Captain from Castile

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
11. April 2004
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Exquisite Erweiterungen des Alfred-Newman-Repertoires auf Tonträger bieten die drei limitierten CD-Alben, auf denen jeweils die vollständigen Filmmusiken vertreten sind: Captain from Castile • Der Herrscher von Kastilien (1947) sowie The Black Swan • Der Seeräuber (1942) sind bei Screen Archives Entertainment Production (SAE) und The Prisoner of Zenda • Der Gefangene von Zenda (1937/1952) ist kürzlich bei FSM erschienen.

Die Filme

1152Hier ist ein Technicolor-Film-Tripel musikalisch vereint, das in die Kategorie Swashbuckler gehört und üppige Ausstattung in satten, ölgemäldehaften Farben präsentiert. Das steht aber nicht unbedingt für brillante Unterhaltung oder gar kinematografische Meisterwerke. Besonders das langatmige Atztekenepos Captain from Castile wie auch die in Teilen eher krampfhaft alberne Piratenplotte The Black Swan (beide mit Tyrone Power, dem „Errol Flynn“ der 20th Century Fox) wirken nicht erst seit heute trotz ihres eindeutig sichtbaren Produktionsaufwandes und auch handwerklich sorgfältiger Umsetzung recht antiquiert und patiniert. The Black Swan war für die US-Bürger in den Kriegstagen eine recht willkommene Unterhaltung und immerhin der erste Piratenfilm in 3-Farben-Technicolor. Für seine Zeit weist er sorgfältige, im Studiotank realisierte Miniaturtricks auf, bei denen große Schiffsmodelle zum Einsatz kamen. Aber selbst die in die Handlung eingearbeitete historische Figur des Piratenkapitäns Henry Morgan — der die Seiten wechselte und zum Gouverneur von Jamaica avancierte — kann die eher banale Handlung nicht retten. Captain from Castile lief schon damals eher mäßig, konnte seine Kosten nicht wieder hereinholen. Beide Filme haben aus rein filmhistorischen Gründen eine gewisse Bedeutung und besitzen, in guter Technicolor-Kopie präsentiert, natürlich visuell einige Reize: „Hübsch bunt und teuer, aber ansonsten wenig“, lautet hier dennoch das Fazit.

Im Vergleich hat sich die 1952er Version von The Prisoner of Zenda am besten gehalten. Dies ist zugleich die hierzulande bekannteste Filmfassung (von insgesamt 8) des turbulenten Intrigenspiels um den Thron des imaginären Balkanstaates Ruritania. Der britische Reisende Rudolf Rassendyl erweist sich als Doppelgänger des Königs. Im raffinierten Komplott verlässt er bald die ihm zugewiesene Rolle und wird für den bereits Entthronten und gefangen gesetzten Monarchen zum Retter des Staates.

Stewart Granger (1913 – 1993) hatte in der Kinosaison 1952 für MGM bereits mit Scaramouche einen Hit gelandet und man suchte eilig nach einem geeigneten neuen Projekt. Das Studio ließ sich den Kauf der Rechte die damals beträchtliche Summe von $ 500.000 kosten und „One Take“, der Regisseur Richard Thorpe (siehe auch Ivanhoe), half den Dreh innerhalb von 28 Tagen zu beenden. Alles in allem ist The Prisoner of Zenda sicher kein großer Film. Dank der überzeugenden Darstellung durch Granger (als Rassendyll) und ganz besonders James Mason, als markantem Bösewicht, taugt er nach wie vor als eine angenehme Unterhaltung, auch, aber nicht ausschließlich für einen verregneten Sonntagnachmittag. Stewart Granger, der eigentlich James Lablanche Stewart hieß, ist hierzulande durch seine eher mäßigen Auftritte in Karl-May-Filmen der 60er als Old Shurehand geläufig.

Die Filmmusiken

Captain from Castile erschien bereits im Jahr 2000 in einem rund 76-minütigen Schnitt auf dem Tsunami-Label. Seinerzeit eine erfreuliche Ergänzung, ist das Tsunami-Album jetzt allerdings weitgehend entbehrlich geworden — weitere Infos zu Film- und Filmmusik siehe Rezension. Diese Aussage gründet sich weniger auf die rund 20 Minuten mehr an Musikmaterial auf der SAE-Edition, das in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit interessant ist. Die Tsunami-Version ist vielmehr technisch und ausstattungsmäßig eindeutig blasser. Der Klang ist zwar recht ordentlich, allerdings sind vielfach kleine Fehler in Form von Aussetzern, Knacksern und Tonhöhenschwankungen hörbar. Da ist es nicht allein der aus quasi-mehrkanaliger Lichtton-Einspielung abgemischte erstaunlich saubere Stereo-Sound der SAE-Edition, der erfreut. Ganz besonders dürfte das umfangreiche, luxuriös ausgestattete Begleitheft den Filmmusikfreund begeistern: es wartet neben einer Fülle von Informationen zu Filmproduktion und Filmmusik mit rarem Fotomaterial auf. Hier erfährt man beispielsweise, wie arg manche historischen Details unter dem Druck von katholischer Kirche und Zensurbehörde verfälscht werden mussten.

In John Burlingames Essay „The Maestro and his Music“ wird der Leser eingehend darüber informiert, wie Big Al (Alfred Newman) zum Hauptmann von Kastilien ernannt wurde. Im Herbst 1946 stand er vor der Wahl, entweder Forever Amber oder Captain from Castile zu vertonen. Für Captain from Castile befasste sich Newman eingehend mit alter spanischer Musik – mit Schwerpunkt auf dem frühen 16. Jahrhundert. Vergleichbar mit Miklós Rózsas historisierend angelegten Filmvertonungen war sich aber auch Newman bewusst, dass er in Sachen klanglicher Authentizität nicht übertreiben durfte, wollte er nicht Gefahr laufen, das Kinopublikum zu irritieren. Deswegen orientierte er sich in seiner Filmkomposition ebenso an den romantisch geprägten sinfonischen Werken eines Manuel de Falla, Isaac Albéniz und auch Joaquin Rodrigos, dessen sinnfälliges Gitarrenkonzert so manchem Leser zumindest unbewusst geläufig sein dürfte. Ebenso nahm er sich popularisiertes spanisches Kolorit zum Vorbild: wie „Espana“ von Emmanuel Chabrier, der „Symphonie Espagnol“ Edouard Lalos und natürlich Georges Bizets berühmte Oper „Carmen“. Aber damit noch nicht genug: die raffiniert-effektvollen Spiegelungen spanischen Kolorits in Rimsky-Korsakoffs „Capriccio Espagnol“ und Glinkas „Jota Aragonesa“ flossen in Newmans Klangkonzept ebenfalls mit ein.

Für die Ausführung benötigte der Fox-Maestro fünf Monate und auch die Einspielung erfolgte äußerst sorgfältig. Er ließ derart eingehend proben und wiederholen, dass pro Aufnahmetag nur etwa 5 Minuten der Musik endgültig vorlagen.

Der spanische Gitarrist Vicente Gomez (1911-2001) lieferte dazu eine Reihe authentisch anmutender Stücke, die als Source-Music fungieren. Gomez war bereits zuvor für das Stierkämpfer-Drama Blood and Sand (1941) verpflichtet worden. Später arbeitete er auf Newmans Wunsch mit bei Snows of Kilimanjaro (1952) und The Sun Also Rises (1958). Für MGM wirkte er auch mit bei Miklós Rózsas Vertonungen zu Crisis (1950) und Moonfleet (1955).

Captain from Castile zählt zu Newmans glanzvollsten Arbeiten und ebenso zu den ganz großen (Abenteuer-)Filmmusiken der 40er Jahre. Eine Aussage, die schon etwas bedeutet, immerhin handelt es sich um die besonders fruchtbare Zeit des so genannten Golden Age. Die Konkurrenz war groß: In dieser Dekade datiert sind auch die prächtigsten Filmvertonungen eines Max Steiner, wie Johnny Belinda (1948), The Treasure of the Sierra Madre (1948) und The Adventures of Don Juan (1949), Erich Korngolds The Sea Hawk (1940) und Kings Row (1942), Miklós Rózsas The Thief of Baghdad (1940) und The Lost Weekend (1945) sowie Hugo Friedhofers The Best Years of Our Lives (1946), um nur einige zu nennen.

Captain from Castile ist eine klangschwelgerisch-exotische, sehr inspirierte Musik, in der insgesamt etwa 10 Haupt- und Nebenthemen zum Teil umfangreich verarbeitet sind. Besonders hervorstechend sind das für den eigentlichen Hauptmann Pedro de Vargas Stehende, die Liebesmusik für Pedro und Catana, das mit der Liebesmusik eng Verbundene für Catana selbst und natürlich der groß angelegte Marsch „Conquest“. Bei dem für die Suche nach dem (Azteken-)Gold eingesetzten Thema hat sich Big Al übrigens selbst beliehen. Es entstammt dem Piraten-Score zu The Black Swan (1942); ist in der Castilien-Musik jedoch weniger präsent.

Das SAE-Doppelpack verteilt die Musik sehr stimmig: CD-1 enthält die Musik für den in Spanien angesiedelten Teil der Filmhandlung, das Material für die Abenteuer in der „Neuen Welt“ ist entsprechend auf CD-2 vertreten. Hier ist auch erstmalig — gleich im ersten Track — das „Conquest“-Marschthema zu hören. Es ist eindrucksvoll, wie Newman hier dieses anfänglich nur als kurzes Bruchstück zu hörende Thema nach und nach erweitert und somit das große Filmfinale auch musikalisch vorbereitet. Und wenn schließlich in der auch visuell eindrucksvollen Schlusssequenz die Armee des Hernando Cortez mit wehenden Fahnen zum großen ruhmreichen Feldzug aufbricht, dann ist das zwar pure Geschichtsfälschung, aber musikalisch zugleich eines der prächtigsten Finale der Leinwandgeschichte. Newmans breit angelegter heroischer Marsch ist zudem Vorbild für Vergleichbares bei John Williams.

Charles Gerhardts hinreißende Kopplung von Liebesthema und großem Marschfinale auf „Captain from Castile – The Classic Film Scores of Alfred Newman“ begeisterte bereits in den 1970er Jahren ihre Hörer. Dass Newman schon frühzeitig für das Majestic-Label (später Mercury Records) eine 18-minütige Suite einspielte — die zuerst noch auf 78er Schellack-Platte(n) erschien —, sei hier mehr der Vollständigkeit halber angemerkt. Immerhin war die Nachspielung für ihre Zeit klangtechnisch hervorragend und besonders die Platte mit dem berühmten Marsch wurde schon damals, in der Dämmerung der HiFi-Ära, zur Demonstration „höchster Klangtreue“ eingesetzt.

Von den beiden früheren Newmans ist die SAE-Edition zu The Black Swan insbesondere durch das tolle Begleitheft noch einen satten Tick besser geraten, als das zweifellos ebenfalls sehr schöne FSM-Album zu The Prisoner of Zenda. Die Komposition zu David O. Selznicks 1937er Fassung ist im 1952er MGM-Remake wiederverwendet worden ist. Aus Zeitgründen beauftragte Newman mit der Bearbeitung seinen Kollegen Conrad Salinger (1901-1961). Salinger betreute während seiner Karriere unzählige Filme, in erster Linie als ausgefuchster Arrangeur und Orchestrator. Sein Name ist besonders mit Film-Musicals verknüpft. Die FSM-CD enthält Salingers Bearbeitung — die Tonmaster der älteren Version existieren nicht mehr.

Musikalisch zeigen beide Scores Newman als beachtlichen, aber noch nicht voll ausgereiften Tonsetzer. Und beide Scores belegen, dass die Last einer Filmkomposition nicht erst seit Media Ventures oftmals vielfach geschultert wurde. Bei The Black Swan hat Newman zwar die Themen geliefert, aber rund 50 % der Partitur sind von David Buttolph ausgeführt worden und auch Hugo Friedhofer hat einen kleinen Anteil am Gesamtwerk. Vier Hauptthemen bestimmen den Score, wobei das für Kapitän Jamie (Tyrone Power) identisch mit dem für die „Suche nach Gold“ in Captain from Castile ist. Treffend ist das im Vorspann mit Männerchor interpretierte Piratenlied, der originelle Shanty „Heave Ho!“, das, zusammen mit dem sinnlichen Einfall für Lady Margaret (Maureen O’Hara), auch im weiteren Verlauf der Komposition eine zentrale Rolle übernimmt. Daneben gestaltet der Komponist die Musik noch durch fünf sekundäre Motive, wie z. B. die Fanfare für Gouverneur Henry Morgan. Auffällig ist das hier recht stark vertretene „Micky-Mousing“, das die zum Teil albernen Aktionen immerhin musikalisch ansprechend umsetzt. Die Partitur orchestrierte Edward Powell etwa zur Hälfte, Herbert Spencer, George Parrish, Conrad Salinger und Maurice de Packh erledigten den Rest.

1153Rafaello Penso, ein Kollege Newmans bei Selznick, und wiederum Hugo Friedhofer haben bei The Prisoner of Zenda mitgeholfen. Das besonders Gelungene verdankt die finale Duellszene zweifellos Friedhofers äußerst versiertem handwerklichem Geschick. Erstklassig ist das König und Hofstaat charakterisierende Fanfarenmotiv, das in der Tonschöpfung in vielfachen Variationen eine hervorstechende Rolle spielt — in einer Moll-Variante charakterisiert es zugleich den von James Mason brillant interpretierten Schurken. Im effektvollen Main Title kontrastiert die Fanfare mit dem klassizistisch, typisch „britisch“ angehauchten Thema des Doppelgängers Rassendyll. Und diese schwungvolle Einstimmung auf die kommende Filmhandlung atmet klar den Geist der Tondichtungen eines Richard Strauss, besonders des „Don Juan“ — siehe hierzu auch Scaramouche. Newmans starkes melodisches Talent zeigt sich wiederum in der reizenden ruritanischen Nationalhymne und natürlich im charmanten, unverzichtbaren Liebesthema, das Newman auch dieses Mal (siehe auch Dragonwyck) als effekt- und stilvollen Walzer ausformt.

Alles in allem ist in den drei Musiken die Nähe zu Korngold und Steiner unüberhörbar. Zugleich zeigt sich aber auch, das die „frühen“ Newmans besonders im Vergleich mit Korngolds Musiken (noch) nicht voll mithalten können, sie bei allem Charme in der Ausführung noch eine Portion Vielseitigkeit und Raffinesse vermissen lassen.

Sowohl The Black Swan als auch The Prisoner of Zenda liegen beide in sehr solidem Mono vor. Besonders die Lichttonmaster von The Black Swan klingen für ihr Alter außerordentlich gut. Der Klang ist natürlich etwas spitzer und ein wenig rauher als der des 10 Jahre später entstandenen The Prisoner of Zenda, aber sehr gut durchhörbar.

Wertungsmäßig gehört Captain from Castile klar in die filmmusikalische Top-Liga und spätestens das superbe Booklet dürfte auch den letzten Zauderer veranlassen, diese erstklassige SAE-Doppel-CD-Edition mit vollen sechs Sternen zu krönen – da kann die Tsunami-Edition einfach nicht gegenhalten. Die beiden früheren Newman-Musiken rangieren etwa bei viereinhalb Sternen. Nach mehreren Hördurchgängen erscheint mir das CD-Album zu The Prisoner of Zenda als doch etwas abwechslungsreicher als das zu The Black Swan, welches (vor allem im letzten Drittel) einige Längen besitzt. The Black Swan einen halben Stern abzuziehen, dazu konnte ich mich aber doch nicht entschließen: Das traumhafte Begleitheft wiegt einige leichte musikalische Durchhänger locker auf.

The Black Swan ist jetzt erstmalig überhaupt auf Tonträger greifbar. Auf dem 1997er Koch-Classics-Album „Wuthering Heights – A Tribute to Alfred Newman“ hat Richard Kaufman mit dem New Zealand Symphony Orchestra aus The Prisoner of Zenda eine rund 7-minütige respektable kleine Suite, „A Ruritanian Rhapsodie“, vorgelegt.

Bereits in den 1970ern widmete der Arrangeur und Orchesterleiter Leroy Holmes (unter anderem) diesem Score eine ganze LP auf dem United-Artists-Label. Allerdings nahm er sich (gelinde gesagt) gegenüber dem Original beträchtliche Freiheiten heraus, was in noch deutlich stärkerem Maße für einige der übrigen Holmes-Einspielungen gilt, beispielsweise Citizen Kane und King Kong — letztere klingt übrigens fast wie Zirkusmusik! Diese — offenbar als „Konkurrenz“ zur Gerhardt-Serie eingespielte — (kleinere) Reihe genoss übrigens schon damals einen derart zweifelhaften Ruf, dass sich bis heute niemand an eine Wiederveröffentlichung herangetraut hat.

Alles in allem bekommt der den sinfonischen Errungenschaften des klassischen Hollywoods Aufgeschlossene diese drei wertvollen Newman-Scores — SAE und FSM sei Dank — jeweils klangtechnisch liebevoll aufbereitet und versehen mit einem editorisch sehr guten bis spitzenmäßigen Begleitheft. Der gegenwärtig günstige Dollarkurs dürfte manchen dazu ermuntern, diese Prachtstücke seiner Sammlung besonders rasch einzuverleiben.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Newman, Alfred

Erschienen:
2003
Gesamtspielzeit:
96:31 Minuten
Sampler:
SAE CRS
Kennung:
0007
Zusatzinformationen:
2 CDs

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