Kon-Tiki : Die berühmteste Expedition des Thor Heyerdahl
Im Jahr 1947 überquerte Thor Heyerdahl auf einem selbstgebauten, ausschließlich von Hanfseilen zusammengehalten Floß aus Balsaholz-Stämmen, genannt Kon-Tiki (nach dem Sonnengott der Inkas), von Peru aus die Weiten des Pazifischen Ozeans (rund 7000 km) und erreichte nach 101 Tagen Polynesien. Damit hatte er eine bemerkenswerte geschichtsarchäologische Leistung vollbracht. Mit dieser riskanten Forschungsreise hatte der Norweger nämlich einen Beleg für seine bereits in den 30er Jahren entwickelte, damals revolutionäre Hypothese geliefert: Die Besiedelung der seit dem 17. Jahrhundert als Polynesien bezeichneten Inselgruppe sei nicht ausschließlich von Asien und damit von Westen, sondern ebenso aus genau entgegengesetzter Richtung, aus Südamerika und damit von Osten erfolgt.
Erste Überlegungen für einen Spielfilm über Thor Heyerdahls Kon-Tiki-Abenteuer gab es zwar schon früh. Immerhin hatte das von Heyerdahl während der Expedition aufgenommene 16-mm-Filmmaterial, aufbereitet zur Reisedokumentation Kon-Tiki, Anfang der 1950er großen Erfolg und wurde zudem mit einem Auslands-Oscar ausgezeichnet. Laut Thor Heyerdahl Junior hätten alle Hollywood-Studios Interesse gezeigt, aber sein Vater habe dann letztlich immer doch abgelehnt. Erst in den 1990er Jahren wurden die Überlegungen konkreter. Auf Anraten des vom Kon-Tiki-Stoff begeisterten Schauspielers Michael Douglas hat man sich wiederum mit Hollywood nicht einlassen. So blieb denn schließlich das Allermeiste in nordischen Händen. Insbesondere das Geld für diese mit umgerechnet rund 15 Mio $ bislang aufwändigste norwegische Spielfilmproduktion wurde aus verschiedenen europäischen Staaten zusammengetragen.
Das mit der Umsetzung betraute norwegische Regisseur-Duo Joachim Rønning und Espen Sandberg wurde bereits zuvor insbesondere durch ihren Film über eine der zentralen Figuren des norwegischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg, Max Manus, auch international geläufig. Pål Sverre Hagen als Thor Heyerdahl steht an der Spitze eines kompetenten Ensembles und besitzt als einziger mit der jeweils verkörperten historischen Figur recht große Ähnlichkeit. Gedreht wurde auf den Malediven und in Thailand, aber zum größten Teil auf Malta. Regisseur Espen Sandberg sagte dazu: „Schon Steven Spielberg machte Malta für seinen Film München zum Schauplatz von sechs Ländern, weil es so vielseitig ist.“
(Trick-)Technisch auf der Höhe der Zeit, aber ansonsten in eher am klassischen Erzählkino orientierter Weise erzählt der Film seine Geschichte. Ruhige Kameraeinstellungen dominieren. Die im heutigen Actionkino üblichen, oftmals hektischen und dabei gelegentlich auch penetrant modischen, nämlich ruckartigen Schnittfolgen bleiben dem Zuschauer erspart. Auch diejenigen, denen das Schwelgen in schönen Bildern schnell etwas langweilig wird, werden nicht enttäuscht. Während der Schilderung des Kon-Tiki-Abenteuers gibt es nämlich insgesamt drei Sequenzen, die angemessen unterstützt von moderner CGI-Technik gekonnt auf Action und Spannung setzen. Auch wenn sich die geradezu reißerisch in Szene gesetzte Begegnung mit dem Wal-Hai – der als Fisch im Gegensatz zu Säugetieren weder Luftblasen noch wal-typische Fontänen erzeugen kann – um des Effekts willen einige „künstlerische Freiheiten“ gestattet, schadet das dem beabsichtigten Eindruck nicht wirklich. Auch wie etwa der mitgeführte Papagei dem Hai zum Opfer fällt und dieser dafür anschließend von Heyerdahl zur Strecke gebracht wird, erscheint zwar nur bedingt realistisch, es ist aber grandios anzuschauen. Besonders packend inszeniert ist das dramatische Finale, wo die Kon-Tiki unter Ausnutzung der Dünung das dem Strand vorgelagerte, gefährliche Raroia-Riff überwinden muss und dabei schwer beschädigt wird.
Einiges im Film ist klar von aktuellen Vorbildern inspiriert. So etwa die schon mythisch anmutende Begegnung mit den fluoreszierenden Meeresbewohnern (Ang Lees Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger aus dem Jahr 2012) oder wenn die Kamera himmelwärts fährt, bis sich außerhalb der Atmosphäre der Blick ins unendlich erscheinende Universum auftut und es anschließend à la Google-Earth wieder retour geht – Alejandro Amenábars 2009 uraufgeführter Agora – Die Säulen des Himmels.
Ein netter Gag kommt dann noch kurz vor Schluss: Unmittelbar vor dem Abspann sieht man durch leichtere Bildschäden auf alt getrimmte Aufnahmen im Normalformat und in Schwarz-Weiß, die an Heyerdahls Kon-Tiki-Dokumentarfilm erinnern sollen, untertitelt mit Hinweisen auf das weitere Schicksal der Besatzung.
Kon-Tiki auf Blu-ray
Die deutsche Blu-ray präsentiert den Film in der internationalen, gegenüber dem norwegischen Original rund 5 Minuten kürzeren Version. Das Bild der Blu-ray sieht fast durchweg brillant aus. Nur ein paar Szenen zeigen kurzzeitig einen merklich zu hellen Schwarzwert. Die digital aufgenommene Produktion weist praktisch kein Bildrauschen auf und zeigt insbesondere dann, wenn das große Abenteuer vonstatten geht, satte Farben. Passend zur glänzenden Optik liegt auch der 5.1-Ton auf vergleichbar hohem Niveau. Neben einer auch sehr feine klangliche Details erstklassig reproduzierenden Surroundatmosphäre kommen in den Actionmomenten auch diejenigen auf ihre Kosten, die dynamische wie druckvolle Effekte lieben.
Die wie der Film in HD vorliegende Boni-Sektion hinterlässt ebenfalls einen feinen Eindruck. Neben der kleinen, mit einigen Einblicken in die zum Einsatz gekommene CGI-Technik aufwartenden „Visual FX Featurette“ (ca. 10 Min.) sind es die beiden umfangreichen Dokumentationen, welche dem Interessierten besonders viel Sehenswertes bieten. „Die Entstehung des Films“ (ca. 45 Min.) ist das die wichtigsten Aspekte des Drehs abdeckende Making-of. Zusätzliche Infos zur im Zentrum stehenden Figur des Entdecker und Abenteurers Thor Heyerdahl gibt’s in „Die wahre Geschichte zum Film“ (ca. 49 Min.) zu sehen. Erfreulicherweise zeichnen sich beide Dokus durch eine sehr professionelle Machart aus. Die Lebendigkeit in der Darstellung sorgt dafür, dass beim Zuschauen kaum Langeweile aufkommt.
Filmmusik: Johan Söderqvist
Der 1966 geborene Schwede Johan Söderquist hat zum aktuellen Kon-Tiki-Leinwandabenteuer eine überwiegend im Hintergrund bleibende Musik komponiert. Im Gegensatz zu der in vielem eher dem traditionellen Erzählkino verbundenen filmischen Umsetzung ist Söderqvists Vertonungsansatz sehr auf der Linie der Zeit. Modischer Minimalismus und elegische Piano-Soli bestimmen eine dank exotischen Instrumentariums mit ebenso modischem Weltmusik-Touch durchsetzte, zum Teil auch synthetisch unterstützte Komposition. Die eher meditierend, in weiten Teilen betont atmosphärisch wirkende Tonschöpfung setzt auf eine an Thomas Newman erinnernde, stark klangbezogene Tonsprache. Dabei sorgt das direkt zu Beginn im eindringlichen Klang der Schneckentrompete (dem ältesten Vorläufer der modernen Trompete) intonierte Tiki-Thema durchaus für eine passende archaisierende und zugleich mystische Atmosphäre. Die stark minimalistisch gefärbte, kreisende Pianomelodie aus „Thor and Liv“ sorgt dazu für einen betonter lyrischen Kontrast.
Im aus 30 Tracks bestehenden Albumschnitt zeigt sich in der Hörpraxis aber letztlich schon die in der Kürze der meisten Einzeltracks bedingte relative Kurzatmigkeit einer Komposition, die sich offenbar kaum in der Lage sieht, ihre einzelnen recht ansprechenden, dabei melodisch allerdings schon sehr schlicht gehaltenen Momente auch mal breiter auszuführen. Entsprechend bleibt gerade über die gesamte Lauflänge der Eindruck doch recht gemischt. Was zuerst nett wirkt, erweist sich mangels Abwechslung als doch etwas gleichförmig und monoton. Besonders schwach gestaltet sind dabei allerdings die Spannungs- und Actionmomente. Diese bekommen als Untermalung primär rein atmosphärische Klangräume zugeordnet. Im Film stechen diese zwar nicht störend hervor, aber davon gelöst besitzen sie musikalisch einfach keine Substanz, um lebensfähig zu sein. Selbst die zumindest ein wenig mit dem Tiki-Thema agierende finale Sequenz „The Raoira Reef“ bleibt recht blass. Somit erweist sich die über weite Strecken zudem betont sphärisch agierende Filmvertonung als insgesamt doch etwas arg unscheinbar. Am allerbesten funktionieren die beiden das Album beschließenden, jeweils rund fünf minütigen, geradezu suitenhaft montiert wirkenden Albumtracks „End Credits“ und „Epilogue“: fassen diese doch das Essentielle dieser Filmmusik besonders überzeugend zusammen.
Zum eher klassisch umgesetzten Abenteuerstoff hätte ich mir allerdings schon eine stärker traditionell ausgeformte, markantere wie kraftvollere orchestrale Tonsprache mit mehr epischem Atem gewünscht. Eine, die mit prägnanterem thematischen Material aufwartet, dieses im Ablauf geschickt widerspiegelt und bei der in den dramatischen Momenten auch mal das Orchester gekonnt die Muskeln spielen lässt.
Das knapp einstündige Album wird von der hiesigen Sony Dependance als Download angeboten. Im klassischen CD-Format ist es als Import erhältlich.
Die Biografie: „Heyerdahl – Auf dem Floß zum Forscherruhm“
Wer beim norwegischen Entdecker Heyerdahl (1914–2002) noch mehr in die Tiefe gehen möchte, der ist mit der ins Deutsche übertragenen, gekürzten Fassung der Heyerdahl-Biografie von Ragnar Kvam jr. gut beraten. Der Autor zog vielfältige Quellen heran, hat dabei auch aus Tagebüchern, Briefen und mündlich Überliefertem geschöpft. Daraus resultiert eine essayistische Betrachtung, die sich keineswegs steif oder trocken anfühlt, sondern sich vielmehr fast wie eine spannende, romanhafte Erzählung liest. Daneben ist es auch die aus den vielfältigen Schauplätzen (vom heimatlichen Norwegen über u.a. New York, Peru, British Columbia und natürlich die Südsee) resultierende Abwechslung, welche die Buchlektüre zusätzlich flüssig macht.
Der Zivilisation den Rücken kehren, in die unberührte Natur der Südsee auswandern. Ein derartiger Aussteiger war Thor Heyerdahl. Ebenso deutlich wird aber auch, dass er menschlich schwierig, keineswegs eine strahlende, sondern eine zwiespältige Persönlichkeit war. Beherrscht von einem ausgeprägt egozentrischen Charakter, gab er sich selbst im Eheleben als ein von eisernem Willen bestimmter Patriarch. Kvam unterschlägt zudem nicht des jungen Heyerdahls heutzutage befremdlich wirkende Begeisterung für das Deutschtum der NS-Zeit. Der politisch offenbar eher instinktlose Norweger begegnet uns (zumindest bis Kriegsbeginn) als ein eher naiv-unbekümmerter Betrachter von Nazideutschland. In einem Brief schrieb er an seine Mutter vom unglaublichen Unterschied zwischen Engländern, Amerikanern und Deutschen auf der einen und Franzosen, Spaniern und Polynesiern auf der anderen Seite. In der ersten Gruppe meinte er gar die „charakterfestere Rasse“ auszumachen. Erwähnt wird auch eine Begegnung mit „Rasse Günther“. Heyerdahl hat offenbar Prof. Hans F. K. Günther, der als Urheber der nationalsozialistischen Rassenideologie gilt, einen von den Marquesa-Inseln entwendeten Totenschädel für seine wissenschaftlichen Untersuchungen überlassen. Auch die nach dem Scheitern seines ersten Aussteiger-Experiments in der Südsee in Kanada verbrachten, für Heyerdahl schwierigen und entbehrungsreichen Kriegsjahre werden beschrieben. Deutlich wird aber auch, dass Heyerdahl, was die Bildung seiner eigenen Legende anging, nichts dem Zufall überließ, u.a. indem er bereits die Kon-Tiki-Expedition zum geschickt inszenierten, für seine Zeit großen Medienereignis machte und sich erst Recht im Anschluss daran werbewirksam in Szene zu setzen wusste, etwa indem er Präsident Truman die mitgeführte US-Flagge überreichte. Der von Heyerdahl in Buchform herausgegebene Bericht über die Ereignisse ist eine von ihm stark überarbeitete, dabei in Teilen geschönte und idealisierte Version dessen, was sich über 101 Tage auf See an Bord des Balsaholz-Floßes wirklich ereignet hat.
Herausgeber Karl Ludwig Wetzig, Spezialist für Übersetzungen aus den nordischen Sprachen, hat aus den ersten beiden Bänden (erschienen 2005 und 2008) der – seit 2013 mit einem dritten Band abgeschlossenen – Heyerdahl-Biografie von Ragnar Kvam jr. das Essentielle geschickt zusammengefasst. Die gekürzte deutsche Version konzentriert sich auf Heyerdahls frühe und mittlere Lebensjahre. Sie zeichnet den Weg des Norwegers, der im April 2002 in Italien starb, von seinen Kindheitstagen über die legendäre Kon-Tiki-Expedition hinaus bis zur Erlangung der Ehrendoktorwürde der Universität Oslo im Herbst 1961 nach. Zwar spart die gekürzte deutsche Version von Ragnar Kvams Biografie somit rund vier Dekaden aus, in denen dieser weitere Entdeckungsreisen unternahm und zahlreiche Bücher veröffentlichte. Dafür wird der erfasste Zeitraum enorm detailfreudig und besonders lebendig ausgeleuchtet. Somit hat nun „Señor Kon-Tiki“, die bislang erste und einzige Heyerdahl-Biografie, verfasst von seinem Jugendfreund Arnold Jacoby, erschienen 1967, zwar nicht erschöpfende, aber in jedem Fall erfrischende Konkurrenz erhalten.
Fazit: Einst war die Kon-Tiki-Expedition Schulstoff und insbesondere aus der Jugendliteratur nicht wegzudenken. Die Regisseure Joachim Rønning und Espen Sandberg haben nun die Geschichte der berühmten maritimen Unternehmung für die nachwachsenden Generationen in kraftvollen, mitunter poetischen Bildern von großer Schönheit aufbereitet. Alles in allem wird eine sehr unterhaltsame Mixtur aus Biopic, traditionellem Abenteuer- sowie modernem Actionkino geboten. Dabei ist Thor Heyerdahl zwar schon der Held. Er wird aber nicht, wie im klassischen Kino meist üblich, vorbehaltlos verklärt, sondern auch die dunkleren Züge der Hauptfigur werden zumindest punktuell angedeutet. Die rund zweistündige, überaus ansehnliche und packende Unterhaltung ist nun auch auf BD in ausgezeichneter Bild- und Tonqualität verfügbar. Zusammen mit der feinen, informativen Boni-Sektion resultiert ein insgesamt sehr hochwertiges und damit sehenswertes Produkt.
Wer darüber hinaus noch mehr in die Tiefe gehende Informationen über das Leben des Thor Heyerdahl erhalten möchte, der tut mit der aktuellen, besonders detailfreudigen und zugleich überaus lebendig geschriebenen Biografie-Kurzfassung nach dem norwegischen Original von Ragnar Kvam jr. einen sehr guten Griff.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.
Mehrteilige Rezension:
Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu: