All This And Heaven Too / A Stolen Life

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
6. September 2003
Abgelegt unter:
CD

Score

(5/6)

Marco Polos neues Max-Steiner-Album firmiert unter dem Oberbegriff „Music for the Bette Davis Films“, was ein wenig Erinnerungen wachruft an Charles Gerhardt und seine berühmte „Classic-Film-Score-Series“ mit Einspielungen für RCA in den 70er Jahren. Auf dem ähnlich betitelten Gerhardt-Album „Classic Film Scores for Bette Davis“ finden sich bereits der Main Title aus A Stolen Life • Die große Lüge (1946) und als Highlight eine immerhin knapp 8-minütige, sehr charmante Suite aus All This and Heaven Too • Hölle, wo ist dein Sieg? (1940).

Das Metier von Bette Davis, einer der wandlungsfähigsten Schauspielerinnen der ausgehenden 30er und 40er Jahre, war das Melodram. Die Filmgattung, die mit ihren „Herz-Schmerz-Geschichten“ und oftmals üppiger Ausstattung (in einer dem jeweiligen Zeitgeschmack angepassten Form) sowohl im Kino als auch im TV immer besonders populär war und bis heute geblieben ist.

In A Stolen Life agiert die große Schauspielerin in einer Doppelrolle, spielt zwei charakterlich stark unterschiedliche Zwillingsschwestern. Wie man sich denken kann, ist die eine gut und edelmütig, die andere böse und berechnend, was natürlich zu Komplikationen und Verwicklungen führt.

All This and Heaven Too (inszeniert von Anatole Litvak) geht zwar auf einen historischen Fall zurück, ist im Resultat allerdings eine dramatisierte und romantisierte Kostümstory – nach einem Bestseller von Rachel Field. Angesiedelt im Frankreich des Jahres 1841, geht es um Henriette Deluzy-Desportes (verkörpert von Bette Davis), die eine Stellung als Gouvernante und Erzieherin der Kinder des Herzogs (Charles Boyer) und der Herzogin de Praslin annimmt. Bald sowohl von den Kindern als auch vom Herzog (mehr als nur) hochgeschätzt, zieht sie Eifersucht und Hass der despotischen und paranoiden Herzogin auf sich. Eine aussichtslose Dreiecksgeschichte, die schließlich in der Ermordung der Herzogin von der Hand ihres Gatten kulminiert. Die ebenfalls unter Komplottverdacht stehende Henriette wird durch ein Geständnis auf dem Sterbebett des durch Gift den Freitod suchenden Herzog entlastet.

All This and Heaven Too ist erstmalig am 21.11.1964 in der ARD unter dem Titel Das Glück in der Glaskugel gezeigt worden. Vermutlich in der, gegenüber der auf 101 Minuten gekürzten Fassung von 1947, Original-Länge von 140 Minuten; wobei durch die Neusynchronisation die Steiner-Musik fast vollständig verloren gegangen ist – siehe auch They Died with Their Boots On.

2343Beide Filmmusiken sind klangvolle Beispiele für das von Steiner besonders bevorzugte Kinosujet. In beiden Melodrammusiken zeigt sich auch der Wiener Charme, indem den Heroinen elegante Walzerthemen zugeordnet sind. Eine feinsinnige, überaus anschmiegsame Untermalung, welche die Stimmung der Szenen (insbesondere die der Dialogpassagen) geradezu perfekt einfängt: die Musik und das Gezeigte sind vollkommen zur Einheit verschmolzen. Unmittelbar auffällig sind die breit ausschwingenden melodischen Themen und der ausgiebige Gebrauch von Harfe und Celesta, was für eine besonders lyrisch-sinnliche und gefühlvolle Grundstimmung der Tonschöpfungen steht.

Die große, rund 45-minütige Suite aus All This and Heaven Too erweist sich beim eingehenderen Hören als die reichhaltigere der beiden Musiken. Das Thema für Henriette zählt zu den schönsten Eingebungen des Komponisten und die ganz besonders klangsinnlichen und gefühlsbetonten Klänge verleihen gerade dem im Film nur Angedeuteten starken Ausdruck: der tiefen Zuneigung zwischen dem Duc und Henriette – einer unerfüllten Liebe, die infolge der strengen Konventionen dazu verurteilt ist, rein platonisch zu bleiben. Hier wird auch ohne eingehendere Kenntnis des Films die enge Verquickung von Musik und Dialog deutlich. So rückt in Track 9 die Musik im betörend schwelgerischen Ausdruck passagenweise in die Nähe der seines Landsmannes Franz Schreker – dessen Werke Steiner allerdings kaum gekannt haben dürfte. Wobei die Tracks 8, 9 und 11 außerdem die opernhafte, in relativ langen szenischen Blöcken angelegte Vertonungsweise des Komponisten eindrucksvoll belegen.

Sehr hübsch anzuhören ist die von Steiner für eine Szene im Opernhaus gekonnt, festlich-prunkvoll arrangierte, Ouvertüre zu C. W. Glucks Oper „Armide“ (Track 4). Das im Film schließlich doch nur zum Teil verwendete Stück ist auf der CD erstmalig in der ursprünglich vorgesehenen Länge zu hören. Ebenfalls sehr gelungen sind (in Track 8) die tonmalerisch-stürmisch und auch unheimlichen Klänge zur Halloween-Nacht, wofür zwei Harfen, zwei Klaviere, Celesta, Orgel, Streicher und ein kleiner Chor verantwortlich sind. Und ebenso überzeugt ein bezauberndes Stückchen klingender Rummelplatz-Atmosphäre in „Carousel“ (Teil von Track 8), wo die Gruppe des umfangreich eingesetzten Schlagwerks von sogar sieben Spielern bedient werden muss.

In A Stolen Life findet sich neben einer Portion tonmalerischen nautischen Feelings nicht nur ein Hauptthema, das Steiner in A Summer Place (1959) wieder verwendet hat, sondern auch ein nostalgischer Rückblick auf die frühen Jahre bei RKO. Während die „Shopping Tour“ aus Sweepings (1933) kaum jemandem geläufig sein dürfte, ist dies wohl merklich anders bei der Reprise seiner atmosphärisch-geheimnisvollen Untermalung für die nebelverhüllte Insel in King Kong (1933) – Track 16.

Unterm Strich damit erneut ein sehr schönes Album mit repräsentativ ausgewählten Suiten klassischer Filmmusik des Teams John W. Morgan und William T. Stromberg aus dem Hause Marco Polo. Die Moskauer Sinfoniker treffen den typischen Tonfall der Steinerschen Musik hervorragend und verwöhnen den Hörer mit schwelgerischem Klang. Auch tontechnisch gibt es im sehr offenen und transparenten Klangbild nichts zu bemängeln. Sehr informativ und kompetent sind die Booklettexte von John W. Morgan und Rudy Behlmer. Hier gibt es ausführliche Infos zu den Filmen, ebenso zur Musik – einige reizvolle Partiturseiten in Kopie obendrein. Und auch ein sehr nostalgisches Kapitel über „The Warner Orchestra“ (in den 40ern) fehlt nicht. Damit ist die neue Marco-Polo-Steiner-CD eine willkommene Bereicherung der Max-Steiner-Diskografie.

In der mittlerweile beachtlichen Reihe (innerhalb der Film-Music-Series des Marco-Polo-Labels) mit in vielem exemplarischen Alben wichtiger Filmmusiken Max Steiners zeichnet sich die vorliegende CD in besonderem Maße durch hohe Hörqualitäten aus. Nicht nur dem Fortgeschrittenen, sondern auch dem, der mit Steiners Filmmusiken ersten eingehenderen Kontakt sucht – und nicht unbedingt einen breiter gefächerten Sampler haben möchte – sei diese CD daher wärmstens empfohlen. Und überhaupt macht diese Kompilation Lust auf mehr. So schön manche der entsprechenden Suitenkompilationen Charles Gerhardts nach wie vor auch wirken, sie sind fast immer ein (notwendiger) Kompromiss im Rahmen des seinerzeit Machbaren. John W. Morgans längere Suitenfassungen sind bemüht, alles essentielle Material der betreffenden Filmmusik zusammenzufassen und werden damit den Kompositionen wesentlich gerechter. Aus dem recht großen Fundus der Steinerschen Melodram-Scores dürfte problemlos hörenswertes Material für mindestens zwei weitere ähnlich hochwertige Alben zu gewinnen sein.

Bewertungsmäßig verdient die besonders reichhaltige Musik zu All This and Heaven Too fünf Sterne; A Stolen Life rangiert ein Stück dahinter, ist – insbesondere innerhalb des Steiner-Kanons – mit vier Sternen stimmig eingeordnet. Als (gesamte) Albumbewertung halte ich fünf Sterne für angemessen.

Wie John W. Morgan in den Music Notes ausführt, bezeichnete Bernard Herrmann seine lyrische Vertonung für The Ghost and Mrs. Muir (1947) gegenüber Hugo Friedhofer – der übrigens beide Steiner-Scores instrumentierte – als „seinen Max-Steiner-Score“ und spielte damit auf das Vorbild in All This and Heaven Too an. Eine augenzwinkernde Bestätigung für die – ebenfalls von Friedhofer stammende – Aussage, dass wahre Filmmusik mit Max Steiner begann, oder?

Originaltitel:
Hölle, wo ist dein Sieg? / Die große Lüge

Komponist:
Steiner, Max

Erschienen:
2003
Gesamtspielzeit:
71:08 Minuten
Sampler:
Naxos
Kennung:
8.570184

Weitere interessante Beiträge:

To Infinity and Beyond

To Infinity and Beyond

Korngold: Orchesterwerke, Vol.1

Korngold: Orchesterwerke, Vol.1

Krenek: Jonny spielt auf (Kurzfassung)

Krenek: Jonny spielt auf (Kurzfassung)

A Bridge Too Far

A Bridge Too Far

Cinemusic.de