CD-Tipps Weihnachten 2019

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
21. Dezember 2019
Abgelegt unter:
Special

„The Bells of Christmas“

Die unter der Leitung von Richard K. Pugsley auftretenden „Gloriæ Dei Ringers“ zählen zu den hierzulande noch eher weniger im Bewusstsein der Besucher von Kirchenkonzerten verankerten Ensembles der Gattung Handglockenchor. Handglocken sind die handlichen kleinen Brüder der großen Kirchenglocken. Der Ursprung der Tradition der Handglockenchöre und ihr Einsatz, insbesondere  bei Gottesdiensten zum Christfest, lässt sich etwa auf die ausgehenden 1930er Jahre in den USA datieren und ist damit noch relativ jung. In Deutschland formierten sich die ersten Ensembles in den späten 1970ern. Neben Handglocken kommen häufig auch Hand-Chimes (Tonstäbe) zum Einsatz, das sind Verwandte der Röhrenglocken, nämlich runde und eckige Metall-Röhren mit außen angebrachtem Klöppelmechanismus. Zusätzlich können auch noch, (in der Regel) einzelne Instrumente hinzukommen, wie Querflöte, Gitarre oder Orgel.

Die insgesamt 11 Spieler des Ensembles „Gloriæ Dei Ringers“ sind in Worcester im US-Bundesstaat Massachusetts beheimatet. Das vorliegende Album zählt offenbar zu ihren Top-Sellern. Es stammt bereits aus dem Jahr 1995 und wird in regelmäßigen Abständen, wie erst jüngst, am 20. September 2019, neu aufgelegt. Zwischenzeitlich hat übrigens auch der Name des Ensembles gewechselt, welches sich nunmehr „Extol Handbell Choir“ nennt. Eingesetzt werden insgesamt 79 unterschiedliche Handglocken mit dem beachtlichen Tonumfang von sechseinhalb Oktaven.

Allerdings werden nur gelegentlich (insbesondere kleine) Handglocken so gespielt, wie man es sich gemeinhin vorstellt, durch hin- und herschütteln, was das typische, gleichmäßige Bimmeln erzeugt. Diese können aber auch wie ein Xylophon mit Schlägeln, sogenannten Mallets – je nach Glockengröße von unterschiedlicher Härte – angeschlagen werden. Dabei kann selbst ein bereits klingender Ton, etwa durch eine Rotation im Handgelenk, noch gekonnt moduliert werden. Entsprechend ermöglichen ausgeklügelte Spiel- und ebenso wichtig Abdämpfungstechniken unterschiedliche Tondauern und Lautstärken und somit erstaunlich variierende Klangfarben zu realisieren, was den ganz besonderen Reiz ausmacht.

Die metallisch glitzernde, mitunter geradezu himmlisch entrückt wirkende Klangpalette der aus Messing (Brass) gefertigten Glocken ist voller Geschmeidigkeit und mitunter delikater Zartheit. Sie besitzt, wenn so brillant dargeboten wie hier durch den Extol Handbell Choir zweifellos einiges Potenzial, den Hörer zu bezaubern. Das gilt nicht ausschließlich für sakrale Anlässe und die hier natürlich das Programm dominierenden Weihnachtslieder, sondern auch für Stücke aus dem Opern- und Konzertrepertoire, wie etwa der aus L’Arlesienne von Georges Bizet stammende „March of the King“ ansprechend belegt.

Bei allem unzweifelhaften Reiz des hier über eine knappe Stunde Gebotenen, empfand ich es in einem Rutsch gehört denn doch als des Guten etwas zu viel. Wer für die hauseigene weihnachtliche Beschallung eigene Zusammenstellungen produzieren mag ist hier klar im Vorteil. Zwischendrin ins vokale wie orchestrale Programm geeignet eingestreut, sorgen ein oder auch mal zwei Tracks des Albums für eine perfekte, ja mitunter geradezu unerwartet anders klingende und besonders reizvoll anders geartete Abwechslung und Ergänzung im musikalischen Fluss. Die bemerkenswerte CD ist beim ökumenischen US-Label Paraclete Recordings (Vertrieb Naxos Deutschland) erschienen.

„A German Christmas“

So unscheinbar der Albumtitel ist, was sich dahinter verbirgt ist deutlich mehr wert als das nur kleine Geld, welches der Erwerb dieses Albums kostet. Das „Margaretha Consort“, ein niederländisches Ensemble für Alte Musik, interpretiert nicht ausschließlich weihnachtliche Musikstücke aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts aus der den katholischen Prunk verachtenden Sicht der protestantischen Liturgie. Wobei neben der Kirchenorgel konsequent von restaurierten Instrumenten begleitet wird, darunter auch von einem Zinken sowie einer Errungenschaft der Kreuzzüge, einer arabischen Handtrommel. Der Hauptanteil des knapp 80-Minütigen Programms besteht aus der Christmette von Michael Praetorius entlehnten Stücken. Hinzu kommen Gesänge seiner Zeitgenossen und ebenso Orgelstücke mit Funktion im Ablauf des Gottesdienstes, etwa das einleitende „Präludium“, „Gloria“ oder „Vater unser“. Natürlich finden sich darunter auch uns heute sehr geläufige Choräle wie „In dulci jubilo“, „Es ist ein Ros entsprungen“ oder auch das durch ein reich verziertes Orgelpräludium vorbereitete „Vom Himmel hoch“. Im Resultat sorgt das stetig variierende Zusammenspiel der Mitglieder des Margaretha Consort für einige Abwechslung. Neben Orgelsoli und sparsam begleiteten Vokalsoli sind Chorsätze vertreten. Neben eher einfach gehaltenen Sätzen finden sich auch aufwändiger und besonders kunstvoll ausgestaltete Stücke, wo Orgel, Vokalsoli, Chor und Instrumente zum Einsatz kommen. Besonders kunstvoll wirken an dieser Stelle die beiden längsten Stücke des Albums: „Nun komm der Heiden Heiland“ und „Puer natus in Bethlehem“. Der Tonfall ist insgesamt farbig, bleibt aber zugleich intim. „Nobilissime Jesu“ des Tschechen Alberich Mazak zählt zu den kaum bekannten Perlen der CD. Dieses Stück schlägt zugleich eine Brücke zum vergleichbar feinen, aber deutlich anders gelagerten, nämlich der protestantischen Schlichtheit üppige katholische Herrlichkeit gegenüberstellenden Album „Böhmische Weihnachten“ (Berlin Classics).

Hervorzuheben sind neben der Spielfreude die betont saubere Intonation der Texte und ebenso die vorzügliche klangliche Transparenz gepaart mit Räumlichkeit inklusive eines ausgeprägten Kirchenfeelings, welches interessanterweise durch den Einsatz von nur zwei Mikrofonen erreicht worden ist.

Zwei weihnachtliche Alben mit dem Dresdner Kreuzchor und der Dresdner Philharmonie

„Weihnachten mit dem Dresdner Kreuzchor“ ist eine einstündige Sammlung beliebter Piecen, welche der zu den berühmtesten Knabenchören der Welt zählende Dresdner Kreuzchor alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit zum Besten gibt. Dabei zeichnet sich der ausdruckstarke, warme und differenzierte Chorklang durch beträchtlichen klangfarblichen Reichtum und Transparenz aus. Die Palette reicht vom feinsten Piano bis zum machtvollen, aber zugleich durchsichtigen Fortissimo. Bis auf zwei Stücke, bei denen Teile der Dresdner Philharmonie im Interesse eines optimalen Gesamteindrucks unaufdringlich begleiten, übernimmt das in den 1970er Jahren gegründete Ensemble für Alte Musik dieses Klangkörpers, die „Cappella Sagittariana Dresden“ den besonders intim gehaltenen, ebenso reizvollen Part.

An den Weihnachtskonzerten des Kreuzchores sind ja häufig diverse Gäste beteiligt. Wie groß bereits die Raffinesse und Vielseitigkeit im Ausdruck ist, wenn der Kreuzchor allein konzertiert, belegt auf eindrucksvolle Weise das vorliegende Abum, bei dem keinerlei Langeweile aufkommt.

Da auf dem Backcover Roderich Kreile als Kreuzkantor angegeben ist und dieser sein Amt als Chorleiter erst 1997 angetreten hat, müsste es sich bei dieser Zusammenstellung sämtlich um Aufnahmen jüngeren Datums handeln und nicht um Wiederveröffentlichungen aus dem Nachlass des DDR Klassik-Labels „Eterna“ der VEB Deutsche Schallplatten – siehe dazu auch die Kleine Klassikwanderung 26: „Eterna-Collection – Legendäre Opernaufnahmen kehren zurück“. Drei Chorsätze (Vom Himmel hoch, Macht hoch die Tür und O du fröhliche) stammen übrigens von Rudolf Mauersberger, der in den Jahren 1930–1971 die Stelle des Kreuzkantors innehatte, und stellen damit zugleich einen klingenden Bezug zum Chor und seiner langjährigen Geschichte her. Das vorliegende Album ist sicherlich eine betont traditionelle, aber damit zugleich eben auch eine gewohnt edle, kaum verwechselbare, letztlich zeitlos schöne Einstimmung auf die Advents- und Weihnachtszeit.

Die 1974/75 entstandene Einspielung des Bach’schen Weihnachtsoratoriums zählte bereits zu LP-Zeiten zu den Hits des Eterna-Katalogs. Die Leitung hat der aus dem sächsischen Aue stammende Martin Flämig, welcher zwischen 1971 und 1990 den Dresdner Kreuzchor leitete. Festlich und prächtig geht es bei Flämig zu, was sowohl auf das Konto der vorzüglichen Solisten (Arleen Augér, Annelies Burmeister, Peter Schreier, Theo Adam, Michael Wittig) als auch des Orchesters der Dresdner Philharmonie geht. Aus dessen warmem, fülligen Klang hebt sich immer wieder der strahlende Klang der Trompeten hervor, für den der erste Trompeter Ludwig Güttler prägend mitverantwortlich ist, und auch der Kreuzchor klingt besonders warm und innig. Alles, was es hier zu hören gibt, darf zudem wohl als tief in der sächsischen Bachtradition verwurzelt gelten. Das 3er-CD-Box-Set firmiert mit dem Aufkleber „Remastered 2019“ und kommt dieses Mal nicht im üblichen weihnachtlichen Rot, sondern dezent moderner gehalten, nämlich in sattem winterlichen Blau daher.

Europa Cantat: Weihnachtsmusik

Gerade das Musikleben war schon früh, spätestens seit der Renaissance, eine grenzüberschreitende, geradezu internationale Disziplin. Daraus speist sich das freilich schon etwas nach Binsenweisheit riechende und somit etwas gewollt erscheinende Motto, welches der Trompeter Ludwig Güttler seinem jüngsten Weihnachtalbum vorangestellt hat: Die Auswahl der Komponisten soll den Europagedanken zum Ausdruck bringen. Entsprechend hat er für „Europa Cantat: Weihnachtsmusik“ über eine Laufzeit von knapp 74 Minuten Stücke von Komponisten aus elf europäischen Ländern versammelt. Neben den großen Namen wie G. F. Händel oder J. S. Bach finden sich darunter auch kaum geläufige Komponisten wie Pavel Josef Vejvanovský, Gottfried Finger oder J. H. Schmelzer. In die letzte Kategorie zählt auch die „Paduane“ des Engländers William Brade (1560–1630), welcher größtenteils im norddeutschen Raum wirkte. Die Paduane ist ein alter Tanz italienischen Ursprungs (benannt nach der Stadt Padua), was recht originell das Internationale bereits bei „Alter Musik“ unterstreicht. Ludwig Güttler und diverse beteiligte Ensembles interpretieren sowohl gewohnt klangprächtig als auch effektvoll und wurden dabei von einer guten Tontechnik unterstützt.

Beethovens Klavierkonzerte 0–5

Das den Abschluss bildende, mit vier CDs bestückte Box-Set enthält keine weihnachtliche Musik, es läutet vielmehr das bevorstehende Beethoven-Jahr 2020 ein. Die Pianistin Mari Kodama und ihr Ehemann Kent Nagano haben sich zusammen mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin – das ehemalige Radio-Symphonie-Orchester Berlin (RSO) – für die Einspielung sämtlicher Klavierkonzerte Beethovens insgesamt satte 13 Jahre Zeit gelassen.

Allerdings wurde das Hauptprojekt, die Einspielung der Konzerte 1–5 und des Tripelkonzerts – mit Kolja Blacher (Violine) und Johannes Moser (Violoncello) – innerhalb von rund sieben Jahren (2006–2013) abgeschlossen und ist bereits seit Herbst 2014 als 3er CD-Set erhältlich. Rechtzeitig zur Ankündigung des Beethoven-Jubiläumsjahres hat man nun einen kleinen Coup gelandet: Mari Kodama hat sich eines Jugendwerks des 14-jährigen Beethoven angenommen, des häufiger so genannten „0-ten Klavierkonzerts“. Der spätere Titan der Musik hat dieses der Nachwelt allerdings nicht in Partitur, sondern nur stark skizzenhaft hinterlassen und lt. Angaben von Berlin Classics hat Frau Kodama anhand des in der Berliner Staatsbibliothek befindlichen Autographen ihre eigene spielbare Fassung erstellt. Diese eröffnet nun zusammen mit dem Rondo WoO 6 und den Eroica-Variationen op. 35 das aktuelle 4er-Box-Set. Mehr als eine durchaus nette Zugabe ist Beethovens „0-tes Klavierkonzert“ wohl kaum. Wer nicht vorher wusste, von wem es stammt, wird es schwer haben, den Schöpfer herauszuhören. Aber wer wollte von einem allerersten tastenden, noch kindlichen Versuch auch zu viel erwarten. Immerhin wagte sich der zuerst intensiv auf dem Felde der Kammermusik Tätige erst im Alter von dreißig Lenzen an seine erste Sinfonie.

Die Interpretationen Mari Kodamas sind nicht nur technisch einwandfrei. Sie sind geprägt von Feingefühl, Tatkraft und Energie, kommen sowohl angemessen kraftvoll als auch feinsinnig und subtil daher. Dabei zählt die Pianistin keineswegs zu denen, die ihren Darstellungen extreme Akzente verpassen mögen, sondern ist vielmehr bemüht dem Notentext gerecht zu werden. Sie selbst kommentiert dies: „Bei Beethoven finde ich immer wieder etwas Neues… Wenn man sie alle spielt, dann ist es, als würde man mit Beethoven einmal durch sein Leben reisen“. Den Rest besorgt die sorgfältig abgestimmte, aufmerksame Begleitung durch das von Kent Nagano äußerst feinfühlig geleitete DSO Berlin.

Alles in allem ist das gut klingende kleine Box-Set im Vorfeld des in Kürze anstehenden großen Beethoven-Jubiläums zweifellos geschmackvoll gemacht und ansprechend geraten. Dass es in der Fülle hochkarätiger Konkurrenz des Klassikmarktes keinen leichten Stand hat, liegt in der Natur der Sache.

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