Im Schatten Georges Szells: „Associate Conductor“ Louis Lanes komplette Einspielungen mit den drei Formationen des Cleveland Orchestras für Epic und Columbia (1959–1970).
George Szell hat in den Jahren als Chefdirigent (1946–1970) aus dem Cleveland Orchestra ein Weltklasse-Ensemble und eines der besten US-Orchester, eines der so genannten „Big Five“ gemacht. Der aus Eagle Pass in Texas stammende Louis Lane (1923–2016) der mit Cleveland ebenfalls jahrzehntelang (von 1947 bis 1974) auf das engste verbunden blieb, war von Szell im Jahr 1948 ins Team geholt worden und fungierte stets in dessen Schatten. Dass es ihm dabei nicht an den nötigen Fähigkeiten gefehlt hat, innerhalb der USA weiträumiger Karriere zu machen, belegen die hier versammelten Einspielungen. Lane ist aber wohl aus eigener Überzeugung immer eine bodenständige, im Verhältnis lokale Größe geblieben, wobei lokal hier gewiss nicht mit provinziell gleichzusetzen ist. Er war aber nicht bloß ein unüberhörbar hochtalentierter und dabei auch sehr vielseitiger Dirigent, sondern hat seine musikalischen Kenntnisse stets durch ergänzende Studiengänge erweitert. Seit 1969 bekleidete er auch verschiedene Lehrämter (z.B. an der University of Akron, University of Cincinnatti, University of Texas oder dem Cleveland Institute of Music) und ist verschiedentlich ausgezeichnet worden, z.B. mit der Mahler Medal 1971, einem Grammy Award 1989 oder einem Honorary PhD vom Cleveland Institute of Music 1995. Lane ist am 25. Februar 2016 im Alter von 92 Jahren in Cleveland (Ohio) gestorben. Das vorliegende Set setzt ihm damit nun im 101ten Jahr nach seiner Geburt nicht bloß ein willkommenes klingendes Denkmal, es repräsentiert zugleich ein wichtiges Stück amerikanischer Musikgeschichte der LP-Ära.
Nicht bloß hierzulande dürften die allermeisten Klassikfreunde, inklusive des Verfassers, bisher eher mit einzelnen Lane-Dirigaten in Berührung gekommen sein, und zwar denjenigen, die aus seiner späteren Phase mit dem Atlanta Symphony Orchestra und damit den durchaus hochwertigen Einspielungen für das Telarc-Label (Copland 1982 & Respighi 1985) stammen. Aber auch bei nicht wenigen amerikanischen Klassikfreunden sieht es da wohl recht ähnlich aus. Auch wenn sein Name in den USA sicher geläufiger ist als bei uns, wird er auch dort nicht angemessenen wahrgenommen. Was wohl auch mit daran liegt, dass von den hier vollständig wiederveröffentlichten LP-Alben, eingespielt für Epic und Columbia, bisher nur ganz wenig Material das Laserlicht der CD erblickt hat. Dass Einspielungen des Cleveland Pops seinerzeit zwangsläufig im Schatten derjenigen des Boston Pops unter Arthur Fiedler rangierten und die hier vereinten LPs ja nunmehr bereits eine kleine Ewigkeit vergriffen sind, tut sein Übriges. Entsprechend sollte die Box also auch in Übersee das Potential besitzen diverse entdeckungsfreudige Liebhaber zu finden. Hinzu kommt noch, dass zusammen mit den beiden Telarc-Alben die Louis-Lane-Diskografie zugleich auch praktisch vollständig ist.
Was es hierzu nun aus Cleveland unter Lane zu hören gibt, das wird immer spürbar engagiert und praktisch durchweg in angemessen flotten und stimmig wirkenden Tempi geboten. Es handelt sich dabei um mit hoher Präzision gespielte und von Charme und Rafinesse geprägte Interpretationen. Michael Cherrys fundierter Text im so kompetent wie liebevoll gestalteten Begleitheft ist inklusive einer Louis-Lane-Chronology sehr hilfreich dabei, das Wirken Lanes korrekt einzuordnen. Und ebenso bemerkenswert ist die überaus sorgfältige Präsentation, die von den originalen LP-Covern verkleinert auf das CD-Taschenformat bis zum nostalgischen LP-Label-Feeling der CD-Oberseite reicht, wo man sich sehr darum bemüht hat, das charakteristische des jeweiligen LP-Labels zu bewahren. Dass zum Lesen der Back-LP-Covertexte entweder Adleraugen oder eine gute Leselupe nötig sind liegt auf der Hand. In den Einspielungen des vorliegenden Sony-Box-Sets leitet Lane neben dem eigentlichen Cleveland Orchestra auch zwei mit diesem ganz eng verbandelter Klangformationen, dem Cleveland Pops Orchestra sowie der Cleveland Sinfonietta. Dass das 1993 neu gegründete Cleveland Pops Orchestra mit dem desselben Namens auf den vorliegenden Aufnahmen des Box-Sets nichts zu tun hat, diese wichtige Info findet sich ebenfalls im edlen Begleitheft.Willkommen, Michael Boldhaus
Das Wermutströpfchen sind die bei derartigen 1:1-Übertragungen von LP auf CD zwangsläufig resultierenden zum Teil dramatisch kurzen Spielzeiten, die hierbei von in der Regel knapp 40 bis herunter zu gar nur rund 34 Minuten reichen. Nur drei CDs besitzen Spieldauern von etwas über einer Stunde. Was es auf CD 8 „Tchaikovsky Waltzes“ mit dem sehr reizvollen Anhängsel französischer Prägung (Debussy, Ravel & Satie) auf sich hat, bleibt leider im Dunkel. Vermutlich handelt es sich dabei um bisher unveröffentlichtes Archivmaterial. Aber davon abgesehen ist dieses kleine Sony-Box-Set vergleichbar edel geraten wie seine großen Brüder, etwa die George-Szell-Box oder die beiden fantastischen Sets zu Eugene Ormandy.
Dass einzelne Stücke, etwa auf CD 10 die Schwedische Rhapsody Nr. 1 von Hugo Alfvén gekürzt sind, sei noch angemerkt. Das ist eine Praxis, die gerade in der 78er-Schellack-Ära häufiger anzutreffen war und auch insofern Sinn ergab, um so allzu monströse und damit im wahrsten Wortsinn so schwere wie auch teure Plattensets zu vermeiden. In der LP-Ära, insbesondere ab den frühen 1960er Jahren war Derartiges eigentlich bereits komplett überholt, da man es infolge verfeinerter Presstechniken durchaus mal riskieren konnte auf einer LP bis zu etwa 55 Minuten stereophoner Musik unterzubringen. Dass zwei 1960 erschienene LPs (CD 3 & 4) dagegen mit sogar nur rund 35 Minuten Musik bestückt sind, mutet da erst recht etwas seltsam an.
Als ein besonderer Pluspunkt fällt dafür aber die auch aus heutiger Sicht betont abwechslungsreiche und dabei zum Großteil eher unkonventionell-wagemutige, betont amerikanische Repertoireauswahl ins Gewicht, bei der man so manch echte Raritäten ausfindig machen kann, z.B. auf „Pop Concert Latin America“, „Music for a Golden Flute“ oder auch „Music for Young America“. Dabei ist das bereits 1960 erschienene Album „Music for a Golden Flute“ mit dem Flötisten Maurice Sharp geradezu ein Vorläufer der knapp 12 Jahre später beginnenden Reihe vieler ähnlich gelagerter Alben des Flötisten James Galway. Und als 1967 auch europäische Klassik ausgewählt wurde, ist bei Beethoven nicht bloß die häufiger zu hörende Ouvertüre, sondern sogar die auch heutzutage eher vernachlässigte komplette Ballettmusik zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ aufgenommen worden. Und bei der 1. Sinfonie von Mendelssohn ist bemerkenswerterweise auch das anstelle des Menuetts vom Komponisten späterhin als Alternative vorgesehene überarbeitete Scherzo aus dem Oktett Opus 20 mit enthalten. Damit war Lane 1966 der Erste, der dies so gemacht hat. Und auch die letzte CD im Set mit den charmanten Bach-Adaptionen William Waltons in der Balletsuite aus „The Wise Virgins“ und ebenso die für das Ballett „The Good-Humoured Ladies“ von Vincenzo Tommasini für Orchester adaptierten Cembalo-Sonaten von Domenico Scarlatti zählen insbesondere hierzulande immer noch zu eher wenig geläufigen Werken. Die für mich einzige dezente Enttäuschung befindet sich auf CD 6, „Music from the Films“, im „Orchestral Tone Picture zu Exodus“. Wobei besagte allerdings nicht auf das Konto des Dirigenten oder der Musiker geht, sondern in diesem speziellen Fall liegt es am ausnahmsweise (!) erstaunlich schwachen, nämlich allzu weit vom filmischen Original Ernest Golds abweichenden Arrangement Robert Russel Bennetts, von dem mir ansonsten allerdings keine vergleichbaren „Ausrutscher“ bekannt sind. Fairerweise sei dazu noch angemerkt, dass sich die anfängliche Abneigung nach mehrfachem Hören deutlich gemildert hat.
Auch der Klang der sorgfältig technisch aufgefrischten (remasterten) Aufnahmen ist gut bis sehr gut. Wie das Begleitheft dazu verrät, wurde der Konzertsaal in der Severance Hall, in dem das Cleveland Orchester seit 1931 gastierte, im Sommer 1958 – wohl insbesondere wegen der Einzug haltenden stereophonen Aufnahmetechnik – einer umfassenden akustischen Renovierung unterzogen. Und ab CD 3, aufgenommen im Juli 1960, ist der Stereo-Klang dann auch (wohl durch optimierte Positionierung der Mikrofone) nochmals merklich verbessert worden. Der zuvor noch etwas enge Klangraum öffnet sich deutlich, sowohl in die Breite als auch in die Tiefe.
Inhaltsübersicht:
CD 1 „Pop Concert U.S.A.“:
Gould: American Salute (Based on „When Johnny comes marching home“)
Anderson: Serenata
Copland: Three Dance Episodes from „Rodeo“
Bernstein: Candide: Overture
Piston: Suite from the Ballet „The Incredible Flutist“
CD 2 „Pop Concert Latin America“:
Gershwin: Cuban Overture
Bernstein: Fancy Free Ballet: Variation III „Danzon“
Gould: Latin-American Symphonette: III. Guaracha
Benjamin: From San Domingo
Benjamin: Jamaican Rumba
Lecuona: Andalucía: 2. Andaluza
Lecuona: Andalucía: 6. Malagueña
Guarneri: Brazilian Dance
Villa-Lobos: Bachianas brasileiras No. 2: IV. Toccata „The Little Train of the Caipra“
Galindo: Sones de Mariachi
CD 3 „On the Town with the Cleveland Pops“:
Porter: Can-Can
Loewe: My Fair Lady: Embassy Waltz
Bernstein: On the Town: The Great Lover displays himself
Bernstein: On the Town: Lonely Town (Pas de deux)
Bernstein: On the Town: Times Square (Finale, Act I)
Rodgers: Love Me Tonight: Lover
Rodgers: Jumbo: The Most Beautiful Girl in the World
Rodgers: Boys from Syracuse: Falling in Love with Love
Rodgers: Oklahoma: Oh, What a Beautiful Morning
Rodgers: The King and I: March of the Siamese Children
Rodgers: On Tour Toes: Slaughter on Tenth Avenue
CD 4 „Music for a Golden Flute“:
Griffes: Poem for Flute and Orchestra
Foote: A Night Piece
Honegger: Concerto da camera, H. 196
Hanson: Serenade for Flute, Harp, and Strings, Op. 35
CD 5 „Symphonic Marches“:
Berlioz: La damnation de Faust, H 111: March Hongroise
Schubert: Marche militaire in D Major, Op. 51, No. 1
Hindemith: Symphonic Metamorphosis of Themes by Weber: IV. Marsch
Pierné: Cydalise et le chèvre-pied: Marche des petits faunes
Elgar: Pomp and Circumstance March No. 1, Op. 39 No. 1
Rimsky-Korssakov: Le Coq d’Or: Introduction and Wedding Procession
Ippolotov-Ivanov: Caucasian Sketches, Op. 10: 4. Precession of the Sardar
Tchaikovsky: Slavonic March, Op. 31
CD 6 „Music from the Films“:
Rome: Theme from „Fanny“
Loewe: Suite from „Gigi“
Rodgers: It Might As Well Be Spring from „State Fair“
Gold: Exodus, an Orchestral Tone Picture
Alfred: Bridge Over the River Kwai: Colonel Bogey March
Walton: Death Of Falstaff (Passacaglia) from „Henry V“
Walton: Touch Her Sweet Lips and Part from „Henry V“
Thomson: Acadian Songs and Dances from the film score „Louisiana Story“ (Excerpts)
CD 7 „Music for Young America“:
Copland: An Outdoor Overture
Menotti: Suite From Amahl and the Night Visitors
Riegger: Dance Rhythms, Op. 58
Elwell: The Happy Hypocrite – Ballet Suite
Shepherd: Horizons: The Old Chisholm Trail
CD 8 „Tchaikovsky Waltzes“:
Tchaikovsky: Sleeping Beauty, Op. 66, Act I: Waltz
Tchaikovsky: The Nutcracker, Op. 71, Act I, Scene 2: Waltz of the Snowflakes
Tchaikovsky: The Nutcracker, Op. 71, Act III: Waltz of the Flowers
Tchaikovsky: Swan Lake, Op. 20, Act I: Waltz
Tchaikovsky: Serenade for Strings, Op. 48: II. Waltz
Tchaikovsky: Eugen Onegin, Act II, Scene 1: Waltz
Debussy: Petite Suite, L. 65
Ravel: Introduction and Allegro for Harp, Flute, Clarinet and Strings
Satie orch. Debussy: Gymnopédie No. 1
Satie orch. Debussy: Gymnopédie No. 3
CD 9 „Romances and Serenades“:
Vaughan-Williams: Romance for Violin & Orchestra „The Lark Ascending“
Sibelius: Romance in C Major for String Orchestra, Op. 42
Francaix: Serenade for Small Orchestra
Delius arr. Beecham: Hassan, Act I: Serenade (Arr. T. Beecham for Violin, Harp and Orchestra)
Warlock: Serenade for Strings
CD 10 „Rhapsody“:
Chabrier: España (Spanish Rhapsody)
Alfén: Swedish Rhapsody No. 1, Op. 19
Enescu: Romanian Rhapsody No. 1, Op. 11
Herbert: Irish Rhapsody
Liszt: Hungarian Rhapsody No. 2 in D Minor
CD 11:
Mozart: Divertimento No. 17 in D Major, K. 334
CD 12:
Mendelssohn: Symphony No. 1 in C Minor, Op. 11
Mendelssohn: III a. Scherzo (orchestral arrangement of the Octet for Strings in E-flat Major, Op. 20)
Schubert: Symphony No. 1 in D Major, D. 82
CD 13:
Beethoven: Die Geschöpfe des Prometheus, complete Ballet, Op. 43
CD 14:
Bach-Walton: The Wise Virgins (Suite)
Scarlatti-Tommasini: The Good-Humored Ladies (Ballet Suite)
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