Der König tanzt

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
29. Juli 2001
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Seit dem 26. April 2001 wird Gérard Corbiaus Film Le Roi Danse • Der König tanzt in den deutschen Programm-Kinos gezeigt. Im vierten Film des für Farinelli mit dem Golden Globe ausgezeichneten Regisseurs spiegelt sich die Epoche des „Sonnen-Königs“ Ludwig XIV. in üppig und auch eigenwillig gestalteten Bildern wider.

Wie der Titel bereits andeutet, spielt Musik in diesem Film eine zentrale Rolle. Im Frankreich des 17. Jahrhunderts hatte der Tanz als Mittel der Repräsentation und Ausdruck des sozialen Ranges eine lange Tradition. Die Forderung der höfischen Gesellschaft, dass der König der beste Tänzer seines Reiches sein muss, wurde vom Sohn Ludwigs XIII. nicht allein mit aller Prachtentfaltung erfüllt. Vielmehr dienten Ludwig XIV. Musik und Tanz nicht einfach der Unterhaltung, sondern spiegelten die persönliche Auffassung seines königlichen Amtes. Für Ludwig hatte Kunst die Aufgabe, Ausdruck des Bildes zu sein, das er der Welt vermitteln wollte.

Dem 1632 in Florenz geborenen Musiker Giovanni Battista Lulli, der 14-jährig nach Frankreich ging, gelang als Jean Baptiste Lully eine Bilderbuch-Karriere. Er stand ab 1653 für 34 Jahre ausschließlich in den Diensten des Sonnenkönigs und hinterließ eine Fülle von Musik für alle höfischen Anlässe. Lullys Kompositionen verkörpern einen ganz speziellen Musik-Stil, einen der keinerlei Rücksicht auf gesamteuropäische Traditionen nimmt, um geeignetes Ausdrucksmittel für einen ungewöhnlichen jungen Herrscher zu sein, der sich ebenso frei von traditionellen Bindungen präsentieren wollte. Seine Musik wurde – wie selten zuvor und danach – eindeutig zum Politikum, zur „Staatsmusik“ und damit zur klingenden Propaganda der Ära des Absolutismus, aber auch zum Inbegriff der französischen Kultur ihrer Epoche.

Lullys handwerklich gut gemachte Musik ist kaum intellektuelle, selbstständige Kunst, sondern überwiegend eine spezielle Form der Gebrauchs- und Programm-Musik und versinnbildlicht Szenen wie Heeresaufmärsche und anderes mehr. Ihr tonmalerischer Gestus wirkt (zwangsläufig) nicht unmittelbar plastisch auf den heutigen Hörer, dessen Hörgewohnheiten von der Tonsprache Richard Wagners und seiner Nachfolger entscheidend geprägt worden sind.

1753 schrieb Quantz in einem Brief an Telemann: „Sie wissen ja selbst wohl was für ein Commoder Schreiber und seichter Held Lully in der arbeitsamen und fugierten Musik war…“. Dies zeigt, dass die Auseinandersetzung um den Wert von Musik schon damals geführt worden ist, es kratzt aber auch an einem immer noch weit verbreiteten Klischee: nämlich, dass es sich bei der überlieferten Musik zurückliegender Epochen – der Musik für den Adel – generell um hohe Kunst handeln müsse. Hierbei wird stillschweigend unterstellt, diese sei von den Zeitgenossen – vergleichbar dem heutigen Konzerterlebnis – andächtig gehört worden. Fehlanzeige! Auch den Aufführungen von Werken des heutzutage über alle Maßen vergötterten Wolfgang Amadeus Mozart hat zu seinen Lebzeiten überwiegend ein für heutige Verhältnisse völlig undiszipliniert und respektlos „lautes“ Auditorium beigewohnt, das sich unterhalten lassen wollte. Dazu kommt noch, dass die meisten Kompositionen – selbst die weltberühmte Oper „Die Zauberflöte“ – ursprünglich als reine Auftragsarbeit nur zur einmaligen Aufführung gedacht war. Der uns heutzutage selbstverständlich erscheinende Repertoire-Betrieb ist ein (relativ junges) Produkt des im 19. Jahrhundert aufstrebenden Bürgertums.

Das ausschließliche Hören von Meisterwerken ist weder allein selig machend noch sonst wie erstrebenswert. Die CD mit der für den Film Der König tanzt ausgewählten Originalmusik (von Lully und den Zeitgenossen Jaques Cordier, Michel Lambert und Robert Cambert) bietet sicher eher U-Musik ihrer Epoche als hohe Kunst für die Nachwelt. Der Höreindruck ist in jedem Fall vorzüglich. Die größtenteils prachtvoll funkelnden, aber auch zärtlich intimen Stücke dürften auch vielen heutigen Hörern Freude bereiten. Neben Pompösem findet sich überwiegend Tänzerisches aber auch galant Liedhaftes. Besonders originell empfand ich die äußerst naturalistische Gewitter-und-Sturm-Musik (mit Windmaschine) aus „Armide“ (Track 28) – eine Art Urahnin des entsprechenden Parts in „Eine Alpensinfonie“ von Richard Strauss.

Die Darbietung der Musik durch die renommierte Musica Antiqua Köln unter der Leitung von Reinhard Göbel ist von Schärfe und Direktheit in Ton und Rhythmus bestimmt und wirkt wohltuend entplüscht. Die hohe Spielkultur des auf alte Musik spezialisierten Ensembles hat zweifellos einen wichtigen Anteil an der überzeugenden Wirkung. Auch der vorzüglichen Aufnahmetechnik muss hohes Lob gezollt werden. Das sorgfältig gestaltete Booklet bietet dazu eingehenden, die interessanten historischen Hintergründe erhellenden Lesestoff. Eine willkommene CD, die mehr als nur nettes Souvenir eines schönen Kino-Abends ist. Wer z. B. Händels „Feuerwerksmusik“ und „Wassermusik“ etwas abzugewinnen vermag, kann hier unbesorgt zugreifen.

Erschienen:
2000
Gesamtspielzeit:
75:43 Minuten
Sampler:
Universal
Kennung:
DG 471 142-2

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