The Turn of the Screw/The Nightcomers
In „The Turn of the Screw“ (geläufigster deutscher Titel „Die sündigen Engel“) kämpft eine junge Gouvernante auf einem Landsitz im viktorianischen England um die ihr anvertrauten beiden jungen Schützlinge (Flora und Miles), die von den Geistern zweier Toter – denen ihrer Vorgängerin und des Dieners Peter Quint – besessen scheinen.
Der nordamerikanische Erzähler Henry James (1843-1918) hat in seiner berühmten Novelle eine düstere Gespenstergeschichte mit stark Freudschen Untertönen geschrieben, die mit den romantischen Schauergeschichten eines Edgar Allan Poe kaum etwas gemein hat. In „The Turn of the Screw“ bleiben Handlung und Charaktere in vielem unbestimmt, wie in einer Traumwelt angesiedelt: eine Geschichte die mehr aus dunklen Andeutungen besteht, denn aus eindeutigen Erklärungen. Dabei lassen tiefenpsychologische Ausdeutungen auch Schlüsse auf sexuelle Triebhaftigkeit und Hörigkeit zu, aber Doppeldeutigkeit und Unbestimmtheit der Vorlage lassen letztlich nahezu alles in der Schwebe. Ist die Bedrohung der Kinder überhaupt real oder entspringt sie nur der hysterischen Fantasie der Gouvernante? Bedeutet der letzte Ausruf von Miles „Peter Quint, Du Teufel!“ wirklich Erlösung oder ist er vielmehr eine Huldigung diabolischer Mächte? Diese und viele andere aufgeworfene Fragen bleiben letztlich der Interpretation des Lesers überlassen.
Der britische Komponist Benjamin Britten (1913-1976) formte aus dem modern-eigenwilligen Stoff eine Kammeroper, die 1954 in Venedig uraufgeführt worden ist. Mit der vorliegenden Neueinspielung ist das markant-eigenwillige Werk jetzt erstmalig auch im EMI-Katalog vertreten. Der Tenor Ian Bostridge verkörpert hier sowohl lyrisch als auch ausdrucksstark den Peter Quint und zugleich den Erzähler des Prologs. Joan Rodgers als Gouvernante und auch die von Kindern interpretierten „sündigen Engel“ vermögen zu überzeugen. Der junge Dirigent Daniel Harding (geboren 1975) geht mit dem 1997 in Berlin von Claudio Abbado gegründeten Mahler Chamber Orchestra energisch und subtil zugleich zur Sache. Es gelingt ihm Brittens Klangzauber sinnlich erfahrbar zu machen, indem er sowohl das pastoral-unschuldig Romantische herausarbeitet, dabei aber auch „Das Böse“ spürbar werden lässt.
„The Turn of the Screw“ ist ein Werk, das vielen unmittelbar kaum als Ohrwurm erscheinen dürfte. Die hier zu leistende Einhörarbeit ist viel mehr als nur lohnend, sie ebnet den Weg zu einem äußerst vielschichtigen Meisterwerk des Komponisten. Ob man auch in diesem Werk eine Spiegelung des Kampfes seines Schöpfers gegen seine Homosexualität sehen will, ist letztlich weniger bedeutsam. Britten gelang es auf faszinierende Weise – mit der sich hier als kongenial erweisenden kammermusikalischen Transparenz, und durch harmonische Vielfalt (von Verismo, lyrisch-sinnlichen Vokalisen bis hin zum schlichten Volkslied) – eine schier unglaubliche Fülle von inneren wie äußeren Stimmungen in Töne zu fassen. Die Klarheit der einzelnen Klangfarbe steht hierbei eindeutig im Vordergrund 13 Musiker spielen auf 28 Instrumenten. Interessanterweise ist die Celesta das kennzeichnende Instrument für den Verführer der Kinder, Peter Quint. Das kleine Ensemble vermag dabei nicht nur die lyrisch-zarten, sondern ebenso die unruhigen und dramatischen Momente des Dramas perfekt zu gestalten – und klingt dabei in Teilen sogar überraschend voll und wuchtig.
Das Werk besteht aus zwei Akten, aus jeweils acht annähernd gleichlangen Szenen, die durch ausdruckstarke Orchesterzwischenspiele verbunden sind. Diese sind zugleich Variationen des im Prolog vorgestellten Motivs der „Schraube“, das alle 12 Töne der chromatischen Skala enthält. Dieses fungiert nicht personenbezogen, sondern steht schicksalhaft für sämtliche Figuren der Handlung. Die Bühnenfassung von Henry James’ Vision eines nicht unmittelbar greifbaren „Bösen“ erweist sich auf ganz besondere Weise als Vertreter von Brittens moderner, sich dabei aber keinem Zeitgeist unterordnenden musikalischen Sprache.
The Innocents • Schloss des Schreckens (1961) ist eine atmosphärisch gelungene filmische Umsetzung von Henry James’ Vorlage, basierend auf dem Drehbuch von Truman Kapote, der William Archibalds Fernsehdramatisierung brillant für das Kino umsetzte. Besonders überzeugt die erstklassige schauspielerische Leistung von Deborah Kerr als junge Gouvernante. Regisseur Jack Clayton ließ durch Kameramann Freddie Francis in CinemaScope – und für die albtraumhafte Atmosphäre entscheidend – in Schwarzweiß drehen.
Im Jahr 1972 verfilmte Michael Winner in The Nightcomers • Das Loch in der Tür die Vorgeschichte zum o. g. Henry-James-Klassiker. Drehbuchautor Michael Hastings hat zu Henry James’ Novelle „The Turn of the Screw“ ein interessantes, wenn auch nicht vollkommen logisches Vorspiel geschrieben, das Kameramann Robert Paynter im Herbst und Winter auf einem schönen britischen Landsitz in Cambridgeshire in sehr stimmungsvollen Bildern eingefangen hat. Sicher, jetzt muss die Story natürlich „Farbe bekennen“, das in der Vorlage von Henry James unbestimmt Gelassene eindeutig interpretieren, und unterstellt dabei auch sexuelle Hörigkeit. Der von Marlon Brando faszinierend dargestellte Peter Quint wird hier zum Verführer. Ein gespaltener Charakter: gütig und liebenswürdig, aber genauso bemitleidenswert und Furcht erregend. Mit seiner brutalen sadomasochistischen Philosophie und Veranlagung zieht er sowohl die (erste) Gouvernante Miss Jessel als auch die leicht beeinflussbaren Kinder in seinen Bann. Schließlich sind Miles und Flora für den Tod beider „verantwortlich“ …
Eine Atmosphäre voll unterschwelliger Bedrohung und Entsetzen hinter einer leichten, scheinbar harmlosen Oberfläche bestimmt Michael Winners Film. Wobei der Blick durch „Das Loch in der Tür“ ohne Jerry Fieldings überaus melodische und mitunter auch sehr melancholische Musik wohl nur halb so reizvoll wäre. Manches klingt dezent nach liedhafter englischer Folklore, aber der moderne Komponist Fielding blickt auch ebenso stilvoll und souverän zurück auf Wiener Klassik und Romantik. Seine Komposition reflektiert exakt die Atmosphäre des Films, macht durch gelegentliche Schärfe in der Harmonik das Brodeln unter einer polierten, schön und harmlos scheinenden Oberfläche deutlich – etwas, was sich in den gekonnt eingefangenen Landschaftsaufnahmen im Wechsel der Jahreszeiten ebenfalls spiegelt.
The Nightcomers auf DVD
Die Kinowelt-DVD präsentiert den Film im korrekten Bildseitenverhältnis von 1 : 1,85 in sehr guter Bildqualität. Das in Sachen Kontrast, Farbe, Durchzeichnung und Schärfentiefe Gebotene lässt wenig zu wünschen übrig und dürfte der bestmöglichen Vorlagenqualität entsprechen.
Den Ton gibt es sowohl in Deutsch wie auch in Englisch. Beides in sauberem Mono, wobei jedoch Jerry Fieldings schöne Musik in der englischen Originalfassung klarer klingt.
Die Ausstattung ist bescheiden: Als zusätzliches Material sind nur ein Teaser und ein Kino-Trailer in guter Qualität vorhanden.
Mehrteilige Rezension:
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