Das Philharmonische Orchester der Mailänder Scala unter Riccardo Chailly interpretiert Filmmusiken von Nino Rota
Im Januar 2015 besetzte Riccardo Chailly als Nachfolger von Daniel Barenboim den Posten des Musikdirektors der Mailänder Scala. Im Sommer 2016 avancierte er zudem zum Nachfolger des 2014 verstorbenen Claudio Abbado als Chefdirigent des Lucerne Festival Orchestra. Bereits seit vier Dekaden steht Chailly bei Decca (Universal-Music) unter Vertrag. Das daraus resultierende Œuvre an Einspielungen sinfonischer Musik fasst die aus 55 CDs bestehende Jubiläumsedition „The Symphony Edition“ von Universal-Music (Decca) zusammen.
Anlässlich des 40. Jahrestages von Nino Rotas Tod im April 1979 hat der Dirigent nun ein charmantes Album mit Auszügen aus fünf der Filmkompositionen Rotas für die Filme von Federico Fellini vorgelegt, dessen Hauskomponist er war. Die Filarmonica della Scala wurde 1982 von Claudio Abbado gegründet. Ihre Mitglieder rekrutieren sich aus dem Pool von Musikern, aus welchem das Orchestra della Scala besteht. Im Jahr 1987 übernahm Riccardo Muti die Leitung und seit den 1990er Jahren tourt das philharmonische Orchester der Scala und ist weltweit Gast auf diversen Musikfestivals.
Chailly begegnete dem Komponisten Nino Rota (1911–1979) zum ersten Mal mit jugendlichen 21 Jahren 1974 auf einem Musikfestival im italienischen Lanciano in den Abruzzen. Insbesondere Rotas Filmmusiken sind es, welche den Komponisten über die Grenzen Italiens hinaus auch international bekannt gemacht haben. Eines ihrer besonders prägenden Elemente sind die vielen unmittelbar ins Ohr gehenden Melodien. In ganz besonderem Maße gilt diese Feststellung für den so herrlich nostalgisch anmutenden langsamen Walzer aus Amarcord (1973) und erst Recht für das auf dem vorliegenden Album allerdings nicht vertretene, von der Trompete vorgetragene, unvergessliche Hauptthema aus La strada * Das Lied der Straße (1954).
Über die satte Spieldauer von rund 81 Minuten bietet Chaillys Fellini-Album zwar wenig Neues, aber das Substanzielle des jeweiligen Scores wird hier durch Suiten von beachtlicher Länge durchweg solide abgebildet: Amarcord rund 18 Minuten, 8 ½ rund 16 Minuten, La dolce vita knapp 12 Minuten, Die Clowns sind mit immerhin rund 13 Minuten und Casanova mit sogar knapp 22 Minuten vertreten. Die zu den einzelnen Scores erhältlichen Originaleinspielungen sind in aller Regel selbst in den alten LP-Schnitten bereits dezent redundant, in gesamter Länge allein ermüdend.
Dabei klingt es hier ebenso – wie auch in anderen Nachspielungen Rota’scher Filmmusik – verschiedentlich etwas sinfonischer aufgepeppt und damit üppiger als in den Originalen. Das Begleitheft weist übrigens einzig für die eröffnende Amarcord-Suite die originale Orchestrierung aus. Die Instrumentierung der Musikauswahl zu La dolce Vita sowie für den das Album beschließenden Amarcord-Walzer stammen hingegen von William Ross, welcher das Walzerthema durch die eingeführte Trompetenstimme ein wenig in Richtung von La strada rückte. Die Casanova-Suite orchestrierte Bruno Moretti, ein früherer Assistent Rotas. Zu 8 ½ sowie den Clowns fehlen bedauerlicherweise genauere Angaben.
Nino Rotas weitab von den mitunter radikalen avantgardistischen Strömungen der Nachkriegsära anzusiedelnde klangliche Ästhetik ist keineswegs altbacken, sondern vielmehr geistreich, mitunter träumerisch oder auch witzig und verspielt. Seine meist eingängige Handschrift ist unverwechselbar und bereitet selbst dem konservativen Hörer keine Probleme. Bereits in den in der Regel neoklassizistisch angehaucht erscheinenden Konzertwerken wirkt insbesondere die Rhythmik häufig deutlich moderner, erinnert an Prokofjew, Schostakowitsch, Strawinsky oder Poulenc. Dabei sind auch die besonders vielseitigen Filmkompositionen streckenweise betont kammermusikalisch transparent gehalten. In deren offenen, kleineren Formen finden sich neben Walzern und Märschen auch, z. B. in Amarcord, geschickt ausgeführte Spiegelungen der vom Jazz und Big-Band-Swing inspirierten Populärmusik der 20iger und 30iger Jahre, wobei dem Hörer häufiger auch an Zirkusmusik erinnernde Passagen begegnen. Letzteres betrifft natürlich in besonders ausgeprägtem Maße die Musik zu Die Clowns, welche auch mit einer Adaption des wohl berühmtesten aller Zirkusmärsche überhaupt aufwartet, dem „Einzug der Gladiatoren“ von Julius Fučík. Zirkusatmosphäre besitzen ebenso Teile der Musik zu 8 ½, in der sich in „Carlottas Gallop“ zudem eine hübsche Stilkopie des berühmten Säbeltanzes aus dem Ballett „Gayaneh“ von Aram Khatschaturian findet – die sich Fellini übrigens ausdrücklich gewünscht hatte.
Bei der Musik zu Casanova tritt das häufiger betont Skurrile in den Filmen Fellinis besonders deutlich hervor. Entsprechend exzentrisch erscheint hier auch die Filmkomposition. In der hier präsentierten, gegenüber dem Original vom Synthesizersound befreiten, stärker sinfonisierten Form ist die minimalistisch angehauchte und zugleich von experimentellen Klangkombinationen bestimmte Musik jedoch auch für den Einsteiger gut goutierbar, da die auch hier vorhandenen Themen so noch klarer hervortreten. Es resultiert eine außergewöhnliche, für manchen vielleicht sogar besonders faszinierende Fellini-Rota-Erfahrung. Hervorzuheben ist etwa der nach Prokofjew klingende groteske Walzer in „L’uccello magico“ und erst recht in „Il Duca di Württenberg“, in welchem nicht nur die wichtigen Themen der Musik raffiniert zusammenfasst werden, sondern zugleich ein auffällig rhythmisch-stampfender Akkord hervorsticht, der unverkennbar an Strawinskis Ballett „Le sacre du printemps“ erinnert. Bruno Moretti hat in die vielfach auf seltenes barockes Instrumentarium zurückgreifende originale Orchestrierung nachhaltig eingegriffen. Er hat dabei beispielsweise auf die eigentümlichen, geisterhaften Klänge der Glasharfe verzichtet und ebenso die vokalen Einschübe durch Instrumentalsoli auf das Orchester übertragen.
Anzunehmen, dass diese Musik den italienischen Musikern geradezu auf den Leib geschrieben ist, erscheint naheliegend und wird beim Anhören dieser schlichtweg runden Hörangelegenheit voll bestätigt, mit derart viel Elan und Verve wird hier musiziert. Beim Anhören kommen die vergleichbar überzeugenden, aus den 1990ern stammenden Nino-Rota-Einspielungen mit demselben Orchester unter der Leitung von Riccardo Muti in den Sinn: Music for Film & La Strada (Ballet Suite), Il gattopardo. Wobei Muti neben Fellini-Filmmusiken auch einige von Rotas Kompositionen für Coppola (Der Pate), und Visconti (Rocco und seine Brüder, Der Leopard) aufgenommen hat.
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