The Blue Max

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. März 2016
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Jerry Goldsmith’ erster großer Wurf in einer exzellenten Neueinspielung: The Blue Max (1965)

Seit 1965 hat diese brillante Goldsmith-Filmmusik über die Dekaden eine respektable Reihe an LP- und auch CD-Veröffentlichungen erlebt. Insgesamt viermal handelte es sich dabei um CD-Alben: auf Varèse (1985), auf dem Sony-Label Legacy (1995), dann auf Intrada (2010) und zuletzt auf La-La Land (2014). Die CD-Ausgaben gehen im Gegensatz zu sämtlichen LP-Ausgaben davor auf das Mitte der 1980er wiederaufgefundene 35-mm-Magnettonfilmmaterial der originalen Filmeinspielungen zurück. Dabei erlebte deren nicht optimale Klangqualität insbesondere in den beiden jüngsten Ausgaben von 2010 und 2014 besonders eindeutige Verbesserungen. Der für viele Fox-Magnet-Stereoton-Aufnahmen so charakteristische akustische Schleier konnte deutlich gelichtet werden. Entsprechend belegen die dazwischen liegenden rund drei Jahrzehnte natürlich auch die zwischen dem Varèse-Erstling und der jüngsten Ausgabe von La-La Land gemachten technischen Fortschritte bei der Klangrestauration. In diesem Punkt lässt nämlich die La-La-Land-Ausgabe die bereits zweifellos sehr edle 2010er-Intrada-Edition nochmals ein Stückchen hinter sich. Sind hier doch die bei der Intrada-Edition noch punktuell feststellbaren Klanganomalien praktisch eliminiert. Mag die La-La-Land-Ausgabe dem einen oder anderen auf den ersten Blick mit zwei CDs vielleicht ein Stück aufgeblasen erscheinen, so bietet sie doch zum Vergleich nicht nur den alten Mainstream-LP-Schnitt, sondern auch zu den beiden großen musikalischen Tableaus der Partitur, „Retreat“ und ganz besonders zu „The Attack“ wertvolle Alternativen an (s.u.).

Soweit so gut: Allerdings besitzt auch die beste Klangrestauration Grenzen, vermag die vorhandenen Mängel meist nicht vollkommen zu beseitigen oder besser zu kaschieren. Und an dieser Stelle kommt das vorliegende CD-Album ins Spiel, welches die im Film verwendete Version des kompletten Scores in einer prächtigen Neueinspielung präsentiert. Die im Zentrum des Tadlow-Albums stehende Gesamteinspielung des blauen Max rangiert interpretatorisch zudem sehr dicht am Original. Sie besitzt spieltechnisch sowohl den rechten Biss in den dramatischen Teilen als auch in den lyrischen Passagen den unerlässlichen, am Förderer Alfred Newman orientierten Schmelz in den hohen Streicherlagen. Zur absolut hervorragenden Musik sowie dem außergewöhnlichen Film verweise ich auf meine Anmerkungen zum Sampler „Goldsmith conducts Goldsmith“. Wer einen Draht zu dieser Musik findet oder bereits gefunden hat, der dürfte, unabhängig davon, ob er bereits eine der o.g. CD-Veröffentlichungen des Originals besitzt, von der Tadlow-Neueinspielung begeistert sein. Dank der modernen Aufnahmetechnik wird hier wirklich en détail das Raffinierte der Goldsmith’schen Klangschichtungen in einer Art und Weise hörbar, wie man es zuvor auch von der derzeit besten Ausgabe des Originals nicht zu Gehör bekam.

Die Sony-Legacy-CD-Ausgabe hatte erstmalig die Source-Cues, neben einer kleinen Prise Strauß bestehend aus deutschen Traditionals und Märschen (rund 10 Minuten), praktisch vollständig mit im Gepäck. Davon hatte es zuvor allein auf der ersten LP-Ausgabe, erschienen auf Mainstream Records 1966, drei Piecen (rund fünf Minuten) gegeben. Das ist aus dem Grunde bemerkenswert, weil diese Musikstücke hier ausgeprägt amerikanisiert erklingen. Insofern empfinde ich diese klanglich so markant vom hierzulande Gewohnten abstechend gegebenen Stücke als ein äußerst drolliges Kuriosum. Insofern hätte ich davon eine Neueinspielung ebenfalls begrüßt. Dieser Wunsch wird allerdings wohl nur mit „deutschem Hintergrund“ überhaupt verständlich. International dürfte er eher Ratlosigkeit und entsprechend Achselzucken hervorrufen. Merklich anders sieht es hingegen bei den oben erwähnten Alternativversionen aus. Gerade die Erstfassung von „Attack“ – auf die Frank K. DeWald auch in seinem exzellenten Begleithefttext explizit eingeht (s.u.) – wäre zweifellos eine wertvolle Ergänzung gewesen.

Die Neueinspielung des blauen Max anlässlich des 50-jährigen Filmjubiläums, mit rund 53 Minuten, sollte ursprünglich als Einzel-CD gemäß „giving value for money“ mit einigen Goldsmith-War-Movie-Stücken, aus Patton und MacArthur, ergänzt und abgerundet werden. Doch dann liefen die Dinge aus dem Ruder, wie Fitzpatrick in den Producer’s Notes humorig schreibt, einmal weil bereits das zusammengetragene Suiten-Material (Inchon, The Sand Pebbles, A Gathering Of Eagles und Tora! Tora! Tora!) den zuvor gesteckten Rahmen gesprengt hatte. Darüber hinaus gingen die Einspielungen deutlich schneller von statten als erwartet, d.h. als alles im Kasten war, stand noch freie Aufnahmezeit zur Verfügung, die es zu nutzen galt. Exakt diesem Umstand verdanken wir als quasi Extra-Bonus die dreisätzige Suite aus Omen III und die mit rund einer Viertelstunde Spieldauer besonders lange Suite aus The Mummy. Wobei für Letztgenannte das für die Einspielung erforderliche Stimmenmaterial in aller Eile, geradezu improvisiert, nämlich praktisch während der Mittagspause erstellt werden musste. Und so wuchs das Projekt auf das vorliegende Doppel-CD-Album mit maßvollem Preisaufschlag und einer Gesamtspieldauer von satten rund 130 Minuten an.

Die zusätzlichen Suiten erweitern das Ganze zum üppigen Goldsmith-Konzert, das dank sehr moderatem Preisaufschlag für die zweite Disc mit einem absolut günstigen Preis aufwartet. Auch hier kann man grundsätzlich sehr zufrieden sein. Wenn man die Originale (mitunter vielleicht etwas zu gut) im Ohr hat, gibt’s freilich insbesondere bei den ersten Hördurchgängen das eine oder andere, was etwas anders klingt und wirkt als gewohnt. Das betrifft etwa die gegenüber der Originalaufnahme etwas weniger scharf und schneidend empfundenen Crescendi im Main Title der Sand Pebbles oder auch die merklich andere Klangbalance in The Mummy. Derlei „Irritationen“ kann man, wenn man will, freilich auch in einigen Momenten des Blauen Max aufspüren.

James Fitzpatrick betont dazu allerdings auch immer wieder, dass er seine Nachspielungsprojekte nicht im Sinn des Erstellens einer möglichst exakten Kopie des Originals, sondern vielmehr, analog wie im Klassik-Katalog, als eine „neue Einspielung“ der betreffenden Musik verstanden wissen will. Das lässt zwar sowohl dem Dirigenten als auch der Tontechnik Freiheiten in der Gestaltung. Es bedeutet aber keineswegs, dass bei den Tadlow-Einspielungen alles mit Gewalt auf den Kopf gestellt wird. Nein! Vielmehr wird die originale Filmeinspielung sehr ernst genommen und dient eindeutig zur Orientierung.

Wie bei praktisch jedem derartig sorgfältig ausgeführten Neueinspielung-Projekt ist auch hier mitunter etwas Eingewöhnen vonnöten, auch um eingefahrene geschmackliche Gewohnheiten und daraus resultierende „Irritationen“ und Vorbehalte zumindest erheblich abzumildern. Von schlecht gespielt, wie gelegentlich in Internetforen dazu angemerkt wird, kann an dieser Stelle für meine Ohren jedenfalls keineswegs die Rede sein. Wer’s nicht glauben mag, der sollte vielleicht durch die mitreißend gespielte zehnminütige Suite aus The Chairman überzeugt werden können. Die dreisätzige Konzertsuite kontrastiert geschickt zuerst einige der besonders exotisch gefärbten Teile mit dem sehr eingängigen, eher westlich anmutenden Love Theme. Das absolute Highlight des Scores, der sich aus sehr dezentem Beginn so ungemein effektvoll steigernde Main Title, wird folgerichtig an den Schluss gesetzt. Das Resultat wirkt brillant und mitreißend. Es klingt jetzt nicht nur um Längen besser als von den dazu allein noch erhaltenen, merklich verhangen-topfigen LP-Stereo-Master-Tapes, es ist auch von den Prager Musikern mit vergleichbarem Verve interpretiert wie das Original. Entsprechend gelang es mir, mich mit der vorliegenden Tadlow-Produktion insgesamt sehr schnell anzufreunden, und das erleichtert es mir wiederum, das prima bestückte Album vorbehaltlos zu empfehlen.

Das bereits oben erwähnte Begleitheft ist in seiner ausgeprägten Sorgfalt eine echte Bereicherung, welche dem bereits so edlen Eindruck, den diese Produktion hinterlässt, zusätzlichen Glanz verleiht. Frank K. DeWalds vorzüglicher Text enthält nämlich nicht nur zu sämtlichen der vertretenen Filme einige Hintergrundinfos. Er wartet darüber hinaus punktuell auch mit einzelnen wichtigen Details zur jeweiligen Musik auf.

Hier finden Sie einen Überblick über alle bei Cinemusic.de besprochenen CDs des Labels Tadlow Music.

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Erschienen:
2016
Gesamtspielzeit:
129:08 Minuten
Sampler:
Prometheus (Vertrieb Tadlow/Silva Screen Records), 2 CDs
Kennung:
XPCD 178
Zusatzinformationen:
The City of Prague Philharmonic Orchestra and Chrous, Ltg.: Nic Raine

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