Der Herr der Ringe – Die Gefährten: eine Literaturverfilmung? (Teil II)

Geschrieben von:
Peter Kramer
Veröffentlicht am:
15. Juni 2002
Abgelegt unter:
Special

Peter Jacksons Der Herr der Ringe – Die Gefährten – eine Literaturverfilmung?
Freie Filmkunst und Werktreue

Teil II

Der Tragödie zweiter Teil – Einige Vorbemerkungen

Der erste Teil meines Artikels über Peter Jacksons Verfilmung von „Der Herr der Ringe“ hat einige Aufmerksamkeit erfahren – und auch eine (teils hitzig geführte) Diskussion ausgelöst. Dies nehme ich insgesamt als Zeichen dafür, dass die Arbeit, die ich mir damit mache, doch nicht ganz so nutzlos ist, wie einige Kritiker meinen. Mithin kann jeder für sich selbst entscheiden, ob ihm eine so umfangreiche Gegenüberstellung von Film und Buch das Lesen wert ist, oder nicht.

Dass in der Diskussion negative Äußerungen und Kritik überwiegen, liegt in der Natur der Sache, da Ärger eine größere Antriebskraft hat als bloße Zustimmung (das geht mir ja nicht anders). Umso dankbarer bin ich für die nicht wenigen positiven Reaktionen, ja die Verteidigung und auch die konstruktive Kritik zu meinem „Opus“.Nicht nur auf dem Cinemusic.de-Forum, sondern erfreulicherweise beschäftigt man sich auch beim „Der Herr der Ringe Film-Forum“ damit (Danke an Jonas Uchtmann für den Hinweis).

Wenn ich ganz am Ende noch Zeit und Lust habe, überarbeite ich den Gesamtartikel und baue einiges von der konstruktiven Kritik ein. Bis dahin werden nur nachgewiesene Fehler korrigiert (hier geht ein weiteres Dankeschön an Jonas).

Viele Kritiker scheinen zu glauben, dass mir der Film nicht gefalle und ich ihn deshalb möglichst schlecht darstellen wolle. Ich hoffe, ich nehme niemandem die Vorfreude auf das Schluss-Resümee, wenn ich jetzt schon erkläre, dass dies mitnichten so ist! Ich finde den Film als Film im Ganzen gut – eine schöne Abenteuer-Kino-Unterhaltung; aber mich stört eben, dass er nicht sehr gut oder gar hervorragend ist. Ich behaupte, dass es ein leichtes gewesen wäre, daraus das Meisterwerk zu machen, das viele positive Kritiken darin sehen wollen. Deshalb geht es in diesem Artikel um einen möglichst genauen Vergleich zwischen dem guten Film und der meisterhaften Buchvorlage. Dabei macht es mir Spaß, ins Detail zu gehen, und mein Beitrag ist für Leute geschrieben, denen das ebenfalls Spaß macht. Für eine im Ansatz durchaus ähnliche, aber stichworthaftere und dadurch kürzere Gegenüberstellung empfehle ich das „Sphärentor Tolkien“ von Tobias Reinold & Huân Vu (für diesen Hinweis danke ich Jakob Breit).

Die Szenen im Detail (Fortsetzung):

14. Frodo und Sam treffen Merry und Pippin

Da Frodos Aufbruch nicht wie im Buch gut vorbereitet wird, müssen Merry und Pippin künstlich (nicht kunstvoll!) mit auf die Reise geschickt werden. In einem Maisfeld tauchen sie plötzlich auf und rennen Sam und Frodo über den Haufen – auf der Flucht vor Bauer Maggot, bei dem sie mal wieder Gemüse gestohlen haben.

Die Söhne und Erben des Thains und des Herrn von Bockland sind also nicht nur Idioten, sondern auch Kriminelle! Dieser Unsinn beruht darauf, dass Frodo (nicht Merry und Pippin, die mit Maggot befreundet sind!) in seiner Jugend von Maggot beim „unbefugten Pilzesammeln“ erwischt worden war.

Die Darstellung ist zwar lustig, aber ein vollkommen unzureichender und verfälschender Ersatz für das Original. Chronologisch und geographisch ist Bauer Maggot natürlich ganz falsch positioniert.

15. Versteck und Flucht vor dem Schwarzen Reiter zur Fähre
Während seine drei Gefährten über die Pilze herfallen, hat Frodo ein immer stärker werdendes Gefühl der Bedrohung, so dass die Hobbits sich am Wegesrand verstecken. Ein Schwarzer Reiter taucht auf (Krabbeltiere und Würmer sorgen hier für einen billigen Horroreffekt), und das Ganze endet in einer wilden Flucht zur Bockenburger Fähre.

1670Die Flucht ist eine Erfindung, um die Filmhandlung zu beschleunigen und vorzeitig die Spannung zu erhöhen. Die Schwarzen Reiter bleiben im Buch bis Bree oder sogar bis zur Wetterspitze eine geheimnisvolle Bedrohung und kommen den Hobbits nie näher als beim Versteck am Wegesrand, und dort wird der Reiter durch das Herannahen von Gildors Elbenschar verscheucht, bevor er die Hobbits findet. Da die Elben im Drehbuch dem Rotstift zum Opfer fielen, greift man zu einem unglaubwürdigen Ablenkungsmanöver und zur Flucht, die bis in die Nacht hinein fortgesetzt wird (oder sind es mehrere Fluchten?). Dabei kommen die Reiter mehrmals so nahe, dass sie den Ringträger mit Leichtigkeit niederstrecken und den Ring an sich nehmen könnten. Warum sie das nicht tun, bleibt das Geheimnis der Autoren.

In dieser Szene wird zum ersten Mal die Zeitlupe benutzt, ein Stilmittel, das im weiteren Verlauf des Films dermaßen strapaziert wird – insbesondere bei (Pseudo-)Sterbeszenen -, dass es einem bald zum Halse heraushängt (s. auch Szenen 17, 19, 22, 24, 28, 39, 42, 43, 50, 54, 55, 57, 60).

Obwohl Merry hier zum ersten Mal so etwas wie Verstand zeigt, drängt sich dem aufmerksamen Betrachter die Frage auf: „Warum nimmt Frodo auf seiner streng geheimen Reise diese Leute mit?“ Denn von der engen Freundschaft, die ihn mit Merry und Pippin verbindet, war im Film bisher nichts zu sehen. Die Frage bleibt unbeantwortet und wird schlichtweg von der Rasanz der Handlung hinweggespült.

16. Ankunft in Bree

Die 50 Meilen von der Fähre nach Bree fallen in nichts zusammen, da die Gefährten gleich darauf in Bree ankommen. Krickloch, den Alten Wald, Tom Bombadil und die Hügelgräberhöhen gibt es im Film nicht. Das ist sehr schade (und vor allem werden viele Fans Tom Bombadil vermissen), aber kann auch ohne all das auskommen. Ein echtes Defizit entsteht eigentlich nur durch die Verkürzung von Raum und Zeit (wie schon häufig bemängelt) und dadurch, dass die Hobbits keine Schwerter aus dem Hügelgrab bekommen.

1667Bree erscheint sehr düster und bedrohlich, was kaum zu der Tatsache passt, dass die kleine bewohnte Region des Breelandes eine „Insel in den verödeten Landen ringsum“ bildet. Auch das Gasthaus „Zum Tänzelnden Pony“ wirkt nicht sehr vertrauenerweckend – ganz im Gegensatz zum Buch, wo Sam lediglich von der Größe der Menschenhäuser eingeschüchtert wird. Gerstenmann Butterblüm wird als Rolle „verschenkt“, könnte man sagen. Seine Vergesslichkeit und Schusseligkeit beschränkt sich darauf, dass er sich nicht sofort an Gandalf erinnern kann, der doch (im Original) seit langem sein Freund ist.

17. Patzer im „Tänzelnden Pony“

Die Szene, in der Frodo versehentlich mitten im Schankraum den Ring aufsetzt, kann wohl nur als komplett misslungen bezeichnet werden.

– Keiner der Reisegefährten kann so blöde sein, Frodos wahren Namen zu verraten.
– Frodo erzeugt keinen Aufruhr, indem er eine Rangelei anfängt (das wäre schlichtweg idiotisch!), sondern versucht, durch eine Rede (und dann durch ein Lied) die Aufmerksamkeit von Pippin abzulenken.
– Dass ein hochgeschleuderter Ring auf dem Finger eines stürzenden Hobbits landet, ist so unglaubwürdig, dass man am Verstand der Autoren zweifeln muss. (Und das dann auch noch in Zeitlupe!)
– Die Ringgeister werden nicht sofort darauf aufmerksam, wenn jemand den Ring aufsetzt. Sonst wäre der Ring wohl bereits seit 500 Jahren wieder in Saurons Besitz.
– Es sieht auch nicht jeder, der den Ring aufsetzt, Saurons Auge (schon gar nicht umgekehrt!). Dann hätte Bilbo ihn sicher nicht aus Jux und Dollerei benutzt.
– Sauron kann nicht zu jemandem sprechen, nur weil der den Ring am Finger hat.
– Die Trübung des Gesichtsfeldes durch den Ring wird im Film stark übertrieben (und durch einen Geräuscheteppich noch verstärkt, obwohl das Gehör doch durch den Ring geschärft wird!), so dass man sich fragt, wie Leute, die den Ring benutzen, sich überhaupt richtig im Raum bewegen können.
– Frodo kann nicht mitten im Raum wieder sichtbar werden, ohne nochmals Aufmerksamkeit zu erregen.

Ich sehe keinen Grund, warum die Filmemacher hier zu diesem Quatsch gegriffen haben, anstatt das Buch zu verfilmen.

18. Frodo trifft Streicher

1665Das „Bekanntmachen“ mit Streicher geht sehr schnell, und Streicher geht nicht gerade subtil und vertrauenerweckend vor. Trotzdem wird seine Glaubwürdigkeit nicht in Frage gestellt. (Erst auf der Wanderung durch die Wildnis – Szene 20 – taucht ganz kurz die Frage danach auf.)

Als Sam, Merry und Pippin ins Zimmer stürzen, zieht Streicher sein Schwert. Abgesehen davon, dass die drei von Anfang an dabei sein müssten (Streicher zieht sein Schwert im Buch nur wegen des Showeffekts), gibt es hier eine fundamentale Entstellung der Geschichte, die Tolkien sicher übel vermerkt hätte: Warum, warum, warum nur trägt Streicher nicht sein zerbrochenes Schwert Narsil? Vermutlich nur, damit an der Wetterspitze ein „ordentlicher“ Kampf stattfinden kann (s. den Kommentar zu Szene 22, und dann Szene 30).

Viggo Mortensen ist für Streicher/Aragorn, letzter Nachkomme und Erbe der Hochkönige von Númenor, eine krasse Fehlbesetzung. Zunächst einmal ist er viel zu jung. Aragorn ist zur Zeit des Ringkrieges bereits 87 Jahre alt, und obwohl er 210 Jahre alt werden wird, ist er doch kein junger Mann mehr. Doch die Jugend ist es nicht allein. Mortensens übertriebene Mimik und seine betont lässigen Bewegungen lassen alles Höhere oder gar Königliche in Aragorns Gestalt vermissen. Dagegen ist der Bart, den er trägt, ein geringeres Übel. (Allerdings scheinen Bärte in diesem Film als Unterscheidungsmerkmal zwischen Elben und Menschen zu dienen. Im Buch werden Bartträger auch als solche beschrieben!) Ich muss sagen, dass mir der gezeichnete Aragorn aus Ralph Bakshis Film besser zu passen scheint.

19. Schwarze Reiter überfallen Bree

Die Nazgûl reiten das Tor von Bree nieder und stürmen (in Zeitlupe!) in das Gasthaus. Was sie dort tun, sieht zunächst nach einem Ritualmord aus, bis sie entdecken, dass die Hobbits nicht dort sind, wo sie sein sollten. Durch geschickte Schnitte wird auch dem unwissenden Zuschauer bis zuletzt suggeriert, dass die Hobbits getötet werden.

Ein gewaltsames Eindringen in Bree hätte natürlich das ganze Dorf in Aufruhr versetzt (vgl. Szene [url=rezension.htm?rid=5124]11[/url] zum „Eindringen“ ins Auenland), so dass dieser langsam vollzogene „Ritualmord“ ganz unmöglich ist. Darüber hinaus stammt die ganze Szene nicht aus dem Buch (dort ist nur das Ergebnis beschrieben), sondern aus dem Bakshi-Film.Immerhin erhalten die Hobbits (und wir) von Streicher einige Informationen über die Ringgeister.

20. In die Wildnis

Als Streicher die Hobbits in die Wildnis führt, wird endlich als Ziel Bruchtal genannt (und Sam freut sich auf die Elben; vgl. Szene 11). Außer einem (immerhin sehr guten) Scherz über die Essgewohnheiten der Hobbits bietet die Szene sonst nichts. Die Länge und die Strapazen des Weges (immerhin eine Woche durch unwegsames, teilweise sumpfiges Gelände bis zur Wetterspitze) werden nicht deutlich.

21. Sarumans Auftrag, neue Krieger zu schaffen

Ein Schnitt bringt uns wieder nach Isengard, wo Saruman von Sauron den Auftrag erhält, eine neue Armee aufzustellen. Sarumans Orks beginnen, das grüne Tal von Isengard in eine industrielle Einöde zu verwandeln (Saruman wird sehr gut als Baummörder herausgestellt – was ja später noch wichtig wird). Unterdessen sitzt Gandalf gefangen auf den Zinnen von Orthanc.

Die Szene ist frei erfunden. Im Buch gibt es nur die Ergebnisse: Züchtung der Uruk-hai (allerdings nicht in Mordors Auftrag), Bau der unterirdischen Werkstätten, Zerstörung der Gärten von Isengard, Gandalf auf dem Orthanc gefangen. Die filmische Darstellung kann als Bereicherung angesehen werden, wie all diese Szenenwechsel zu Sarumans Turm oder zu den Feinden überhaupt (Szenen 8, 13, 21, 23 und 48, sowie in 27, 35, 36 und 50) – sie kosten aber auch wertvolle Filmzeit, die dann fehlt, um wichtige Details des Buches, z.B. die Charaktere, zu entwickeln. (Dazu werde ich am Ende meines gesamten Beitrages in einem Resümee noch Ausführlicheres sagen.)

Am Rande bemerkt: In Wahrheit erreicht Gandalf Bree am Abend desselben Tages, an dem die Gefährten von dort aufbrechen. Das wird er wohl kaum schaffen, wenn er immer noch bei Saruman rumhängt. Deshalb finden sich wohl auch in der folgenden Szene keine Spuren von ihm auf der Wetterspitze.

22. Wetterspitze
Es folgt eine der schlechtesten (d. h. entstellendsten und dadurch unglaubwürdigsten) Szenen des Films, als die Gefährten unter Streichers Führung zur Wetterspitze kommen.

1671

– Als erstes verteilt Streicher Schwerter an die Hobbits. Warum erst jetzt? Warum schleppt er sie sieben Tage lang durch die Wildnis, anstatt sie gleich in Bree zu verteilen? Durch diese Unsinnigkeit macht man aus dem Herauskürzen der Hügelgräberhöhen (s. Szene 16) einen echten Mangel.
– Dann lässt Streicher die Hobbits allein zurück, „um sich umzusehen“. Das würde er wohl kaum tun – schon gar nicht in der Nacht.
– In Wahrheit wird das Feuer auf Streichers Rat hin gemacht, weil die Nazgûl sich davor fürchten. Frodos Aufregung ist also Quatsch. So wird auch die Blödheit von Merry und Pippin weiter betont.
– Der Überfall der Ringgeister findet nicht auf der Wetterspitze statt, sondern in einer Mulde am Nordhang.
– „Es kommt nicht zum Kampf … Warum ist mein Bericht hier vollständig umgeschrieben worden, ohne Rücksicht auf den weiteren Fortgang? … Eine Szene mit von einem kleinen roten Feuer erhellter Finsternis, in der die Ringgeister langsam als noch dunklere Schatten näherkommen – bis zu dem Augenblick, wenn Frodo den Ring aufsteckt und der König offen vortritt -, schiene mir viel beeindruckender als noch eine Szene mit Geschrei und ziemlich sinnlosem Schwertgefuchtel“. (Tolkien, Briefe, Nr. 210, S. 358f.)

Diese kontraproduktive Kampfszene verschwendet nicht nur unnötig Zeit (teilweise sogar in Zeitlupe!), sondern für sie wird auch die ganze Bedeutung von Narsil, Aragorns zerbrochenem Schwert, zunichte gemacht (s. Szenen 18 und 30). Das ist unverzeihlich, zumal der Film dadurch nicht besser wird. Nur eine Kampfszene mehr, die sich bei öfterem Ansehen endlos in die Länge zu ziehen scheint.

Weitere Unstimmigkeit entsteht dadurch, dass Streicher drei von den Nazgûl (bzw. ihre sichtbaren Hüllen) verbrennt. An der Bruinen-Furt (Szene 25/26) sind jedoch wieder alle Neune da.

Während nun im Buch Frodo durch Aragorns Heilkräfte zumindest vorläufig stabilisiert wird, heißt es hier gleich, seine Heilkunst reiche nicht aus. Warum wurde dieses wichtige Detail verändert, das doch auf Aragorns Zukunft vorausdeutet, denn: „Die Hände des Königs sind Hände eines Heilers.“

23. Erschaffung der Uruk-hai
1669In Isengard wird unterdessen fleißig geschmiedet, und wir erleben die „Geburt“ des ersten Uruk-hai (einer neuen Rasse von großen Orks) mit, der sofort mit seiner Bestimmung, dem sinnlosen Morden, beginnt. Das ist alles sehr eindrucksvoll in Szene gesetzt und man könnte es wohlwollend als Bereicherung der Geschichte ansehen; aus dem Buch stammen jedoch lediglich einzelne Hinweise darauf, dass Saruman eine Armee ausgerüstet und die Uruk-hai gezüchtet hat.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der Film zu sehr an der bösen Seite interessiert ist, während das Buch doch durchweg aus der Sicht der Hobbits geschrieben ist.

24. Erscheinen Arwens

Endlich besinnt Streicher sich doch auf seine Heilkünste und auf Athelas, das Königskraut. Doch bevor man noch eine Wirkung feststellen könnte, tritt Arwen auf den Plan und reitet mit Frodo davon.

Für einen kleinen Gag wird Arwens Erscheinen etwas unglaubwürdig inszeniert. „Ein Waldläufer, der nicht auf der Hut ist“ – noch dazu in dieser Situation – ist mehr als fragwürdig.

1666Noch fragwürdiger ist jedoch die Ersetzung des großen Elbenkriegers Glorfindel durch Elronds Tochter. Dazu ist bereits im Vorfeld des Films viel geschrieben worden, weshalb ich mich hier kurz fassen kann. Die Abweichung wurde vor allem mit dem vermeintlichen Mangel an weiblichen Charakteren in der Vorlage begründet. Nun, wir müssen uns wohl freuen, dass Pippin sich nicht in eine Pippine verwandelt hat. Jedenfalls kann ich nicht erkennen, worin da die Stärkung des Weiblichen besteht, wenn man zwar aus Arwen eine Kriegerin macht, aber gleichzeitig Galadriels Rolle bis zur Unkenntlichkeit beschneidet (s. Szenen 44-49). Und wenn Arwen so eine große Kriegerin ist, warum fehlt sie dann bei der Ratsversammlung (Szene 32)? Da passt doch eins nicht zum anderen!

Das völlig übertriebene Leuchten, das von Arwen auszugehen scheint, ist hoffentlich auf Frodos Zustand zurückzuführen. Übrigens haben alle Elben dieses innere Leuchten, nicht nur die weiblichen, wie es der Film nahezulegen scheint.

In dieser Szene wird zum ersten Mal Elbisch (genauer gesagt: Sindarin) gesprochen, was sehr schön ist, aber vielleicht manchen Zuschauer verwirren könnte.

Liv Tyler verleiht Arwen die nötige Schönheit und Anmut bei guten schauspielerischen Leistungen.

25. Flucht zur Furt
Nachdem Arwen noch bei Dunkelheit aufgebrochen ist, bringt uns ein Schnitt helles Tageslicht, und die Flucht zur Furt wird zur wilden Verfolgungsjagd.

Rufen wir uns noch einmal den tatsächlichen Gang der Dinge ins Gedächtnis. Aragorn zieht mit dem verwundeten Frodo und den drei anderen Hobbits zwölf Tage lang (sic!) durch die Wildnis, da sie sich von der Straße fernhalten müssen, um den Nazgûl zu entgehen. Als sie schließlich doch ein Stück auf der Straße zurücklegen müssen, treffen sie auf Glorfindel, der sie zwei weitere Tage lang begleitet. Erst kurz vor der Furt werden sie von fünf Schwarzen Reitern eingeholt, und Frodo flieht allein (!) auf Glorfindels Pferd reitend zur Furt, wobei er vier weiteren Ringgeistern ausweichen muss.

Ein Ritt von einer Meile wird zu einer schier endlos scheinenden Jagd, die noch dazu in sich nicht plausibel ist, da die Nazgûl wieder ihre Schwerter nicht benutzen, obwohl sie dem Fliehenden mehrmals fast zum Greifen nahe kommen.

26. An der Furt
An der Bruinen-Furt angekommen, bleibt Arwen mit ihrem Pferd im Wasser (sic!) stehen, während die Ringgeister vor dem Wasser zurückschrecken.

Dieser Drehort ist einer der ganz wenigen, bei denen die Location Crew leider voll daneben gegriffen hat. Zum einen ist der Fluss viel zu klein, was wohl damit zusammenhängt, dass es in Neuseeland zwar sehr viele verschiedene und wunderschöne Landschaften gibt, aber keine großen Flüsse (Der längste – Waikato – ist gerademal 425 km lang; vgl. auch den Anduin in Szene 50). Zum anderen aber ist die Furt viel zu seicht, und es gibt praktisch keine Böschung. Hier kann man einfach nicht das tun, was jetzt (auch im Buch) passiert! Dadurch wird das Ganze unglaubwürdig.

Denn nun fängt Arwen an zu zaubern und lässt den Fluss anschwellen, so dass die Schwarzen Reiter hinweggeschwemmt werden. Obwohl dies eindrucksvoll inszeniert ist (ich habe mich ja schon bei Szene 13 zu dieser Liebhaberei bekannt), muss festgestellt werden, dass es so eine direkte (man könnte auch sagen: plumpe) Art der Zauberei bei Tolkien nicht gibt. Vielmehr heißt es im Buch lapidar, der Fluss unterstehe Elronds Befehl, und Gandalf erklärt, dass die weißen Schaumpferde seine Zugabe dabei waren.

1668Jedenfalls könnten die Schwarzen Reiter die schmale und seichte Furt doch ohne Probleme in wenigen Sekunden durchreiten, die tosenden Wellen könnten sich ohne Böschung gar nicht im Flussbett halten und müssten Arwen, Frodo und ihr Pferd ebenso hinwegspülen, da diese immer noch im Wasser stehen (!). Meiner Meinung nach ist das nicht sehr überzeugend.

Die Szene endet mit einem völlig entstellenden Rührstück. Arwen betet: „Die Gnade, die mir zuteil wurde, möge auf ihn übergehen. Verschont ihn! Rettet ihn!“ Was für ein Unsinn! Ohne hier weiter auf Tolkiens Theologie und Kosmologie einzugehen: Welche Gnade sollte das wohl sein, die auf Frodo übergehen könnte? Wird Frodo jetzt unsterblich? Und welchen Grund hätte Arwen wohl zu diesem Zeitpunkt, einem Hobbit, den sie gerade erst kennengelernt hat, eine ihr zuteil gewordene Gnade abzutreten? Dies ist eine totale Fehlinterpretation der gesamten Mythologie und beruht darauf, dass Arwen nach dem Ringkrieg bei Frodos Abschied aus dem Süden ihm ihren Platz im Segensreich des Westens überlässt, wo er sich eine Zeit lang von seinen Wunden erholen kann.

Hier endet das 1. Buch von „Der Herr der Ringe“, und im Film wäre es eine gute Stelle für eine dramaturgisch einkomponierte Pause gewesen. Doch da es so etwas im „modernen“ Film leider nicht mehr gibt (hierzu siehe auch die Anmerkung von Michael Boldhaus im Pearl-Harbor-Film-Artikel), wurde sie, wie ein Filmriss, hinter den Aufbruch aus Bruchtal gepackt. Der Autor dieser Zeilen will trotzdem an dieser Stelle seine Pause machen.

Teil I des Artikels und Teil III des Artikels

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Herr-der-Ringe-Specials.

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