Neues aus der renommierten britischen Filmmusik-Kollektion, der Reihe Chandos Movies: Musik des Briten John Addison (1920-1998) steht auf dem Programm. Der aus dem südlichen Vorort Londons Cobham (Surrey) stammende John (Mervyn) Addison studierte am Royal College of Music. Infolge des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs und seiner Einberufung konnte er seine musikalische Ausbildung erst 1947 fortsetzen und im Jahr 1950 abschließen. Noch während seiner Zeit beim Militär lernte er Roy Boulting (1913-2001) kennen. Der Kontakt zu Roy Boulting, der bereits seit 1937 zusammen mit seinem Zwillingsbruder John ins britische Filmgeschäft eingestiegen war, wurde zur Keimzelle seiner späteren Karriere als Filmkomponist. Zwar entstanden ab 1948 diverse Kompositionen für den Konzertsaal und sowohl im Jahr 1955 als auch in den frühen 1970ern engagierte er sich auch im Bereich Musical. Seine erste Leinwandvertonung aus dem Jahr 1946 zu Brighton Rock markiert allerdings den Startpunkt in der Musikrichtung, mit welcher der Name John Addison in erster Linie assoziiert wird: der Filmmusik.
Zwischen 1946 und 1990 entstand Musik für mehr als 60 Kinofilme sowie eine Reihe US-TV-Serien. Auf dem vorliegenden Album gibt es davon 17 Kostproben zu hören, präsentiert in bewährter Charles-Gerhardt-Manier als einzelnes (Haupt-)Thema oder Kurzsuitenkompilation. Natürlich passieren überwiegend den angelsächsischen und wohl ganz besonders den britischen Kennern und Liebhabern von Filmmusik geläufige „Schlachtrösser“ Revue, aber auch der bei Addison weniger beschlagene Kontinentaleuropäer kommt voll auf seine Kosten.
Die bissige Satire Tom Jones • Tom Jones — Zwischen Bett und Galgen beginnt im Prolog als vom Cembalo ironisch-barockisierend begleitete Stummfilmparodie. Den daran anschließenden, von neoklassizistischer Orchesterbehandlung geprägten Main Title (Track 9), wiederum mit dem markant agierenden Cembalo, gibt es hier zu hören. Für diese unmittelbar ansprechende komödiantische Filmmusik erhielt Addison seinen einzigen Oscar und setzte auch einen Trend, der unter anderem auf Ron Goodwins Miss-Marple-Filmmusiken ausstrahlte. Die Affäre um Hitchcocks Torn Curtain • Der zerrissene Vorhang (1965), wo er Bernard Herrmann ersetzte, verschaffte John Addison zusätzliche Popularität. Daraus gibt’s hier den Main Title mit seinem markant vorandrängenden Saxophon-Thema zu hören.
Im rund 71-minütigen Programm finden sich neben bereits zuvor auf Tonträger veröffentlichten Musiken über insgesamt rund 15 Albumminuten erfreulicherweise auch fünf Tonträger-Premieren: I was Monty’s Double, Centennial, Brandy for the Parson, Touch and Go sowie Carlton-Browne of the F.O. Wobei I was Monty’s Double, Carlton-Browne of the F.O. zusammen mit A Bridge too Far belegen, dass Addison ein Händchen für handfeste und prägnante Märsche besaß. Hierzulande dürfte von den drei Musiken in erster Linie die zum etwas verunglückten Weltkrieg-II-Epos um die Luftlandung bei Arnheim im September 1944, A Bridge too Far • Die Brücke von Arnheim, geläufig sein. Das vorliegende Album enthält daraus eine die Highlights des Scores gelungen repräsentierende rund 10-minütige Suite, die sehr gut ins Ohr geht. In deren Zentrum bildet eine lyrisch-melancholische „Dutch Rhapsody“ für Klavier und Orchester einen Ruhepunkt, der von den beiden den Score prägenden, markant-typischen britischen Militärmärschen umrahmt wird.
John Addisons Filmmusiken stehen der Tradition der British Light Music und den Filmkompositionen seines Landsmannes Ron Goodwin sehr nahe. Ähnlich Goodwin war auch Addison ein vorzüglicher Schreiber unmittelbar eingängiger, mitunter ohrwurmartiger Melodien. Er war weniger ein talentierter Musikdramatiker, besaß dafür ausgeprägt ein Händchen für das gekonnt Leichte. Zwar hat Addison Filme fast sämtlicher Genres vertont, aber aus dem vorstehend Beschriebenen ergibt sich fast zwingend die Neigung zur Filmkomödie. The Maggie • Die Maggie (1953) lässt, stellvertretend für die Komödien der Ealing-Studios, ballettartiges Komödienscoring erklingen, was ebenso für Touch and Go • Meine bessere Hälfte (1952) und Brandy for the Parson (1952) gilt. Swashbuckler (The Scarlet Buccaneer) • Der scharlachrote Pirat (1976) ist als Film nur ein völlig flaues Remake von The Crimson Pirate • Der rote Korsar (1952). Wie die vertretene, knapp fünfminütige Mini-Suite belegt, kann er musikalisch mit einem recht schmissigen, dezent ironisierenden Haupt- sowie einem durchaus charmanten Liebesthema aufwarten. Auch die zum Krimigenre zählenden Themen zu Sleuth • Mord mit kleinen Fehlern (1972) sowie das zur besonders in den USA populären TV-Serie Murder, She Wrote • Mord ist ihr Hobby (Immer wenn sie Krimis schrieb) kommen nicht etwa bierernst, sondern eher angenehm leichtgewichtig daher. Und selbst Addisons Ausflug ins Science-Fiction-Genre, Strange Invaders • Das Geheimnis von Centreville (1983), setzt neben eher dezenten Suspense-Passagen fast durchweg auf einprägsame Melodik.
Eine Portion Epos-Feeling hält die fanfarenartige Musik zur 1978er TV-Miniserie Centennial bereit. Die Musik zum Filmepos über einen Militärpiloten, Reach for the Sky • Allen Gewalten zum Trotz (1956), stößt in ein ähnlich klingendes Horn. Sie vereint gelungen eine Portion Auf-dem-Gipfel-Feeling à la Strauss’scher Alpensinfonie mit marschartigen Akzenten.
Im Gegensatz zum meist betont klangschwelgerisch-üppigen Gestus Goodwins bleibt Addisons Orchestersatz allerdings in der Regel transparenter — was sich auch in den meist kammermusikalischen Proportionen seiner Konzertwerke spiegelt. In der Verarbeitung des Themenmaterials sowie der formal-sinfonischen Gestaltung erweisen sich seine Kompositionen insgesamt als etwas abwechslungsreicher und um eine Klasse anspruchsvoller als die des ihm nahe stehenden Kollegen. So erfreut verschiedentlich auch ein solide ausgeführter einfacherer Kontrapunkt das Gehör. Wiederum vergleichbar mit Goodwin besitzen allerdings auch Addisons Filmmusiken in Gänze meist erhebliche Redundanz, sind von etwas gleichförmigen, weniger fesselnden Passagen durchsetzt. Entsprechend bieten sich seine Scores besonders in Suitenform an.
Rumon Gamba präsentiert die versammelten Addison-Favoriten in auf Hochglanz polierten Interpretationen. In den Arrangements hat man sich gegenüber den Filmpartituren mitunter dezente Freiheiten genommen, hat das Sinfonische unterstrichen. So beispielsweise in Tony Richardsons The Charge of the Light Brigade (1967), der als bitter-sarkastische Satire gnadenlos mit einem britischen Heldenmythos aufräumt: der legendären Kavallerieattacke von Balaclava im Krimkrieg. In der zur überzeugenden Miniatursuite zusammengefassten Komposition ist das in der Originalmusik verschiedentlich bewusst hohl anmutende Pathos allein durch Verzicht auf den Chor merklich zurückgenommen. Die allgemein anzutreffende spieltechnische Eleganz lässt zudem manches noch etwas bedeutungsvoller erscheinen. Damit ist die vorliegende Zusammenstellung ein feines, für den Hörer im besten Sinne unproblematisches Höralbum. Noch eine weitere Addison-CD dieser Art und Güte, vorgelegt in nicht allzu ferner Zukunft, würde sicher von vielen Sammlern ebenso herzlich begrüßt werden.
Hier gibt es eine Übersicht der bisher besprochenen Chandos-Movies-CDs.
Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2007.
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