Der letzte Mann

DVD-Cover: Der Letzte Mann
Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
29. Mai 2004
Abgelegt unter:
DVD

Film

(4.5/6)

Bild

(5/6)

Ton

(5/6)

Extras

(5/6)

DVD: Der letzte Mann

Es tut sich zwischenzeitlich verstärkt etwas im Segment „Veröffentlichung Deutscher Filmklassiker auf DVD“. So lädt nach Fritz Langs Metropolis die Ende 2003 ebenfalls bei Transitfilm (www.transitfilm.de), in der Reihe „Transit Classics“, als visuell sehr ansprechendes Digipack erschienene Deluxe-Edition von Der letzte Mann (1924) nun dazu ein, bei Murnau auf (visuelle) Entdeckungsreise zu gehen.

Mit Der letzte Mann — damals ein teures Prestigeobjekt der Ufa — hat Murnau das Filmemachen letztlich revolutioniert. Obwohl es sich um einen Stummfilm handelt, verzichtete er bewusst vollständig auf ergänzende Zwischentitel, die üblicherweise den Dialog ersetzen sollten. Dieses, den Erzählfluss der Bilder beeinträchtigende und daher unzulängliche Stilmittel hätte seinem ungewöhnlichen Inszenierungsstil nur geschadet. Der Regisseur setzte hier allein auf die visuelle Kraft einer (damals) ungewöhnlich modernen und magischen Bildsprache. „Stummfilm“, das erscheint heute vielen so weit entfernt, aber mitunter lohnt ein genaueres Hinschauen, um Wim Wenders’ Aussage bestätigt zu finden: „Murnau war seiner Zeit um Lichtjahre voraus.“

Der unterschwellig antimilitaristische Film Der letzte Mann ist eine Variante von „Kleider machen Leute“: es geht um die übertriebene Bedeutung von äußerlicher Eleganz, hier in Form der prächtigen Uniform des Portiers eines Luxushotels. Der gebürtige Schweizer Emil Jannings, nach heutigen Maßstäben ein Top-Star, verkörpert den wegen Altersschwäche zum schäbigen Toilettenmann abgehalfterten Portier. Seine eindrucksvolle Darstellung des Alten wird von der Maske und Frisur hervorragend unterstützt, die vom exquisiten Maskenbildner Waldemar Jabs täglich mehr als zwei Stunden Arbeit erforderte. Immerhin befand sich Jannings zum Zeitpunkt der Dreharbeiten in der Blüte seiner Jahre, war erst rund vierzig Jahre alt.

Hervorstechendstes Merkmal der Inszenierung ist hier die vom Stativ befreite, sich frei im Raum bewegende und somit „entfesselte“ Kamera. Heutzutage dank Steady-Cam eine Selbstverständlichkeit, war es seinerzeit eine revolutionäre, Maßstab setzende, auch in Hollywood bewunderte Neuerung. Sogar der (fehlende) „fliegende Ton“ einer Trompete wird durch eine derartige Kamerafahrt überzeugend visualisiert: diese bewegt sich zusammen mit dem Kameramann Karl Freund an einer 20 Meter langen Drahtseilkonstruktion befestigt — scheinbar im „Fluge“ aus einer Naheinstellung des Blechblasinstruments heraus hoch zur im zweiten Stock gelegenen Wohnung des Portiers. Murnau und seinem Team gelang es, eine (s. o. Frieda Grafe) fast in einem Satz zu erzählende (Mini-)Geschichte allein durch die Kraft ihrer Bilder zu bereichern und außerdem nicht einfach theatermäßig, sondern kinotypisch zu gestalten. Für seinen Regisseur wurde die innovative Brillanz dieses Resultats, seinerzeit zu Recht als „Deutscher Qualitätsfilm“ geltend, letztlich zur Fahrkarte nach Hollywood. Mit Nosferatu (1921/22) war der Name Murnau im Bewusstsein der filminteressierten Öffentlichkeit weitgehend verankert, Der letzte Mann (1924) markierte den internationalen Durchbruch.

Der vorliegenden Edition liegt eine restaurierte Fassung des Films zugrunde, angefertigt vom spanischen Filmwissenschaftler und Murnau-Experten Luciano Berriatúa im Auftrag der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung (www.murnaustiftung.de). Berriatúa hatte dabei mit dem o. g. Problem unterschiedlicher Fassungen zu kämpfen. Für diese Prestigeproduktion ließ die Ufa neben dem üblichen Exportnegativ für den bedeutender werdenden US-Markt ein zusätzliches Negativ erstellen. Letztlich ist das Negativ der deutschen Fassung das überzeugendere, die Exportfassungen zeigen verschiedentlich schwächere und dazu weniger perfekte Einstellungen. Und auch nicht sämtliche der im deutschen Negativ zu sehenden Kamerafahrten sind enthalten, wobei man hier zum Teil wohl auch ein wenig auf Nummer Sicher gehen wollte, indem man partiell konservative Standards betonte. Schließlich waren die mit Hilfe der innovativen Technik erzielten Resultate noch merklich von der Vollkommenheit und Eleganz späterer Tage entfernt.

Infolge glücklicher Umstände konnte die deutsche Urfassung letztlich wiederhergestellt werden — dank der als Vorlagen zur Verfügung stehenden Originalnegative oder Kopien erster Generation in fast durchgehend hervorragender Bildqualität. Nur an einigen Stellen waren zusätzliche Verbesserungen durch Einsatz digitaler Korrekturen erforderlich. Das im Resultat überaus detailfreudige, sämtliche Graustufen zwischen den Extrema Schwarz und Weiß zeigende Bild wirkt sehr überzeugend. Es wird (s. o.) sowohl Frieda Grafes Mahnung an eine „optimale Reproduktion“ als auch den ähnlich lautenden Bedenken von Helmut Prinzler gegen eine „reduzierte Übermittlung“ gerecht. Werden (nicht nur) Murnaus Filme auf Video qualitativ derart hochwertig präsentiert, darf man Prinzler sogar zumindest dezent widersprechen, wenn er wie oben behauptet: „Sie sind für die Leinwand bestimmt. Nur dort werden sie groß und stark.“

In einer rund 40-minütigen Dokumentation vermittelt Luciano Berriatúa in Form eines „Making of“ viel Wissenswertes zum Filmklassiker und seiner Restauration. Hier wird unter anderem eindrucksvoll gezeigt, wie sorgfältig schon damals jede Einstellung durch detailliert erstellte Skizzen vorbereitet wurde — etwas, das man heute als Storyboards bezeichnet. Dies betraf nicht allein Szenenbild und Ausstattung, sondern ebenso die Ausleuchtung, das Setzen von Licht und Schatten. Darüber hinaus gibt es Einblicke in die bereits vor nunmehr rund 80 Jahren überaus raffinierte Art und Weise, die Wahrnehmung des Zuschauers zu überlisten, in das, was heutzutage als „Special Effects“ bezeichnet wird. Es ist einfach verblüffend, wie einfallsreich und geschickt die alten Hasen zu Werke gingen und wie realistisch es ihnen gelang, Raumtiefe und Größe von Bauten durch raffiniertes Tricksen bei der Perspektive vorzutäuschen.

Und auch das in Form eines 6-seitigen, eng bedruckten Faltblattes gestaltete Begleitheft enttäuscht nicht. Es ist ebenfalls aufschlussreich geraten und somit eine gute Ergänzung zur Berriatúa-Doku. Darüber hinaus sind auf der DVD zu den wichtigsten in die Produktion des Films involvierten Personen solide Kurzbiografien auf Texttafeln abrufbar.

Der gebürtige Italiener Giuseppe Becce (1877-1973) wirkte seit der Jahrhundertwende in Berlin und begleitete ab 1913 Stummfilmvorführungen. Zusammen mit Hans Erdmann und Ludwig Brav publizierte er 1927 mit dem „Allgemeine(n) Handbuch der Filmmusik“ ein frühes Standardwerk zur Filmvertonung. Und auch die berühmte, in den Jahren 1918-1929 veröffentlichte mehrbändige Kinobibliothek „Kinothek“ geht auf den Italiener zurück. Hierbei handelt es sich um eine umfangreiche Sammlung standardisierter, auf die verschiedensten Filmsituationen und -stimmungen zugeschnittener Versatzstücke für den Kino-Kapellmeister. Dieser konnte mit deren Hilfe beliebig, quasi „mit Schere und Kleber“, passende Filmmusiken kompilieren, zumal die einzelnen Piecen so angelegt sind, dass sie auch leicht auf die jeweils benötigte Szenenlänge angepasst werden konnten. Dass allerdings eine speziell für den jeweiligen Film komponierte Musik dessen Wirkung unter Umständen deutlich verstärken konnte, war bereits in der Ära des Stummfilms nicht einfach völlig unbekannt; allerdings bildete Derartiges klar die Ausnahme und eben nicht, wie ab etwa 1934, die Regel.

So sollte Becce im Auftrag der Ufa auch für Der letzte Mann eine Originalmusik schreiben. Eine Aufgabe, die er (wohl aus Zeitdruck) nur zum Teil erfüllte, lediglich drei der sechs Filmakte sind durchgängig komponiert und notiert. Für die anderen Akte existieren allein einige Bruchstücke und Verweise auf Material anderer Komponisten. Darüber hinaus ist diese eh fragmentarische Filmkomposition nur in einer Klavier- und Violinstimme erhalten geblieben, die Originalinstrumentierung scheint verloren. Der Komponist Detlev Glanert (•1960) hat nun für die vorhandenen Teile eine neue Orchesterfassung erstellt und bei der erforderlichen Ergänzung des Materials versucht, diese möglichst angenähert an die Stilismen von Giuseppe Becce auszuführen. Die auch klangtechnisch vorzügliche Einspielung dieser Neufassung (AC3-5.1) erfolgte mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken unter dem Dirigat von Frank Strobel. Die sehr eingängige, teilweise tänzerische und auch vor unmittelbar bildbezogenen Mickey-Mousing-Effekten nicht zurückschreckende Komposition dieses Filmmusikpioniers dürfte manchen Hörer vielleicht sogar dazu veranlassen, die DVD auch mal ohne Bild als rein musikalisches „Höralbum“ zu genießen. Damit liegt jetzt hierzulande erfreulicherweise auch ein bedeutender Film Friedrich Wilhelm Murnaus als hochwertige und außerdem wohlklingende Video-Edition auf DVD vor.

Erschienen:
2003
Vertrieb:
Transitfilm
Kennung:
4989
Zusatzinformationen:
D 1924

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