Mit dem Namen Sala dürften wohl die meisten Leser relativ wenig anfangen können. Am bekanntesten dürfte noch seine Zusammenarbeit mit Bernard Herrmann bei der elektronischen Geräusch-Konzeption für den Hitchcock-Film Die Vögel (1963) sein; wobei der eine oder andere vielleicht auch noch an die Vertonung des deutschen Edgar-Wallace-Krimis Der Würger von Blackmoor-Castle (1963) denken wird.
Oskar Sala gehört zu den deutschen Pionieren der elektronischen Musik. Er hatte nach dem Abitur ein Musikstudium bei Paul Hindemith an der Berliner Musikhochschule begonnen und kam 1930 mit Friedrich Trautwein an der Berliner Rundfunkversuchs-Stelle in Kontakt. Dieser hatte einen Versuchsaufbau zur Erzeugung von Tönen konstruiert, den er „Trautonium“ nannte: als Basis dient ein elektrischer Schwingkreis und als Spielmanual eine auf einem Brett befestigte Metallschiene mit einer waagerecht darüber gespannten drahtumsponnenen Darmsaite. Wird die Saite an einer Stelle gegen die Metallschiene gedrückt, verändert sich das komplexe elektrische System und der Schwingkreis erzeugt eine elektrische Schwingung, die per Verstärker über einen Lautsprecher als Ton wiedergegeben wird. Die Tonhöhe hängt dabei von der Position des Druckpunktes ab.
Paul Hindemith hat wohl als erster den revolutionären Charakter dieser damals noch als „elektro-akustische Musik“ bezeichneten Klänge erkannt. Noch im selben Jahr (1930) wurden die von ihm speziell komponierten „Triostücke für drei Trautonien“ uraufgeführt. Sala, einer der drei Spieler dieser Uraufführung, war von den klanglichen Möglichkeiten dieser neuen Technik derart fasziniert, dass er sich die Beherrschung und Weiterentwicklung des Trautoniums schließlich zur Lebensaufgabe machte. An der Berliner Universität studierte er Physik und stellte 1935 eine erste Ausbaustufe als „Rundfunk-Trautonium“ und 1938 eine zweite als „Konzert-Trautonium“ vor. Schon 1932 gab es bei Telefunken Pläne für ein sogenanntes „Volks-Trautonium“ für zu Hause – offenbar erwartete man einen Bedarf, vergleichbar mit dem Hammond-Orgel-Boom der späten sechziger und der siebziger Jahre des 20ten Jahrhunderts.
Die Nazis, in Person des Dr. Goebbels (Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda), standen nach einer Vorführung dem Trautonium positiv gegenüber. Daher konnte Sala bis 1943 noch Konzerte geben und auch einige Zeichentrickfilme des Dritten Reiches vertonen – nach Kriegsausbruch mussten allerdings alle kommerziellen Aspekte begraben werden. Das zuerst als „Melodie-Trautonium“ gebräuchliche Instrument wurde Anfang der 50er Jahre durch eine harmonische Komponente zum „Mixtur-Trautonium“ mit Fußpedalen erweitert. In Amerika erregte Miklos Rozsa 1945 Aufsehen mit der Verwendung des „Theremin“ in seiner Filmmusik zu Hitchcocks Spellbound • Ich kämpfe um Dich – es handelt sich hierbei um eine dem Trautonium entfernt ähnliche russische Entwicklung der zwanziger Jahre
Grundsätzlich handelt es sich beim Trautonium um eine Art Vorläufer der modernen Synthesizer, wobei die Töne hier allerdings gewissermaßen gebildet (modelliert) werden und nicht über eine Tastatur (Klaviatur) vorgegeben sind – es sind nur wenige Tasten als eine Art Orientierungshilfe vorhanden. Anders als bei einem Synthesizer mit seiner orgelähnlichen Tastatur können zu jedem Zeitpunkt des Spielens uneingeschränkt Tonhöhe, Klangfarbe und Lautstärke durch entsprechende Drehknöpfe und Schalter gestaltet werden: Das Trautonium ermöglicht so die Intonationsfreiheit von bundlosen Saiteninstrumenten. In den Klangmodellierungen ist man beim Trautonium freier, hingegen sind die Möglichkeiten der Vernetzung (Midi) und automatisierten Musikwiedergabe (mit Hilfe von Computern) beim Synthesizer besser möglich. Oskar Sala meint allerdings, dass die Synthesizer-Musik jene Intensität vermissen lasse, die eben dadurch entsteht, dass ein Musiker beim Spiel sowohl mit Händen als auch mit Füßen (Pedal) arbeitet. Bis Ende der achtziger Jahre hat er neben sonstigen Kompositionen speziell für sein Instrument – in seinem eigenen Ton-Studio – unzählige Kurzfilme, eine Reihe von Spielfilmen und Werbespots vertont. Im Laufe der 80er Jahre wurde das auf Elektronen-Röhren basierende Trautonium in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule der damaligen Deutschen Bundespost als Nachbau zum letzten Mal technisch aktualisiert und mit Mikro-Chips ausgerüstet. Noch in den neunziger Jahren gab Sala Konzerte, für die sich auch das junge Publikum der Techno-Generation und selbst Rock-Gruppen wie „Kraftwerk“ begeisterten. Allerdings hat die Sache einen Schönheitsfehler: Bis heute ist der Trautonium-Entwickler der einzige Interpret des Instrumentes geblieben; außerdem gibt es kaum einsatzfähige Instrumente…
Das Buch „Oskar Sala – Pionier der elektronischen Musik“
Ein musealer Hauch haftet der Publikation aus dem Satzwerk-Verlag an. Der Herausgeber, Peter Frieß, ist Direktor des deutschen Museums in Bonn (einer Dependance des deutschen Museums in München) und hat sich eingehend mit dem Werk Salas beschäftigt. Im Rahmen einer Ehrung zu dessen 90sten Geburtstag im Juli 2000 wurde das vorliegende Buch der Öffentlichkeit vorgestellt, das ein wenig wie ein Katalog zu einer Sala-Ausstellung wirkt. Zu etwa einem Drittel besteht es aus einem Textteil (Gespräche mit dem Künstler; sowohl in Deutsch als auch in Englisch); die restlichen beiden Drittel des Buches bildet üppiges Bildmaterial, das Oskar Sala porträtieren soll. Neben vielen Fotos des Künstlers (auf Reisen, in seinem Studio usw.) sind auch einige Dokumente und Skizzen-Materialien enthalten. Den Abschluss bildet ein Verzeichnis der Kompositionen des Künstlers. Eine interessante Zugabe ist eine CD-ROM, die fast eine Stunde Film- und Ton-Material zu, von und mit Oskar Sala enthält.
Unterm Strich ist die Mixtur aus Text-, Bild- und CD-ROM-Teil zwar nicht uninteressant, aber doch etwas unausgewogen geraten. Das Bildmaterial besteht weitgehend aus nicht kommentierten Fotos, darunter viele Portraitaufnahmen – die häufig beide gegenüberliegende Seiten ausfüllen – und die in der vertretenen Fülle primär für Sala-Verehrer interessant sein dürften. Demgegenüber kommt der recht informative Text-Teil doch ein Stück zu kurz. Der hohe Preis der Publikation dürfte ein übriges tun, das Buch nicht gerade zu einem Renner werden zu lassen.
Wer ein wenig schnuppern möchte, findet auf der Home-Page des Deutschen Museums Bonn (Link am Ende des Artikels) Teile des auch im Buch enthaltenen Interview-Materials und auch eine Reihe von Tonbeispielen.
Drei CDs vom Erdenklang-Verlag
Wer für das Ungewöhnliche offen ist und/oder durch die genannten Tonbeispiele auf den Geschmack gekommen ist, der sollte die drei CDs mit Oskar Salas Musik aus dem Erdenklang-Verlag in Erwägung ziehen. Alle drei zusammen bieten einen interessanten Querschnitt durch das vielschichtige musikalische Schaffen des Künstlers Sala. Der aufgeschlossene Hörer bekommt hier etwas geboten, das sich zum Teil von den gewohnten Synthesizer-Klängen sehr stark absetzt. Die vielfältigen und zum Teil verblüffend ungewöhnlichen Klang-Möglichkeiten des Trautoniums werden an gut gewählten Beispielen vorgeführt. Besonders erwähnenswert ist z.B. die Vertonung eines Textes von Jean Paul „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ auf der CD „My fascinating Instrument“. Bei aller Klang- und Experimentierfreude bleibt Salas Musik jedoch der abendländischen Tradition verpflichtet, ist oft humorvoll und gelegentlich fast schön zu nennen.
Fazit: Oskar Salas ist nach allen zur Verfügung stehenden Informationen nicht nur ein rüstiger Greis sondern auch eine interessante Persönlichkeit. Er ist zeitlebens mit dem von ihm fortwährend weiterentwickelten und verfeinerten Trautonium auf wahrhaft einzigartige Weise verbunden geblieben. Außer ihm gibt es bis heute keinen weiteren Interpreten für das zum letzten Mal in den achtziger Jahren modernisierte, nie in Serie gefertigte Instrument.
Ist das Trautonium eher ein Kuriosum mit musealem Touch oder hat es doch Zukunft? Diese Frage kann ich hier nur stellen, aber nicht beantworten. Die drei CDs aus dem Erdenklang-Verlag gestatten in jedem Fall eine interessante Begegnung mit den zum Teil außergewöhnlichen klanglichen Möglichkeiten dieses Veteranen der elektronischen Musik.
Weiterführende Links:
www.trautonium.de/
www.doepfer.de/traut/traut_d.htm
www.deutsches-museum-bonn.de/zeitzeugen/default.html
Mehrteilige Rezension:
Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu: