Das Massaker von Katyn (Blu-ray & DVD)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
22. Mai 2010
Abgelegt unter:
DVD

Film

(5/6)

Bild

(4/6)

Ton

(5.5/6)

Extras

(5/6)

Andrzej Wajda (•1926), der große Mann des polnischen Films, wurde in Cannes entdeckt. 1957 erhielt er den Spezialpreis der Jury (Silberne Palme) für seinen Blick auf den Warschauer Aufstand 1944 in Kanal. Und wiederum in Cannes ging 1981 die Goldene Palme an Wajda für Der Mann aus Eisen. Im Jahr 2000 wurde er in Hollywood mit dem Ehren-Oscar für sein Lebenswerk und 2006 entsprechend auf der Berlinale mit einem Goldenen Ehrenbären geehrt.

Im 2007 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominierten Katyn • Das Massaker von Katyn geht der Regisseur subtil an ein besonders sensibles Thema heran. Bis zu Glasnost und Perestroika wurde nämlich die Wahrheit über den von den Sowjets im Frühjahr 1940 verübten Massenmord an der polnischen Intelligenz des zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion aufgeteilten Polens massiv unterdrückt. Dabei waren die Ereignisse im Wald bei Katyn, bei dem ca. 4400 polnische Offiziere von Einheiten des sowjetischen Innenministeriums NKWD erschossen wurden, nur Teil einer groß angelegten Aktion, bei der an verschiedenen Orten im Westen der damaligen Sowjetunion etwa 22.000 Polen ermordet wurden. Die Massengräber von Katyn waren die ersten, die (Ende 1942 von den Deutschen) entdeckt worden sind. Somit wurde das „Massaker von Katyn“ zum Synonym für das Gesamtverbrechen.

Wajdas Film stellt dem sowjetischen Vorgehen das nazideutsche Pendant zum Auslöschen der polnischen Führungselite gegenüber, das der SS-Offizier Bruno Müller mit seiner Aktion an der Jagiellonen-Universität in Krakau am 6. November 1939 einleitete. Er ließ die anlässlich eines Vortrages versammelten Professoren und Universitätsmitarbeiter von einem Einsatzkommando verhaften und einen Großteil davon in das Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin deportieren. Von dort kamen die Verschleppten nur in Urnen zurück, inkl. eines heuchlerischen Beileidsbriefes der Lagerverwaltung.

Dass im Krieg als erstes die Wahrheit stirbt, ist eine Binsenweisheit. Auch die an der Zivilbevölkerung begangenen Kriegsverbrechen gehen, egal von welcher Partei verübt, Hand in Hand mit Lügen, die manipulieren sollen. Und so sieht man zweimal praktisch dieselben Bilder, jeweils Ausschnitte aus einem Propagandafilm über die Massengräber von Katyn. Einmal in der von den Nazis 1943 erstellten Version, deren zugrunde liegender Untersuchungsbericht von einer aus internationalen Experten von Gerichtsmedizinern zusammengesetzten Kommission stammt, und dann in der von den Sowjets nach der Befreiung des Gebietes seitens einer eigenen Kommission erstellten Variante. Dieses Mal wird behauptet, die Deutschen hätten das Verbrechen im Herbst 1941 begangen. Das ist die bis Ende der 1980er sowohl international nachwirkende wie auch im Nachkriegs-Polen verbindliche „Katyn-Lüge“. Das zusätzlich Bittere: Die anderen Krieg führenden Mächte, der britische Premierminister Winston Churchill und ebenso US-Präsident Roosevelt, wollten die Allianz mit Stalin nicht gefährden und unternahmen nichts. Zwar scheiterte der Versuch Stalins, beim Nürnberger Prozess die Katyn-Lüge gegen die deutschen Angeklagten zu verwenden, aber selbst im sich anschließenden Kalten Krieg nahmen die Regierungen der westlichen Staaten von diesem sowjetischen Kriegsverbrechen praktisch keine Notiz.

Dem im sowjetischen Propagandabeitrag pathetisch erfolgenden Aufruf, für die Ermordeten „Rache zu nehmen“, schließt sich der Regisseur freilich nicht an. Es geht ihm mit seinem Film, der den Polen im Besonderen und ihm im Speziellen — sein Vater ist eines der Opfer — eine Herzensangelegenheit ist, darum, eine Geschichtslüge aufzuklären, er will aber weder alte Wunden aufreißen noch inzwischen weitgehend überwundene Ressentiments neu beleben. Entsprechend werden weder die im Film gezeigten Deutschen noch die Russen dämonisiert, bleiben Klischees in der Darstellung praktisch ausgeklammert. Die Inszenierung bleibt insgesamt unprätentiös und frei von überzogenem oder penetrant wirkendem Pathos, allenfalls von einem dezenten Opferpathos kann man sprechen. Betont wird vielmehr das Menschliche. Die Geschichte wird anhand der Erlebnisse von Hinterbliebenen und damit Familienangehörigen der bei Katyn Ermordeten erzählt.

Das Massaker von Katyn ist somit ein Mahnmal wider das Vergessen, ohne die Toten selbst zu heroischen Denkmälern zu verklären. Der Film konzentriert sich vielmehr eher leise auf die menschliche Tragödie. Er macht die Emotionen der zurückgebliebenen Ehefrauen ohne Kitsch und aufgesetzte Sentimentalität in unaufdringlichen, dafür umso eindringlicheren Bildern erfahrbar: das lange illusionäre Hoffen und schließlich die Verzweiflung angesichts der schrecklichen Gewissheit.

Im Zentrum der Filmhandlung steht die Familie von Anna (Maja Ostaszewska). Anna ist zusammen mit ihrer kleinen Tochter auf der Flucht vor den rasch vordringenden deutschen Truppen und versucht im Chaos, ihren Mann, den Rittmeister Andrzej, zu finden. Auf einer Brücke treffen schicksalsträchtig, am 17. September 1939, die von Westen Flüchtenden mit einem entgegenkommenden Flüchtlingsstrom zusammen: ebenfalls Polen, die wiederum vor den von Osten einrückenden Sowjets fliehen. Es gelingt Anna, ihren Mann, der mit anderen Offizieren auf seinen Abtransport in ein sowjetisches Lager wartet, aufzuspüren. Es wird ein letztes Wiedersehen. Sie bleibt zuerst in seiner Nähe und wird vor der drohenden Verschleppung von einem sie schätzenden sowjetischen Hauptmann gerettet, der ihr die Flucht nach Krakau ermöglicht — was wiederum auch die nach Osten versöhnend ausgestreckte Hand symbolisiert. Das wirkt zwar, wie auch Annas Odyssee durch das vom Krieg geschüttelte Land, recht konstruiert und wenig glaubwürdig. Es ist aber für diese erste polnische Produktion zum Thema überhaupt durchaus akzeptabel, die eben auch ein kinematografisches polnisches Requiem sein will/muss. In diesem Zusammenhang besitzt auch die Verwendung von Musik des polnischen Nationalkomponisten Krzysztof Penderecki hohe symbolische Bedeutung.

Die Hoffnung Annas, Andrzej würde doch noch zurückkehren, wird erst viele Jahre später endgültig zerstört, als ihr ein Fundstück der 1943er Katyn-Kommission übergeben wird: das im April 1940 abrupt abbrechende Tagebuch ihres Gatten. Dass die Korrespondenz zwischen den von den Sowjets Internierten und ihren Angehörigen im Frühjahr 1940 — und nicht erst im Herbst 1941! — plötzlich abbrach, war den Betroffenen bewusst. Es verhinderte, dass die Geschichtslüge sich durchsetzen konnte. Die leeren Seiten des Tagebuchs werden so zu einem die Katyn-Lüge entlarvenden Symbol. (Wie der Regisseur im Interview auf Blu-ray und DVD berichtet, waren es späterhin gerade die Frauen, welche die Wahrheit über die Massenmorde von Generation zu Generation weitergaben.)

In den sich anschließenden letzten 10 Filmminuten wird die Ungeheuerlichkeit des verübten Kriegsverbrechens verdeutlicht, in einer Form, die trotz ihres drastischen Realismus nicht übertreibt, indem sie die Menge der schrecklichen Bilder nicht überdosiert und so den Zuschauer betroffen macht, ohne diesen ähnlich abgestumpft zurückzulassen wie nach dem Sterben auf Omaha Beach in Spielbergs Saving Private Ryan (1998). Der Zuschauer wird nun mit der perfiden Mordmaschinerie des NKWD konfrontiert. Die Erschießungen erfolgten nämlich nicht im Kollektiv durch Erschießungskommandos, sondern durch eher überraschende, heimtückische Tötung jedes einzelnen Delinquenten per Genickschuss — interessanterweise wie im Film gezeigt unter Verwendung von deutschen Walther-Pistolen, die zuverlässiger funktionierten als sowjetische Modelle. Anschließend wurden die zum Teil „gesammelten“ Leichen inklusive ihres Gepäcks in ausgehobene Gräben geworfen und verscharrt. In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 9. Februar 2008 hat der Regisseur dazu angemerkt: „Ich werde oft gefragt, wie so etwas möglich war. Es war möglich, weil Stalin und Lenin schon früher, in den 30er-Jahren Millionen von Sowjetbürgern ermordet hatten. Ukrainer, Weißrussen, Russen, deren Massengräber bis heute nicht geöffnet wurden“. (Lenin starb bereits 1924. Trotz dieses offensichtlichen Fehlers ist die Aussage korrekt, wenn man den Zeitraum auf die 20er Jahre erweitert.)

Wie der bis hierhin gekommene Leser vermutlich kaum noch bezweifelt, gibt’s hier weder einen Action- noch einen konventionellen Kriegsfilm zu sehen — vom deutschen Überfall auf Polen ist kein Schuss zu hören — vielmehr eine intellektuell reflektierte Sicht auf die erschütternden Ereignisse und ihre langanhaltenden Folgen. Wajdas Film setzt allerdings nicht nur einige Geschichtskenntnisse voraus. Die in ihrer ausgeprägten Symbolik und komplexen Erzählstruktur inszenierte Handlung ist zudem weitab vom gewohnten Massenunterhaltungsstil angesiedelt. Die eher düsteren, in kühle Farben getauchten, mitunter nahezu monochrom erscheinenden Bilder erinnern an Wajdas Lotna (1959) und ebenso an Roman Polańskis Der Pianist (2002).

Der Regisseur spricht im Interview im Bonusmaterial (auf der Doppel-DVD-Edition oder der Blu-ray-Ausgabe) auch über die Probleme, die ihm das Finden einer geeigneten literarischen Vorlage bereitete. Erstaunlicherweise ist das Trauma um Katyn bislang selbst von im Ausland lebenden polnischen Literaten nicht in nennenswertem Umfang aufgegriffen worden. Der Film entstand schließlich nach einem umgearbeiteten Drehbuchentwurf von Andrzej Mularczyk: „Post mortem — The Katyn Story“.

Wajda setzte seinen Film über das polnische Trauma Katyn mit nach vorn gerichtetem Blick in Szene, was auch im anlässlich der Berliner Aufführung erstellten Grußwort besonders deutlich wird. Der Regisseur sieht in diesem Film einen symbolischen Nachruf auf die so genannte „Polnische Filmschule“, einer vom italienischen Neorealismus inspirierten künstlerischen Stilrichtung aus den Jahren 1956 — 1965, die sich besonders mit den bedrückenden Erfahrungen der polnischen Nation im 20. Jahrhundert befasst hat und deren führender wie zugleich auch letzter lebender Vertreter er ist. Nach diesem Schlussstrich unter die filmische Auseinandersetzung mit dem 2. Weltkrieg will er Platz machen für junge Kollegen, die Geschichten aus einem nun freien Polen erzählen, das mit Deutschland befreundet und Teil eines vereinigten Europas ist.

Zur „Filmmusik“ von Krzysztof Penderecki siehe die „Kleine Klassikwanderung 47“.

Das Massaker von Katyn auf Blu-ray und DVD

Der Film ist im DVD-Format als Spielfilm-Einzel-DVD-Ausgabe und als Doppel-DVD-Special-Edition, ergänzt mit recht umfangreichen Extras, erhältlich. Die nur eine Disc umfassende Blu-ray-Edition vereint den Film mit den kompletten, nur in Standard-Auflösung (!) vorhandenen Boni der DVD-Special-Edition. Darunter besonders aufschlussreich sind das rund 50-minütige Interview mit Andrzej Wajda, in dem der Regisseur interessante Hintergrundinfos zur Entstehung des Filmes gibt sowie das Porträt „Andrzej Wajda: Eine Nahaufnahme“ (45 Minuten). Das „Making Of“ ist dagegen eher solide typische Mittelklasse. Es ist recht unterhaltsam anzuschauen, aber in erster Linie eine passable Werbeveranstaltung für den Film. Vorangestellt ist der Filmpräsentation übrigens das in den Boni nochmals vertretene Grußwort (knapp 2 Minuten) für die Berliner Aufführung (s. o.).

Das Scope-Bild des Films ist bereits von DVD sehr beachtlich. Es zeigt gute Schärfe und wenig Korn. Mitunter wirkt es jedoch (wohl infolge Filtereinsatz?) etwas sehr dunkel und lässt so auch einige Details etwas früh ins Schwarz abtauchen. Nun, hier spielt sicher auch die eigenwillige Farbgebung eine entscheidende Rolle, welche von deutlich gedämpften Farben bis hin zu dominierenden Braun- und Blautönen reicht. Im „Making Of“ kann man dazu mit den natürlich erscheinenden Bildern vom Dreh in Krakau vergleichen. Von Blu-ray ist der Bildeindruck insgesamt noch ein spürbares Quäntchen knackiger, wenn auch die Brillanz von Blu-ray-Titeln der TOP-Klasse nicht ganz erreicht wird.

Der Tonmix gibt sich zwar eher unspektakulär, indem er sehr zurückhaltend, rein atmosphärisch agiert. Erst beim wiederholten Hören wird deutlich, wie sorgfältig und damit professionell gearbeitet worden ist. Die DVD liefert ihn sowohl in Deutsch als auch in Polnisch in Dolby-Digital-5.1, die Blu-ray-Edition hält die Deutsche Synchronfassung in Dolby-Digital-5.1 und zusätzlich in DTS-HD MA 5.1 bereit; das polnische Original steht „nur“ in DTS-HD MA 5.1 zur Verfügung.

Fazit: Andrzej Wajdas Das Massaker von Katyn ist laut Aussage des Regisseurs ein Nachruf auf die so genannte „Polnische Filmschule“, welche er Mitte der 1950er begründete. Wajda beschwört in den gewählten Stilmitteln nochmals die Tradition, er setzt aber zugleich (s)einen Schlusspunkt unter die filmische Auseinandersetzung mit dem 2. Weltkrieg und seinen Auswirkungen. Der Regisseur hat mit Das Massaker von Katyn einen gewichtigen Beitrag zu einem international bislang wenig wahrgenommenen, von den Sowjets im Frühjahr 1940 verübten Kriegsverbrechen geleistet. Während die Nazipropaganda hier (zumindest weitgehend) wahrheitsgemäß berichtete — um daraus Kapital zu schlagen — blieb für die Polen nach Kriegsende bis 1989 die so genannte „Katyn-Lüge“ verpflichtend. Wajda hat unter diese jetzt auch kinematografisch einen eher leisen, dabei zweifellos eindringlichen und zugleich versöhnlichen Schlussstrich gezogen. Sicher ist dieser erste Film zum über Jahrzehnte unterdrückten Thema für die Polen von besonders großer Bedeutung. Er gehört aber auch international in die Kategorie unbedingt sehenswert.

Weiterführende Links:

Interview Andrzej Wajdas in der Berliner Zeitung, vom 9. Februar 2008: „Das Schweigen nach dem Massaker“
Interview Andrzej Wajdas in Profil — das unabhängige Nachrichtenmagazin Österreichs, vom 17. April 2010: „Einige Opfer waren gute Freunde von mir“

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2010.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Regisseur:
Wajda, Andrzej

Erschienen:
2009
Vertrieb:
Pandavision
Kennung:
DVD 17 7 5780
Zusatzinformationen:
P, 2007

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