Die Höhle der vergessenen Träume (3D-Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
26. Mai 2012
Abgelegt unter:
3D

Film

(5/6)

Bild

(4.5/6)

Ton

(4/6)

Vom Erwachen des modernen Menschen: Werner Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume

Der 1942 geborene Werner Herzog zählt auch international zu den wichtigsten Vertretern des Neuen Deutschen Films. Besonders bekannt wurden seine markanten, mit Klaus Kinski besetzen Filme, z. B. Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Nosferatu — Phantom der Nacht (1979) und Fitzcarraldo (1982). Für Herzog, der sich offenbar schon als 13-jähriges Kind für steinzeitliche Höhlenmalerei begeisterte, war das Dokumentarfilmprojekt über die steinzeitlichen Malereien in der Chauvet-Höhle klar eine Herzensangelegenheit.

Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume ist allerdings keine Hochglanzdoku, die in perfekt ausgeleuchteten und dank ausgeklügelter Kamerafahrten durchgestylten Bildern daherkommt. Der Film ist ausschließlich mit der Handkamera unter eher abenteuerlichen Bedingungen entstanden. Der pro Höhlensitzung zur Verfügung stehende Zeitrahmen war eng begrenzt und man musste sich vor Ort an sehr strenge Regeln halten, um die Kunstwerke nicht zu schädigen. Das Drehteam durfte aus jeweils nur vier Personen bestehen und durfte sich ausschließlich auf den nur 60 cm breiten Stahlstegen bewegen. Was auf den ersten Blick übertrieben erscheinen mag, resultiert aus den negativen Erfahrungen, die man an anderen vergleichbaren Orten (z. B. in der Höhle von Lascaux) gemacht hat. Dort haben die von Besucherströmen zwangsläufig eingeschleppte Feuchtigkeit und Mikroben zu einer Art von Schimmelbildung an den Wänden geführt, der man kaum Herr werden kann und die daher droht, die überlieferten Schätze zu zerstören.

Selbst die Außenaufnahmen sind nicht immer optimal, sondern gelegentlich leicht ruckelig geraten. Im Inneren der Höhle setzt das ausschließlich erlaubte Kalt-Licht der Handscheinwerfer recht enge Grenzen für den Kontrastumfang. Da ist entsprechend auch die Farbwiedergabe eingeschränkt, und in dunkleren Bildbereichen wird verschiedentlich auch mal ein merkliches Rauschen erkennbar. Doch trotz dieser Einschränkungen, der unübersehbaren Improvisation sorgt das Spektakuläre im Gezeigten für eine überaus beachtliche Gesamtwirkung des Films. Das gilt ganz besonders, wenn man sich vor Augen hält, dass die urzeitlichen Künstler ihre Arbeiten ja ebenfalls nicht perfekt ausgeleuchtet, sondern nur im matten Schein von Fackeln begutachten konnten.

Das Überraschende ist: Keine der Wandmalereien ist auf planer Fläche aufgebracht worden. Die namenlosen Künstler der frühen Menschheitsgeschichte haben vielmehr die Konturen des Untergrundes, die mehr oder weniger tiefen Nischen und Ausbuchtungen auf raffinierte Art gezielt genutzt, um den abgebildeten Objekten Plastizität und damit einen kräftigen Hauch von Dreidimensionalität zu verleihen. Und hierbei kommt die 3D-Technik ins Spiel, indem sie dem Betrachter auch das Körperliche physisch vermittelt. Dadurch wird die Lebendigkeit in diesen frühen Kunstwerken auf eine Art und Weise erfahrbar gemacht, wie es auch der schönste Hochglanz-Bildband nicht vermag. Die geschickte Lichtführung und die virtuose Betonung von Licht und Schatten ist dabei behilflich, die Räumlichkeit und damit einen wichtigen Teil der Raffinesse dieser außergewöhnlichen Kunstobjekte aus der fernen Frühzeit der Spezies Mensch zu betonen und hervorzuheben.

Für bemerkenswerte visuelle Effekte sorgen dabei in ganz besonderem Maße einige der sich überlappenden Tierdarstellungen. Diese erscheinen derart lebendig, dass sie fast schon eine Geschichte erzählen. Dafür steht neben einer Gruppe galoppierender Wildpferde insbesondere die Darstellung eines achtbeinigen Bisons. Hier entsteht der Eindruck eines geradezu filmisch erfassten Bewegungsablaufs, wie man ihn durch übereinandergelegte Hochgeschwindigkeitskamerabilder erhält. Darüber hinaus haben die französischen Wissenschaftler mit Hilfe der Radiokarbonmethode geradezu Sensationelles nachgewiesen: Bei den sich schichtweise überlappenden Tier-Darstellungen stammen die Figuren der einzelnen Schichten zum Teil nicht aus derselben Epoche. Zwischen ihrer Entstehung scheinen sogar Zeiträume von bis zu 5000 Jahren (!) zu liegen.

Überhaupt gelten die Malereien der Chauvet-Höhle, die bis zu 35.000 Jahre vor unserer Zeit entstanden, als die derzeit ältesten überhaupt. Dieses steinzeitliche Überlieferungswunder entstand durch einen Erdrutsch, der die Höhle für mehr als 20.000 Jahre versiegelte. Die daraus resultierende, völlig unberührt gebliebene Zeitkapsel ist erst 1994 zufällig entdeckt worden. Die recht gigantische Höhle ist übrigens durch Laserscanner sorgfältig vermessen worden, ihre Topografie ist damit exakt erfasst. Ein digitales Computermodell, das Ausdehnung und Gestalt veranschaulicht, ist in der Doku ebenfalls zu sehen.

Herzogs ehrfürchtige Begeisterung angesichts dieser faszinierenden Momentaufnahmen aus den Anfängen der Menschheitsgeschichte überträgt sich trotz gewisser Monotonie des Vortrags zumindest teilweise auch auf den unbedarften Zuschauer, der aus dem Staunen kaum noch herauskommt. Man muss nun sicher nicht jeder der mitunter sehr spirituell angehauchten Interpretationen des Regisseurs folgen, um die einzigartige Schönheit der nicht nur außergewöhnlichen, sondern in ihrer geradezu erstaunlichen Präzision in der detailgetreuen Darstellung so überraschend modern erscheinenden Wandbemalungen zu erfahren.

Neben Regisseur Herzog kommen auch einige an der Erhaltung und Erforschung der Chauvet-Höhle beteiligten Wissenschaftler zu Wort. Und einen kurzen Ausflug in die in Deutschland gelegene Schwäbische Alb gestattet sich der Film auch. Dort berichtet der Tübinger Archäologe Nicholas Conard von Funden, die ebenfalls etwa aus der Zeit der Malereien der Chauvet-Höhle stammen. Auf dem Nachbau einer steinzeitlichen Flöte demonstriert der Wissenschaftler deren Leistungsfähigkeit, in dem er zur Auflockerung die amerikanische Nationalhymne intoniert — ein Gag, der wohl besonders in den USA, wo der Film sehr erfolgreich ist, besonders gut ankommen dürfte.

Pina von Wim Wenders und Werner Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume haben in erster Linie gemeinsam, beides 3D-Filmprojekte im Arthouse-Kino zu sein. Beide Projekte profitierten bei der Umsetzung letztlich auch von der schnellen technischen Entwicklung, nämlich der Verkleinerung der 3D-Kameratechnik. Herzogs vom Wenders-Film völlig verschiedener, aber auf seine Art vergleichbar faszinierender Ausflug in verblüffend modern erscheinende künstlerische Darstellungen aus der Frühgeschichte der Menschheit wäre ohne derartige Miniaturisierung kaum realisierbar gewesen. Beide Filme verbindet außerdem, dass es sich um Herzensangelegenheiten handelt, deren 3D-Umsetzung sehr liebevoll erfolgt ist.

Zum Abschluss überrascht das Herzog-Opus noch mit einem kauzigen wie gespenstischen Epilog: Mit Hilfe der überschüssigen Abwärme eines Atomkraftwerks an der nahe gelegenen Rhône entsteht ein Tropenpark, in dem Krokodile in großer Zahl prächtig gedeihen. Darunter befinden sich offenbar viele Albinos — auf die die Bilder denn auch fokussieren. Und Herzogs Kommentar dazu lautet: „Sind wir nicht wie Krokodile, die über einen Abgrund an Zeit auf diese Höhlenmalereien blicken?“

Werner Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume auf 3D-Blu-ray

Die Wiedergabe des Herzog-Dokumentarfilms ist über das Hauptmenü wahlweise in 2D und 3D möglich. Beim Bild sind sowohl in 2D wie auch in 3D die bereits im Text zum Film angemerkten qualitativen Einschränkungen deutlich zu sehen. In Teilen der mitunter leicht wackeligen Außenaufnahmen ist die Schärfe- und Detailwiedergabe gut bis sehr gut und der Bildeindruck auch ansonsten weitgehend natürlich. In den Höhlenszenen reicht es fast durchweg für ein solides Befriedigend. Trotz der qualitativen Abstriche beim Bild funktioniert die 3D-Version insgesamt tadellos. Zwar sind gelegentlich kurzzeitig die von Crosstalk-Effekten verursachten Doppelkonturen (Ghosting) zu sehen. Diese Störungen sind aber recht geringfügig und fallen daher kaum ins Gewicht.

Die Tonkulisse ist zweifellos unspektakulär, aber für eine derartige Dokumentation völlig angemessen. Für sinnvolle Surround-Effekte bietet sich hier kein Raum. Und so ist es ausschließlich die zwischen modern-archaischen und romantischen Sounds pendelnde Filmmusik des Niederländers Ernst Reijseger, die auch aus den hinteren Kanälen erschallt. Einziger Kritikpunkt ist das praktisch nicht vorhandene Bonusmaterial. Das gerade einmal rund vier Minuten umfassende, so genannte „Making-of“ ist eine Mogelpackung. Es handelt sich dabei nur um eine mit einigen knappen Interviewausschnitten angereicherte Version des Trailers, die obendrein auch nur in Standardauflösung (SD) enthalten ist. Darüber hinaus gibt’s neben zwei Trailern zum Herzogfilm noch etwas Ascot-Elite-Eigenwerbung durch einige Filmtrailer (sämtlich ebenfalls nur in SD), die man sich zum Teil bereits vor dem Film anschauen soll.

Die Filmmusik von Ernst Reijseger

Der 1954 im niederländischen Naarden geborene Ernst Reijseger ist ein Grenzgänger auf der Suche nach neuen Horizonten und dabei ein Cellist, der nicht recht in die üblichen Kategorien passt. Er spielt nicht nur auf einem fünfsaitigen Instrument (normalerweise hat ein Cello nur vier Saiten), er vermag diesem durch spezielle Spielweise auch besonders atypisch anmutende, fremdartige Klänge zu entlocken. Das Zusammenspiel Reijsegers mit seinen häufig vergleichbar experimentell agierenden Mitstreitern Harmen Fraanje (Orgel und Klavier ) und Sean Bergin (Flöte) sowie den acht Vokalisten des niederländischen Kammerchors (vier Männer und vier Frauen) schafft eigenwillige, zum Teil archaisierend, sakral oder spirituell anmutende Klangmixturen.

Dabei wird stilistisch aus der ganzen Musikgeschichte geschöpft, von Bach bis zu Jazz und Weltmusik, und das daraus Gewonnene wird in oftmals merklich anderen Kontext gesetzt, und manches bietet wohl auch Raum für Improvisation. Reijseger schließt sich offenbar der Auffassung Herzogs an und erzeugt für das, was der Regisseur als die Dämmerung der menschlichen Seele bezeichnet, eine sehr eigenwillige Untermalung. Mit Filmmusik im üblichen Sinne hat das kaum noch etwas zu tun. Aber was anfänglich schon auch etwas zu irritieren vermag, sorgt insbesondere beim wiederholten Anhören zusammen mit den zugehörigen Bildern und dem Kommentar von Werner Herzog denn doch für so manch eigentümlich reizvollen Moment. Das CD-Album bildet dazu ein klingendes Souvenir. Es ist bei „Winter & Winter“ erschienen.

Fazit: Zwar muss man bei Werner Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume eine Reihe qualitativer Einschränkungen akzeptieren, die beim Arbeiten mit der Handkamera unter restriktiven Bedingungen nicht ausbleiben können. Aber im Übrigen gilt: Derart interessant, ja packend hat man steinzeitliche Höhlenmalerei zuvor noch nicht zu sehen bekommen. Und an dieser Stelle kommt last but not least wiederum zum Tragen, dass nur die 3D-Version in der Lage ist, dem Betrachter die volle Faszination der eingefangenen Bilder zu vermitteln. Ob das der Wahrheit entspricht, kann man mit der tadellos produzierten 3D-Blu-ray-Ausgabe von Ascot Elite Home Entertainment seit dem 13. März 2012 nun auch bequem zu Hause überprüfen. Werner Herzogs Die Höhle der vergessenen Träume ist auch für diejenigen einen Versuch wert, die einen Bildband zum Thema wohl eher nicht zu Ende durchblättern würden: Aber bitte unbedingt in 3D anschauen!

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zu Pfingsten 2012.

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Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Regisseur:
Herzog, Werner

Erschienen:
2012
Vertrieb:
Ascot Elite Home Entertainment
Kennung:
59 5 0206
Zusatzinformationen:
Can/USA/F/D/UK 2011

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