60 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges gehören nicht allein dessen Auswirkungen zum Erbe der Völker Europas. Auch sein Vorspiel, der 1. Weltkrieg, darf weder in Vergessenheit geraten noch in seiner vernichtenden Bedeutung unterschätzt werden. Aus der Feder des renommierten britischen Militärhistorikers H. P. Willmott, ehedem Lehrender an der Royal Military Academy in Sandhurst, stammt ein populär aufbereitetes Buch zum Thema, das bereits 2004, zum 90. Jahrestag des Kriegsausbruchs, im August 1914, im Gerstenberg Verlag erschienen ist.
Der großformatige, wahrlich gewichtige Band gehört nicht zur Reihe: „Gerstenberg visuell“. Trotzdem kommt auch diese Publikationen dem besonders beim Nachwuchs ausgeprägten Bedürfnis nach bildlich ansprechend gestalteter Information sehr entgegen. Erfreulicherweise sinkt dabei die Informationsdichte keineswegs auf ein unbefriedigendes Niveau. Im Gegenteil! Willmotts Buch wartet vielmehr mit einer erstaunlichen Informationsfülle und zugleich beeindruckendem Bildmaterial auf. Der Leser erhält zudem die Texte grafisch modern aufbereitet, in besonders übersichtlicher und auf Anhieb verständlich organisierter Form. In speziell hervorgehobenen Kästen finden sich zusätzliche Erläuterungen z. B. zum Verlauf militärischer Operationen, wobei übersichtliche, quasi dreidimensional aufbereitete Karten zugleich einen Eindruck vom Gelände der Kampfhandlungen vermitteln. Übersichtliche Ablaufdiagramme, farblich unterschiedlich hervorgehobene Zeitachsen, versehen mit Legenden, informieren auf einen Blick über den Verlauf größerer Operationen und über weitere entscheidende Ereignisse. Ebenso werden wichtige Personen charakterisiert und auch technische Neuerungen beschrieben, wie die erstmalig zum Einsatz kommenden gepanzerten Kampfwagen, die Vorläufer der modernen Panzer, und der Luftkrieg. Und auch zur Reflexion der Ereignisse in der malenden Kunst, den bei der kämpfenden Truppe auftretenden Kriegsneurosen sowie die zunehmende Bedeutung von Fotografie und vor allem des (Spiel-)Films in der Propaganda wird berichtet.
In der Fülle des Gebotenen finden sich erfreulicherweise auch Infos, die in den klassischen Publikationen zum Thema in der Regel weitgehend ausgespart bleiben. Dort dominiert der zentraleuropäische Blick und damit der auf die äußerst verlustreichen und zermürbenden Grabenkämpfe an der Westfront derart, dass über die Kämpfe in Russland meist nur wenig, über die im Nahen Osten oftmals gar nichts zu finden ist. Der vorliegende Band schafft Abhilfe. Da findet sich beispielsweise etwas zum Krieg in den afrikanischen Kolonien und auch über die Auseinandersetzungen zwischen Briten und Türken, wie die „Gallipoli-Expedition“, die sich in Peter Weirs Film Gallipoli (1981) spiegelt. Ebenso finden sich Informationen zu den nicht allein in Palästina kämpfenden Australiern — Film: The Lighthorsemen (1987). Und in diesem Umfeld fehlt natürlich auch der Arabische Aufstand nicht, der den Hintergrund für David Leans berühmten Film Lawrence von Arabien (1962) bildet. Nicht nur der Wüstenkrieg, auch die Figur des Thomas Edward Lawrence und die im Lean-Epos so eindrucksvoll visualisierte Eroberung von Akaba sind beschrieben. Erst in den letzten Jahren zu Tage geförderte Ereignisse, wie die Verbrüderungen zwischen Deutschen und Briten Weihnachten 1914, die Meuterei in der französischen Armee 1917, sind ebenfalls enthalten.
Neben dem militärischen Verlauf wird aber auch den politischen Hintergründen, der Stimmung in den Bevölkerungen, dem Nachspiel „Der Frieden, der keiner wurde“ und ebenso den geopolitischen Dimensionen einige Aufmerksamkeit geschenkt. Herausgearbeitet werden auch die damals schon vorhandenen globalen Aspekte in Strategien und Zielen im (selbst-)zerstörerischen Machtkampf der europäischen Nationen. Der Autor greift auch die Frage auf, wieso die europäischen Militärs nicht bereits im Vorfeld ihrer operativen Kriegsplanungen die bereits im US-Bürgerkrieg gemachten Erfahrungen berücksichtigten — wie bei den verlustreichen Grabenkämpfen bei der Belagerung von Petersburg (Film: Unterwegs nach Cold Mountain).
Insgesamt resultiert eine empfehlenswerte Publikation, die sich keineswegs nur an ein junges Publikum wendet, sondern ebenso ältere Leser ansprechen dürfte. Der interessierte Laie und Einsteiger in diese Materie erhält einen umfassenden Überblick über die wichtigen Geschehnisse und wird auch zum Nachschlagen eingeladen. Ein Glossar, das wichtige Begriffe erklärend zusammenfasst, sowie ein sorgfältig erstelltes Register leisten dabei wertvolle Hilfestellung. Gut lesbare und dabei nicht geschwätzige, sondern sehr informative Texte vermitteln und erläutern entscheidende Fakten und wichtige Zusammenhänge. Die sowohl optisch als auch grafisch sehr gelungen gelöste Gliederung der Seiten sowie der Einbau des vorzüglichen Bildmaterials und der großformatigen Illustrationen dürften auch den sehr kritischen Leser überzeugen. Der Käufer erhält ein keineswegs trockenes, sondern vielmehr besonders lebendiges Bild eines gegenüber dem ungleich präsenteren 2. Weltkrieg kaum weniger schreckens- und folgenreichen und ebenso umwälzenden Abschnitts in der Geschichte des 20. Jahrhunderts.