Alex Garlands zwiespältiger, aber sehenswerter Blick auf das zerrissene Amerika unserer Tage: Civil War
In unruhigen Zeiten hat das postapokalyptische Kino Konjunktur. Neuartig hingegen sind endzeitliche Szenarien freilich nicht. Allein ihre Umsetzung wird technisch immer aufwändiger und perfekter. So ist auch Civil War des britischen Regisseurs Alex Garland, sein viertes und bisher unübersehbar teuerstes Spielfilmprojekt geworden.
Dabei bleibt, was zum neuen amerikanischen Bürgerkrieg (nach dem von 1861–1865) geführt hat, und auch dessen Ablauf völlig nebulös. Dazu und zur momentanen Situation kann man nur aus den Dialogen einzelne bruchstückhafte Informationen gewinnen. Entsprechend resultiert freilich keinerlei chronologisch zusammenhängender Eindruck über das Zustandekommen und die bisherigen Geschehnisse des Konfliktes. Demnach scheint der nur in zwei relativ kurzen Szenen gezeigte amtierende US-Präsident (Nick Offerman), der sich bereits in der dritten Amtsperiode befindet, ein faschistoider Tyrann zu sein, der etwa Gegner an Klavierdraht erhängen lässt. Dagegen haben sich die „Western Forces“, eine eher ironisch anmutende bewaffnete Allianz des erzkonservativen Texas mit dem sehr liberalen Kalifornien aufgelehnt. Der damit ausgelöste 2te US-Bürgerkrieg nähert sich inzwischen offenbar seinem Ende.
Die Kriegsberichterstatterin Lee Miller (Kirsten Dunst) und ihr Kollege, der Journalist Joel (Wagner Moura), beschließen daher, mit dem Auto von New York nach Washington aufzubrechen, um ein wohl letztes Interview mit dem Präsidenten zu führen. Ein älterer, gehbehinderter, aber eben auch sehr erfahrener Kollege, Sammy (Stephen McKinley), überredet sie ihn mitzunehmen. Und als vierte im Bunde ist dann noch die junge, ambitionierte, aber unbedarfte Nachwuchsfotografin Jessie (Cailee Spaeny, auch in Alien: Romulus) mit von der Partie. Eingefädelt hat dies Joel, der hofft, bei dieser taffen Junglady landen zu können. Lee hingegen, die in einer frühen Szene Jessie praktisch das Leben gerettet hatte, ist darüber verärgert und fühlt sich nun besonders dafür verantwortlich, dass dem unübersehbar ehrgeizigen Nachwuchstalent nichts zustößt. (Das Vorbild für diese Zentralfigur des Films ist die US-Amerikanerin Lee Miller, die seinerzeit direkt von der Front über den Zweiten Weltkrieg berichtete und der erste Fotograf im von US-Truppen befreiten Dachau war.) Kirsten Dunst, Stephen McKinley und auch Cailee Spaeny agieren dabei ganz besonders überzeugend.
Das Quartett durchfährt im Folgenden auf einer etwas an Apocalypse Now erinnernden Reise ein vom Krieg zerrissenes Land. Teile davon sind von Zerstörungen und durch Flüchtlingsströme schwer in Mitleidenschaft gezogen. Andere Regionen hingegen, in die der Krieg noch nicht gelangte, wollen sich heraushalten und versuchen, die jeweilige momentane Idylle zu bewahren. Dabei erscheint der visuelle Stil des Films auch dank der betont satten, weitgehend natürlichen Farbgebung in weiten Teilen erstaunlich lyrisch und sticht damit vom mittlerweile Gewohnten der durch massives Color-Grading stark entsättigten und verfremdeten Farben kräftig ab. Das Quartett kommt an teilweise zerstörte Highways, die übersät sind mit verunglückten, ausgebrannten Fahrzeugen. Bewaffnete Bürgerwehr bewacht eine Tankstelle und macht erschreckend deutlich, wie gnadenlos sie mit vermeintlichen Plünderern und auch sonstigen Missliebigen ihrer früheren Nachbarn umspringt. Mehr als einmal gibt es bizarre Momente, etwa wenn auf einem ganzjährigem Weihnachtsmarkt ein Duell zwischen Scharfschützen ausgetragen wird. In einer besonders unangenehmen Szene begegnet die Gruppe Jesse Plemons, der direkt durch seine auffällige rote Sonnenbrille hervorsticht. Plemons entpuppt sich als sadistischer Unteroffizier, der gerade dabei ist, mit zwei Helfern eine Wagenladung Ermordeter in einem Massengrab verschwinden zu lassen. Er terrorisiert die Gruppe, indem er jeden von ihnen bedrohlich fragt: „Was für ein Amerikaner bist du?“ Die zum Quartett kurz zuvor noch hinzugestoßenen zwei Latinokollegen werden von ihm kurz darauf prompt erschossen. Hier darf sich der alternde Sammy bewähren, der als einziger die Gefährlichkeit der Situation richtig erkannt hat und mit dem Wagen zurückgeblieben ist. Er vermag, den drei Überlebenden seiner Gruppe durch sein beherztes Eingreifen das Leben zu retten, und wird dabei selber tödlich verletzt.
Lee, Joel und ganz besonders Jessie stürzen sich auf dieser Odyssee an vorderster Linie ins Getümmel, wobei Jessie bereits ein paar eindrucksvolle Schnappschüsse gelingen. Man sieht diese schwarz-weißen Standbilder von unmittelbar schwer getroffenen Zivilisten und Soldaten geschickt in die rasanten Actionmontagen einmontiert, was zweifellos von emotional packender Wirkung ist. Während Lee vom über die Jahre erlebten Grauen müde und abgestoßen wirkt, zeigt sich Jessie immer versessener darauf, Top-Bilder einzufangen und wird immer unvorsichtiger. Im Finale opfert sich Lee dabei, Jessie nochmals das Leben zu retten. Inwieweit man darin nun eine Botschaft oder doch eher eine Alibifunktion erkennen mag, bleibt dem Zuschauer überlassen. Der Film hat nämlich in jedem Fall noch ein zweites Standbein im Gepäck.
Jeglichen Bezug zum Sturm auf’s Capitol 2019 und/oder der erneuten Kandidatur Trumps hat Garland wohl ganz bewusst vermieden. Civil War wirkt aber auch so beunruhigend genug, da derartiges im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten mittlerweile längst nicht mehr als komplett unwahrscheinlich erscheint. Bereits Spielbergs 1941 (1979) und insbesondere die Darstellung Jack Nicholsons als schmierig-korrupter US-Präsident in Tim Burtons Mars Attacks (1996) wurden ja von nicht wenigen Amerikanern bereits seinerzeit als „itʼs not funny!“ besonders irritierend empfunden und eindeutig abgelehnt. Von Garlands Film könnten diese nun komplett außer Fassung geraten.
Civil War ist zweifellos kein dummer, sondern sehenswerter Film, der insbesondere technisch unübersehbar brillant gemacht ist. Mit seiner Hochglanzoptik geht ein ebenfalls hochprofessionell ausgestaltetes und häufiger effektvoll-wuchtig agierendes Tondesign einher. Der Film sticht damit aus der Masse des derzeit Gebotenen schon eindeutig heraus. Die als Budget offiziell gehandelten 50 Millionen USD erscheinen dafür recht niedrig.
Garlands Film besitzt aber in meinen Augen letztlich doch weniger Tiefgang als es den Anschein hat. Dies, weil der Film kaum übersehbar eindeutig mit den Erwartungen des Actionpublikums und damit der Wirkung eindrucksvoll gestalteter Ikonographie von Gewalt spielt, wozu er gerade in der finalen Viertelstunde sämtliche Register zieht. Der Sturm der Western Forces auf Washington DC wird dabei als effektreiche nächtliche Action-Tour-de-Force präsentiert. Dabei wird auch vor der teilweisen Zerstörung des Lincoln Memorials nicht zurückgeschreckt, und ebenso ist die Erstürmung eines mit Betonelementen zur Festung verbarrikadierten Weißen Hauses inbegriffen. Obwohl zuvor verlautete, dass die Streitkräfte kapituliert haben und nur noch eine handvoll CIA-Leute die Stadt und den Präsidenten verteidige, schlägt den beim Aufbruch zuvor bereits Pirouetten zeigenden Kampfjets dann aber noch geballtes Flackfeuer entgegen! Das Gezeigte ist sowohl visuell als auch akustisch zweifellos mitreißend geraten. Das betont aggressive Sounddesign unterstützt und verstärkt dabei die Wirkung der Bilder nachhaltig, indem geradezu aus der Leinwand heraus druckvoll gesetzte Geräuscheffekte den Zuschauer zusätzlich attackieren, indem sie diesen in seinem bequemen Kinosessel quasi anspringen und ihn so auch mal zusammenzucken lassen. Allerdings spielt sich das alptraumhafte Geschehen in einer offenbar nach wie vor völlig intakt erscheinenden, insbesondere perfekt elektrisch be- und ausgeleuchteten Szenerie statt. Dies raubt der an sich harten Action bei der auch der Präsident erschossen wird, trotz aller visuellen Brillanz dank der rasanter Montagen, eben doch auch einiges an Realismus. Es verleiht den zweifellos brillant inszenierten finalen Actiontableaus anhand seines gewohnt artifiziellen Actionkinotouches vielmehr geradezu eine den Zuschauer indirekt wiederum beruhigende Wirkung, weil alles so wie hier gezeigt doch weitestgehend unrealistischer, freilich perfekt inszenierter Kintopp ist.
Unterm Strich lässt Garlands keinesfalls plump gemachtes jüngstes Kino-Opus damit aber eben auch mehr Fragen offen als dass es solche ernsthaft beantwortet oder gar über eindeutige Botschaften verfügt. Der ja auch im Top-Kinoformat Imax beworbene und bereits im gepflegten Kinosaal einer technisch darunter anzusiedelnden Kategorie gerade aufgrund seiner machtvollen Präsentation durchaus eindrucksvolle Film zielt eben doch in allererster Linie darauf ab, das Actionblockbusterpublikum anzusprechen und perfekt zu unterhalten. Den Rest dazu besorgt die unübersehbar reißerische Werbekampagne. Einige der zum Teil echt pfiffigen Einfälle, etwa eine zur Verteidigung aufgerüstete Freiheitsstatue, die als alternatives Plakatmotiv fungiert und sogar die Steelbook-Ausgabe schmückt, kommen im finalen Film überhaupt nicht vor.
Fazit: zwiespältig, aber trotzdem sehenswert.
Hier geht’s zur Vorstellung des BD-Sets.