ARD at it’s best: Weissensee, die TV-Saga vom Nieder- und Untergang der DDR
Im Jahr 1980 beginnt die TV-Sage, und in der Rückschau bildete die erste Hälfte dieser Dekade die bleiernen Jahre des bereits in der Agonie befindlichen SED-Regimes. Dass die angestrebte wirtschaftliche Überrundung des Westens Fiktion bleiben würde, war abseits der offiziellen Propaganda praktisch jedem klar und trotz Finanzspritzen von Seiten der Bundesrepublik wurden nach und nach planwirtschaftliche Mängel und gravierende Versorgungsengpässe unübersehbar. Unter dem Eindruck der von Michail Gorbatschow propagierten Glasnost und Perestroika begann sich ab 1986, insbesondere bei den Jüngeren und dem Nachwuchs, in zunehmendem Maße Widerstand gegen das System zu formieren. Diese Vor-Wendejahre waren auch von ersten Protest-Demonstrationen geprägt, die von der in den frühen 1980er Jahren entstandenen Friedensbewegung ausgingen und von den Kirchen unterstützt wurden. Mit seinen restriktiven Aktionen heizte der SED-Machtapparat ab 1988 die allgemeine Unzufriedenheit und die Proteste (Leipziger Montagsgebete) weiter an. Die Ereignisse um die gefälschten Ergebnisse der Kommunalwahlen im Mai 1989 und erst Recht die Grenzöffnung in Ungarn im Sommer beschleunigten den Verfall noch weiter und ermutigten die Bürger. Der 9. November 1989 ging als Datum der Maueröffnung in die Geschichte ein.
Weissensee spiegelt die letzte Dekade der DDR in Form einer ganz speziellen Art von Familienserie. Die Handlung der ersten Staffel spielt im Jahr 1980. Der zweiten Staffel gelingt es überzeugend, an die Ereignisse sechs Jahre später anzuknüpfen. Natürlich handelt es sich bei den präsentierten Geschichten um eine verdichtete und dramatisierte Spielhandlung. Zwangsläufig muss dazu die Anzahl der die Handlung bestimmenden Figuren überschaubar bleiben, damit der Zuschauer nicht den Überblick verliert. Bemerkenswert bleibt, wie geradezu außergewöhnlich überzeugend glaubhaft Weissensee bisher funktioniert hat. Mitentscheidend dafür ist, dass die Szenarien nicht überzogen wirken, Pathos vermieden wird und die präzise und sorgfältig gezeichneten Figuren nicht simpel schwarz-weiß, sondern mitunter geradezu irritierend widersprüchlich und dadurch realitätsnah erscheinen. Dazu gilt: Alles Gezeigte ist zwar rein fiktiv, jedoch keineswegs frei erfunden.
Was im Oktober 2010 mit zunächst einmal nur sechs Episoden (der 1. Staffel) begann, entwickelte sich rasch zum Publikumsmagneten. Entsprechend blieben die Zuschauer nicht untätig. Infolge der überaus zahlreichen Zuschriften entschloss man sich schnell, eine zweite Staffel mit wiederum sechs Folgen produzieren zu lassen. Diese erlebte im September 2013 ihre Erstausstrahlung, wobei dieses Mal direkt klar war, dass es auch noch eine dritte Staffel geben würde. Selbige wiederum wurde erst kürzlich, vom 29. September bis zum 1. Oktober 2015, also passend zum 25. Jahrestag der Deutschen Einheit in der ARD gezeigt.
Entsprechend steigt die dritte Staffel von Weissensee auch direkt am Tag des Mauerfalls, dem 9. November 1989, ein. Es gibt eindrucksvolle Blicke hinter die Kulissen der Stasi-Zentrale in jenen denkwürdigen Tagen, auf die Ohnmacht der bisher Privilegierten in der Nacht der Maueröffnung, auf die in der Wendezeit aktive Bürgerbewegung, welche von der immer noch operierenden Stasi auf perfide Art ausgeforscht und manipuliert wird, und die Staffel schließt effektvoll mit der Erstürmung der Berliner Stasizentrale im Januar 1990. Im Zentrum der sich dieses Mal geradezu rasant überschlagenden Ereignisse und Entwicklungen in den letzten Wochen der DDR steht wiederum der geschickt entworfene Mikrokosmos der Drehbuchautoren Annette Hess und Friedemann Fromm. Letzterer führte übrigens auch Regie. Der herausragende Protagonist innerhalb eines Ensembles von bis in die kleinen Rollen sehr guten bis erstklassigen Darstellern ist der bereits hinlänglich bekannte Karriererist und Stasi-Major Falk Kupfer, brillant dargestellt von Jörg Hartmann, der für seine Interpretation der Rolle bereits im Jahr 2011 den Deutschen Fernsehpreis als bester Schauspieler erhielt. Es ist bestechend mitzuerleben, wie rücksichtslos und berechnend der äußerlich eher unscheinbare Kupfer hier unter größter Anspannung, mehrfach hart an der Grenze des Kollaps agierend intrigiert, sowohl um das zu retten, was eigentlich längst nicht mehr zu retten ist, als auch um sich, für den Fall des Systemuntergangs, über Kontakte zum BND abzusichern.
Dabei finden sich im spannend inszenierten Politdrama mit Thrillerelementen auch geschickt gesetzte leichtere, geradezu komödiantische Akzente, welche im Sog des dramatischen Umbruchs für entspannte Momente mit Unterhaltungswert sorgen. Bemerkenswert ist ebenso, wie die „Showdowns“, auf welche die Handlung immer wieder einmal zuzusteuern scheint, ablaufen. Auch diese gehen so kino- wie TV-Thriller-atypisch aus: nämlich eher unspektakulär, völlig ohne „Äkschen“ und sind damit lebensnah. So präsentiert die dritte Staffel von Weissensee das Drama eines kollabierenden Staates ebenso spannend wie zugleich überwiegend kühl und leise inszeniert. Ein einziges kleines Kuriosum bleibt freilich dennoch: nämlich der Lapsus mit der an sich falschen Schreibweise des Titels – das Doppel-s wurde offenbar „versehentlich“ von der Großbuchstaben-Schreibweise des Titels übernommen.
Die Präsentation auf Blu-ray-Disc
Polyband hat die bereits zuvor auf jeweils einer Blu-ray-Disc erhältlichen Staffeln 1 und 2 nun auch mit den wiederum sechs neuen Folgen der 3. Staffel (welche natürlich auch einzeln angeboten wird) vereint und als Dreier-Disc-Set veröffentlicht.
Während das Bild von Staffel eins mitunter noch leichte Schwächen wie dezentes Bildrauschen aufweist, zeigt sich das von Staffel zwei bereits von sehr guter Qualität. Die dritte Staffel hinterlässt beim Bild insgesamt den besten, einen fast durchgehend besonders frischen Eindruck. Die jeweils zugehörige Tonkulisse ist völlig solide. Sie bleibt allerdings dem Thema angemessen, nicht auftrumpfend, sondern eher dezent angelegt. Nur auf der BD mit Staffel zwei gibt’s als Bonus über rund 30 Minuten Blicke hinter die Kulissen der Produktion.
Fazit: Weissensee ist derzeit wohl „die“ deutsche TV-Serie überhaupt, welche sich auch vor dem Besten aus angelsächsischer Produktion keinesfalls verstecken muss. Die insgesamt vorzügliche Gesamtleistung eines perfekten Produktionsteams sorgt dafür, dass in den so packend inszenierten Geschichten um Agonie, Nieder- und Untergang der DDR alles so vorzüglich miteinander harmoniert.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.