Anne-Sophie Mutter | John Williams: Across the Stars

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
2. November 2019
Abgelegt unter:
CD

Anne Sophie Mutter interpretiert John Williams: „Across the Stars“

Der Cellist Yo-Yo Ma (Yo-Yo Ma Plays Ennio Morricone) wie auch der Geiger Itzhak Perlman (Cinema Serenade) und auf freilich merklich andere, sehr spezielle Art auch sein Kollege Gidon Kremer (Gidon Kremer: Le Cinema) haben es vorgemacht, und nun ist auch Star-Geigerin Anne Sophie Mutter mit dem Album „Across the Stars“ mit von der Cross-over-Partie.

Beim den Titel gebenden „Across the Stars“ handelt es sich um das Liebesthema für Anakin und Amidala aus dem Mittelteil der neuen Trilogie, Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger (2002). Dieses und sämtliche übrigen vertretenen Stücke stammen vom letzten noch lebenden Vertreter der Film-Komponisten des Silver Age: John Williams. Interessanterweise finden sich neben den unverzichtbaren geläufigen Ohrwürmern, etwa aus der Star-Wars-Reihe oder Harry Potter auch seltener zu hörende Williams-Raritäten, etwa aus Memoirs of a Geisha, Sabrina, Far and away, Cinderella Liberty und Dracula.

Hier stehen freilich nicht die originalen Filmkompositionen auf dem Programm, sondern Bearbeitungen in Form von Konzertminiaturen für Soloinstrument mit Orchester, etwas, das bereits in der frühen Romantik in Mode kam. Derartige „Mini-Solokonzerte“ stellen natürlich den Solisten, hier also die Sologeige in den Vordergrund und positionieren die Orchesterstimmen ein Stück dahinter, also quasi in der zweiten Reihe, so dass der Klangteppich nicht Gefahr läuft, die Solostimme zu verdecken. Dies bedingt mehr oder weniger große Eingriffe in die Klangbalance, in die Instrumentierung und die Spielweise, was zwangsläufig zugleich eine mehr oder weniger deutliche Akzentverschiebung im Ausdruck der Musik bedeutet. Aber selbst wer die Originale besonders verinnerlicht hat, wird feststellen, dass die von Maestro Williams selbst erstellten Arrangements den Originalen in besonderem Maße verbunden bleiben. Es wurde nämlich derart behutsam in die ursprünglichen Konzeptionen eingegriffen, dass im Resultat jeweils eine vergleichbar hochwertige Variante aus einer anderen, neuen Perspektive resultiert.

Dank Anne-Sophie Mutters virtuos beseelten, äußerst klangschönen Violinenspiels, welches zudem durch edelste Gestaltungsfreude zu betören weiß, gerät die Kompilation auch zur Liebeserklärung Mutters an die Filmmusik von John Williams, welcher die Stücke des Albums für die Interpretin speziell neu arrangiert hat und auch das unüberhörbar vorzüglich disponierte Recording Arts Orchestra of Los Angeles selbst leitete. Entsprechend ist für Freunde des Geigenspiels im Allgemeinen und von Frau Mutter im Besonderen das Gesamtergebnis in jedem Fall eine runde Sache, und das gilt auch für aufgeschlossene Freunde von John Williams’ Filmmusik. Wenn der Komponist und seine Solistin im gemeinsamen Interview auf der DVD der Deluxe-Edition (s. u.) „Hedwig’s Theme“ aus Harry Potter, mit dem so ungewohnten wie pfiffigen Beginn als „Harry Potter trifft Paganini“ bewerben, dann mag man dies durchaus gelten lassen.

Der Vergleich mit den drei Williams-Piecen aus der oben genannten Cinema Serenade mit Perlman bietet sich an (Far and Away, Sabrina und Schindler’s List), die seinerzeit ebenfalls John Williams selbst arrangierte und wiederum persönlich mit dem Boston Pops Orchestra begleitet hat. In Far and away konzentriert sich das neue Arrangement in besonderem Maße auf die temperamentvolle traditionelle Jig „Donnybrook Fair“, was zugleich das virtuose Können von Anne Sophie Mutter herausstreicht. Itzhak Perlman hingegen durfte in seiner rund anderthalb Minuten längeren und im Violinpart etwas anders angelegten Version auch noch das schöne lyrische Hauptthema breit ausspielen. Das romantische Thema aus Sabrina beginnt wie im Original mit dem Klavier, wird dann von der Violine aufgegriffen und im weiteren Verlauf wiederum charmant vom Klavier umspielt. Das Thema aus Schindlers Liste, welches ja bereits im Original für die Solovioline gesetzt ist und von Perlman interpretiert wird, ist sicher das Stück, welches am wenigsten überhaupt verändert worden ist. Hier ist übrigens ebenso wie beim Sabrina-Thema auch praktisch kein Unterschied zwischen früherem und aktuellem Arrangement auszumachen. Perlmans Interpretationen unterscheiden sich nur geringfügig von denen Mutters, die mit vergleichbarem Vibrato aber stellenweise mit etwas zarterem Strich aufspielt. Beide Aufnahmen klingen tadellos. Sie sind allerdings deutlich anders abgemischt. Der Klang des DG-Albums ist insgesamt direkter und besitzt weniger Hallanteil als die Sony-Perlman-Alben.

Neben dem o. g. elegischen Liebesthema „Across the Stars“, welches sich auch in dieser Form sehr gut macht, finden sich aber noch weitere Stücke, die dank ihres ausgeprägten Charmes im Arrangement wie auch interpretatorisch beträchtliches Hit-Potenzial besitzen: etwa die übrigen drei ebenfalls zum Star-Wars-Imperium gehörenden Themen für Leia, Yoda und Rey, aber ebenso Hedwigs Thema aus Harry Potter, oder das Thema aus Sabrina. Wobei sich insbesondere das mir früher nie recht aufgefallene „Nice To Be Around“ (aus Cinderella Liberty) nach einigen Hördurchgängen geradezu zum Geheimtipp entwickelte. Und last but not least ist unter dem Gesichtspunkt „Variante aus einer bemerkenswert neuen Perspektive“ das auch in der Version mit Solovioline von mit dem Original vergleichbarer dramatisch-intensiver Wirkung geprägte „Night Journeys“ aus Dracula unbedingt erwähnenswert. Ein bemerkenswertes Stück aus einer unterschätzten Williamsmusik zum ebenfalls verkannten Film von John Badham.

Nur in den Boni der Deluxe-Edition sind übrigens die beiden Stücke enthalten, bei denen der berühmte Cellist Lynn Harnell zusammen mit Anne-Sophie Mutter aufspielt: Der „Chairmans Waltz“ aus Memoirs of a Geisha sowie „Remembrances“ aus Schindler’s List. Ebenfalls im Bonusmaterial befindlich ist auch das im Ausdruck etwas herbere Konzertstück  „Markings“ für Violine, Streicher und Harfe, welches John Williams Anne Sophie Mutter gewidmet hat und welches gewissermaßen die Keimzelle des vorliegenden Albums bildet – uraufgeführt beim Tanglewood Music Festival am 16. Juli 2017. Wie Frau Mutter im Interview der Bild-Zeitung vom Mai dazu gesteht, hat dabei wohl mindestens eine Packung deutscher Weihnachtslebkuchen eine gewisse Rolle gespielt.

Der Sinn der Marketingentscheidung, dasselbe Album innerhalb eines Monats, in unterschiedlichen Versionen auf den Markt zu bringen, bleibt rätselhaft. Zum mit doch etwas mageren 55 Minuten Spielzeit aufwartenden Standard-CD-Album gesellte sich nämlich nur knapp einen Monat später (am 27. September) noch eine mit einer DVD (Anne-Sophie Mutter und John Williams zusammen im Interview) gepaarte Deluxe-Version hinzu, welche den Vorgänger dank fünf zusätzlicher Tracks (s. u.) mit nunmehr erheblich erfreulicheren knapp 83 Minuten Spielzeit locker überholt – und dürfte besagten in der Gunst vermutlich längst links liegen gelassen haben. Wobei der, welcher den Veröffentlichungs-Coup zu spät bemerkt hat, doch ziemlich verärgert sein dürfte. Doch damit noch längst nicht genug: Für die Freunde des Mythos um das schwarze Vinyl sind kurioserweise nur die 12 Tracks des Standard-CD-Albums als Doppel-LP (inkl. Standard-CD-Album als Beigabe) erhältlich – wird im Internet bei mehreren Anbietern übrigens fehlerhaft gelistet. Zusätzlich ist auch noch eine Maxi-Single-Auskopplung von insgesamt 5 Stücken auf Einzel-LP mit anderem Covermotiv verfügbar.

Im nachfolgenden Tracklisting sind die Bonus-Tracks der Deluxe-Version fett hervorgehoben:

  1. Rey’s Theme (From “Star Wars: The Force Awakens”)
  2. Yoda’s Theme (From “Star Wars: The Empire Strikes Back”)
  3. Hedwig’s Theme (From “Harry Potter And The Philosopher’s Stone”)
  4. Across The Stars (Love Theme) (From “Star Wars: Attack Of The Clones”)
  5. Donnybrook Fair (Based On “Blowing Off Steam” From “Far And Away”)
  6. Sayuri’s Theme (From “Memoirs Of A Geisha”)
  7. Remembrances (From “Schindler’s List”)
  8. Night Journeys (From “Dracula”)
  9. Theme (From “Sabrina”)
  10. The Duel (From “The Adventures Of Tintin”)
  11. Princess Leia’s Theme (From “Star Wars: A New Hope”)
  12. The Chairman’s Waltz (From “Memoirs Of A Geisha”) – Cello Solo by Lynn Harrell
  13. Luke And Leia (From “Star Wars: Return Of The Jedi”)
  14. Nice To Be Around (From “Cinderella Liberty”)
  15. Theme (From “Schindler’s List”)
  16. Markings
  17. A Prayer For Peace (From “Munich”) – Cello Solo by Lynn Harrell

Anhang:

„Star Wars statt Mozart“:  Anne-Sophie Mutter geigt jetzt Klassiker der Filmmusik, BILD-Zeitung.

Anne-Sophie Mutter über Filmmusik: Der weiße Hai ist nichts für Geigen, Spiegel-Online.

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Komponist:
Williams, John

Erschienen:
2019/08
Gesamtspielzeit:
55:09 Minuten
Sampler:
DG (Universal Music)
Zusatzinformationen:
Deluxe-Version 82:39 Minuten, Anne Sophie Mutter (Violine), The Recording Arts Orchestra of Los Angeles, Dirigent: John Williams

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