She

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
12. April 2009
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Das Trio von „Tribute Film Classics“, Anna Bonn, John Morgan und William Stromberg, meldet sich nach dem fulminanten Einstieg mit dem Herrmann-Alben-Duo, Mysterious Island und Fahrenheit 451 ein drittes Mal zu Wort. Dieses Mal mit einem ganz persönlichen Favoriten, komponiert vom „Vater der Tonfilmmusik“: mit Max Steiners She (1935). Der 1888 in Wien Geborene begann seine US-Karriere bereits vor dem Ersten Weltkrieg in New York, wo er bald zu einem der Toparrangeure am Broadway aufstieg. 1929 wurde Hollywood auf ihn aufmerksam. William LeBaron, damals Produktionschef beim kleinsten der großen Hollywoodstudios, bei RKO Radio Corporation, engagierte Steiner für die musikalische Bearbeitung der Leinwandversion eines Broadwayerfolgs, des Westernmusicals Rio Rita (1929). Der enorme Erfolg dieses heutzutage eher antiquierten Films, ausgestattet mit einem damals spektakulären Finale in 2-Farben-Technicolor, machte Steiner zum Chef des Musikdepartments von RKO.

3225Infolge fortwährender Wechsel im Management besitzt RKO die wechselvollste, zum Teil auch chaotischste Studio-Geschichte aus Hollywoods goldener Ära. Max Steiner wirkte dort bis 1936. In diesen Jahren des zwar aufstrebenden, allerdings technisch noch unzulänglichen Tonfilms setzte der Wiener bald entscheidende Maßstäbe und schuf markante Standards zur Filmvertonung, die zu musikalischen Markenzeichen des klassischen Hollywoodkinos geworden sind.

Dabei hat sich Max Steiner nicht wie sein vergleichbar berühmter Kollege Alfred Newman erst schrittweise in den Job hineingefunden. Er erwies sich vielmehr praktisch aus dem Stand heraus als außergewöhnliche Begabung — das belegt eindrucksvoll das Box-Set „The RKO Years“. Ganz besonders beispielhaft und berühmt ist die aus jenen frühen Tonfilmtagen stammende Musik zu Merian C. Coopers und Ernest B. Schoedsacks King Kong • King Kong und die weiße Frau (1933). Die Bekanntschaft mit dem bei RKO für rund eineinhalb Jahre unter Vertrag stehenden Produzenten David O. Selznick trug übrigens wenige Jahre später entscheidend dazu bei, dass er mit The Charge of the Light Brigade • Der Verrat des Surrat Khan (1936) sein Debüt bei den Warner-Brüdern liefern konnte. Dies wurde der Ausgangspunkt eines nahezu 30-jährigen Engagements.

An den sensationellen Erfolg von King Kong versuchte Merian C. Cooper zwei Jahre nach King Kong mit She anzuknüpfen. „She“, erschienen 1887, ist der erste von insgesamt drei Romanen des Briten Henry Rider Haggard (1856—1925) um die geheimnisvolle Königin Ayesha. Dank der Kraft einer ebenso geheimnisvollen „Flamme des Lebens“ ist diese seit Jahrhunderten unverändert jung und schön geblieben. Coopers Film hat die Handlung des Romans aus Afrika ins Schuga-Gebirge im nördlichen Polarkreis verlegt. Aus Ayesha ist dabei die über das unterirdische Reich Kor herrschende Königin Hash-A-Mo-Tep geworden.

3228Haggards zwei Jahre vor „She“ publizierter Bestseller „King Solomon’s Mines“ liefert in der Figur des Allan Quatermain ein wichtiges Vorbild für den berühmten Indiana Jones. Dagegen sind die Allan-Quatermain-Verfilmungen kaum bemerkenswert. Die heutzutage eher merkwürdig anmutende Fantasystory um „She“ erfreute sich in der frühen Geschichte des Kinos offenbar derart großer Beliebtheit, dass sie bereits 1899 vom Stummfilmpionier Georges Méliès aufgegriffen worden ist. Und bis 1930 scheint es sogar noch sechs weitere Leinwandadaptionen gegeben zu haben. Doch auch das hat nicht geholfen, das Interesse an dem Stoff über die folgenden Dekaden in vergleichbarem Maße wach zu halten. Nur die kleinen Hammer-Studios wagten sich an ein Remake: She • Herrin der Wüste (1965) mit Musik von James Bernard ist wohl in erster Linie für Fans von Ursula Andress bemerkenswert.

Die 1935er Verfilmung wurde selbst in den USA nur verhalten aufgenommen und ist hierzulande nie in den Kinos gelaufen. Unter dem Titel She — Herrscherin einer versunkenen Welt war der Streifen in Deutschland im Dezember 1989 in der ARD zu sehen. Dort freilich in einer deutsch synchronisierten Fassung, in der nur noch Fragmente der Originalmusik zu finden sind.

Nachdem der Milliardär Howard Hughes 1948 RKO übernahm, trieb er das Unternehmen bis 1955 fast in den Ruin. Auch She gehört zumindest indirekt zu Hughes’ Opfern. Lange Zeit galt der Film als verschollen und hat eher zufällig, dank des Komikers Buster Keaton, überlebt. Dieser hatte eine gut erhaltene Filmkopie in seiner Garage verwahrt. Von der Besetzung ist Helen Gahagan als Königin Hash-A-Mo-Tep heute weitgehend vergessen. Der damals noch junge Randolph Scott erlangte in der zweiten Hälfte der 1950er in den Western von Regisseur Budd Boetticher den wohl größten Bekanntheitsgrad seiner Karriere — siehe dazu Seven Men from Now • Der Siebente ist dran (1956).

In den USA ist die 1935er Version von She 2008 übrigens erneut, jetzt erstmalig als Doppel-DVD-Set und annähernd vollständig (gegenüber früheren Videoveröffentlichungen um etwa 8 Minuten verlängert), erschienen. Neben dem Film in Schwarz-Weiß ist dieser zusätzlich koloriert vertreten. Zwar sollte She ursprünglich in Technicolor gedreht werden, aber dann hat man diesen damals noch besonders aufwändigen und teuren Schritt doch gescheut. Ob dies nun ein nachträgliches Einfärben rechtfertigt, dürfte in ganz besonderem Maße im Auge des jeweiligen Betrachters liegen. Ray Harryhausen, Pionier der modernen Special-Effects, hat die aktuelle DVD-Edition betreut.

Das Tribute-Team hat die Veröffentlichung der Neueinspielung sinnvollerweise mit der besagten DVD-Veröffentlichung verbunden. John Morgan bekommt im Bonusmaterial die Gelegenheit, sich im Rahmen eines Interviews zur Max-Steiner-Musik und zur Tribute-Neueinspielung eingehend zu äußern. Dafür kommt Ray Harryhausen im Begleitheft zur Tribute-CD ebenfalls zu Wort.

3226Bereits in den 70ern waren Auszüge der Musik auf einer Cinema-LP (einer Schwarzpressung) in weitgehend indiskutabler Audioqualität zugänglich. 1999 sind von der Brigham Young University (BYU) für die „Film Music Archives Soundtrack Series“ (BYU-Label) die im Max-Steiner-Archiv erhalten gebliebenen Acetatplatten erstmalig mit Hilfe moderner Restaurationstechnik auf CD transferiert worden (BYU FMA104). Die Tonqualität dieser Edition ist allerdings infolge des besonders schlechten Zustands der vorhandenen Materialien ebenfalls sehr bescheiden.

Von den genannten Quellen vermochte es die eher ungewöhnlich anmutende Filmmusik kaum, Steinerfreunde in ihren Bann zu ziehen und zu eingehenderem Hören zu verleiten. Das im ŒŒuvre des Komponisten so Typische, nämlich unmittelbar mitreißende, breit melodisch angelegte Themen fehlt hier. Stattdessen verlegt sich Steiner in ungewöhnlich breitem Maße auf das Erzeugen betont atmosphärischer und archaisierender Stimmungen. Die schlechte Tonqualität der bis dato zugänglichen Audiomaterialien gab den Rest. Entsprechend verhalten waren anfänglich die Erwartungen vieler Filmmusikfreunde bezüglich der angekündigten Neuaufnahme.

Nun, Tributes Neueinspielung sorgt spontan für eine eindeutig positive Rezeption. Vielleicht liegt es auch ein wenig mit daran, dass John Morgan beim Einrichten der Partitur die Kompromisse vermieden hat, die für Steiner bei RKO infolge des kleinen Musikbudgets unumgänglich waren. Die sowohl mit Elan und äußerst präzisem Spiel bestens disponierten Moskauer Sinfoniker taten unter der Leitung von William Stromberg ebenso alles, um einen bestmöglichen Eindruck zu hinterlassen. Mit Erfolg! Auch die Klangtechnik, betreut von Toningenieur Alexander Volkov, befindet sich hörbar in Topform.

3227Erst jetzt, in dieser kristallklar erscheinenden Darstellung, präsentiert sich Max Steiners She als gehaltvoll und frei von größeren Durchhängern. Ihr Macher zeigt sich fantasievoll in der musikalischen Gestaltung der fantastischen Atmosphäre des eher altbackenen Filmsujets. Erst anhand der Neueinspielung wird deutlich, wie viele bedeutungsvolle Details der Musik bislang auf der Strecke und damit außerhalb der Wahrnehmung bleiben mussten. Erst jetzt werden die überaus geschickt ausgeführte Instrumentierung und auch die vielfältige Behandlung der farbig auskomponierten Begleitstimmen vollständig hör- und damit nachvollziehbar. Und somit gelingt es dem fulminant aufspielenden Orchester und entsprechend natürlich auch dem Tribute-Team, für diese bislang eher wenig beachtete Filmmusik die „Flamme des Lebens“ doch noch zu entfachen.

Das geheimnisvolle Hauptthema für die Königin Hash-A-Mo-Tep erscheint zuerst zwar etwas unscheinbar, etwas, das man (s. o.) aus Steiners Filmvertonungen kaum gewohnt ist. Aber nach mehrfachem Hören gewinnt es zunehmend an Charme und ist — Steiner-typisch — im sehr vielseitig instrumentierten Score sehr gut verankert. Ein vokalisierender Frauenchor verleiht ihm späterhin noch ein besonders archaisierendes Flair. In „The Queen“ stellt der Komponist dem Hauptthema das ebenso geheimnisvolle, dezent schmachtende She-Liebesthema zur Seite. Auch dieses entfaltet seine Reize erst nach mehreren Durchgängen.

Die sich beim Hören immer wieder aufdrängende Nähe zu King Kong kommt nicht von ungefähr: Beim neun Töne umfassenden She-Thema handelt es sich nämlich um eine geschickt ausgeführte Erweiterung des markanten Dreinotenmotivs für Kong, den großen Affen. Das somit geradezu omnipräsent durch die Musik hindurchschimmernde King-Kong-Motiv ist möglicherweise ein augenzwinkernder Fingerzeig auf die aus dem überaus erfolgreichen Vorläufer wiederverwendeten Kulissen, insbesondere das redesignte „Große Tor“. Bei den Dreharbeiten zu Gone with the Wind (1939) kam die Requisite zwangsläufig letztmalig zum Einsatz, diente sie doch zur Illustration des Brandes von Atlanta.

Im finalen Höhepunkt des Films lässt ein (erneutes) Bad in der Flamme des Lebens die Königin Hash-A-Mo-Tep rasch altern und schließlich sterben. Steiner lässt dazu besagtes Hauptthema ebenfalls geschickt ermatten und verlöschen und visualisiert die mysteriöse Flamme tonmalerisch. Doch zuvor wartet er in „The Hall of Kings“ über rund 9 Minuten mit einem auch heutzutage noch eindruckvoll-archaisierenden Opfertanz auf. In der stampfenden Rhythmik schimmert etwas von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ hindurch.

Wie John Morgan im Begleitheft feststellt, ist vergleichbar archaisch Klingendes im Steiner’schen Werkkatalog eine absolute Rarität. Parallelen finden sich in erster Linie beim 1955er Helen of Troy • Die schöne Helena (Der Untergang von Troja).

Eine reizende kleine Zugabe hält das Album noch bereit: den Main Title zu Universals 1931er Frankenstein von Bernhard Kaun (1899—1980). Kaun ist heutzutage zwar in erster Linie als Orchestrator geläufig. Er war aber gerade in den 30er Jahren auch als versierter Filmkomponist tätig. Bei She hat er übrigens einen merklichen Anteil. Dies wird im an sich vorzüglichen Tribute-Begleitheft nicht deutlich. Es ergibt sich vielmehr aus Janet Bradfords Artikel, verfasst für die BYU-Edition. Entsprechend hat Bernhard Kaun nicht nur Steiners detaillierte Kompositionsskizzen instrumentiert, sondern außerdem etwa das erste Viertel der Filmmusik beigesteuert. Zum Großteil (aber nicht ausschließlich) hat er hier anhand des von Steiner entworfenen Themenmaterials eigenständig komponiert.

Es bleibt zu hoffen, dass Tribute nach diesem reizenden Appetithappen späterhin vielleicht auch einigen weiteren Filmvertonungen dieses bislang nahezu völlig Übersehenen zu einem angemessenen klingenden Denkmal verhelfen wird.

Fazit: Das eher kurios anmutende Sujet sowie der besonders mangelhafte Zustand der bisher zugänglichen Tonaufzeichnungen standen einem größeren Interesse und einer stimmigen Einordnung von Max Steiners 1935er Score zu She lange Zeit im Weg. Das nun vorliegende Album präsentiert die vollständige Musik in einer prachtvoll klingenden, sehr ambitionierten Einspielung, die es an Verve und Gusto nicht fehlen lässt. Alles in allem handelt es sich zwar nicht um ein Meisterwerk, aber um eine durchaus gehaltvolle, sehr feine, runde Sache. Dazu gibt’s wiederum ein luxuriös ausgestattetes Begleitheft, das über 32 Seiten mit vielen kompetent abgefassten Informationen aufwartet.

Dieses TFC-Album ist eine Bereicherung — und das nicht ausschließlich für eingefleischte Steinerianer. Vielmehr handelt es sich um eine Veröffentlichung, welche die außerordentliche Bedeutung Steiners in den Gründerjahren der Tonfilmmusik nachhaltig unterstreicht. Doch wer mit Steiner noch kaum Erfahrung hat, der sollte nicht unbedingt mit She einsteigen.

Hier finden Sie einen Überblick über alle bei Cinemusic.de besprochenen CDs des Labels Tribute Film Classics.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Ostern 2009.

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Komponist:
Steiner, Max

Erschienen:
2008
Gesamtspielzeit:
71:07 Minuten
Sampler:
Tribute Film Classics
Kennung:
TFC-1003
Zusatzinformationen:
Moscow SO, W. Stromberg

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