Kleine Klassikwanderung 30: Eine kleine (vor-)weihnachtliche Klassikwanderung

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
25. November 2006
Abgelegt unter:
Special

Klassikwanderung 30: Eine kleine (vor-)weihnachtliche Klassikwanderung

Manches ist bei unseren nordischen Nachbarn mit anderen Gewohnheiten verbunden und so ist Weihnachten in Skandinavien eher eine Mischung aus Erntedankfest und dem christlichen Weihnachtsfest. In Schweden ist der 12. Dezember — der Tag der heiligen Lucia — einer der wichtigsten Tage in der gesamten Weihnachtssaison. Der letzte Festtag ist hier nicht wie bei uns „Heilige Drei Könige“, sondern der 13. Januar, der gegen Ende des 11. Jahrhunderts begründete, auf König Knut zurückgehende „St.-Knuts-Tag“. Dann werden übrigens die Weihnachtsbäume traditionsgemäß — wie man in der Elch-Werbung sehen kann — kurzerhand aus dem Fenster geworfen. „Nu stige jublets ton“ und „Christmas in Sweden“ laden dazu ein, die schwedische Advents- und Weihnachtszeit musikalisch einmal näher zu erforschen.

„Joulun Ihmemaa“ (vorgestellt in Klassikwanderung Nr. 24) ist ein reizendes finnisches Weihnachtsalbum. In seiner Machart nähert es sich — mit dem Einsatz eines groß besetzten Sinfonieorchesters — an die festlichen Weihnachtskonzerte aus Wien etc. an. Deren Vorbild findet sich wiederum in den USA, in den Weihnachtskonzerten der Boston Pops unter Arthur Fiedler. Die beiden an dieser Stelle vorgestellten Alben „Nu stige jublets ton“ und „Christmas in Sweden“ sind im Gestus hingegen intimer, stärker den kirchlichen Traditionen angenähert. Und dabei zeigt sich neben dem waschechten Nordischen auch wiederum so manch Vertrautes, da Skandinavien stark von der deutschen Reformationsbewegung mitgeprägt worden ist — siehe auch „Finnish Hymns, Vol. 1 & 2“ in Klassikwanderung 16. So ist beispielsweise „Nu stige jublets ton“ bei uns als das mittelalterliche „In dulci jubilo“ geläufig. Daneben finden sich auch weitere der in deutschen Landen gewohnten weihnachtlichen Klassiker von Bach, Praetorius und anderen, aber natürlich auch Stücke aus dem unmittelbar nachbarlichen Umfeld, wie eines der Weihnachtslieder von Jean Sibelius. Darüber hinaus gibt’s weitere Fundstücke, die dem Gebotenen einen internationalen Touch verleihen, wie die neapolitanische Volksmelodie „Santa Lucia“. Und auch sonst so manch Geläufiges klingt merklich anders, wie das dank Mehrstimmigkeit reizvoll schimmernde Arrangement Jan Sandströms von „Es ist ein Ros entsprungen“ — auf „Nu stige jublets ton“. Und dies gilt selbst für die deutsch gesungene Version des internationalen Weihnachtsliedklassikers „Stille Nacht“ — auf „Christmas in Sweden“.

Neben zum Teil rein vokalen Arrangements für Chor und oder Gesangssolisten, finden sich solche, die von der Orgel und/oder kleineren, mitunter auch archaisierend-mittelalterlich angehauchten Klangformationen begleitet werden. Die beteiligten Chöre und Solisten, wie der Lund-Kammerchor unter der Leitung von Eva Bohlin, sind hierzulande kaum geläufig. Das steht musikalisch aber nicht für provinziell. Kultiviert, stimmlich ausdrucksstark und kraftvoll, aber ebenso feinfühlig und immer klangschön wird hier agiert. Beide BIS-Kompilationsalben sind in der Stückauswahl nicht frei von Überschneidungen, auch wenn die Interpreten in der Regel andere sind.

Der britische Komponist Ralph Vaughan Williams besaß zeitlebens ein ganz besonderes Verhältnis zu weihnachtlicher Musik. Schon früh interessierte er sich nicht nur für die britische Folklore, sondern zeigte besonders großes Interesse an traditionellen Weihnachtliedern. Das aktuelle Chandos-Album setzt diesem auf dem Kontinent weniger geläufigen Aspekt im Schaffen des bedeutenden Komponisten ein sehr charmantes klingendes Denkmal. Als Auftakt und zugleich Appetizer für die folgenden Musikstücke fungiert die „Fantasy on Christmas Carols“ aus dem Jahr 1912. Insgesamt vier Lieder stehen im Zentrum des reizenden kleinen Werks, weitere scheinen fragmentarisch auf, wie das auch hierzulande mittlerweile für die angelsächsische Weihnacht recht geläufige „The First Nowell (Noël)“.

Das als Ersteinspielung präsentierte rund halbstündige Ballett „On Christmas Night“ basiert auf der berühmten „Weihnachtsgeschichte“ von Charles Dickens. Hier darf der berüchtigte Geizhals Ebenezer Scrooge also sogar tanzen. Sowohl betont tänzerische als auch besinnliche wie anrührende Teile bestimmen die Musik des Balletts, wobei natürlich auch diverse weihnachtliche Melodien kunstvoll eingearbeitet sind.

Das gilt in ähnlicher Weise für das Krippenspiel „The First Nowell“ aus dem Jahr 1958. Die Leidenschaft des Komponisten für traditionelle Weihnachtslieder zeigt sich hier besonders in der Reichhaltigkeit des äußerst geschickt und klangschön verarbeiteten volkstümlichen Liedgutes.

Vaughan Williams erweist sich in diesen weniger bekannten Werken, abseits des überragenden Kosmos’ der neun Sinfonien (siehe „Ralph Vaughan Williams: Ein englisch-europäischer Komponist“) als vorzüglicher Handwerker und wie immer als Meister von Chorsatz, Kontrapunkt und Instrumentierung. So gelingt es ihm, das anrührend Warmherzige der traditionellen Melodien mit der Magie des Christfestes in winterlich kalter, sternenklarer Nacht stimmungsmäßig perfekt zu vereinen.

„Weihnachten im Bremer Dom“ bietet einen in den heißen Julitagen dieses Jahres in Zusammenarbeit von cpo mit Radio Bremen eingespielten Weihnachtsliederabend im Bremer Dom. Das auf den ersten Blick vielleicht paradox Erscheinende ist es im Resultat keineswegs. Vielmehr bekommt der Käufer ein stimmungsvolles, deutsch — speziell bremisch — geprägtes Weihnachtskonzert zu hören. Dieses Abbild des seit rund 80 Jahren alljährlich stattfindenden traditionellen Weihnachtsliederabends im Bremer St.-Petri-Dom besitzt für Lokalpatrioten und Städtereisende eindeutig Souvenircharakter. Darüber hinaus möge diese noch pressfrische, sowohl klangschön als auch tontechnisch tadellos präsentierte Auswahl von insgesamt 27 (deutschen und internationalen) Weihnachtsliedklassikern, unterstützt durch den günstigen Preis, auf mehr als ausschließlich regionales Interesse stoßen.

Fazit: Letztlich unterstreichen die beiden BIS-Kompilations-CDs (zu beziehen über Klassik-Center Kassel) das Internationale der mit dem christlichen Weihnachtsfest verbundenen Musik. Allerdings sind beide Alben nicht ausschließlich durch die deutlich anders gelagerte Intonation der schwedischen Sprache ungewöhnlich genug, um sich von den unzähligen, vielfach allzu ähnlichen Weihnachts-CD-Alben auf einem übersättigten Markt abzuheben. Und Letzteres gilt entsprechend für das Chandos-Album. Dabei handelt es sich nicht nur um eine originelle Ergänzung der Vaughan-Williams-Kollektion, sondern außerdem um ein besonders ansprechendes CD-Album, das sich in der Weihnachts-Ecke so mancher heimischen CD-Kollektion gut machen dürfte. Dazu fehlen dann nur noch Zimtsterne, Lebkuchen und Glühwein.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zum Jahresausklang 2006.

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