Als Kontrast zum düsteren Science-Fiction-Thriller Minority Report reichte Regisseur Steven Spielberg Ende des vergangenen Jahres den heiteren Film Catch Me If You Can nach. Der Film geht auf eine wahre Begebenheit der 60er Jahre zurück und schildert ein elegantes Katz-und-Maus-Spiel zwischen dem FBI-Agenten Carl Hanratty (Tom Hanks) und dem gewieften Hochstapler und Scheckbetrüger Frank Abagnale Jr. (Leonardo DiCaprio). Für Komponist John Williams und Regisseur Steven Spielberg war dies die 20ste Zusammenarbeit bei einem Filmprojekt.
Die Klangschöpfung von John Williams hat mit seinen Komödienmusiken der 60er z. B. zu How to Steal a Million (1966) oder Fitzwilly (1967) kaum etwas gemein. Es handelt sich vielmehr um ein Spätwerk des Komponisten, das Verwandtschaft zu A.I. – Artificial Intelligence und auch Minority Report aufweist. Im leichtgewichtigen Komödienstil der Sixties zeigte sich Williams stark Henry Mancinis soft jazziger und popsinfonischer Unterhaltungsmusik verpflichtet. In den jazzig auskomponierten Partien von Catch Me If You Can hingegen nähert er sich dem progressiven Jazz eines Charlie Parker (einflussreicher Jazzmusiker der 40er und 50er Jahre) und kombiniert mit sinfonischen Klängen. Die virtuosen Saxophonparts sind bei Dan Higgins in hörbar guten Händen: Was zum Teil wie free-jazzige Improvisationen über ein den Score bestimmendes Grundmotiv wirkt, ist laut Booklet von Williams komplett auskomponiert worden. Wie in Minority Report spielt ein (sogar ähnlich klingendes) Grundmotiv eine entscheidende Rolle, welches bei Bedarf zu melodischen Phrasen erweitert wird. In Track 4 „Recollections (Fathers Theme)“ wirken Sinfonik und Jazz als kleines Konzertstück besonders klangschön zusammen.
Die Grundstimmung des Scores ist weniger komödiantisch (keinerlei Mickey-Mousing), eher melancholisch. Daneben gibt es Stücke, die insgesamt leicht – aber nicht wirklich lustig – klingen und in einem mitunter jazzigen sinfonischen Scherzo-Stil gehalten sind. Die Musik weist ebenso (dezente) Thriller-Elemente auf, die eindeutig auf Minority Report verweisen, aber nicht zwangsläufig vergleichbar düster wirken. Abgesehen von den jazzigen Einlagen stehen die helleren Passagen des Scores Vergleichbarem in A.I. recht nahe – eine (klitze)kleine Prise von Harry Potter inklusive. Auffällig sind auch dieses Mal ein merklich minimalistischer Touch und (dezent) eingesetzte Elektronik. Insgesamt gehört damit auch Catch Me If You Can nicht zur Sorte des breitmelodischen und ausladenden „Main-Stream-Williams“. Es handelt sich vielmehr um eine intime, eine Spur akademisch-konzertant wirkende, eigenständig-markante Kombination von teilweise zu Free-Jazzigem tendierenden Klängen mit Sinfonik. Eine Filmmusik, die viele Hörer wohl unmittelbar weniger ansprechen wird als beispielsweise die zu Harry Potter and the Chamber of Secrets. Es handelt sich um eine Komposition, deren Qualitäten sich erst nach etwas Einhören erschließen.
Eingestreut in die Williamsmusik finden sich insgesamt vier Source-Musik-Stücke: überwiegend populäre Songs aus der Zeit der Filmhandlung, beispielsweise von Frank Sinatra und Dusty Springfield interpretiert. Meine Ohren empfanden die Mischung aus Score und Source-Musik ohne Film als zu inhomogen und damit wenig überzeugend, aber das ist natürlich in erster Linie eine Sache des individuellen Geschmacks. Mit Hilfe der Programmierfunktion des CD-Spielers erhält man auf Wunsch eine knappe Dreiviertelstunde sortenreinen, gut fließenden Williams.
Fazit: John Williams, der erst kürzlich seinen 71sten Geburtstag begangen hat, gehört noch nicht zum „alten Eisen„. Nach Minority Report (eine der besten Kompositionen in 2002) zeigt auch Catch Me If You Can klar Profil und Entwicklung. Williams erweist sich damit im Alterswerk – einmal mehr – deutlich weniger routiniert als sein ebenso berühmter Kollege Jerry Goldsmith. Beide sind und bleiben große Könner des Metiers, aber es wirkt schon etwas ironisch, dass Goldsmith Williams in den frühen Jahren (bis in die frühen 80er) an Vielseitigkeit und Einfallsreichtum insgesamt um mehr als nur eine Nasenlänge voraus gewesen ist.