Die Ahnen der Saurier — Im Reich der Urzeitmonster
Sprechen wir von der Ära der Dinosaurier, kommt wohl jedem spontan der wohl bekannteste Vertreter, Tyrannosaurus Rex, in den Sinn. Dieser ist natürlich auch einer der unverzichtbaren Rockstars in Tim Haines erstem Ausflug in die Urzeitgeschichte unseres blauen Planeten: Walking with Dinosauriers • Dinosaurier — Im Reich der Giganten (1999). Vor rund 65 Millionen Jahren ging die Epoche dieser Reptilien zu Ende, und dass die Welt danach kaum sicherer war, wissen wir seit Walking with Beasts • Die Erben der Saurier (2001).
Kaum bekannt ist allerdings, dass die Dinosaurier in erheblich weiter zurückliegenden Epochen der Erdgeschichte bereits vergleichbar große und gefährliche Vorfahren hatten. So bevölkerten beispielsweise bereits vor rund 460 Millionen Jahren, im Ordovizium, riesige Skorpione den Ur-Ozean. Tim Haines neuester Streich in Sachen Urzeit-Reportagen, Die Ahnen der Saurier — Im Reich der Urzeitmonster, beschäftigt sich mit Abschnitten der Erdgeschichte, die bis zum Kambrium, vor etwa 550 Millionen Jahren zurückgehen. Zuvor bevölkerten allein primitive Ein- und Mehrzeller den Ur-Ozean. Im Kambrium begann sich das Leben innerhalb einer — im erdgeschichtlichen Zeitrahmen — relativ kurzen Periode von nur 50 Millionen Jahren radikal zu verändern. Die so genannte „Kambrische Explosion“ legte den Grundstein für sämtliche heute noch existierenden Arten. Das gilt aber auch für diejenigen Gattungen, welche im Laufe der Evolutionsgeschichte ausstarben und die zum Teil der Forschung immer noch große Rätsel aufgeben, da sie in kein derzeit diskutables zoologisches Modell hineinpassen.
Ausgehend von der Kambrischen Explosion lässt Haines über 90 Minuten 300 Mio. Jahre Erdgeschichte in gewohnt überzeugender Machart im Zeitraffer Revue passieren. Was die Erde bevölkerte bevor die Dinosaurier auftauchten, dieser Frage wird dabei aufschlussreich und anschaulich nachgegangen. Schlaglichtartig beleuchtet werden dabei Epochen der Erdgeschichte, in denen bislang wohl kaum ein Normalsterblicher große und räuberische Kreaturen vermutet hätte: wie die als Vorläufer unserer heutigen Krokodile anzusehenden Chasmatosaurier, welche vor ca. 250 Mio. Jahren, kurz vor Beginn der Trias anzutreffen waren, oder Anomalocaris, ein fast ein Meter großer bizarrer Räuber, der bereits vor rund 520 Mio. Jahren im Kambrischen Meer seine Beute jagte. Am Schluss der in höchstem Maße spannenden Zeitreise wirft die bevorstehende Epoche der Dinosaurier ihre Schatten voraus: visionär wird ein noch harmlos erscheinender kleiner Vorfahre des Tyrannosaurus vorgestellt und anschließend zum berühmtesten der Rockstars gemorpht.
Im analog in realen Naturdokus gezeigten (Über-)Lebenskampf der Gattungen fließt beim Fressen und gefressen werden natürlich digitales Blut, das vereinzelt auch mal in Richtung Kameraoptik spritzt. Aber keine Angst! Derartiges Splattern hält sich in ganz engen Grenzen, und eingestreut findet sich immer wieder einmal ein Quäntchen auflockernder Selbstironie: So, wenn die Viecher mal neugierig in die Kamera glotzen oder nicht aufpassen und im Schweinsgalopp mit selbiger kollidieren. Ganz klar also, dass akademische Trockenheit keine Chance bekommt, sich diese High-Tech-Wissenschafts-Show aber auch nicht überzogen bierernst nimmt. Denn ganz klar gilt: Das hier Gezeigte ist natürlich eine populärwissenschaftliche Show und zwangsläufig kein absolut wahrheitsgetreuer Naturfilm: Ein faszinierend anschauliches und auch sehr unterhaltsames Konstrukt aus zwangsläufig bruchstückhaften paläontologischen Erkenntnissen des Damaligen, kombiniert mit Annahmen, die aus den uns bekannten Tierarten hergeleitet worden sind.
Fast zwei Jahre Zeit und ca. 4,5 Millionen Euro Produktionskosten erforderte dieser erneute Ausflug in die Frühgeschichte unseres blauen Planeten. Das Prequel zur Urzeitgeschichte kann aber gerade von DVD die gegenüber den beiden Vorläufern nochmals gesteigerte technische Perfektion besonders eindrucksvoll unter Beweis stellen. Hier sieht man die komplette Doku nicht allein ohne die störenden Werbeunterbrechungen, sondern außerdem in einer Bildqualität, die der merklich vergrieselten und leicht unscharf erscheinenden Fernsehausstrahlung auf pro 7 klar überlegen ist. Das Bild von DVD ist dagegen insgesamt sehr scharf und fast rauschfrei, wodurch das Gezeigte noch brillanter und spektakulärer wirkt. Auch die Animationen sind merklich schärfer und detailfreudiger geraten, was die aus dem Computer stammenden Kreaturen und die auf Urzeit getrimmten Landschaftspanoramen noch überzeugender lebensecht macht. Faszinierend ist dabei aber auch eine tricktechnische Novität, bei der die Kamera quasi in die jeweiligen Spezies hineinfahren kann, um Aufbau und Funktion innerer Organe, wie Herz und Lunge zu veranschaulichen. Ein sehr solider vierkanaliger Dolby-Surround-Ton (AC-3-2.0) verleiht dem Gezeigten stimmige Atmosphäre.
Als Bonusmaterial zur fantastischen Reise zu den Ursprüngen des Lebens gibt es noch ein informatives rund 30-minütiges Making-Of, das neben dem neuesten Urzeitstreich Die Ahnen der Saurier auch bislang nicht Erwähntes zur Entstehungsgeschichte der beiden Vorläufer beleuchtet.
Tim Haines zentrale BBC-Dokumentationen bilden eine packende Trias über die Entwicklung des Lebens auf der Erde: von den Anfängen des Lebens bis zu den Nachfahren der Dinosaurier. Etwas schade ist allerdings, dass es zu Die Ahnen der Saurier offenbar keine ergänzende Buchveröffentlichung geben wird.
Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2006.