Als Cleopatra nach der US-Premiere (am 12. Juni 1963 in New York) ab Spätsommer des selben Jahres auch in Europa gestartet wurde, waren von den ursprünglichen rund vier Stunden der US-Premieren-Fassung noch etwa 3 Stunden und 14 Minuten übrig geblieben. Aus diesen wurde wenig später die vielen Lesern wohl geläufige Drei-Stunden-Version des Films, die seit ihrer Erstausstrahlung im deutschen Fernsehen im Jahre 1973 bis heute unzählige Male gezeigt worden ist. Doch der berühmten „Königin des antiken Ägypten“ blieben weitere Verstümmelungen nicht erspart. Für Wiederaufführungen wurde nochmals auf einen Rest-Torso von nur noch 2 Stunden 25 Minuten herunter gekürzt …
Cleopatra ist als Monumentalfilm (oder -Schinken) zwar kein Meilenstein, aber sicher ein außergewöhnlicher Film. So weist das Epos zum Teil sehr gute darstellerische Leistungen auf, hat einige ultragroß angelegte monumentale Szenen und ist überhaupt von prunkvollen Dekorationen und edlen Kostümen bestimmt; dem steht aber mitunter auch ein etwas stilisiert wirkender (und damit enttäuschender) Bühnen-Touch gegenüber, und sowohl Story als auch Dramaturgie vermögen nicht durchgehend voll zu überzeugen. Ebenso fehlt dem ganzen Spektakel eine solide Portion groß angelegter, überzeugend inszenierter Militäraktionen, um abseits von Amourösem und politischer Intrige einen dramatisch-historischen Spannungsbogen zu erzeugen. So ist die Seeschlacht von Actium zwar groß angelegt, aber die vorhandenen Massen werden optisch nicht eindrucksvoll genutzt, der dringend erforderliche epische Atem geht der in manchem wirren und unlogischen Inszenierung klar ab.
Somit ist es vor allem die verschwenderisch-luxuriöse Pracht der Ausstattung, die diesen Film einzigartig bleiben lassen dürfte – allzu große Genauigkeit im historischen Detail ist jedoch nicht gegeben. So ist z.B. die Monumentalität (was nicht allein auf Cleopatra zutrifft) ein gutes Stück übertrieben. In nahezu allen Monumentalfilmen ist das Bild vom antiken Rom von aufwändigen Bauten beherrscht, die erst in späteren Epochen des römischen Imperiums entstanden sind – z. B. entstand der im Film beim Einzug Kleopatras in Rom eine wichtige Rolle spielende Titus-Bogen erst rund 120 Jahre nach der Filmhandlung. Und überhaupt ist (auch in Gladiator) die visuelle Umsetzung von Monumentalität (in der Ausdehnung von Straßen und Plätzen) stark auf das 20. Jahrhundert zugeschnitten und damit insbesondere von den vom überzogenen Prunk und Protz der Mussolini- und Nazi-Ära bestimmten Standards geprägt worden: Die heutzutage aus Rekonstruktionen besser bekannten historischen Realitäten waren demgegenüber erheblich bescheidener und würden damit aus heutiger Sicht einfach nicht überzeugend wirken.
Ein dicker Pluspunkt für Cleopatra ist die erstklassige Musik von Alex North, die dem Interessierten seit dem vergangenen Jahr erstmalig im Original und vollständig auf einem Varèse-Doppel-CD-Album zugänglich ist. Insgesamt gilt hier also zurecht die Devise: „Das gibt’s nur einmal.“
In Absprache mit den Erben des Regisseurs Joseph L. Mankiewicz sind bereits seit 1995 Bemühungen im Gange, Cleopatra in Form der ursprünglich vorgesehenen Version, als Zweiteiler, mit jeweils rund drei Stunden Laufzeit, zu restaurieren. (Wer mehr über die kurios-turbulente Entstehungsgeschichte des Films erfahren möchte, der lese den Artikel von Hans Helf, „Cleopatra von Joseph L. Mankiewicz – Hintergründe, Legenden und ein bisschen Kritik“.) Ob und wann dies Realität wird, ist zur Zeit aber noch nicht abzusehen. Immerhin liegt jetzt die US-Premierenfassung (bereits sowohl auf arte als auch im ZDF gezeigt) in einer technisch hervorragenden DVD-Edition auch auf dem deutschem Markt vor – inklusive der bei den Fernsehausstrahlungen fehlenden Ouvertüre, Pausen- und Schlussmusik.
Bereits 1990 holte man die US-Premierenfassung aus dem Fox-Archiv und veröffentlichte sie auf Videokassetten und auch auf Laser-Disc (LD). Vergleicht man Bild und Ton der US-LD mit der nun vorliegenden deutschen DVD und auch mit der alten Fernsehversion, belegt die DVD eindeutig den Spitzenplatz. Nur sie zeigt den Film im korrekten Todd-AO-Seitenverhältnis von 1 : 2,20, die LD ist an den Ecken leicht beschnitten (Seitenverhältnis etwa 1 : 2,0) und bei den Fernsehausstrahlungen der Drei-Stunden-Fassung begnügte man sich mit nochmals merklich reduzierter Bildbreite (Seitenverhältnis ca. 1 : 1,85).
Ebenfalls gravierend sind die Unterschiede in der Bildqualität, etwas was für die Wirkung dieses Films ein ebenso wichtiger Faktor ist wie ein möglichst korrektes Bild-Seitenverhältnis. Hier erstrahlen von DVD die Farbtableaus geradezu, die Farbflächen stehen dazu exzellent ruhig. Bei der grundsätzlich schon sehr ordentlichen US-LD wirken die Farben dagegen meist deutlich blasser (gefadet) und die Farbsättigung schwankt dazu auch merklich von Rolle zu Rolle. Allerdings wirken selbst die blassesten Teile der US-LD gegenüber der (für ihre Zeit keineswegs schlechten, heutzutage aber allein nur noch stumpf erscheinenden) TV-Version deutlich frischer und klarer. Sowohl bei der LD als auch in noch deutlicherem Maße von DVD kommen zur Farbgüte noch hervorragende Werte für Kontrast, Schärfe und Detailliertheit hinzu, etwas, das die Brillanz dieser Fassung ausmacht. Nie zuvor sind auf Video die Feinstruktur der außerordentlich opulenten Sets und Dekorationen und auch die außergewöhnliche Schönheit vieler Szenen derart eindeutig sichtbar geworden.
Derartige Vergleiche zeigen deutlich, welch gewaltige Fortschritte die Videotechnik seit den 70er Jahren (insbesondere seit Ende der 80er) gemacht hat, wie viele Details bei alten Videotransfers einfach „auf der Strecke“ geblieben sind. Dass die herausragende Bildqualität der DVD-Version nicht durch partielle kleinere Mängel wie Kopienschäden (Laufstreifen etc.) getrübt wird, setzt das Tüpfelchen auf das i.
Ebenso gibt’s Positives vom Ton zu berichten. Die alte Fernsehfassung flimmerte immer nur monaural über die Bildschirme, die Laser-Disc verfügt immerhin über einen passablen, aber recht blassen Stereo-Surround-Mix. Demgegenüber ist der Ton der DVD-Version eindeutig verbessert: er kommt klarer, voller und vor allem im (monauralen) Surround besser verräumlicht herüber. (Wobei deutsche und englische Sprachfassung von vergleichbar guter Qualität sind, der Tonmix gegenüber heutigen Blockbustern aber zurückhaltend wirkt.)
Also, auch hier ist ein deutlicher Qualitätszuwachs gegenüber dem bisher auf Video Zugänglichen zu verzeichnen. Die deutsche Fassung ist dazu vollständig synchronisiert, wobei natürlich in den Szenen, die niemals zuvor in den deutschen Kinos zu sehen waren (zwangsläufig) andere Sprecher agieren.
Sicher ist Cleopatra ein Film, der seine volle Wirkung nur auf der großen Kinoleinwand entfalten kann – als in Todd-AO-70mm produziert am besten natürlich in einer 70-mm-Projektion. Aber dies wird (auch im besten anzunehmenden Fall) nur für sehr begrenzte Zuschauerzahlen ein äußerst selten zugängliches Vergnügen an einzelnen Plätzen dieser Welt bleiben. Insofern ist eine hochwertige Videopräsentation zwar immer ein Kompromiss, allerdings einer, mit dem man sehr viel Freude haben, auch einen derartigen Monumentalfilm durchaus genießen kann. Zumal (auch aktuelle) Filme im Kino ja ebenfalls nicht grundsätzlich perfekt, sondern häufig merklich abseits vom Optimum gezeigt werden. Außerdem bietet allein eine Videoaufzeichnung komfortable Zugriffs- und Wiederholmöglichkeiten. So ermöglicht gerade die DVD einzigartige Studien, sowohl für den interessierten Film- als auch für den Filmmusikfreund. Letztgenannter kann beispielsweise ganz in Ruhe und ausführlich, anhand der sauber und klar hinter dem Bild liegenden Musik die zum Teil faszinierenden Bild-Musik-Wirkungen studieren. Wer mag, kann zum Film auch eine Spur mit recht informativen Audiokommentaren (mit Beiträgen von Jack Brodsky, Martin Landau und Chris und Tom Mankiewicz) anwählen – erfreulicherweise sind dazu auf Wunsch Untertitel in Deutsch einblendbar.
Auf der dritten DVD befindet sich als Hauptteil des Zusatzmaterials eine sehr informative und aufschlussreiche rund zweistündige TV-Dokumentation aus dem Jahr 2000. In dieser sind neben Infos zur Entstehung des Films einige interessante alternative Szenen der ersten Drehphase in England enthalten und auch Ausschnitte wiederaufgefundenen Materials zu sehen, das nicht in die finale Schnittfassung von 1963 gelangte. Obwohl die meiste Zeit mit der Filmmusik von Alex North unterlegt worden ist, wird in der Doku zum Thema Filmmusik leider kaum Nennenswertes über den Komponisten und die Entstehung der Cleopatra-Musik berichtet. Ein weiterer Schwachpunkt ist, dass die gesamte Dokumentation nicht in einzeln anwählbare Kapitel unterteilt, sondern als monolithischer Block geboten wird.
Die genannten kleineren Mängel werden jedoch durch den rund 10-minütigen Dokumentarfilm The Fourth Star wettgemacht. Dieser aufschlussreiche Film über die verschwenderische Ausstattung des Films (den vierten „Stern“ neben den Star-Schauspielern: Elizabeth Taylor, Richard Burton und Rex Harrison) war bereits ein Schmuckstück der Laser-Disc-Edition von 1990. Daneben runden eine gute Kollektion an Trailern, Teasern, Wochenschau-Ausschnitten zur Filmpremiere sowie diverses Standbild- und Werbematerial (Entwürfe, Filmfotos und Plakate) den insgesamt vorzüglichen Gesamteindruck ab.
Fazit: Cleopatra ist in der jetzt in perfekter Qualität von DVD zugänglichen etwa vier Stunden langen US-Premierenfassung immer noch ein „Torso“ – und gegenüber den ursprünglichen Intentionen von Joseph L. Mankiewicz ein (2/3-)Kompromiss. Allerdings ist diese jetzt immerhin um eine ganze Stunde länger als die längste Fassung, die von Cleopatra in den letzten knapp 40 Jahren überhaupt greifbar war. Die neuen Szenen schaffen zusätzliche Atmosphäre, z. B. Cäsar und Kleopatra am Grab Alexanders des Großen und auch die finale Konfrontation der Königin des Nils mit ihrem triumphierenden Widersacher Octavian. In jedem Fall sollte sich der Interessierte Derartiges zukünftig (zumindest auf Video) nicht mehr nehmen lassen.
Dieser Artikel ist Teil unseres großen Cleopatra-Specials.