Mutiny on the Bounty

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
26. März 2005
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Mit Mutiny on the Bounty * Meuterei auf der Bounty (1962) hat FSM im Rahmen seiner durchweg guten bis vorzüglichen Filmmusik-Veröffentlichungen das 100. Album und damit zugleich das erste Tripel-CD-Set auf den Markt geworfen. Dabei steht nicht allein die Zahl 100 für ein Jubiläum. Mit insgesamt fast vier Stunden Spieldauer ist die Box allein schon von der gebotenen Materialmenge rekordverdächtig. Zusammen mit dem vorzüglich ausgestatteten, sehr informativen 48-seitigen Begleitheft dürfte wohl praktisch jeder vollauf zufrieden gestellt werden, der sich für vollblutromantische Abenteuerfilmmusik begeistern kann.

Die Zeit des auslaufenden Golden Age stand seit Anfang der 50er Jahre im Zeichen technischer Innovation durch Breitwandverfahren mit mehrkanaligem Stereosound. Besonders das üppig ausgestattete Breitwandfilmepos schien dazu geeignet, die seit Mitte der 40er Jahre infolge der wachsenden Attraktivität des heimischen Pantoffelkinos den Kinopalästen zunehmend fernbleibenden Zuschauerscharen zurückzugewinnen. Ermutigt durch den großen Erfolg von Ben Hur (1959) suchte man bei MGM weitere Stoffe mit vergleichbarem Erfolgspotenzial.

1466Die sich um Meuterei auf der Bounty rankende Entstehungsgeschichte zählt neben der zu Cleopatra (1963) zu den verworrensten mit denen das im Niedergang befindliche Hollywooder Studiosystem aufwarten kann — diese bietet allein Stoff für einen eigenen Artikel. Die Dreharbeiten begannen, obwohl kurioserweise kein vollständiges Drehbuch vorlag. Regisseur Carol Reed entzweite sich bald mit dem Produzenten Aaron Rosenberg über die Charakterisierung der zentralen Figur des Kapitän Blighs (Trevor Howard), worauf Lewis Milestone (Im Westen nichts Neues) übernahm. Marlon Brando verkörpert den 1. Offizier Fletcher Christian. Über Brandos Sonderrolle bei den Dreharbeiten rankt sich eine eigene Legende. Dem zweifellos exzentrischen Schauspieler war ein besonderes Mitspracherecht bei der künstlerischen Gestaltung zugebilligt worden. Er hatte daraufhin einen eigenen Drehbuchentwurf verfasst, der allerdings verworfen wurde. Auf Brando, der im Umgang mit dem wohl ebenfalls komplizierten Milestone große Schwierigkeiten hatte, geht besonders die ausführliche Inszenierung des Nachspiels der Meuterei zurück: die Flucht der Meuterer auf die auf den (damaligen) Seekarten falsch verzeichnete Insel Pitcairn. Zumindest die dem Darsteller infolge eines polemischen Artikels in der „Saturday Evening Post“ vom Juni 1962 zugeschriebene Rolle als eigentlicher, die Dreharbeiten sabotierender „Meuterer“ scheint arg überzogen. Das exzellente Begleitheft wartet nicht allein dazu mit interessanten Hintergrundinfos auf.

In vielem ist die 1962er Filmversion ein in Farbe und auf “Ultrapanavision 70“ (siehe dazu Khartoum) aufwändig erweitertes Remake der ebenfalls von MGM im Jahr 1935 produzierten, berühmten Filmversion, in der Charles Laughton als Kapitän Bligh und Clark Gable als Fletcher Christian agieren. Beide Versionen greifen übrigens auf dieselben Romanvorlagen von Charles Nordhoff und James Norman Hall zurück. Die anfänglich eher störend extrovertiert und geckenhaft wirkende Interpretation Brandos verzeichnet in der zweiten Hälfte des Films einen kräftigen Sprung nach oben. Besonders seine Darstellung Fletcher Christians nach der Meuterei ist achtenswert. Der deprimiert und verzweifelt nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation Suchende bemüht sich, die Besatzung der Bounty zur Rückkehr nach England und zur mutigen Anklage Kapitän Blighs zu überreden. Er scheitert letztlich an einer zweiten Meuterei, wird deren tragisches Opfer, indem er beim Versuch, aus dem in Brand gesetzten Schiff die nautischen Instrumente zu retten und den Rumpf der Bounty in flachem Wasser auf Grund zu setzen, tödlich verletzt wird. Brando hat die finale Sterbeszene übrigens auf eigene Kosten nochmals neu aufgenommen und dabei selbst Regie geführt.

Trotz einer Reihe von Schwächen ist die 1962er Filmversion unterm Strich gelungenes opulentes Unterhaltungskino. Besonders mitreißend sind die optisch wie musikalisch packenden Szenen mit der Bounty unter vollen Segeln (z. B. bei der Ausfahrt aus Portsmouth, „Leaving Harbor“), die brillant inszenierte Sturmsequenz sowie die wahrlich traumhaft paradiesisch wirkenden Tahiti-Szenen. Der Kameramann Robert Surtees hat insgesamt vorzügliche Arbeit geleistet, die Meuterei auf der Bounty zu einem bildgewaltigen und damit visuell besonders prachtvollen Leinwandspektakel gemacht. Zu den Schwächen des Films zählt die einseitig dämonisch überzeichnet wirkende Figur des Kapitäns Bligh — Trevor Howard muss über die Rolle sehr unglücklich gewesen sein. Historisch zumindest korrekter dürften die Umstände der Meuterei in The Bounty (1984) getroffen sein, wo Mel Gibson Fletcher Christian und Anthony Hopkins Kapitän Bligh verkörpern.

2727Nach dem Abschluss der Dreharbeiten, im Oktober 1961, folgte noch eine rund einjährige mindestens ebenso schwierige Postproduktionsphase. Bis der Streifen im November 1962 uraufgeführt werden konnte, erlebte er zahllose Nachbearbeitungen. Praktisch sämtliche Szenen sind mindestens einmal verändert worden. Was auch den anstelle des ursprünglich vorgesehenen Miklós Rózsa verpflichteten Komponisten Bronislaw Kaper (1902-1983) dazu zwang, seine Musik permanent umzuarbeiten und neu anzupassen. Kaper stand bei dem Projekt insgesamt rund 14 Monate unter Vertrag. Dass er bereits für die 1935er Filmversion das Love-Theme beisteuerte und seine Musik zur 1962er Mutiny zugleich den Schlusspunkt unter seine Aktivitäten bei MGM setzte, ist dabei ein ironisches Detail.

Erstaunlicherweise ist offenbar praktisch sämtliches Material der Aufnahmesitzungen noch vorhanden und das sogar in beachtlichem Zustand. FSM hat daraus ein prall gefülltes Dreier-CD-Set zusammengestellt, das dem Hörer geradezu faszinierende Hörstudien ermöglicht. Dabei sind die im Begleitheft zu jedem Track mühelos auffindbaren Infos eine wertvolle Hilfe. Neben der vollständigen Musik zur geläufigen endgültigen Schnittfassung (rund 101 Minuten) findet sich ein aus alternativen Stücken montierter, quasi „Alternate Score“ (rund 93 Minuten). Den Rest von nochmals knapp 45 Minuten Lauflänge bilden weitere interessante Alternate-Cues, einige tahitianische Folklorepiècen, sowie für das seinerzeit veröffentlichte LP-Album gesondert eingespielte Konzertfassungen. Letztlich handelt es sich hierbei nochmals um eine (auf Highlights konzipierte) alternative Version des Scores.

Hier läuft die klassische, klangschwelgerische Kinosinfonik alter Prägung nochmals zur Bestform auf: Die 1962er Mutiny on the Bounty wird so zu einem grandiosen Nachklang des Golden Age. Das prachtvolle, breite Hauptthema für das titelgebende Schiff durchläuft eine breite Palette von Stimmungen und fungiert damit geradezu zwangsläufig zugleich als Schicksalsmotiv. Oftmals erklingt es kombiniert mit tonmalerisch auf den großen Ozean verweisenden Klangfiguren, was die Filmmusik in Teilen auch zu einer der schönsten und opulentesten Seesinfonien der Kinoleinwand werden lässt. Dem Bounty-Thema tritt noch ein besonders schwärmerisch-liebliches Liebes-Thema zur Seite. Beide spielen die entscheidende Rolle in der musikalischen Entwicklung neben stark motivisch orientiertem Material für Kapitän Blighs Schreckensregiment und die titelgebende Meuterei. Die harten Orchesterschläge, welche die Ouvertüre einleiten, stehen für die Wucht der gnadenlos grausamen Peitschenschläge, und auch weiteres musikalisches Material verweist auf die Albträume dieses berühmt-berüchtigten maritimen Unternehmens des 18. Jahrhunderts. Der Main-Title präsentiert das majestätische Bounty-Thema mit choraler Unterstützung, was den epischen Charakter noch verstärkt.

2728Die gebotene Fülle an unterschiedlichen Versionen einzelner Musikteile erlaubt in besonderem Maße faszinierende Spurensuche an einem „Work in Progress“, sind doch die Unterschiede zwischen den Fassungen hier derart deutlich, dass sie besonders leicht und bereits beim ersten Hören unmittelbar feststellbar sind. Im „alternativen Score“ begegnet dem Hörer, in „Main-Title/Prologue/Chanties“, besonders im Prolog nach dem verhaltenen Zitat von „Rule Britannia“ eine besonders trübe musikalische Stimmung: Ursprünglich sollte die Geschichte der Meuterei durch den die Brotfruchtexpedition begleitenden Botaniker als Rückblende erzählt werden, nachdem die Meuterer (viele Jahre später) auf ihrem Versteck Pitcairn Island durch eine britische Fregatte entdeckt worden sind. (Von dieser wieder entfernten Szene war übrigens schon seinerzeit ein Fragment in Form eines Werbe-Aushangfotos zu sehen.) Und der nach dem Zeitsprung zur Überblendung in den Hafen von Portsmouth erklingende Shanty bedarf noch merklicher Entwicklung, um zur aus dem Kino und vom TV-Bildschirm gewohnten Fassung zu geraten. Und ebenso fällt auf, dass der Chor im berückenden Love-Theme (und auch im Main-Title) erst später hinzugefügt worden ist.

Ganz besonders interessant sind die insgesamt vier Fassungen der sowohl musikalisch wie visuell brillant umgesetzten Ausfahrt der Bounty aus Portsmouth in „Leaving Harbour“: Hierbei handelt es sich um ein mit und ohne Film gleichermaßen unmittelbar besonders wirkungsvolles Stück, bei dem das Meeresrauschen und der in die Segel fahrende Wind (klang-)sinnlich erfahrbar werden. In der Endfassung verspürt man deutlich den auf die Ausfahrt der Mayflower bezugnehmenden Rózsa-Touch aus Plymouth Adventure (1952).

Es ist bemerkenswert, dass gerade in Teilen der Musik zur endgültigen Filmfassung — beispielsweise in der Ouvertüre — ein besonders ausgeprägter Rózsa-Touch spürbar ist. Dieser fehlt in den ersten beiden Fassungen von „Leaving Harbour“ noch weitgehend, und das in der endgültigen Filmfassung abschließende „Rule Britannia“ ist überhaupt erstmalig in der intermediate-Version dieses Stückes (auf CD-3) zu hören: da erklingt es allerdings verkürzt und in anderem Tempo als in der Filmversion und ist zudem mit dem Thema der Bounty verknüpft. Bei der vierten Fassung von „Leaving Harbour“ handelt es sich um die für die damalige LP-Veröffentlichung professionell gebastelte Version des Stückes. Diese unterscheidet sich von der in der endgültigen Filmfassung verwendeten in erster Linie durch jeweils rund halbminütige Kürzungen an Anfang und Ende des Stückes. So hat man die kleine zur Eröffnung ertönende Fanfare und eine an das Traditional-Zitat angefügte rein bildbezogene orchestrale Seemusik-Passage schlichtweg weggelassen — beide sind gelöst vom Bild eindeutig weniger wichtig. Somit bildet hier das wuchtig und konzertsaaltypisch ausklingende „Rule Britannia“ einen markanten und ohne Bildbezug völlig überzeugenden Abschluss.

2729Auffällig ist der im Rahmen der Postproduktionsphase verstärkte Einsatz überzeugender Ethno-Elemente zur musikalischen Gestaltung der Ankunft auf Tahiti. Da wirkt der „Tahitian Folk Song“ der ersten Fassung denn doch noch kaum typisch tahitianisch und der anschließende, zweifellos hübsche Orchestersatz erinnert merklich an die Spielzeuge des Sultans aus Rózsas Der Dieb von Bagdad. Das nachfolgende Orchesterscherzo ist zwar sehr wirkungsvoll und tadellos gefertigt, aber eindeutig mehr den sinfonischen Standards des Golden Age verpflichtet als die endgültige musikalische Lösung. Im sehr farbig gehaltenen, schwungvollen Orchestersatz der Erstfassung sind verschiedene Shanties geschickt und klangvoll verarbeitet. Im Vergleich wirkt die Finalversion mit ihren eröffnenden und anschließend gut mit dem traditionellen Orchestersklang kombinierten tahitianischen Folkloresounds, besonders aus heutiger Sicht, deutlich weniger konventionell, ja darf fast schon modern genannt werden.

Die unablässigen Änderungen und Umarbeitungen dürften Bronislaw Kaper, seinen Orchestrator Robert Franklyn, sowie den das Orchester leitenden Chef des Musicdepartments Robert Armbruster denn auch genervt haben. Dies scheint zumindest der spürbar ironische Unterton in der Cue-Bezeichnung für das während der letzten Aufnahmesitzung am 12. Oktober 1962 nochmals eingespielte Finale anzudeuten: „Definite End“.

2730Das Gebotene lädt sicher viele dazu ein, sich eine individuelle Musikfassung zusammenzustellen. Gerade die in der Regel so markant unterschiedlich ausgeführten Fassungen gleicher Musikstücke ermöglichen auf optimierten Fluss abgestimmte Höralbumkonzeptionen, die beispielsweise auch zwei Versionen von „Leaving Harbour“ vertragen. Gerade bei diesem handelt es sich nämlich um eines der zweifellos schönsten und effektvollsten Seestücke, welche das Kino musikalisch zu offerieren vermag. Und auch das überaus reizvolle Love-Theme ist jetzt erstmalig in seinem ganzen Stimmungsgehalt vertreten und lädt den Hörer ein, darin zu schwelgen. In diesem Punkt war der mit rund 35 Minuten insgesamt sowieso knapp bemessene LP-Albumschnitt der Musik ganz besonders unbefriedigend.

Auch akustisch gibt es an der Tripel-CD-Box nicht wirklich etwas zu bemäkeln. Gegenüber dem verhallten und eher schwammigen Weichzeichner-Sound des alten LP-Schnitts oder der späteren CD-Veröffentlichung desselben vermag die vorliegende FSM-Mutiny-Edition mit eindeutig mehr an klanglicher Präsenz und Detailliertheit kräftig zu punkten. Zwar vermag sie auditiv nicht ganz mit den bislang besten Veröffentlichungen aus dem MGM-Archiv mitzuhalten: Für eine Einstufung bei (fast) „sehr gut“ reicht es aber in jedem Fall.

Kompositorisch ist Kapers Musik zu Mutiny on the Bounty zwar den ganz großen, die Spitze bildenden Genre-Scores — wie Prince Valiant (1954), Ben Hur (1959), Spartacus (1960) oder Cleopatra (1963) — nicht voll ebenbürtig, für eine Einstufung bei satten fünf Sternen langt es aber auch hier allemal. Neben einem besonders umfangreichen, wiederum erstklassigen Begleitheft — das seine Informationen dazu in sehr übersichtlich gegliederter Form präsentiert — wartet die Box mit ebenfalls gelungen gestalteten Inlays auf, präsentiert beispielsweise eine Karte mit dem Weg der Bounty und ebenso eine glanzvolle Plakatmontage. Somit ist es nicht zu hoch gegriffen, von einer editorischen Glanzleistung zu sprechen, was noch einen (Rundungs-)Zuschlag auf fünfeinhalb Sterne verdient. Mit der Veröffentlichung der Musik Bronislaw Kapers zur 1962er Filmversion der wohl berühmtesten Meuterei der Kinogeschichte ist zudem eine der letzten großen filmmusikalischen Lücken geschlossen und damit zweifellos für viele Filmmusikliebhaber ein lang gehegter Traum endlich Wirklichkeit geworden. Wie bereits bei Diane und Shoes of the Fisherman angemerkt, haben die von Anfang an liebevoll gemachten FSM-Alben mittlerweile einen absolut herausragenden Standard erreicht: Wer da nicht zugreift ist selber schuld.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2005.

Originaltitel:
Meuterei auf der Bounty

Komponist:
Kaper, Bronislaw

Erschienen:
2004
Gesamtspielzeit:
238:09 Minuten
Sampler:
FSM
Kennung:
Vol. 7 No. 16

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