Beethoven: Sinfonien 1-9 (Norrington)

Beethoven: Sinfonien 1-9 (Norrington)
Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. September 2004
Abgelegt unter:
Klassik

Beethoven: Sinfonien 1-9 unter Roger Norrington

Hänsslers Edition der Beethoven-Sinfonien, ein Mitschnitt im Rahmen des Europäischen Musikfestes Stuttgart 2002, ist trotz massenhafter Konkurrenz auf dem Tonträgermarkt eine editorische Topleistung. Roger Norrington knüpft hier an seinen berühmten, zwischen 1987 und 1989 mit den London Classical Players aufgenommenen Zyklus der Beethoven-Sinfonien an. Wie Norrington anmerkt, hat man besonders in den letzten 25 Jahren einiges über die historische Aufführungspraxis hinzugelernt. Das Verwenden restaurierter Instrumente erscheint dem Dirigenten dabei zwischenzeitlich insgesamt weniger wichtig als das Berücksichtigen der aufführungstechnischen Regeln des ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart hat nur an einigen markanten Stellen Modifizierungen des Klangkörpers vorgenommen: So kommen ventillose Naturtrompeten, Barockposaunen und kleine pedallose, mit Holzschlegeln zu spielende Pauken zum Einsatz.

Im Resultat erhält das bereits von Beethovens Zeitgenossen oft verwendete Adjektiv „erhaben“ eine merklich andere Bedeutung: Die Kompositionen des Bonner Maestros wirken deutlich weniger pathetisch und damit auch weniger romantisch aufgebläht als gewohnt. Anstelle der häufig zu hörenden überdehnten Tempi legt Norrington konsequent Beethovens eigene Metronomangaben zugrunde. Im Zusammenwirken mit spieltechnischen Eigenarten der Entstehungszeit der Werke wirkt diese uns so vertraut erscheinende Musik geradezu „neuartig“. So präsentiert kommt diese nicht allein mit besonderer Frische und Vitalität daher: Sie überrascht außerdem mit besonderem Kontrastreichtum in den orchestralen Klangfarben, und im federnd-dynamischen Pulsieren zeigt sich besonders ausgeprägt die in ihr steckende rhythmische Energie.

Jedem Interessierten sei die Gesamtausgabe besonders empfohlen. Nur diese enthält nämlich eine hochinteressante Bonus-CD mit den vor den jeweiligen Konzerten in Deutsch vorgetragenen Werkeinführungen. Wie anhand von Klangbeispielen demonstriert wird, ist die hier mit einem modernen Sinfonieorchester eindrucksvoll praktizierte „Historische Aufführungspraxis“ kein akademischer Gag, sondern weist vielmehr den Weg zu einer von schlichtweg unangebrachtem, in späteren romantischen Zeiten nachträglich „aufgepfropftem“ Pathos befreiten, weniger sentimentalen, sachlicheren und damit nicht einfach nur „modernen“, sondern vielleicht sogar zeitlosen Sichtweise. Eine, die dem herausragenden Sinfonienzyklus m. E. nämlich eindeutig gerechter wird, indem die Musik den Geist der Zeit ihrer Entstehung bewahrt. Norrington betont bei der „Eroica“: „Mozart und Haydn wären zwar entsetzt gewesen, aber sie hätten diese Musik als (erweiterte) Klassik trotzdem verstanden.“

Mag man die von mir aufgestellte These nun für treffend oder auch nicht halten; in jedem Fall ist Norringtons aktueller Zyklus der Beethoven-Sinfonien eine spannende (Hör-)Angelegenheit für Entdeckungs- und Experimentierfreudige. Das SWR-Radio-Sinfonieorchester Stuttgart liefert in den Live-Aufnahmen eine überaus disziplinierte, präzise Darbietung und zeigt beträchtliche Spielfreude, die das anwesende Publikum hörbar begeistert quittiert. Auch aufnahmetechnisch gibt es nichts großartig zu bemängeln: Der Orchesterklang ist sogar vorzüglich durchhörbar und auch die Live-Nebengeräusche bleiben in mehr als nur erträglichen Grenzen.

Erschienen:
2003
Sampler:
Hänssler Classics
Kennung:
93.089 (6 CDs im Schuber)
Zusatzinformationen:
RSO Stuttgart des SWR, R. Norrington

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