Ein Autofriedhof mit Herz und Charme, wo allein das Blech redet …
Gemeint ist das verschlafene Wüstenkaff Radiator Springs, das an der legendären „Route 66“ liegt, die sich kurvenreich und damit harmonisch durch die Landschaft schlängelt. Seit dem Bau der Interstate, einer die Landschaft eher durchschneidenden Schnellstraße, ist der Ort vereinsamt und nahezu vergessen; ist in Cars quasi zum belebten Autofriedhof geworden. Dorthin verschlägt es „Lightning McQueen“, einen rasanten kirschroten Flitzer, der eigentlich auf dem Weg nach L.A. zum Entscheidungsrennen um den begehrten Piston Cup ist.
Cars ist in einer ausschließlich von drolligen Blechkarossen bevölkerten Parallelwelt angesiedelt: eine, in der Tankstellen konsequenterweise Restaurants sind und in der sogar die schwirrenden Insekten dem berühmten VW-Käfer bestechend ähnlich sehen. Das Menschliche spiegelt sich, wiederum in bester Disney-Tradition, in den überaus reizend gestalteten Charakteren, die zugleich so typisch und vertraut sind. Letzteres bedeutet aber keinesfalls Stillstand, sondern steht an dieser Stelle wieder einmal für Kreativität. Die Windschutzscheiben beherbergen die Augen unserer Helden, nicht, wie üblich, die Autoscheinwerfer — man denke nur an Herbie, den berühmten tollen Käfer. Hinzu kommt eine Art von raffiniertem digitalem Lidschlag, der vergleichbar den Spuren der Scheibenwischer über die Augen huscht und im Zusammenwirken mit der perfekten Ausgestaltung typischer Details den Figuren wahrlich Leben einhaucht und damit so überzeugend Seele verleiht.
Das wohl entscheidende Vorbild hierfür lieferte der Disney-Kurzfilm Susie the Little Blue Coupé (1952), bei dem der legendäre Ollie Johnston einer der Hauptzeichner war. Johnston, das letzte noch lebende Mitglied des ursprünglichen Disney-Teams, das den Beinamen „Die neun alten Männer“ erhielt, feierte übrigens erst kürzlich seinen 94. Geburtstag. Die Cars zugrunde liegende Story hingegen weist auffällige Ähnlichkeit zu Doc Hollywood (1991) auf.
Radiator Springs Slogan „A Happy Place“ erscheint dem von einem arg überdrehten Ego geplagten Lightning McQueen anfänglich überhaupt nicht stimmig. Ist er doch dazu verdonnert worden, die freilich von ihm eingangs mittels „High Speed“ demolierte Hauptstraße zu reparieren. Erst nach und nach lernt er dabei die Qualitäten des dort beheimateten, teilweise skurrilen, aber durchweg liebenswerten Völkchens dröhnender Blechkarossen zu schätzen. Da ist z. B. Hook, ein rostiger Abschleppwagen mit charakteristischen Karnickelzähnen, Doc Hudson, ein Hudson Hornet Baujahr 1951, Sheriff, ein Mercury Police Cruiser von 1949 und nicht zuletzt Lizzie, eine wahrlich alte Lady, als Ford Modell T von 1923.
Luigi, ein kanariengelber Fiat 500 und Besitzer des Reifenhandels „Casa della Tires“ träumt davon, dass sich einst ein Ferrari dorthin verirren möge, um sich von ihm einen Satz neuer Pneus verpassen zu lassen. Und da ist Sarge, ein pensionierter 1942er Army-Jeep, dem sein Flowerpower-Hippie-Nachbar Bully, ein VW-Bus der Woodstock-Ära, allmorgendlich mit Jimi Hendrix in die zackige Flaggenparade fährt. Und Hook, der Abschleppwagen mit dem großen Herzen, leistet sich mitunter nächtlichen Schabernack, wenn er auf einem Feld vor sich hin dösende, etwas dümmlich anmutende Traktoren im wahrsten Wortsinn zum Umfallen erschreckt.
Die von der zentralen Story vermittelte Moral ist traditionell und damit wiederum exakt Disney-typisch: Der allzu selbstverliebte Lightning McQueen lernt die Werte echter Freundschaften, von Fairness und Teamgeist höher zu schätzen als immer der Erste sein zu wollen. Zur Belohnung gibt’s für den Geläuterten die quirlig-reizende Porsche-Lady Sally, die ehedem als Aussteiger nach Radiator Springs kam. Sally ist nicht nur ein wahrhaft flotter Käfer, sondern ein echt heißes (Blech-)Teil.
Das neueste, mittlerweile siebte abendfüllende Disney-Pixar-Animationsabenteuer, Cars, markiert auf dem Feld der Computeranimation erneut die Spitze des derzeit Machbaren. Dabei ist aber nicht nur die augenfällige Detailverliebtheit gemeint, mit der die Bilder gestaltet, ja förmlich komponiert worden sind. Die Landschaftspanoramen und nicht allein die bestechende Vielfalt der Hintergründe bei den Autorennen sind atemberaubend. Da mutet manches in der monumentalen Landschaftskulisse à la Monument Valley an, als seien Cadillacs mit der Schnauze in den Boden gerammt worden — eine drollige Spiegelung der menschlichen Phantasie, die in Felsenformationen gern sich selbst erkennt. Aber mindestens ebenso ist es der enorme emotionale Reichtum der vom Schicksal verbeulten Autokarossen, denen so fantasievoll Leben eingehaucht worden ist, welcher den Reiz des neuen Films ausmacht.
Nachdem es seit Anfang 2004 zwischen Disney und Pixar kriselte, sogar die Trennung im Raum stand, hat man sich Anfang 2006 geeinigt. Disney hat sich mit der Riesensumme von rund 7,5 Milliarden $ (nicht Millionen!) nicht nur eingekauft, sondern Pixar aufgekauft. Eine sehr kluge Fusionsentscheidung! Sind doch die Disney-Produktionen der Kategorie Animation der letzten Jahre, wie Lilo & Stitch (2002), Bärenbrüder (2003) oder Himmel und Huhn (2005), zwar ansehbar, aber nicht wirklich ansehnlich. Sie verfügen bei weitem nicht über das Flair sämtlicher (!) abendfüllender Pixar-Produktionen von Toy Story (1995) bis zu The Incredibles (2004). Pixar erweist sich vielmehr als kreativer Gralshüter des Disney-Erbes.
Im Abspann nimmt sich die neu geformte Pixar-Tradition denn aber auch wieder selbst augenzwinkernd auf die Schippe. In zu den Credits ablaufenden Filmszenen gibt’s Neues aus Radiator Springs: Unter anderem in einem Autokino, wo die Figuren aus Toy Story, Monster AG und A Bugs Life im Automobil-Look in imaginären Filmen wie „Toy Car Story“ oder „Monster Truck INC.“ agieren. Darüber hinaus setzt Pixar dem 2005 tödlich verunglückten Joe Ranft an dieser Stelle ein Denkmal, der in Cars ganz besonders die Figur Hooks, des etwas klapprigen Abschleppwagens, beeinflusst hat. Erwähnt zu werden verdient noch die vorzügliche deutsche Synchronisation, die m. E. mindestens ebensoviel Ausstrahlung besitzt wie das Original.
Die deutsche Filmmusik-CD
Die Musik zum Opus voll blecherner Zärtlichkeit hat Randy Newman in bewährter Manier beigesteuert. Für die Welt der Autorennen gibt’s schmissig-fetzigen Rock’n’Roll und das beschauliche Radiator Springs, eingebettet in eine malerisch wuchtige Landschaft, wird durch einen Mix aus Bluegrass, Jazz und breitorchestraler Copland-Americana treffend charakterisiert. Zum Scoreanteil von rund 21 Minuten kommt eine Reihe von Songs hinzu, die zum Teil ebenfalls aus der Feder Newmans stammen. Davon ist auf dem CD-Album allein der melancholische „Our Town“ in einer deutschen Version von Olle Feddersen vertreten. Das ist zwar alles zusammen nun gewiss nicht neuartig, aber dem Film vollkommen dienlich und angemessen. Ein ansprechendes klingendes Andenken ist dem Käufer also garantiert.
Cars auf DVD
Cars, selbst in den USA nur als Einzel-DVD-Ausgabe erhältlich, ist in der Ausstattung gegenüber den mittlerweile als Pixar-Heimkino-Standard gewohnten Doppel-DVD-Deluxe-Editionen zwangsläufig etwas spartanisch geraten. Neben einer Kollektion nicht verwendeter Szenen (insgesamt 10 Minuten, teilweise in roher Entwurfs-Version) findet sich unter den wenigen Boni allein ein mit nur rund sieben Minuten Länge doch etwas sehr kurz angebunden anmutender Blick hinter die Kulissen in „Inspiration für Cars“.
Als reizendes Trostpflaster gibt’s jedoch zwei drollige Kurzfilme aus der Pixar-Küche. Einmal den auch im Beiprogramm der Kinopräsentation gezeigten „Die Einmannband“, in dem zwei Straßenmusikanten um die Münze eines kleinen Mädchens gar drollig wetteifern. „Hook und das Geisterlicht“ hingegen ist eher als ein exklusiver Nachtisch zu Cars geeignet, einer, den es nur auf der DVD zu sehen gibt. Hier erlebt der so nett-kumpelhafte Abschleppwagen ein weiteres kleines, aber unbedingt sehenswertes Abenteuer, das Radiator Springs fast ein wenig in die Nähe von Sleepy Hollow zu rücken scheint. Auch hier gibt’s prächtige Unterhaltung mit Herz und Charme und somit ist beim Verlassen des Heimkinos blendende Laune garantiert.
Cars auf DVD ist praktisch ein Muss für alle Pixar-Freunde, nicht nur für diejenigen, die den Film bereits auf der großen Kinoleinwand genossen haben. Sämtliche entdeckenswerten Details und ebenso dezent eingearbeiteten Gags aufzuspüren, ist bei einmaliger Betrachtung schlichtweg unmöglich. Darunter findet sich auch so manches, was man als Seitenhieb auf das Amerika der Gegenwart interpretieren kann: z. B. den bereits o. g. allmorgendlichen Zusammenstoß von Hippie-Bus Bully mit WW-II-Jeep Sarge und ebenso Bullys Statement zu den Qualitäten von Bio-Sprit. Das brillante Scopebild der DVD-Präsentation bietet zum Aufspüren die willkommene Gelegenheit. Ebenso in der Topklasse angesiedelt ist der superbe Tonmix. Nicht allein sämtliche Geräusche, sondern auch die Dialoge (das ist keinesfalls selbstverständlich!) folgen perfekt dem Leinwandgeschehen. Sie bewegen sich stimmig links und rechts aus dem Bild heraus in die Ebene hinter dem Zuschauer und umgekehrt. Die räumliche Illusion ist vorzüglich, hat die Bezeichnung „perfekt“ verdient.
Neben der üblichen Kunststoff-Standard-Box ist Cars auch als Steelbook erhältlich, allerdings „nur“ in netter Sprenkellack-Ausführung und (leider) nicht im edleren Tin-Box-Design. Der Aufpreis erscheint mir allerdings etwas heftig.
Fazit: Ursprünglich vermochte es der Kinotrailer zu Cars nicht, mich in vergleichbarem Maße auf das Produkt neugierig zu machen wie bei den früheren Pixar-Ankündigungen. Mitbegründet vielleicht auch aus einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Autorennsport heraus war ich zuerst etwas skeptisch und bin schließlich doch erneut voll überzeugt worden. Auch der neueste Pixar-Film erweist sich als absolut ebenbürtiger Vertreter einer seit 1995 insgesamt gleichmäßig hochwertigen Reihe. Der alte Disney wäre wohl auch zufrieden, ist sein Geist doch mit soviel Herz und Geschick elegant verpackt ins 21. Jahrhundert hinüber gerettet worden.
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