Objective Burma

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
21. November 2000
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Objective Burma • Der Held von Burma startete in den amerikanischen Kinos im Januar 1945 und gehört zu den Kriegsfilmen dieser Ära, die auch heutzutage noch ansehbar sind. Der Film erzählt die Geschichte eines fiktiven Kommandounternehmens: Eine Einheit von etwa 50 Fallschirmjägern, angeführt von Captain Nelson (Errol Flynn), wird 1944 hinter den feindlichen Linien in Burma abgesetzt, um eine japanische Radarstation zu zerstören. Das Vorhaben gelingt, aber der Versuch, die Männer anschließend aus dem Gebiet auszufliegen, scheitert. Die Truppe teilt sich daher in zwei Gruppen, die unabhängig voneinander versuchen müssen, die eigenen Linien zu erreichen. Nur Nelson und eine Hand voll seiner Männer werden nach großen Strapazen und harten Dschungelkämpfen gerettet …

1360Als Regisseur Raoul Walsh 1944 für Warner Objective Burma inszenierte, befanden sich die Alliierten an allen Fronten auf dem Vormarsch und die Achsenmächte in der Defensive. Auch wenn der Sieg damit näher gerückt war, die an diesem Filmprojekt Beteiligten wussten genau, dass bis dahin noch viele Opfer erbracht werden müssten. Das aus diesem Bewusstsein resultierende Opferpathos, welches sowohl die Handlungen vieler Soldaten als auch der Daheimgebliebenen bestimmte, hat Franz Waxmans Filmmusik geprägt — aber nicht derart, dass sie überzogen heroisch, pathetisch klingt. Der erste Track der CD präsentiert alle wichtigen Themen der Musik. Das exotische Burma-Motiv erklingt zur Eröffnung zweimal, jeweils nach einem wuchtigen Tam-Tam-Schlag. Ein fanfarenartiges Trompetenmotiv schließt sich an und mündet in ein heroisch-kraftvolles, sehr gelungenes Marschthema für die Fallschirmjäger, das auch im weiteren Verlauf in teilweise kunstvoll variierter Form eine wichtige Rolle spielt.

Schon Charles Gerhardt hat in den Siebzigern im Rahmen seiner „Classic Film Score Series: Captain Blood — Classic Film Scores for Errol Flynn“ den Eröffnungs-Marsch äußerst effektvoll mit der Begleitmusik zum Absprung der Fallschirmjäger kombiniert, einem weiteren Höhepunkt der Partitur. Das Nacheinander von breitorchestralem prachtvollen Marsch und die im Gegensatz dazu relativ sparsam und subtil gestaltete musikalische Illustration des Absprungs der Fallschirmjäger wirkt durch diesen musikalischen Kontrast besonders packend. Unregelmäßige Zick-Zack-Figuren der Violinen symbolisieren, dass jeder Springer ein Spielball der Luftströmungen ist und in unterschiedlicher Richtung zu Boden schwebt. Die Verlassenheit des im Dschungel gelandeten Platoons, das nun auf sich allein gestellt ist, versinnbildlicht nur noch eine einsame Flöte, die das jetzt nicht mehr heroisch anmutende Marschthema erklingen lässt.

Auf der Marco-Polo-Einspielung erklingen diese Musikteile in chronologischer Abfolge und damit in anderem musikalischem Kontext. Beim ersten Hören war ich sogar ein wenig enttäuscht: Speziell der Absprung der Fallschirmjäger wirkt in der Neueinspielung, da vom Main-Title-Marsch weiträumig getrennt, doch ein Stück blasser als in der Gerhardt-Aufnahme. Ein eingehenderer Vergleich offenbart aber, dass nur ein Teil der Wirkung in der zweifellos geschickten Kopplung der beiden sehr unterschiedlichen Stücke begründet ist. Charles Gerhardt hat sich vielmehr in Teilen des Arrangements und der zweifellos sehr gekonnten Interpretation (in bester Absicht) einige Freiheiten gegenüber dem Original genommen, um seine Konzert-Kurzfassung besonders effekt- und wirkungsvoll zu gestalten.

John Morgan und William Stromberg hielten sich dagegen strikt an das Original und haben die Musik in Teilen sogar sorgfältig und mühevoll restauriert, um den ursprünglichen Absichten Waxmans gerecht zu werden. In Sachen Rekonstruktion und Neueinspielung von Filmmusiken des „Golden Age“ haben die beiden ihre praktisch konkurrenzlose Position weiter gefestigt. Das Resultat erweist sich auch dieses Mal — besonders nach mehrmaligem Hören — als erstklassig und voll überzeugend! Ein Teil der fantastischen Wirkung geht auch auf das Konto des ungemein präzisen und geschmeidigen Spiels des Moskauer Sinfonie-Orchesters. Es ist schon klasse, wie hervorragend die russischen Musiker in der Zwischenzeit diese Art von Musik im Griff haben.

Bemerkenswert an Waxmans meisterlich gearbeiteter Action-Filmmusik ist, dass sowohl übertriebenes heroisches Pathos als auch übermäßig viel fernöstliche Klangexotik bewusst vermieden werden. Der Komponist arbeitet mit einem groß besetzten Ensemble, das er in Tutti-Passagen sehr effektvoll einsetzt. In den ausgedehnten kammermusikalisch und transparent gehaltenen Teilen der Komposition kann man dann auch sein souveränes Können in der Handhabung von Instrumentalsoli, dem ausgeklügelten Zusammenwirken kleiner Instrumenten-Gruppen und dem Gestalten innovativer, raffinierten Klang-Effekte bestaunen. Es ist schon bewundernswert, wie es Waxman gelingt, den wechselnden Emotionen der Soldaten — Freude, Hoffnung, Wut und tiefe Verzweiflung — aber auch den Spannungselementen der Film-Story durch subtil ausgearbeitete vielfältige Klangkombinationen (wie dem Schlagen der Bogen auf die Stege der Streichinstrumente) starken Ausdruck zu verleihen. Hier zeigt sich ein ganz Großer des Metiers, für den Filmkomposition keineswegs eine Routine-Tätigkeit gewesen ist!

Franz Waxman stand hohlem Pathos und Militarismus wohl ablehnend gegenüber und hat in dieser Kriegs-Filmmusik den zum Teil harschen und meist recht realistisch wirkenden Filmbildern entsprechend zugearbeitet. Seine Filmmusik zu Objective Burma setzt das Pathetische eher sparsam und zurückhaltend ein: Das Marschthema hat zwar durchaus die Funktion eines wichtigen Leitmotivs, wird aber in seiner heroischen Form nur selten eingesetzt und erklingt während des Kommandounternehmens und dem verlustreichen Rückmarsch durch den Dschungel überwiegend sehr dezent und wirkt damit eher nüchtern und sachlich. Waxman vermeidet so aufgesetztes Pathos und eher penetrant wirkende musikalische Glorifizierung der militärischen Aktion und ihrer Helden. Seine Komposition überzeugt daher auch noch heute. Wenn das kleine Häuflein Überlebender entsetzt wird, spiegelt seine Musik zwar die Freude und Erleichterung der Soldaten wider, aber eine heroische musikalische Siegesfeier bleibt aus: es erklingt vielmehr im Finalstück ein dezentes orchestrales Requiem für die Gefallenen der verlustreichen Operation.

2396Auch für diese Filmmusik-Veröffentlichung des Marco-Polo-Labels gilt das von mir zur Roy-Webb-Veröffentlichung (siehe auch The Cat People) Geschriebene. Zweifellos wird das Bild vom „Golden Age“ auch durch diese wertvolle zweite Waxman-CD-Veröffentlichung nicht allein quantitativ bereichert, sondern zugleich vielfältiger und stimmiger. Nach der Einspielung von Waxmans Musik zu Mr. Skeffington ist die neue CD mit der Musik zu Objective Burma ein weiterer wichtiger Mosaikstein im Bild des Komponisten. Einmal mehr zeigt sich aber auch, dass Kurzsuiten großer Filmmusiken nur ein unzulängliches (Teil-)Bild vermitteln. Waxman zeigt sich auchdiesmal nicht allein handwerklich über jeden Zweifel erhaben, man spürt darüber hinaus in seiner Musik das durchdachte Konzept und damit einen Intellekt, den man nicht als selbstverständlich bezeichnen kann. In vielen Passagen ist seine Musik zudem harmonisch kühn und modern: Waxman experimentierte und schuf dabei neue Standards in der Filmvertonung. In Teilen steht seine Kompositionstechnik der von Dmitri Schostakowitsch nahe, einem der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Bei Warner war man sich der außerordentlich hohen Qualität der Musik zu Objective Burma offenbar bewusst. In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren wurden Teile der Musik von Ray Heindorf und anderen Arrangeuren umgearbeitet und für verschiedene Warner-Kriegs-Filme wieder verwendet, z. B. für Merrill’s Marauders • Durchbruch auf Befehl (1961).

Das sehr informative 30 Seiten starke Booklet unterstreicht den außerordentlich hohen Rang, den man Waxman in der Geschichte des Golden Age wird zubilligen müssen. Zu den Großen gehört er schon lange, dass er gleichrangig mit Spitzen-Komponisten wie Korngold und Herrmann ist, wird erst jetzt voll deutlich. Der hohe Stellenwert der vorliegenden Marco-Polo-CDs macht auf mehr „Waxman“ neugierig. John Morgan schreibt hierzu sinnigerweise in seinem Booklet-Text: „… in 1997 we recorded a full album of music from Mr. Skeffington and now with Objective Burma, we still have only scratched the surface of this most marvelous and inventive composer …“

Ein Blick in Waxmans Filmografie lässt ahnen, wie viel hörenswerte und wertvolle Filmmusik dieses Komponisten — nicht allein aus den wohl besonders innovativen „Warner Years“ — noch zugänglich gemacht werden könnte! Nun, in jedem Fall bleibt zu wünschen, dass dem erfolgreichen Team „Morgan und Stromberg“ die Puste in Sachen Waxman (und nicht nur da) nicht so schnell ausgehen möge.

Fazit: Mit der Neueinspielung von Waxmans Musik zu Objective Burma hat das für Marco Polo schwerpunktmäßig Filmmusik einspielende Duo John Morgan und William T. Stromberg erneut ein sehr überzeugendes und wichtiges Album vorgelegt. Waxmans Tonschöpfung zu Raoul Walshs Kriegsfilm aus dem Jahr 1945 ist eine ungewöhnliche und in Vielem innovative Kino-Komposition. Frei von triefendem Pathos und sonstigen unnötigen Klischees präsentiert sich hier eine überaus intelligent gemachte, mit raffiniert auskomponierten Klängen durchsetzte klassische Action-Filmmusik von hoher Qualität — in der Wertigkeit rangiert sie dicht hinter der zu Mr. Skeffington. Als Hör-Album ist Objective Burma nicht ganz so leicht zugänglich wie Mr. Skeffington, aber es lohnt sich, etwas Einhörarbeit zu leisten.

Die Moskauer Sinfoniker interpretieren diese Musik mit bewundernswerter Hingabe und spieltechnischer Brillanz, die Aufnahmetechnik zeigt sich ebenfalls von ihrer besten Seite. Das Booklet ist im inzwischen sehr guten Marco-Polo-Standard gehalten und damit sehr informativ und liebevoll gestaltet. Für Freunde der Filmmusik des Golden Age ist dieses Album ein (weiteres) klares Muss.

Komponist:
Waxman, Franz

Erschienen:
2000
Gesamtspielzeit:
71:38 Minuten
Sampler:
Naxos
Kennung:
8.557706

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