Insbesondere die unter dem Logo der britischen Filmproduktionsfirma „The Archers“ (einer mit diversen Pfeilen eigenwillig drapierten Zielscheibe) erschienenen, aus dem eher biederen Mainstream herausragenden, heutzutage fast schon legendären Filme von Michael Powell (1905–1990) und Emeric Pressburger (1902–1988), haben den Begriff des „Golden Age of British Cinema“ entscheidend mitgeprägt.
Powell, der Regisseur, geboren im idyllischen Canterbury in der Grafschaft Kent, und der aus Ungarn stammende Drehbuchautor Pressburger – 1933 aus Nazi-Deutschland emigriert – lernten sich 1939 bei der Alexander-Korda-Produktion The Spy in Black Der Spion in schwarz kennen und schätzen. Als sie sich begegneten waren beide längst keine Anfänger mehr: Powell war bereits seit 11 Jahren als Regisseur tätig, Pressburger seit 15 Jahren mit dem Verfassen von Drehbüchern befasst. Unter dem gemeinsam begründeten Dach von „The Archers“ produzierte das stets in Personalunion als Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten auftretende Duo ab 1942 rund 20 Filme bevor sich ihre Wege Mitte der 1950er Jahre einvernehmlich wieder trennten. Beide blieben darüber hinaus lebenslang eng befreundet. Sie waren weiterhin im Filmgeschäft tätig und hinterließen auch unabhängig voneinander beachtliche Arbeiten.
In der Ära von „The Archers“ arbeiteten sie während des gesamten Produktionsprozesses äußerst eng, quasi Hand in Hand zusammen. Geraume Zeit wurde allerdings die immanente Bedeutung von Pressburger unterschätzt, welcher nicht nur große Teile des Jobs eines Produzenten abdeckte, sondern ebenso bei den Aufnahmen und besonders während der Postproduktionsphase eingebunden war, sich z.B. um den Einsatz der Filmmusik kümmerte. Die Arbeit des in jener Zeit einzigartigen Duos nimmt damit bereits in etwa das vorweg, was späterhin unter dem Begriff Autorenkino firmierte. Indirekt wird dies bereits auf dem Plakatmotiv zu Colonel Blimp angedeutet: „Written produced and directed in Technicolor by Michael Powell and Emeric Pressburger“.
Die zeitgenössischen Kritiken waren allerdings eher gemischt. Erst viel später, seit den 1970er Jahren, wurde in zunehmendem Maße das Außergewöhnliche, die Schlüsselrolle der hinter „The Archers“ stehenden beiden Macher, erkannt. Einer der Wegbereiter für ihre Wiederentdeckung wurde Martin Scorsese, der sich bereits in seinen Studententagen in den 1960ern anhand einer minderwertigen 16mm-Schwarzweißkopie für den von Powell (ohne Pressburger) produzierten Skandalfilm Peeping Tom Augen der Angst (1960) begeisterte.
Zu den international bekanntesten Produktionen von „The Archers“ zählen neben dem bekanntesten Film The Red Shoes Die roten Schuhe (1948), A Matter of Life and Death (US-Titel Stairway to Heaven) Irrtum im Jenseits (1946) und Black Narcissus Die schwarze Narzisse (1947). The Life and Death of Colonel Blimp Leben und Sterben des Colonel Blimp (1943) wird heutzutage als der wohl ambitionierteste Film des Duos angesehen und zugleich mit dem Attribut Meisterwerk versehen gehandelt.
Hierzulande ist der Colonel Blimp derzeit noch deutlich weniger geläufig als international. Am 2. Dezember 1980 ist er erstmalig überhaupt in Deutschland, im ZDF, gezeigt worden, allerdings in einer gegenüber dem Original von 164 um 40 Minuten gekürzten Fassung. Dabei war diese rund 123 Minuten umfassende Version gegenüber den noch verfügbaren, durch Umtiteln, massive Schnitte sowie Eingriffe in die ursprüngliche Montage mit nur noch ca. 93 Minuten Laufzeit versehenen, völlig verstümmelten Kopien bereits um rund 30 Minuten verlängert. Die komplette Uraufführungsversion war erstmalig wieder 1983 zu sehen.
Der Film ist eine mit satirischen Elementen durchsetzte Tragikomödie, welche die vier Jahrzehnte überdauernde Freundschaft zwischen einem britischen und einem deutschen Offizier, Clive Wynne-Candy (Roger Livesey) und Theo Kretschmar-Schuldorff (Adolf Wohlbrück), zum Thema hat. Zur Zeit der Entstehung wurde der Film von Premierminister Winston Churchill als „schädlich für die Moral der Armee“ eingestuft, auf’s Äußerste bekämpft, die Produktion geradezu mit einem Bann belegt. Auch dank der Unterstützung des Industriellen und Filmproduzenten Joseph Arthur Rank (Gründer von „The Rank Organisation“: die mit dem „Gongman“-Logo) konnte der Streifen fertiggestellt und in die Kinos gebracht werden.
Churchill dürfte es dabei weniger um den in der Presse häufiger heftig kritisierten, vom österreichischen Emigranten Adolf Wohlbrück (Anton Walbrook) sehr positiv dargestellten Deutschen gegangen sein. In erster Linie dürfte es ihm um den im Film an der Figur des Colonel Blimp satirisch dargestellten Verfall (glorifizierter) traditioneller britischer Tugenden, wie Ritterlichkeit und Fairness, gegangen sein. In Zeiten eines zunehmend rücksichtsloser und total geführten 2. Weltkriegs wollte man keiner eventuell innenpolitische Probleme auslösenden Wertedebatte den Weg bereiten. Ironisch wie satirisch erscheint dazu bereits, dass Colonel Blimp nicht, wie im Titel suggeriert, stirbt, sondern vielmehr sind es die von ihm als idealistischem, romantischem Träumer so verehrten soldatischen Tugenden, die letztlich nicht überleben: Entsprechend passt sich der Colonel in der Schlussszene der neuen Zeit und ihrer Doktrin an, indem er der vorüberziehenden neuen „jungen Garde“ die Ehre erweist und salutiert.
Natürlich ist Colonel Blimp unübersehbar ein Film aus einer mittlerweile bereits weit zurückliegenden Ära. Was seinerzeit verschiedene Gemüter erregte, wirkt heutzutage (zwangsläufig) erheblich anders. Aber die Art und Weise, wie dieses bemerkenswerte filmische Plädoyer für Ausgleich und Völkerverständigung in Zeiten eines zunehmend brutaler geführten Krieges gemacht worden ist, vermag auch heutzutage zu beeindrucken. Da ist die eindrucksvolle Farbdramaturgie, welche sich von den in der Regel deutlich verspielter, bunter gehaltenen Hollywoodproduktionen markant unterscheidet. Der Einsatz der Farben scheint hier noch sorgfältiger durchdacht, mehr aus betont künstlerischer Perspektive konzipiert zu sein. Dabei ist es schon erstaunlich, wie elegant Kameramann Jack Cardiff mit der ein klobiges Ungetüm darstellenden 3-Farb-Technicolorkamera hantiert, geradezu gezaubert hat, die von Powell liebevoll als „Die verwunschene Hütte“ bezeichnet wurde. Und neben der für sich genommen bereits eindrucksvollen Bildsprache ist die nicht minder eindrucksvoll dargebotene Geschichte ein weiterer Pluspunkt, der diesen Film auch abseits einiger zeitgebundener pathetischer wie propagandistischer Momente, unbedingt sehenswert macht. Die Story wird nicht einfach linear erzählt, sondern sie entfaltet sich vielmehr elegant in einem gekonnt ineinander verschachtelten System aus Rahmenhandlung, Rückblenden und Parallelmontagen. Dass sie außerdem in geschliffene, wortwitzige Dialoge verpackt ist, wird zum Tüpfelchen auf dem i.
Leben und Sterben des Colonel Blimp auf BD
Die BD der Reihe „Koch Media Masterpieces of Cinema“ präsentiert diesen auf 3-Farb-Technicolormaterial aufgenommenen Film im korrekten Normalformat (1 : 1,37), dank vollständig digital ausgeführter Kombination der drei Technicolor-Farbauszüge jetzt erstmalig in einer geradezu bestechenden Bildqualität. Was dabei herausgekommen ist, ist besser als das, was man mit den herkömmlichen mechanischen Methoden des so genannten Technicolordrucks qualitativ erreichen kann. Im Mittel offeriert das kaum Filmkorn zeigende, wie blankgeputzt erscheinende Bild sehr guten Kontrast und brillante Farben. Es weist zudem sehr solide Kantenschärfe auf und erscheint besonders detailfreudig. Die deutsche Mono-Tonfassung ist von der 1980er Erstaufführung im ZDF übernommen. Die in der damaligen Version noch fehlenden Teile sind damit durch sorgfältig gesäuberten, insgesamt erstaunlich frisch klingenden Originalton und deutsche Untertitel leicht auszumachen.
Hinzu kommen einige gute Extras: Neben der 24-minütigen Dokumentation zu Entstehung und Bedeutung des Film, „A Profile of The Life and Death of Colonel Blimp“, ist die fünfminütige Featurette „Restoration Demonstration“ besonders sehenswert. Martin Scorsese erklärt hier die erforderlichen Arbeitsschritte der besonders aufwändigen 2011er 4K-Restauration und belegt das Erreichte eindrucksvoll anhand ausgewählter Beispiele durch vorher/nachher-Vergleich. Darüber hinaus enthält das „Media Book“ ein 12-seitiges Begleitheft mit einer sehr informativen und auch interessante Zusammenhänge herstellenden Einführung von Olaf Möller – deren sehr flapsiger Tonfall hingegen etwas gewöhnungsbedürftig ist.
Fazit: Mit Leben und Sterben des Colonel Blimp (1943) hat Koch Media dem Kinofreund eine bei uns bislang noch wenig bekannte echte britische Kinoperle vollständig und in brillanter Bildqualität zugänglich gemacht. Auch wenn aus der für die deutsche Veröffentlichung die Ausgangsbasis bildenden, besonders vorbildlich ausgestatteten US-Ausgabe der Reihe „Criterion-Collection“ nicht sämtliche interessanten Boni übernommen sind (etwa der Audiokommentar von Martin Scorsese, angereichert mit Interview-Statements von Regisseur Michael Powell), kann der Interessierte durchaus zufrieden sein: Hier stimmt in jedem Fall das Preis-Leistungs-Verhältnis.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.