Christmas with the Divas

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
28. November 2009
Abgelegt unter:
Klassik

Weihnachten ist „das“ Fest im christlichen Jahreskreis schlechthin. Und so überrascht es nicht, dass Musik für das Christfest eine lange, bis zurück in die Gregorianik des Mittelalters nachweisbare Tradition besitzt. Zur Weihnachtszeit besteht im gesamten christlichen Kulturkreis Bedarf an passender Musik. Entsprechend wird dann nicht nur vielerorts gesungen und musiziert, noch häufiger wird man von Tonkonserven beschallt. Denn selbstverständlich hat die Tonträgerindustrie daraus schon früh ein Marktsegment entwickelt.

„Christmas with the Divas“

Universal Music hat in diesem Jahr vier mittlerweile schon klassische Weihnachts-Alben aus dem Decca-Archiv in einem Box-Set vereint, die bereits zuvor einzeln zuerst auf LP und dann auf CD veröffentlicht worden sind. Der Ursprung von der guten alten Schallplatte erklärt die jeweils zwischen 40 und 45 Minuten pendelnden Spielzeiten. Große, klingende Namen sind hier vereint, stellvertretend für hochkarätige Sängerinnen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten insbesondere im Opernfach Berühmtheit erworben haben. Auf jeder der vier CDs firmiert eine gefeierte Sopranistin und damit sind zugleich 25 Jahre Weihnachtsmusik-Rezeptionsgeschichte versammelt. Es geben sich die Ehre: die aus Mississippi stammende, erste schwarze Diva des internationalen Musikbetriebs, Leontyne Price (•1927) mit der erstmalig 1961 erschienenen LP „Christmas with Leontyne Price“; die Australierin Joan Sutherland (•1926) auf der 1965er Zusammenstellung „Joan Sutherland — Joy to the World“; die Italienerin Renata Tebaldi (1922—2004) auf der 1971er Kompilation „Renata Tebaldi — Christmas Festival“ sowie die Neuseeländerin Kiri Te Kanawa (•1944) mit dem 1986 sowohl auf LP als auch CD veröffentlichten Album „Christmas with Kiri“.

Selbst die mit Abstand jüngste Interpretin des Quartetts, Kiri Te Kanawa, ist mittlerweile eine große alte Dame des Faches — eine, die übrigens im laufenden Jahr ihren Abschied von der Opernbühne genommen hat. Gerade sie dürfte aber Dank ihres bis in die jüngere Vergangenheit häufig besonders unkonventionellen Engagements — auch im Bereich des Easy-Listenings — so manchem der jüngeren Leser noch am ehesten ein Begriff sein. Hat doch Te Kanawa über die Popmusik ihren Weg ins Opern- und Konzertrepertoire gefunden. „Christmas with Kiri“ mit dem Philharmonia Orchestra unter Carl Davis ist auch dank diverser Musical-Exzerpte, wie „Have Yourself a Merry Little Christmas“ oder „White Christmas“, im Tonfall sicherlich die modernste, lockerste der in der Box versammelten Zusammenstellungen mit Musik zum Weihnachtsfestkreis. Dies darf aber nicht so interpretiert werden, dass die übrigen drei Kandidaten etwa steif wirken. Nein, vielmehr im Sinne eines betont traditionellen festlichen weihnachtlichen Konzertabends mit gelegentlichem Opern-Touch. Ob nun Leontyne Price, Joan Sutherland, Renata Tebaldi und ebenso Kiri Te Kanawa, in jedem Fall erhält man ein auf seine Art unverwechselbares Weihnachtsalbum, das qualitativ in oberster Kategorie angesiedelt ist. Und das gilt ebenso für die Decca-typisch durchweg tadellose Tontechnik. Neben sehr geläufigen Liedern finden sich auch seltener zu hörende, wie das auf das traditionelle „Greensleeves“ getextete „What Child Is This“ oder das nicht unbedingt zum weihnachtlichen Musikkreis gezählte Wiegenlied von Brahms, „Guten Abend, gute Nacht“.

Als besonders überraschend gestaltet sich die Begegnung mit „Christmas with Leontyne Price“ unter Herbert von Karajan. Steht der Name Karajan üblicherweise für macht- wie effektvollen Klangzauber in großen Orchesterbesetzungen, begegnet einem hier eine ungewöhnlich intime Facette des legendären Dirigenten. Die „Mitglieder der Wiener Philharmoniker“ fahren kein schweres Blech auf. Einer eher serenadenhaft transparenten Streichergruppierung nebst Harfe treten vereinzelt Holzbläser (Oboe und Klarinette) sowie Celesta hinzu, oder die Vokalisten werden von Cembalo oder Orgel begleitet. Die insgesamt äußerst zurückhaltende instrumentale Begleitung verzichtet also komplett auf Weihnachtskonzert-übliche, festliche Klangausbrüche. Sie betont vielmehr in besonderem Maße die Reize des traditionellen Weihnachtssingens. Exakt dies wird hier im interessanten Wechsel- und Zusammenspiel zwischen Leontyne Price, dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde sowie dem Wiener Großstadtkinderchor in erlesener Schönheit vorexerziert.

Zwar begegnet man auf den Alben der Box partiell denselben Liedern, was aber gewiss keine Monotonie bedeutet. Vielmehr heben sich neben den unterschiedlichen Interpretinnen auch die Arrangements häufig sehr deutlich voneinander ab. Und das macht gerade einen Teil des Reizes dieses so charmanten wie nostalgischen Box-Sets aus. Im Übrigen sollte man die zwangsläufigen Überschneidungen nicht überbewerten. Immerhin 23 der insgesamt 51 Titel sind nur einmal vertreten. Das mittlerweile vielleicht etwas überbeanspruchte „Stille Nacht“ ist sogar nur dreimal zu finden, auf „Joan Sutherland — Joy to the World“ bleibt es ausgespart.

„The Herald Angels Sing“, „Calmus Christmas Carols“

Traditionelle Weihnachtslieder in neuen, zum Teil ungewöhnlichen Arrangements bilden den Schwerpunkt der beiden Alben des Carus-Verlags Stuttgart.

Das aus rund 50 Mitgliedern bestehende, 1981 gegründete Junge Vokalensemble Hannover unter der Leitung von Klaus-Jürgen Etzold demonstriert gelungen die Vielfalt anspruchsvollen A-capella-Chorgesangs. Von Intimität und Schlichtheit im Ausdruck bis zum festlichen Hymnus reicht dabei die erstaunlich breite Ausdruckspalette des vorgestellten internationalen Programms. Nur in „O du fröhliche“ und „Tochter Zion“ treten Trompete und Orgel hinzu.

Das ebenfalls aus jungen Akteuren bestehende Calmus Ensemble gründete sich 1999 in der Bach-Stadt Leipzig aus Mitgliedern des berühmten Thomanerchors. Zuerst eine reine Männerfraktion, trat bald noch eine Sopranistin hinzu. Derzeit agiert das Vokalensemble als Quintett. 19 internationale Weihnachtslieder, vorgetragen in sieben Sprachen, in speziellen, auf die Möglichkeiten der Sängerformation abgestimmten Arrangements bilden ihr derzeit aktuellstes CD-Album „Calmus Christmas Carols“.

Ob nun das aus rund 50 Sängern bestehende Junge Vokalensemble Hannover oder die „nur“ fünf Mitglieder des Calmus Ensembles: In beiden Fällen gibt es ein sehr abwechslungsreiches Programm zu hören. Vorbildliche Präzision in Intonation und im Zusammenwirken der Stimmen machen die vielfach auftretenden raffinierten Mischklänge erst möglich. Dabei unerlässlich ist die erstklassige Aufnahmetechnik, welche ein lebendiges, atmendes Klangbild erzeugt, das die Sänger scheinbar zum Greifen nahe in einem natürlichen Klangraum von großer Tiefe und Plastizität platziert.

Zuerst eventuell etwas gewöhnungsbedürftig ist beim Album des Calmus Ensembles der beteiligte Countertenor. Hier machen die durchweg pfiffigen Arrangements es allerdings lohnend, sich ein wenig einzuhören.

„Siitä tuntee Joulun (A Finnish Christmas)“, „Folkjul (A Swedish Folk Christmas)“

Dieses Mal bilden das Schlusslicht zwei Alben des BIS-Labels. „Siitä tuntee Joulun“ ist gewissermaßen eine Fortführung des reizenden 1998er Vorläufers „Joulun Ihmemaa (Christmas Wonderland)“. Erneut präsentiert das Symphonieorchester Lahti, dieses Mal unter der Leitung von Esa Heikkilä, eine ausgesucht klangsinnliche Mixtur aus vertrauten Weihnachtsliedern und zum Teil auch neueren Kompositionen finnischer Komponisten. Der Laulupuu Kinderchor Lahti, der Saxophonist Jukka Perko sowie der Organist Pauli Pietiläinen sorgen dabei für markante und zugleich charmante Akzente. Hierbei kommt auch die kindliche Freude über das Christfest zum Ausdruck, wobei es auch mal etwas swingen darf. Gefühl, Feierlichkeit und Temperament kommen aber ebenfalls nicht zu kurz. Sowohl spiel- wie auch klangtechnisch ist das randvoll bepackte CD-Album eine überaus feine Sache. Dank ungewöhnlicher Klangfarben setzt es sich zudem von seinem Vorgänger merklich ab, besitzt also eine eigene Stimme.

Das Album „Folkjul“ gibt sich hingegen intimer, setzt sich vom Sinfoniekonzertcharakter des zuvor genannten ab. „A Swedish Folk Christmas“, so der Untertitel, steht den BIS-Vorläufern „Christmas in Sweden“ (2001) und dem 1997er „Nu stige jublets ton“ nahe — beide vorgestellt in Klassikwanderung 30. In „Folkjul“ kombinierte der Organist Gunnar Idenstam traditionelle Weihnachtslieder mit folkloristischen Elementen und in der hier praktizierten Art und Weise recht ungewöhnlich anmutender Begleitung von Seiten der Kirchenorgel. Der Stockholmer Kammerchor der St.-Jacob-Kirche unter Gary Graden und Lisa Rydberg, die ihre Violine wie eine Fidel erklingen lässt, sind entscheidende Partner dieses sehr hörenswerten Projektes. Das Ergebnis ist sicher anfänglich etwas ungewöhnlich, aber keineswegs sperrig.

Fazit: Auch 2009 präsentiert Cinemusic.de eine kontrastreiche Zusammenstellung aktueller Veröffentlichungen des Marktsegments Weihnachtsmusik. Das recht breite Spektrum beginnt mit der reizenden Retrokompilation der Decca „Christmas with the Divas“, die vier ehemalige LP-Alben aus den Jahren 1961 bis 1986 gelungen vereint. Die überraschende Vielfalt des reinen A-capella-Gesanges größerer und kleiner Vokalensembles belegen die beiden Veröffentlichungen des Carus-Labels, „The Herald Angels Sing“ und „Calmus Christmas Carols“. Bereits bis hier macht den Reiz des jeweiligen Albums nicht zuletzt die Vielfalt der jeweiligen Arrangements der teilweise natürlich wiederkehrenden vertrauten Weisen aus. Und dies unterstreichen nochmals die etwas exotischer anmutenden Schlusslichter aus dem hohen Norden, die beiden überaus reizvollen CDs des BIS-Labels, „Siitä tuntee Joulun (A Finnish Christmas)“ und „Folkjul (A Swedish Folk Christmas)“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2009.

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Komponist:
Diverse

Erschienen:
2009
Gesamtspielzeit:
ca. 160 Minuten
Sampler:
Universal Decca
Kennung:
478 2104 (4-CD-Box)

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