sie in Spiel mir das Lied vom Tod und auch in Die Legende vom Ozeanpianisten. Das Motiv, welches uns den Film hindurch begleitet, hat unser Protagonist selbst komponiert, wie er sich auch das Klavierspielen selbst beigebracht hat, und spielt somit eine wichtige Rolle. Mal hören wir es bei dem Eintreffen in Amerika, der eigentlichen Eröffnungssequenz: Die Musik „schwimmt“ in ihrer ganzen Schönheit (toll orchestriert, wie immer von Morricone persönlich), mal wird sie direkt von 1900 gespielt, eben als direkte Untermalung. In diesem Falle bei der mehr oder weniger heimlichen Beobachtung eines Mädchens, in das er sich sofort verliebt. In dieser über drei Minuten langen Szene („Playing Love“) verweilt die Kamera stellenweise einfach auf 1900s Gesicht. Die Musik spricht hier im wahrsten Sinne des Wortes Bände.
Etwas schade ist, dass beispielsweise die recht kurzen Passagen, wie etwa die Erläuterungsbeispiele (siehe 2. Absatz) oder gar die slapstickhaften, von Mickey-Mousing Gebrauch machenden Schaukelszenen, auf der ca. 50 Minuten langen CD fehlen (Max, der Trompeter, muss sich zu Anfang nämlich erst einmal an das Geschaukel des Schiffes gewöhnen). Wahrscheinlich hätten sie das Hören der CD nur erschwert und wurden deswegen ausgespart. Überhaupt wurde kräftig an der Track-Reihenfolge rumgespielt. Beispielsweise folgen in ständigem Wechsel auf die wunderbar ruhigen und sentimentalen Sequenzen die Jazz- und Ragtime-Arrangements. Das mag zwar gewisse Parallelen mit dem Film haben, der ja eine Lebensgeschichte erzählt, aber da nicht chronologisch geordnet wurde, wirkt’s ein wenig gekünstelt.
Gekünstelt ist auch der Song von Roger Waters, der wohl an Titanic-Erfolge anknüpfen sollte, aber eben als solcher völlig versagt.
Und dennoch möchte ich es noch einmal betonen, wenn es noch nicht herausgekommen sein sollte. Morricone, erst vor kurzem für sein Lebenswerk ausgezeichnet, ist qualitativ immer noch auf der Höhe. Eine echt nette Ergänzung für den Filmmusiksammler.