Zodiac
In den Jahren 1968 bis 1978 trieb ein bis heute nicht gefasster Serienkiller in der Gegend um San Francisco sein Unwesen. Scheinbar wahllos mordete er unter dem Pseudonym Zodiac und versetzte die Region in Angst und Schrecken.
David Finchers aktueller Film beruht auf den tagebuchartigen Aufzeichnungen (Heyne-Taschenbuch) des in die Ereignisse involvierten Robert Graysmith, der seinerzeit als Karikaturist beim „San Francisco Chronicle“ tätig war. Das Besondere an diesem ungeklärten Serienkiller-Fall war, dass der Mörder gezielt die regionalen Printmedien in sein Tun einbezog. Er versandte rätselhafte, kryptische Botschaften zum Abdrucken, in denen sich angeblich seine Identität verbarg.
Dieses Mal geht es auf der Leinwand weder besonders laut noch besonders blutig zu. Der Regisseur von Fight Club und Se7en fokussiert vielmehr auf die Schicksale der vier Männer, die den Killer jagen und zur Strecke bringen wollen. Die Besessenheit ihres Handelns verändert im Laufe der Zeit sie selbst und ihr Leben nachhaltig — was ein wenig an Dürrenmatts „Das Versprechen“ erinnert: für das Kino adaptiert als Es geschah am hellichten Tag (1959) und The Pledge (2001).
Für das Zeitgemälde um den Ripper von Frisco schrieb überraschenderweise ein Veteran des 70er-Jahre-Kinos die Musik: David Shire, geboren 1937 in New York, der jüngst seinen 70. Geburtstag feierte. Kaum jemand dürfte nach dem Vorstehenden eine traditionelle Blockbustervertonung erwarten, etwas, das auch David Fincher keineswegs beabsichtigte. Vielmehr hatte er Teile von Zodiac mit Shires unkonventionellen Kompositionen zu The Conversation • Der Dialog (1974) und All the President’s Men • Die Unbestechlichen (1976) unterlegt. Für Zodiac waren ursprünglich sogar ausschließlich originale Songs aus der Zeit der Filmhandlung als Identifikationsmerkmale vorgesehen. Bei der Montage stellte sich allerdings heraus, dass zusätzlich ein gewisser Beitrag an speziell komponierter Musik vonnöten war, um die emotionale Ebene und damit die Intensität des Films zu stärken.
David Shire, Absolvent der Yale University, begann Mitte der 1960er mit Arbeiten für das Fernsehen, dem Medium, auf das die Masse seiner vielen in der IMDb gelisteten Credits entfällt. Daneben hat er viele Arrangements für Popkünstler wie Barbra Streisand und Johnny Mathis gefertigt und auch für Broadway-Musicals komponiert. Auf Tonträger gehört er leider (trotz einiger lobenswerter Bemühungen der letzten Jahre) zu den absolut vernachlässigten Komponisten. In den 70ern erschien allein eine Hand voll seiner Musiken als offizielle Veröffentlichung auf Langspielplatte: Farewell, My Lovely, The Hindenburg (beide 1975), The Promise (1979) sowie das Disco-Musical Saturday Night Fever (1977), für das er neben Arrangements auch einige Originalkompositionen fertigte. In den 1980ern folgten 2010 (1984) und Return to Oz (1985). (Letzterer erschien 1991 nochmals als Bay-Cities-CD.) Erst im 21. Jahrhundert wurden die aus den 70ern stammenden Scores zu The Conversation (auf Intrada) und The Taking of Pelham 1-2-3 (auf FSM) zugänglich. Der Name Shire ist wohl auch wegen dieser äußerst stiefmütterlichen Veröffentlichungspolitik in der Sammlerszene bislang eher wenig geläufig.
Die guten und zum Teil sehr guten Arbeiten des Komponisten sind keineswegs standardisiert, vielmehr häufiger unkonventionell und mitunter auch modern experimentell. Man kann David Shire auf einer ähnlichen Linie wie Jerry Goldsmith ansiedeln, wobei Shires Musiken, von Berührungspunkten abgesehen, durchaus individuell sind. Wie Goldsmith versteht er sich auf das Schreiben markanter Themen, komponiert durchaus romantisch-sinfonisch, aber da — wo geboten — greift er auch zum Jazz sowie zu seriellen und avantgardistischen Kompositionstechniken.
Für Zodiac hat er sehr sparsam, für 160 Minuten Film nur rund 27 Minuten Musik komponiert. Diese tauchen über den gesamten Film verteilt in kleinen Portionen auf, fungieren dabei als eng mit dem vollständigen Klangdesign verschmolzener Part. Der groß besetzte Streicherapparat des Skywalker-Symphony-Orchesters kommt zum Einsatz. Die vorzügliche Aufnahmetechnik macht dabei das Agieren in Gruppen und damit räumliche Effekte im traditionell eher flächigen Streichersound deutlich. Shire will so wohl partiell unterschwellig Reibungen und Spannungen in der Psyche der im Fokus stehenden Figuren, sowohl in der des Killers als auch in der jeweiligen seiner Jäger, suggerieren. Den beiden tragenden Figuren der Handlung sind dazu außerdem zum reinen Streichersound konstrastierende Instrumentalsoli von Trompete und Klavier zugeordnet. Dynamische Actionpassagen bleiben komplett ausgespart. Im eher elegisch reflektierenden Tonfall der Musik stechen nur gelegentlich subtil angedeutete Spannungsmomente hervor — in diesem Punkt bemerkenswert sind die „wahrlich“ beunruhigenden Pizzicato-Effekte in „Graysmith Obsessed“. Insgesamt kann man der Komposition einen zumindest fernen herrmannesken Touch attestieren.
Zweifellos handelt es sich bei Zodiac um eine sehr lobenswerte Varèse-Veröffentlichung, eine, die eindeutig aus der Masse des eher mittelmäßigen Gesamtausstoßes aktuell veröffentlichter CDs herausragt. Allerdings, den Mut von Varèse in allen Ehren: Unterm Strich handelt es sich um einen (zu) kühlen, rein atmosphärischen Musikbeitrag, der abseits der Kombination Bild und Tonmix wenig bis gar nichts Eigenständiges aufweist. Insofern dürfte das Wünschenswerte, der Musik David Shires stärkere Beachtung und Aufmerksamkeit zu verleihen, mit Zodiac kaum realisierbar sein. Hier handelt es sich um ein Album, das primär denjenigen interessieren wird, der den Komponisten bereits schätzt und/oder einen besonderen Draht zum Film von David Fincher hat.
Farewell, My Lovely Monkey Shines
Die Präsentation der Zodiac-CD ist eine gute Gelegenheit, auf (mindestens) ein weiteres vorzügliches Shire-CD-Album aus dem Hause FSM aufmerksam zu machen; eines, das den entdeckungsfreudigen Filmmusikhörer wohl unmittelbar wesentlich leichter zu begeistern vermag als Zodiac. Der mit gewohnt sorgfältig verfasstem informativem Begleitheft ausgestattete Tonträger vereint zwei Scores: Musiken zu einem gelungenen Ausflug ins Noir-Genre, Farewell, My Lovely • Fahr zur Hölle, Liebling (1975), sowie respektabler Tier-Horror um hoch intelligente bedrohliche Primaten von Zombie-Regisseur George A. Romero: Monkey Shines • Der Affe im Menschen (1988).
Farewell, My Lovely steht ausdrucksmäßig Chinatown (1974) recht nahe. Wobei Shire in deutlich stärkerem Maße als Goldsmith ein Jahr zuvor jazzige Stilelemente in ein urban geprägtes Gesamtklangkonzept einbindet. Musikalisch ist die Komposition typisch für die 1970er, sticht als eine raffinierte Synthese aus Alt und Neu stark vom traditionellen Noir-Scoring ab. Partiell auch als Source-Music fungierende Jazz-Band- und Big-Band-Sounds (mitunter durch Streicher romantisierend ergänzt) reflektieren auf die im Los Angeles des Jahres 1941 spielende Filmhandlung. Diese bilden starken Kontrast zu den in Suspense- und Gewaltmomenten eingesetzten avantgardistischen, teilweise collageartigen Klängen. Shire macht dabei zwar auch Gebrauch vom Synthesizer, allerdings auf sehr effektvolle, jedoch erfreulich unaufdringliche Art und Weise.
Das romantische und zugleich melancholische bluesige Hauptthema für den von Robert Mitchum (damals eine Ikone aus dem Golden Age) verkörperten Privatdetektiv Philip Marlowe ist prägender Teil des Scores und erscheint in vielfach abgewandelter Form. Wobei der Komponist sich hier nicht einfach am späterhin fast zu einem Film-Noir-Klischee gewordenen Trompeten-Thema des Chinatown-Main-Titles anlehnt, sondern das Thema zuerst durch gestopfte Posaune vorstellt und anschließend vom Saxophon aufgreifen lässt. Im insgesamt sehr ökonomisch vertonten Film tritt noch eine verführerische Melodie hinzu. Dieses Mrs. Grayle zugeordnete Thema erfährt am Schluss eine zur überraschenden Wendung im Plot stimmige Wandlung.
Shire stellte seinerzeit zu Farewell, My Lovely einen erstklassigen United-Artist-LP-Schnitt zusammen, in dem er die in der Mehrzahl eher sehr kurzen Cues überaus geschickt zu längeren Stücken zusammenmontierte. Diese als Höralbum äußerst funktionale, nicht filmchronologische (!) Montage ist für die FSM-Präsentation beibehalten und mit noch knapp zweieinhalb Minuten zuvor unveröffentlichten Materials (Track 5) ergänzt worden.
Interessanten Kontrast dazu bildet der Score zu Monkey Shines. Im Zentrum steht Ella, ein speziell abgerichtetes, aber auch durch ein wissenschaftliches Experiment (Übertragung menschlicher Hirnzellen) mit außergewöhnlicher Intelligenz versehenes Kapuzineräffchen. Ella soll Allen, einem infolge eines Sportunfalls schwer behinderten jungen Mann, bei der Bewältigung der Alltagsproblematik behilflich sein. Ella geht in ihrer Pflege- und Beschützerrolle allerdings bald derart auf, dass sie Verärgerungen des ihr anvertrauten Behinderten gegenüber Personen seiner Umgebung in Wut, ja sogar Morde umsetzt.
David Shire schuf hierzu eine musikalische Begleitung, die ihren Reiz aus dem Kontrast zweier betont romantisch-lyrischer Themen (die für Allen und seine Freundin Melanie) und der sich im Verlauf der Filmhandlung dramatisch verändernden musikalischen Charakterisierung Ellas. Das ihr zugeordnete Thema ist anfänglich ebenfalls eher freundlich, es erklingt aber bald merklich geheimnisvoller und zunehmend bedrohlich. Es ist schon bemerkenswert, wie der Komponist hierbei vorgeht; wie er mit konventionellem Instrumentarium eine Atmosphäre sich ständig steigernder Bedrohung schafft. So wird aus den anfänglich drolligen, partiell Mickey-Mousing-haften humorvollen Klängen schließlich etwas mit Dschungelatmosphäre von geradezu archaisch-exotischer Wildheit. Da ist Goldsmiths Link der Butler (1986) nicht allzu weit entfernt.
David Shire hat übrigens seine bislang unveröffentlichte Musik zu Monkey Shines für das FSM-Album ebenfalls in optimale Höralbenform gebracht. Und neben dem sehr guten Klang beider Scores verdient auch das informative Begleitheft entsprechendes Lob.
Ebenfalls von Interesse und in hervorragender Kopplung erhältlich: 16 Minuten aus David Shires Musik zur TV-Produktion Raid on Entebbe • … die keine Gnade kennen (1977) zusammen mit Morituri • Kennwort Morituri (1965) von Jerry Goldsmith auf FSM Vol. 4 No. 12.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2007.
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