Ivanhoe

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
2. Oktober 2003
Abgelegt unter:
CD

Score

(6/6)

Komponieren im Kettenhemd: Miklós Rózsa vertont Ivanhoe und Die Ritter der Tafelrunde

Bereits im Jahr 1949 begannen die Vorarbeiten für Ivanhoe • Ivanhoe – Der schwarze Ritter (1952) nach dem Roman von Walter Scott; ein Film, der geradezu zum Paradebeispiel für das (im weitesten Sinne) mittelalterliche Ritter-Leinwandspektakel geworden ist. Um eine überzeugende Atmosphäre zu erhalten, wurde das Film-Epos in MGMs britischem Studio-Komplex, in Boreham Wood bei London produziert. Es wurde dabei nicht gekleckert: Unter der Regie des versierten Routiniers Richard Thorpe agierte nicht nur Metros damalige Starriege, auch die Sets, Kostüme und Waffen sind aufwändig rekonstruiert und sorgfältig gestaltet. So kamen echte Kettenhemden (anstatt der üblicherweise verwendeten billigen Feinstrick-Ware) und ebenso dutzende der seinerzeit gefürchteten Lang-Bogen zum Einsatz.

Die sorgfältigen Recherchen zur historischen Authentizität bereichern den Film ganz besonders. Höhepunkt ist die faszinierend in Szene gesetzte, rund eine viertel Stunde dauernde „Schlacht um Torquilstone Castle“. Hierfür war eine detailgetreue Rekonstruktion einer Festung im Stil des 12. Jahrhunderts erforderlich, was knapp zwei Jahre erforderte. Ebenso überzeugend gelungen sind die Kostüme mit entsprechend der Zeit besonders prächtigem Aussehen (edle Muster und Verzierungen) sowie kräftigen, aber nur vereinzelt leuchtenden Farben, welche der Bekleidung der herrschenden Klasse vorbehalten sind. Die Kleidungsstücke des einfachen Volkes und des Bürgertums hingegen sind entweder in Erdtönen (Ocker-, Brauntönen u.s.w.) oder in eher gedeckten Farben gehalten. All dies sowie die überzeugenden Innendekors, die prachtvollen Turniere und Schwertkämpfe hat der britische Kameramann Freddie Young hervorragend eingefangen. Young machte Ivanhoe so zu einem Prunkstück der langsam zu Ende gehenden 3-Streifen-Technicolor-Ära.

Ivanhoe überzeugt aber auch durch eine durchdachte und weitgehend stimmig inszenierte Story. Vergleichbar mit dem Vorgehen beim 1959er Ben-Hur (nach der Romanvorlage von Lew Wallace) ist auch für die Ivanhoe-Verfilmung die arg weitschweifige Handlung des Scott-Romans geschickt entschlackt, auf das Wesentliche konzentriert und damit flüssiger und besser gemacht worden.

Für MGM und damit auch für Miklós Rózsa hatte die „Historische Serie“ spätestens nach Madame Bovary (1949) mit Quo Vadis (1951) begonnen. Im Gegensatz zur sehr bruchstückhaften Quellensituation bei der Musik der Antike konnte Rózsa mittelalterliche englische und französische Musik ausgiebig studieren und begann damit bereits Anfang des Jahres 1951. Er hat die in den Archiven gesammelten Musikbeispiele in Teilen als Basis für die Themen seiner Ivanhoe-Partitur genutzt. So griff er für die Eröffnung mit einführendem Off-Erzähler auf eine von Richard Löwenherz stammende Ballade zurück und beim Liebesthema von Ivanhoe (Robert Taylor) und Lady Rowena (Joan Fontaine) handelt es sich um eine freie Adaption eines alten nordfranzösischen Liedes. Sowohl die Musik der – miteinander um die Vorherrschaft rivalisierenden – Normannen als auch die der Sachsen wird in den entsprechenden Themen raffiniert gespiegelt: Das normannische Thema, das auch für Ivanhoes Gegenspieler Brian de Bois-Guilbert (George Sanders) steht, entstammt der Liedersammlung des Troubadours Guiraut de Bornrth. Und auch das Thema für die in der Filmhandlung bedeutenden Juden – hier eindringlich repräsentiert durch die schöne Rebecca von York (Elizabeth Taylor) – setzte der Komponist aus verschiedenen Fragmenten mittelalterlicher jüdischer Themen zusammen.

Die Musik zu Ivanhoe ist damit eines der vorzüglichsten Beispiele für Miklós Rózsas berühmte „Musikarchäologie“, das Bemühen ein überzeugendes klangliches Umfeld für einen historischen Filmstoff zu schaffen, geworden. Der Komponist tat dabei des Guten nie zuviel – siehe hierzu auch die Anmerkungen im Gladiator-Special. Die spätromantische Basis, den üppigen Orchesterklang verließ Rózsa eben nie wirklich und vermied es, durch eine zu starke Annäherung an die historisch möglichst korrekte Tonsprache der jeweiligen Ära, den Zuschauer zu irritieren. Vielmehr ergänzte er sein eh schon sehr markantes magyarisches Klangidiom durch Integration von Musikschemata längst vergangener Epochen und erweiterte so die Ausdrucksmöglichkeiten der Spätromantik ohne sie im Kern anzutasten. Dieser Kunstgriff verleiht seiner Musik zusätzliche Kraft und durch eine pompöse Instrumentierung entsprechenden Glanz. Das stark besetzte Blech sticht mit martialisch-heroischer Klanggestik besonders hervor und das klangliche Resultat wird in der Wirkung noch durch die ebenfalls verstärkte Schlagzeug-Batterie äußerst effektvoll gesteigert.

Brilliante Beispiele hierfür sind die Rózsa-typischen archaischen und zugleich festlichen Fanfaren für Turniere oder sonstige Anlässe und ebenso die ausgefeilten Untermalungen der Schlacht-Tableus. Wie Rózsa schrieb, bereitete ihm das Auskomponieren dieser Teile einige Mühe – dazu eine, die meist nicht honoriert wird. Die Resultate können sich in jedem Fall hören lassen: sowohl mit als auch ohne Film! Eine ungemein atemberaubende und mitreißende Musik, die in kontrapunktischer wie polytonaler Behandlung von Themen und Rhythmik die Handschrift eines großen (Film-)Komponisten verrät.

Ivanhoe erlebte seine Premiere am 12. Juni 1952 in London und wurde anschließend an den Kinokassen weltweit ein überwältigender Erfolg. Sowohl Kameramann Freddie Young als auch Miklós Rósza wurden für Ihre Leistungen für den Oscar nominiert. Und damals wie heute rief der Einzelerfolg eine Serie von ähnlich gelagerten Filmen ins Leben. Columbia nahm den heute weitgehend vergessenen The Black Knight • Unter schwarzem Visier (1954) in Angriff, 20th Century Fox produzierte Prince Valiant • Prinz Eisenherz (1954), Warner King Richard and the Crusaders • Der Talisman (1954), Universal The Black Shield of Falworth • Der eiserne Ritter von Falworth (1954) sowie Allied Artist The Dark Avenger • Der schwarze Prinz (1955).

(Im Letztgenannten wird gar eine Kopie der Schlacht um Torquilstone Castle geboten, die allerdings trotz CinemaScope deutlich weniger eindringlich wirkt. Ivanhoe ist bis heute das Beste geblieben, was die Kinoleinwand zum Thema Ritterromantik in verschwenderischer Ausstattung zu bieten hat.)


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Rózsa, Miklós

Erschienen:
2002
Gesamtspielzeit:
59:04 Minuten
Sampler:
Rhino
Kennung:
RHM 2 7772

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