„Die Fledermaus“, eine Schöpfung von Johann Strauss Sohn (1825 – 1899), uraufgeführt im Jahr 1874, markiert die Geburtsstunde der Wiener Operette schlechthin und dürfte die wohl bekannteste und erfolgreichste Operette überhaupt sein. Die geschickt abgewandelte Filmhandlung rankt sich um die Vergeltungsaktion des als Fledermaus kostümierten Theaterdirektors Falke, der Opfer eines deftigen Scherzes geworden ist. Nach einer rauschenden (Faschings-)Ballnacht ist Falke, der betont, nur in seinem eigenen Bett schlafen zu können, von seinem Freund Herbert von Eisenstein auf dem gemeinsamen Heimweg in stark betrunkenem Zustand auf einer Bank im Stadtpark deponiert worden. Prompt landet er am nächsten Morgen wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses im Stadtgefängnis, wo Gefängnisdirektor Frank den Unglücklichen ein wenig schmoren lässt, bevor er ihn freilässt. Falke beschließt, es den beiden genüsslich heimzuzahlen. Das sich anschließende recht weitläufige Verwirrspiel um Verwandlung, Verwechslung und Eifersucht kulminiert auf dem opulenten Ball des Prinzen Orlowski. Alles droht aus dem Ruder zu laufen, aus Spaß blutiger Ernst zu werden: wähnt sich Herr von Eisenstein doch von seiner geliebten Frau mit dem Prinzen betrogen und will sich sogar duellieren. Soweit lässt es der gefoppte Theaterdirektor aber nun doch nicht kommen. Falke klärt alles auf, so dass am Schluss an Stelle von Pistolen versöhnlich die Champagner-Korken knallen dürfen.
Dem auf Unterhaltung spezialisierten Regisseur Géza von Bolváry ist mit dieser bereits sechsten Verfilmung, die wohl überzeugendste Leinwandadaptation des Operettenstoffes gelungen. Es handelt sich hierbei nicht um eine der typischen, ins Studiogelände verfrachteten Filmoperetten, sondern eher um eine geschickte Umarbeitung des Operetten-Plots zum spritzigen Leinwandlustspiel, mit einer Reihe musikalischer Einlagen. Das alles in einer Form, die auch weniger Operettenbegeisterte bei der Stange hält.
Die musikalischen Höhepunkte der Operette sind überzeugend in die Szenen beim Ball des Prinzen Orlowski integriert: Maestro Johann Strauss erscheint und führt den Gästen im Rahmen einer Art Vorpremiere nicht allein Auszüge aus seinem neusten Werk vor, sondern dirigiert auch das große (Fledermaus-)Walzerfinale „höchstpersönlich“. Maestro Strauss wird hier sogar von Theaterdirektor Falke erst zur Komposition der Fledermaus-Operette animiert, ist also unwissentlich Werkzeug in dessen Revange. Das pfiffige Drehbuch stammt übrigens von Ernst Marischka, der im Nachkriegskino mit Romy Schneider und der Sissi-Filmtrilogie Furore machte.
Die Umstände der Entstehung dieses Films wirken grotesk und unwirklich zugleich. Der Streifen wurde im Sommer 1944 in den Barrandov-Filmstudios in Prag gedreht – die Stadt blieb noch bis Anfang März 1945 von den Kriegseinwirkungen fast völlig verschont. Mit Hochdruck und erstaunlichen Budgets produzierte die verstaatlichte Filmindustrie des Dritten Reichs an diesem Ort scheinbaren Friedens in großem Umfang „kriegswichtige“ Unterhaltung. Bis fast zum Schluss: Im November 1944 befanden sich nicht weniger als 94 Filme in der Postproduktionsphase. Hier wurde übrigens auch der berühmte Hans-Albers-Film Große Freiheit Nr. 7 fertig gestellt, denn nur noch wenige Außenaufnahmen konnten unmittelbar vor Ort, im durch die verheerenden Luftangriffe im Sommer 1943 stark zerstörten Hamburg erfolgen. Die unverzichtbare, berühmte Reeperbahn entstand originalgetreu nachgebaut im Prager Studio.
Die Fledermaus ist ein mit sensationellem Aufwand (Budget: 3,5 Millionen Reichsmark!) produzierter, verschwenderisch ausgestatteter Unterhaltungsfilm. Besonders im letzten Drittel, auf dem großen Ball des Fürsten Orlowski und da nicht zuletzt im großen Walzerfinale, kommt dem Betrachter Hollywood in Erinnerung. Der Film besitzt aber neben exzellenter Ausstattung noch etwas, das ebenso für den Reiz der großen Hollywood-Produktionen jener Zeit mitverantwortlich ist: überzeugende Farben. Die Fledermaus zeigt eindrucksvoll, welch eindeutige Fortschritte das Agfacolor-Verfahren selbst in den schwierigen Jahren kriegsbedingter Einschränkungen machen konnte. Er führt zugleich vor, wie geschickt man die verbesserten Möglichkeiten in stimmungsvollen Bildkompositionen im Dienste einer sorgfältig aufeinander abgestimmten, sinnfälligen Farbdramaturgie zu nutzen verstand. Gleich die farbenfrohe Eröffnungsszene, in der die Gäste vom Faschingsball aufbrechen, stimmt gelungen auf das noch Kommende ein.
Die gegenüber den früheren Agfacolor-Produktionen, wie Frauen sind doch bessere Diplomaten (1938) und Die goldene Stadt (1942), verbesserte Farbsättigung ist unübersehbar. Diese wird nicht allein, aber besonders auffällig bei der Wiedergabe von Rottönen genutzt: z. B. in den Szenen im roten Salon des Grafen Orlowski. Und ebenso, wenn ein Friseur ein chemisches „Wundermittel“ eindrucksvoll demonstriert, das dazu taugt, blonde Haare sowohl rot zu färben als auch wieder flink in die Ausgangsfarbe zurückzuverwandeln.
Ebenso beeindruckend sind die Szenen im grünen Salon, wo das satte Grün mit dem Schwarz-Weiß der Herren im Frack sehr gut harmoniert. Hinzu treten exotische Tänzerinnen in rostroten Gewändern, die den Gästen roten Wein aus langen Karaffen einschenken. Dies passt zu einer Szene im nächtlichen Park des fürstlichen Palais, wo exotisch bekleidete Tänzer und Tänzerinnen ein farbenfrohes Ballett zum „Ägyptischen Marsch“ des Walzerkönigs aufführen.
Aber nicht allein die Farbsättigung ist Trumpf: in den Kleidern der weiblichen Ballbesucher treten nur einzelne kräftigere Farbtupfer hervor. Daneben fallen besonders die vielfältig differenzierten, sehr ansehnlichen Pastelltöne – schon zuvor eine Stärke von Agfacolor – angenehm ins Auge. Im Zusammenwirken mit den Farben der verschwenderisch üppigen Interieurs ergibt sich ein stilvoller farblicher Mix, der wiederum elegant mit dem Schwarz-Weiß der befrackten Kavaliere kontrastiert. Dies alles ergibt zusammen grandiose (Farb-)Bilder.
Die Fledermaus wird so geradezu zum eindrucksvollen Demonstrationsobjekt für die Charakteristika des gereiften Agfacolor-Verfahrens. Im Unterschied zum ebenfalls dreifarbigen Technicolor sind die Farben zwar merklich kühler, was aber keineswegs mit „schlechter“ übersetzt werden darf. Vielmehr stellten die frühen Farbverfahren eben noch typische und markante Eigenheiten zur Schau, die heutzutage praktisch verschwunden sind.
Die männliche Hauptrolle des Films verkörpert der 1903 in Amersfoort in den Niederlanden geborene Johannes Heesters, der am 5. Dezember des vergangenen Jahres seinen 100. Geburtstag feierte. Mittelpunkt seiner Darstellungs- und Sangeskunst blieb immer die Operette. Besonders für die etwas älteren Filmfreunde gilt: Wer kennt ihn nicht, den in Frack, Zylinder und Lackschuhen elegant agierenden, charmanten „König der Operette“? Schlagersänger Rudi Schuricke sagte über ihn schon 1935: „Der ist ein Frauentyp, der wird alles wegdonnern.“ Zu seinen vor allem für die ältere Generation unvergesslichsten Auftritten zählt das Auftrittslied des Grafen Danilo „Heut geh ich ins Maxim“ aus der Lehar-Operette „Die lustige Witwe“, das Heesters zum Evergreen machte. Daneben sind Marte Harell, eine Queen des österreichischen Vorkriegskinos und Willy Fritsch, damals wie J. Heesters ein Frauenschwarm, mit von der Partie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der zwar vollständig abgedrehte aber noch nicht fertiggestellte Fledermaus-Film als Beutegut zunächst in sowjetische Hände und wurde unter abenteuerlichen Umständen vollendet. Schließlich kam er im August 1946 als so genannter „Überläufer“ in Ostberlin zur Uraufführung. Die Fledermaus wurde ironischerweise zum ersten Prunkstück der frisch gegründeten DEFA und ist auch international erfolgreich gezeigt worden.
Bis Ende 2003 ist der Film zwar gelegentlich im deutschen Fernsehen ausgestrahlt worden, war dabei allerdings ausschließlich in schauerlichen Farben zu sehen. Dank aufwändiger Restauration, bei der auch modernste Digitaltechnik eine wichtige Rolle spielte, zeigt das Fledermäuschen nun wieder farbenprächtige Flügel, erstrahlt wie neu im alten Glanz. Von der Transitfilm-Gesellschaft (www.transitfilm.de) ist der Film, wie auch – der ebenfalls restaurierte – Metropolis, als Verleihkopie erhältlich. Anlässlich des 100. Geburtstags von Johannes Heesters flimmerte die restaurierte Version von Die Fledermaus erstmalig im Dezember 2003 in der ARD über die deutschen Fernsehschirme und ist gleichzeitig von der Hamburger Firma Black Hill Pictures GmbH in zwei DVD-Editionen auf den Markt gebracht worden.
Besonders vorzüglich ist die Wirkung der restaurierten Fassung gerade von DVD. Das fast makellose Bild zeigt sehr gute Schärfe und Kontrast, ist sehr detailreich und mit erstklassigen Farben ausgestattet, die auch in größeren Flächen (fast immer) nahezu völlig ruhig stehen. (Merkwürdigerweise konnte die ARD-Ausstrahlung hier nicht ganz mithalten, zeigte ein im Vergleich deutlich weniger brillantes und auch farblich merklich blasseres Bild.) Der Ton ist unspektakulär, aber recht sauberes und weitgehend klares Mono.
Die Standard-Edition präsentiert den Film auf einer Einzel-DVD und bietet als schlichten Bonus allein Infos zu den Darstellern auf Texttafeln. Die Deluxe-Edition kommt recht elegant als Doppel-DVD-Set zum Aufklappen (Amaray) daher. DVD-1 ist identisch mit der Standard-Edition. Auf der zweiten DVD-2 gibts Nostalgisches in Form eines knapp 30-minütigen Segments „Johannes Heesters: Erinnerungen an Die Fledermaus“. Das nur rund vierminütige Segment zur Restauration enttäuscht: Im wahrsten Wortsinn kommentarlos (und überhaupt tonlos) sind hier zwar wohl wichtige Schritte der Bildrestauration mit kurz zwischengeschalteten Texttafeln zu sehen, aber ohne eingehendere Erklärungen ist der Zuschauer hier schlichtweg überfordert. Infos zur Tonrestauration fehlen dazu vollständig. Das Herzstück des Bonusmaterials ist das sehr informative und ansprechend bebilderte 6-seitige Begleitheft, in dem auch der Restauration ein Abschnitt gewidmet ist.
Ein kleiner Fehler findet sich in der Angabe der Filmlaufzeit. Die auf der Box angegebenen 99 Minuten korrelieren mit der Lauflänge im Kino; die Videolauflänge beträgt dem entsprechend knapp 95 Minuten. Wie im Begleitheft vermerkt, war Die Fledermaus im Jahr der Uraufführung 1946 vier Minuten länger (besaß also eine Lauflänge von 103 Minuten) als in der ab 1950 auch in der Bundesrepublik gezeigten Version. Offenbar ist nur die mit 99 Minuten leicht gekürzte Fassung erhalten geblieben.
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