Der Klassik-CD-Tipp: Armas Järnefelt

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
6. Juni 2019
Abgelegt unter:
Klassik

Armas Järnefelt: „Orchesterwerke“ und Musik zu Mauritz Stillers Stummfilm des Jahres 1919 Sången om den eldröda blomman * Das Lied der feuerroten Blume

Der Komponist Armas Järnefelt (1869–1958)

Abgesehen von den Schlachtrössern, etwa Edward Grieg mit seinem Klavierkonzert, haben es skandinavische Komponisten hierzulande eher etwas schwerer, auf sich aufmerksam zu machen. Einer, der dies verdiente, ist der Finne Armas Järnefelt, welcher als Schwager seines berühmten Landsmanns Jean Sibelius am Geläufigsten ist. Seinen musikalischen Werdegang begann er durch Studien in Helsinki bei Martin Wegelius und Ferruccio Busoni. Das Dirigieren erlernte er im heimatlichen Wiborg in Karelien (das heute zu Russland gehört), wo Järnefeldt bereits von 1898–1903 das örtliche Orchester leitete. 1892 machte er mit seinem ersten Orchesterwerk, der „Lyrischen Ouvertüre“, auf sich aufmerksam. In Folge entstanden zahlreiche weitere Orchesterwerke, Bühnenmusik, Kantaten und diverse Lieder. Im selben Jahrzehnt vertiefte er zudem seine musikalische Ausbildung durch Auslandsaufenthalte: etwa Studien bei Albert Becker in Berlin und bei Jules Massenet in Paris. Darüber hinaus arbeitete er als Korrepetitor an Opernhäusern in Breslau, Magdeburg und Düsseldorf, während seine erste Frau, die Sopranistin Maikki (Hochzeit 1893), ihre Sängerkarriere begründete. Bereits während seiner Studienzeit in Berlin begeisterte er sich für die Musik von Richard Wagner. Das Interesse vertiefte sich noch, als er 1894 Gelegenheit hatte die Wagner-Festspiele in Bayreuth zu besuchen. Entsprechend brachte Järnefelt von 1904–1906 diverse Wagner-Opern am Finnischen Nationaltheater in Helsinki zur Aufführung. Später ging er nach Schweden, wo er zum zweiten Mal heiratete und sich 1909 einbürgern ließ. Bis 1932 wirkte er dort hochgeachtet u.a. als Dirigent an der königlichen Oper in Stockholm und bis 1936 als Chefdirigent der finnischen Nationaloper.

„Orchesterwerke“ auf BIS-CD-1753

Järnefelts äußerst gediegene Tonsprache steht fest auf romantisch traditionellem Boden. Sie spiegelt vielfältige Einflüsse, die von Mendelssohn und Wagner, Massenet und Strauss bis hin zu Dvorak und Tschaikowski reichen. Außerdem ist sie inspiriert von der heimischen Folklore. Wobei insbesondere Letzteres als der „typische nordische Klang“ in der Musik empfunden wird. Dies sind sämtlich Ingredienzien, die für eine leichte Zugänglichkeit und damit für ein unkompliziertes Hörvergnügen stehen. Interessanterweise war Järnefelt bereits seit den frühen 1900er Jahren als Komponist weitgehend verstummt. Dass er mehr und mehr in den Schatten von Sibelius geriet ist durch die damals sehr angespannte politische Lage erklärbar. Sibelius war im damals noch unter russischer Verwaltung stehenden, um seine Unabhängigkeit ringenden Finnland bereits eine nationale und damit auch politische Ikone, der kaum jemand Konkurrenz machen wollte. Dadurch geriet auch das allermeiste von Järnefelts Kompositionen über die Jahrzehnte weitgehend in Vergessenheit. Am ehesten sind noch zwei charmante Orchesterminiaturen geläufig: Das „Präludium“ und die auf dem BIS-Album den Schlusspunkt setzende, lieblich-warme „Berceuse“ für Violine und Orchester. Die „Symphonische Fantasie“ stammt aus dem Jahr 1895 und ist bei der Erstaufführung derart durchgefallen, dass sie bis 2008 überhaupt nicht mehr zu hören war. Das stimmungsmäßig getragene, in Teilen an Wagners „Parsifal“ gemahnende Stück dürfte heutige Hörer allerdings kaum mehr irritieren: Im Gegenteil. Die 1893 uraufgeführte „Serenade“ gehört zu den frühesten Orchesterwerken des Finnen. Sie entstand während Järnefelts Studienzeit bei Jules Massenet in Paris und lässt auch den Einfluss dieses Lehrers erkennen. Die halbstündige, kurzweilige Tonschöpfung ist nicht zuletzt dank der vielen schön auskomponierten Instrumentalsoli so intim wie abwechslungsreich. Das schwungvoll-tänzerische Finale verweist auf Grieg bzw. Dvořák. Die im Ausdruck punktuell etwas gewichtigere, aber vergleichbar eingängige „Suite in Es-Dur“ entstand 1897 in Düsseldorf. Im festlichen Finale wartet sie mit einer kaum überhörbaren Reminiszenz an Wagners Meistersinger-Vorspiel zum 1. Akt auf. Das tadellose, wie meist, erfreulicherweise auch deutschsprachige BIS-Begleitheft wartet mit vielen wertvollen Informationen zum Komponisten und den vertretenen Kompositionen auf. Auch wenn Järnefelt in den hier hörbaren Kompositionen nicht über einen derart ausgeprägten individuellen Tonfall wie Sibelius verfügt, so hat er sich um die Gestaltung der finnischen Kunstmusik doch ebenfalls in hohem Maße verdient gemacht, indem er noch früher als dieser finnischsprachige Lyrik vertonte.

Die Stummfilmmusik zu Sången om den eldröda blomman * Das Lied der feuerroten Blume (1919)

Es handelt sich hierbei um einen Stummfilm des berühmten schwedischen Regisseurs Mauritz Stiller (1883–1928), uraufgeführt am 14. April 1919 im Filmtheater Röda Kvarn in Stockholm. Die nach dem Roman „Das Lied von der glutroten Blume“ von Johannes Linnankoski (eigentlich Juho Vihtori Pẹltonen), erschienen 1905, produzierte Literaturverfilmung ist ein moralisierendes Melodram, angesiedelt im ländlichen Milieu der Flößer. Im Zentrum der Handlung steht der rücksichtslose Frauenheld Olavi (Olavi ist eine finnische Variante von Olaf), interpretiert von Lars Hanson, der im Verlauf der Handlung zum braven Ehemann geläutert wird. Inwieweit der hierzulande derzeit praktisch unbekannte Film abseits von Stummfilmenthusiasten auch noch ein heutiges Publikum zu beeindrucken vermag, das mit den Konventionen der Tonfilmära herangewachsen ist, wie immer in derartigen Fällen, schwierig einzuschätzen. Nach dem, was es zum Film zu lesen gibt, verleihen die in markanten Bildern (Kamera: Henrik Jaenzon) eingefangenen Naturimpressionen in Kombination mit den realistisch eingefangenen Eindrücken des harten Flößerhandwerks der Handlung nicht nur eine authentisch wirkende Atmosphäre, sondern auch eine besondere Kraft im Ausdruck. Außerdem soll der Film sein Publikum zudem mit für die damalige Zeit bereits recht kühn inszenierten Liebesszenen überrascht haben. Das Lied der feuerroten Blume ist in 40 Ländern gezeigt worden und zählt zu den besonders erfolgreichen Filmen der damals boomenden skandinavischen Filmindustrie. Der Film ist damit auch ein Beispiel für die herausragende Bedeutung skandinavischer Filmschaffender gerade in den frühen Jahren des Kinos, die wegbereitend für Regisseure wurden wie Viktor Sjöström, Carl Th. Dreyer und späterhin Ingmar Bergman. Zudem markiert der Streifen zugleich die erste größere nordische Kinoproduktion, welche durchgehend mit einer speziell komponierten originalen Filmmusik aufwartet.

(Die schwedische Wikipedia-Seite verzeichnet zu Sången om den eldröda blomman eine Lauflänge von 101 Minuten, was gut mit der Spielzeit der vorliegenden Einspielung korreliert, während die IMDB 145 Minuten Laufzeit angibt. Allerdings sind reine Laufzeitangaben bei Stummfilmen problematisch, da die Projektionsgeschwindigkeit in Bildern pro Sekunde (fps) nicht definiert ist. Somit ist allein die effektiv vorhandene Filmlänge in Metern aussagekräftig.)

Dass der opernerfahrene Armas Järnefelt, welcher zuvor bereits Schauspielmusik komponiert hatte, den Vertonungsauftrag erhielt war zumindest sehr naheliegend. Neben der Tatsache, dass Stiller aus nationalistischen Gründen zweifellos einen Landsmann, also einen Finnen bevorzugte, sah man doch gerade in den Konventionen der Oper, den dort erprobten Mitteln in der Gestaltung der dramatischen Momente wie auch den so effektvollen, mitunter geradezu naturalistisch-bildhaften Illustrationen das Ideal für eine filmmusikalische Untermalung. Dabei war man eben auch bestrebt das Kino vom ihm anhaftenden Jahrmarktattraktionsimage abzuheben. Dieser Anspruch wurde durch die theaterähnliche Pracht der großen Kinosäle im Verbund mit einer entsprechend niveauvollen Musikbegleitung unterstrichen, welche es mit dem aufnehmen konnte, was man aus dem „seriösen“ Musikkulturbetrieb gewohnt war. Das informative Begleitheft des auf dem Ondine-Label veröffentlichten Doppel-CD-Albums vermerkt dazu, dass der Komponist große Schwierigkeiten zu bewältigen hatte, um Musik und Bild weitgehend miteinander zu synchronisieren.

Lange Jahre galt Järnefelts komplette Filmmusik als verloren. Im Jahr 1988 wurde die Originalpartitur zufällig wieder entdeckt. Allerdings war, ähnlich wie bei Die Nibelungen oder Metropolis, beträchtliche Arbeit erforderlich, um das vorhandene Musikmaterial und das erhalten gebliebene Filmmaterial wieder perfekt aufeinander abzustimmen, also Film und Musik wieder synchron miteinander zu verbinden. Das Einrichten der Orchestermaterialien erfolgte durch Jani Kyllönen und wiederum (s.o.) den Dirigenten Jaakko Kuusisto, welcher die vorliegende Einspielung mit dem im schwedischen Gävle beheimateten Gävle-Sinfonierorchester realisierte. Hier ist die Musik von Tonträger auch erstmalig in der originalen, nicht für ein übliches Sinfonie- sondern für ein in Teilen abgespecktes Theaterorchester instrumentierten Fassung zu hören. Integral erklangen Musik und Film erstmalig wieder im Rahmen der Musikfestspiele der Region Oulu im März 2017.

Entsprechend der Unterteilung der Filmhandlung in sieben Akte ist auch das Doppel-CD-Album untergliedert, wobei sich die in der Spieldauer von ca. neun bis 17 Minuten variierenden sieben Abschnitte wie eine Kollektion durchweg eingängiger Tondichtungen anfühlen. Im ersten Abschnitt „The Mother’s Glance“ herrscht eine pastorale, von Holzbläsersoli und Streichern geprägte, optimistische Stimmung vor. Der im Zentrum der Filmhandlung stehende Olaf erhält hier sein die gesamte Komposition wie ein roter Faden durchziehendes Leitmotiv zugeordnet und kann hinaus in die Welt ziehen. Bereits hier, aber auch in einigen der übrigen Kapitel finden sich ausgeprägt folkloristische Elemente, die mitunter noch durch von der Violine durch entsprechende Spielweise imitierte Fidelklänge unterstrichen werden. Und nicht zuletzt an besagten Stellen begegnet der Hörer auch dem als so typisch nordisch empfundenen Klang. Die nächtlichen Verführungen der Stadt kommen bei „In the Town“ durch die Walzerreferenzen zum Ausdruck. Wenn Olaf im Finale, „The Pilgrimage“ geläutert wird, dann geschieht dies unterstützt von einer kleinen Orgel mit choralhaft-hymnischen Klängen.

Sowohl die Orchesterwerke auf BIS (Norköpping Sinfonieorchester) als auch die Filmmusik (Gävle Orchester) werden von den Beteiligten Musikern jeweils unter der Leitung des Geigers, Dirigenten und Komponisten Jaakko Kuusisto sehr engagiert und klangschön interpretiert. Die technische Seite beider Einspielungen ist ebenso untadlig, was das Hören zur echten Freude für Entdeckungsfreudige werden lässt.

Fazit: Armas Järnefelt, der bereits als Mittdreißigjähriger als Komponist nahezu völlig verstummt und aus dem riesigen Schatten des Jean Sibelius, mit dem er zugleich verschwägert war, nicht mehr heraustrat, erweist sich als einer der vielen Komponisten, die zu Unrecht von der Nachwelt kaum mehr wahrgenommen werden. Dabei muss man auch ihn als einen entscheidenden Mitbegründer der finnischen Kunstmusik ansehen. Die immer souveräne Instrumentierung und Handhabung des musikalischen Materials wie auch die häufig schöne Melodik verleihen seiner Musik zudem einen Charme, der Aufgeschlossene unmittelbar zum eingehenderen Nachspüren und Entdecken einlädt.

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Komponist:
Järnefelt, Armas

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