Edle British Light Music: Albert Ketèlby

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
21. August 2023
Abgelegt unter:
CD, Hören, Klassik, Sampler

Zwei bemerkenswerte CD-Neuerscheinungen aus Großbritannien von Dutton Epoch: Albert Ketèlby (1875-1959)

„British Light Music“, das ist immer eingängige, aber zugleich häufig edel gemachte sinfonische Unterhaltungs- und Wohlfühlmusik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Albert Ketèlbey darf wohl als einer der berühmtesten und erfolgreichsten Vertreter dieser so charakteristischen britischen Kunstgattung bezeichnet werden. Insbesondere seine exotisch gefärbten Charakterstudien, zu Klang gewordene Impressionen aus fernen Regionen, wurden seit den 1920er Jahren auch auf dem Kontinent besonders bekannt. Zwei Stücke erfreuten sich dabei ganz außerordentlicher Beliebtheit: „In a Persian Market (Auf einem persischen Markt)“ sowie „In a Monastery Garden (In einem Tempelgarten)“. Besagte befanden sich übrigens auch vereint auf einer der bruchempfindlichen 78er Schellack-Schätzchen in der elterlichen Schallplattensammlung und waren dem Rezensenten bereits in seinen besonders frühen Jahren geläufig, als er des Lesens noch nicht bewandert war, die Platten allerdings anhand der markant unterschiedlichen Labelaufdrucke zu unterscheiden vermochte. Erfreulicherweise bleiben diese und auch weitere der Ketèlbey-Hits auf dem vorliegenden Album außen vor, denn diese sind diskografisch anderweitig bereits völlig ausreichend verewigt.

Der aus Birmingham stammende Albert William Ketèlbey erwies sich bereits im Kindesalter als musikalisch besonders talentiert. Bereits mit elf komponierte er eine Klaviersonate, die sogar Edward Elgar lobte. Im Alter von dreizehn Jahren erhielt er ein Stipendium für ein Kompositionsstudium am Trinity College of Music in London. Nach einem glänzend absolvierten Studium hätte er, dessen erste konventionelle klassische Fingerübungen durchaus Anklang fanden, eine entsprechende Karriere anstreben können. Doch Albert zeigte bereits Mitte der 1890er Jahre eine zunehmende Hinwendung zur gehobenen Unterhaltungsmusik.

Noch während seiner Zeit an der Hochschule hatte er zahlreiche kurze Stücke veröffentlicht. Interessanterweise erschienen davon aber nur die „seriösen“ unter seinem richtigen Namen. Salonpiecen etwa publizierte er unter dem Pseudonym Raoul Clifford. Drolligerweise ist die für die Namensschöpfung Pate gestandene Clifford Street eine Durchgangsstraße in der Nähe der Alma Street, in der sein Geburtshaus stand. Desweiteren arbeitete er für diverse meist sehr kleine Musikverlage und verdiente sich etwas hinzu indem er sowohl Bearbeitungen von Orchestermusik für Klavier solo anfertigte, als auch Klassiker des Klavierrepertoires für den expandierenden Markt der zunehmend beliebter werdenden Salonorchester orchestrierte. Dieses somit vielfältig praktizierte Handwerk des Arrangierens war zweifellos von unschätzbarem Wert für seine weitere Entwicklung hin zu dem so routinierten wie eleganten Tonsetzer sowohl für das Klavier als auch die große Orchesterbesetzung als den ihn auch das aktuelle Dutton-Epoch-Album unüberhörbar ausweist.

Bis zu seinem Durchbruch im Light-Music-Genre mussten allerdings noch einige Jahre ins Land gehen. Sein erster großer Hit in dieser Disziplin wurde das o.g. „In a Monastery Garden“, komponiert im Jahr 1914, das im Folgejahr sowohl als Klavierstück als auch in orchestrierter Form erschien und ihm enormen, auch monetären Erfolg bescherte. 1920 erschien „In a Persian Market“, zweifellos eine seiner bekanntesten Kompositionen. Fortan blieb der Komponist auf der Light-Music-Erfolgsspur und wurde in Großbritannien auch aufgrund diverser Versatzstücke zur pianistischen Begleitung für  Stummfilme zunehmend populär. Ab Mitte der 1920er-Jahre wurde er dann auch auf dem Kontinent durch Konzertengagements zunehmend bekannter. Vom kontinentalen Publikum wurde er oft als der „englische Strauss“ bezeichnet. Er gab Konzerte in Belgien, Deutschland, Frankreich, der Schweiz und insbesondere in den Niederlanden, was letztlich wohl auch das o.g. Schellackschätzchen in der elterlichen Sammlung überzeugend erklärt.

Wie bereits angemerkt fokussiert das vorliegende Album erfreulicherweise auf insbesondere dem Kontinent eher kaum mehr geläufige Werke und damit hierzulande Ketèlbey-Raritäten. Bereits der Einstieg mit der dreiteiligen Suite „In Holiday Mood (In Feiertagsstimmung)“ fällt etwa mit den betörenden Celesta-Soli im 2. Satz absolut delikat aus. Das Vorbild dafür ist wohl eindeutig bei Tschaikowskis Nußknacker-Ballett und dem „Tanz der Fee Dragee“ zu verorten. Ähnlich klangschön sind auch die beiden weiteren ebenfalls dreiteiligen orchestralen Suiten „Three Fanciful Etchings (Drei phantasievolle Radierungen)“ und „In a Fairy Realm (In einem Feenreich)“, die mit charmant und erfindungsreich umgesetzten Einfällen aufwarten. Neben den in letztgenannter Suite tanzenden Feen und marschierenden Gnomen gibt’s noch als längstes Einzelstück einen nicht ganz ernsthaften, sondern humoristisch-augenzwinkernd gefärbten Ausflug ins antike Britannien „In a Camp of the Ancient Britons (In einem Lager der alten Briten)“. Das ist eine reizende kleine Tondichtung mit musikalischen Illustrationen, welche eine schon ein wenig an Asterix nebst Obelix gegen die Römer erinnernde imaginäre Handlung durchaus nett nachzeichnen.

Des Weiteren stehen zwei reizende, klanglich-exotische, japanische Impressionen auf dem Programm mit „A Japanese Carnival (Japanischer Karneval)“ und „From a Japanese Screen: Intermezzo (Von einer japanischen Leinwand: Intermezzo)“. Und auch dem Treiben der amerikanischen Ureinwohner wird drollig musikalisch Referenz erwiesen in „Wildhawk: A Descriptive Indian Romance (Der Wanderfalke: Eine indianische Romanze)“. Daneben gibt’s Walzerseliges, wenig militärisch anmutende Märsche sowie einen hübschen Ausflug in den Ragtime zu entdecken. Eine weitere echte Perle der vorliegenden CD ist das anlässlich des sechsten Geburtstags der zukünftigen Königin Elisabeth II. komponierte „A Birthday Greeting“, mit seinen charmanten Einwürfen aus Vogelgezwitscher und Glocken.

Auch wenn alles schöner, ja märchenhafter klingt um noch „wahr“ sein zu können, das hinter dieser Art von Wohlfühlmusik vergangener Tage steckende handwerkliche Können ist beachtlich. Das wird neben der durchweg attraktiven Melodik auch anhand der überaus geschickt und effektvoll ausgestalteten Orchestrierungen deutlich. Neben pikanten Holzbläsereinlagen sorgen auch häufiger Einsprengsel des Glockenspiels und insbesondere der Celesta für wohligen Klangkomfort. Sicher ist das hier zu Hörende auf den populären Geschmack der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zugeschnitten. Heutzutage erscheint es in weiten Teilen geradezu als eine eskapistische, märchenhafte Fantasie, die man tendenziell schon auch mal als die spätkoloniale Ära unangemessen verklärend ansehen mag. Allerdings sollte man es mit dem Politisieren bei Musik auch nicht übertreiben, um dabei nicht zu riskieren leichtfertig über das Ziel hinauszuschießen. Das so unverwechselbar Entrückte macht diese Stücke ja wiederum gerade durch ihren nostalgischen Ausdruck oftmals ungemein sympathisch.

Martin Yates und das vorzüglich disponierte BBC Concert Orchestra sind in Top-Form und liefern unterstützt von einer vorzüglichen Tontechnik  mitreißende, prachtvoll klingende Darstellungen dieser edlen, hierzulande wenig geläufigen Perlen der British Light Music. Dass das mit beträchtlichem Elan interpretierte Album (sowohl im hochauflösenden SACD- als auch im CD-Format abspielbar) auch noch mit einer besonders großzügigen Spielzeit von rund 83 Minuten aufwartet, die fast auf dem Level zeitgenössischer Konzertdarbietungen liegt, ist ein weiterer Pluspunkt. Ein informatives Begleitheft gehört ebenfalls dazu. Auch wer von Ketèlbey bisher vielleicht noch überhaupt nichts gehört hat, kann hier praktisch risikolos zugreifen. Er dürfte von diesem britischen Meister genussvoller sinfonischer Unterhaltung kaum enttäuscht werden. Ein Vol. 2 in nicht allzu ferner Zukunft sollte Dutton daher durchaus in Erwägung ziehen.

Zu Neuerscheinung Nr. 2 von Dutton Epoch, der Gesamteinspielung der Filmmusik zu 49th Parallel (Ralph Vaughan Williams), geht’s hier.

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Originaltitel:
Albert Ketèlbey

Erschienen:
2023/04
Land:
Großbritannien
Gesamtspielzeit:
82:29 Minuten
Sampler:
Dutton-Epoch (Dutton Vocalion website)
Kennung:
SACD CDLX7407
Zusatzinformationen:
SACD-Album, BBC Concert Orchestra, Martin Yates conductor

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