Das große Lexikon der Filmkomponisten

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
10. Juli 2003
Abgelegt unter:
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Das Buch von Jürgen Wölfer und Ronald Löper versucht eine Bestandsaufnahme eines weiten – auf dem deutschen Buchmarkt bislang immer noch eher stiefmütterlich behandelten – Gebietes: dem der Filmmusik. Der zweite Teil des Untertitels „… von Ennio Morricone bis Hans Zimmer“ wirkt auf den ersten Blick merkwürdig. Hier scheint man der Versuchung erlegen zu sein, besonders einem jungen Zielpublikum ein „eindeutiges“ Zeichen setzen zu wollen. Nun, in der Praxis zeigt sich erfreulicherweise, dass das Alphabet nicht erst mit dem Buchstaben M beginnt und, dass sich die Autoren um ein umfassendes Kompendium zum Thema bemüht haben, das auch Filmmusikhörern etwas bieten möchte, die Informationen abseits des Mainstreams auch zu den klassischen Meistern des Metiers suchen.

Soweit so gut. Bei eingehender Betrachtung findet man aber in diesem (grundsätzlich wünschenswerten) Nachschlagewerk leider sehr viele Fehler, die den Wert deutlich relativieren. Wenn man direkt zu Beginn über den Jugoslawen Bojan Adamic stolpert, der trotz des Geburtsjahres 1942 angeblich Mitglied von Titos Partisanen gewesen sein soll, wirkt das wegen des fehlerhaften Geburtsdatums (laut IMDB im Jahr 1912 geboren) eher unfreiwillig lachhaft, ist aber harmlos. Wenn allerdings bei Elmer Bernstein aufgeführt wird, er sei neben Hank Mancini und Leith Stevens der erste Filmkomponist gewesen, der Jazzelemente einbezog – eine Ehre, die Alex North gebührt -, ist dies problematisch. Wobei zu Letzterem (North) geschrieben steht: „Seine jazzbeeinflusste Musik zu A Streetcar Named Derire … führte zu Meisterwerken wie … Cleopatra und Spartakus“ – was zumindest arg in die Irre führt. Dezentes Kopfschütteln löste bei mir folgende Fundsache bei Alfred Newman aus: „[…] Der Schönberg-Schüler ging 1930 nach Hollywood …“

Leider finden sich nur vereinzelt, beispielsweise bei David Shire (wenigstens knappe), Angaben zum Stil des jeweiligen Tonsetzers. So wäre allein schon der Hinweis, dass John Carpenter weitgehend synthetische Scores verfasst, eine kleine Orientierungshilfe für den Leser. Problematisch ist ebenfalls die Auflistung von Dr. No in John Barrys Filmografie. Sie kann bestenfalls eine totgeglaubte Legende wiederbeleben, die bereits vor Gericht eindeutig geklärt worden ist. Die Behauptung, Barry gehöre schon deshalb zu den großen Sinfonikern, da er heutzutage, wo in der Regel elektronische Untermalungen Standard sind, noch großes Orchester verwendet, taugt allein zum Schmunzeln. Und zum keineswegs unbekannten Elliott Goldenthal finden sich erstaunlicherweise allein das Geburtsdatum und eine Filmografie.

Krass sind die Hinweise bei Rózsa „… zwischen 1963 und 1976 schrieb er keine Filmmusik“ und auch „… nach 1981 schrieb er nur noch Kammermusik“; beides führt die anschließende Filmografie zu Recht (!) ad absurdum. Ebenso falsch ist der Hinweis (sogar mit Ausrufezeichen) auf einen Oscar für den Film Double Indemnity – der aber nur nominiert worden ist.

Und bei Ralph Vaughan Williams heißt es: „… schon in den 70ern begann er auch für den Film zu arbeiten …“, was, insbesondere, da im Text kurz vorher die Jahreszahl 1920 genannt wird, sehr unglücklich klingt. Im Textbeitrag zu Waxman fehlen völlig (stichpunktartige) Hinweise zu seinen wichtigen Filmkompositionen in den 40er und 50er Jahren.

Entsprechendes gilt für Dimitri Tiomkin, bei dem nicht einmal High Noon und die enorme Bedeutung dieser Komposition für die Filmsongs im Allgemeinen erwähnt wird.

Bei Richard Strauss wirkt die Feststellung „bedeutender Komponist“ im Zusammenhang mit dem unmittelbar dahinter in Klammern stehenden „Also sprach Zarathustra“ merkwürdig und über eine (angeblich 1931 verfilmte) Oper „Ariane“ schweigt sich das Werkverzeichnis des Komponisten beharrlich aus …

Die (m. E. wenig repräsentativ) eingestreuten Infos zu Plattenfirmen und CDs büßen zumindest besonders schnell an Aktualität ein. Dabei ist allerdings kurios, dass zwar das Label Varèse beschrieben wird, William T. Stromberg hingegen nur als Filmkomponist, nicht aber als Dirigent der wichtigen Film-Music-Series des Marco-Polo-Labels erwähnt wird; John Morgan hingegen ist nicht einmal aufgelistet. Immerhin aufgeführt ist Charles Gerhardt; seine wichtige „Classic Film Scores“ LP-Serie hingegen bleibt nebulös, und 1976 als Zeitpunkt des in den Ruhestand gehens dürfte ebenfalls um 10 Jahre zu früh angesetzt sein.

Recht informativ sind die oft umfangreichen Filmografien, auch wenn derartige Auflistungen im Zeitalter der leicht zugänglichen Internet-Datenbanken nicht mehr den gleichen Stellenwert besitzen wie noch vor 10 oder mehr Jahren. In den Filmografien sind mir gelegentlich chronologisch falsch platzierte und doppelt aufgeführte Filme aufgefallen – bei James Horner sind es deren immerhin 8. Dass sich [url id=1328]Mouse Hunt[/url] (komponiert von Alan Silvestri) und Mission Impossible II (komponiert von Hans Zimmer) zu Danny Elfman verirrten und Toys (ebenfalls von Zimmer) sowie Jurassic Park III (von Don Davis) bei James Horner eine Heimstatt gefunden haben, sei nur am Rande angemerkt.

Und ebenso unscharf, ja irreführend ist, dass in den Filmografien von Robert Armbruster Mutiny on the Bounty (1962) und bei Bernard Kaun [url id=]The Bravados ohne irgendeinen Hinweis aufgelistet sind, dass der jeweilige hier „nur“ als Orchestrator beteiligt war. Entsprechendes gilt für den „Sound Effects Creator“ Alan S. Howarth, der generell für bestimmte Effekte verantwortlich zeichnet, aber eben nicht bei beispielsweise Star Trek II als Co-Komponist von James Horner fungierte. Bei Hans Werner Henze ist sogar die Oper „Der junge Lord“ unter die Filmtitel geraten.

Geradezu perfekt in die Irre führt der in der Goldsmith-Filmografie unter 1997 gelistete Filmtitel The Agony and the Ecstasy mit „OST: Varèse“ in Klammern dahinter. Hier kann eigentlich nur die (immerhin) von Goldsmith dirigierte Varèse-Neu-Einspielung der Filmmusik von Alex North (!) gemeint sein. Goldsmith vertonte seinerzeit zwar den etwa 12-minütigen Filmprolog, seine Neu-Einspielung dieser Musik erfolgte allerdings bereits 1988 für das Label Intrada.

Sicher, es ist praktisch unmöglich, eine derartige Datensammlung völlig fehlerfrei zu gestalten und es ist auch sehr schwierig, bei nahezu unbekannten Komponisten sämtliche Daten zweifelsfrei zu ermitteln. Gelegentliche Schnitzer wie das eingangs genannte falsche Geburtsdatum sind somit letztlich verzeihlich. Wenn allerdings, ohne dass man akribisch auf die Suche gehen muss, schon bei den bekannten Vertretern des Genres sich so einiges an Falschem, Unpräzisem und missverständlich Formuliertem finden lässt und auch noch wichtige Informationen fehlen, dann entsteht zwangsläufig der Eindruck von Flüchtigkeit.

Die Publikation führt erfreulicherweise zahlreiche, besonders dem Nachwuchs kaum bekannte Namen auf, die mit Filmmusik auf die eine oder andere Art verbunden sind; so eine Reihe von zum Teil wenig geläufigen deutschen Komponisten von der Stummfilmära bis in die 40er Jahre. Ebenso genannt wird der Dirigent Franz Marszalek und auch, dass von ihm eine Reihe schöner Filmmusik-Einspielungen aus den 60ern in den Archiven des WDR schlummern. Lobenswert ist auch, dass man sich bemüht hat, zu möglichst vielen der aufgeführten Komponisten ein Foto aufzunehmen, um dem Leser zumindest einen kleinen visuellen Eindruck der jeweiligen Person zu vermitteln.

Ebenfalls ist positiv, dass auf die Verbindung zur klassischen Musik eingehender hingewiesen wird. Die Behauptung allerdings, die Komponisten wagnern, orffen und mahlern was das Zeug hält, nur um auch auf Tonträger erfolgreich zu sein, ist jedoch fragwürdig.

Im Vorwort bitten die Autoren um Anregungen und Hinweise. Gut, dass Winfried Zillig bereits vertreten ist: dessen sehr schöne Komposition zum Dokumentarfilm Panamericana – Traumstraße der Welt (1958) sollte aber unbedingt in die Filmografie aufgenommen werden und ebenso gilt dies für den Komponisten von Die wunderbare Welt der Amelie, Yann Tiersen.

Ein derartiges Fach-Lexikon ist aber nicht allein zum gezielten Nachschlagen da, sondern lädt auch zum Stöbern ein, da es vielfältige Informationen zum Thema unter einem Dach bereithält. Und da macht „Das grosse Lexikon der Filmkomponisten“ in der jetzt vorliegenden Form zumindest einen Anfang.

Originaltitel
Die Magier der cineastischen Akustik - von Ennio Morricone bis Hans Zimmer
Erschienen
2003
Seiten:
584
Verlag:
Schwarzkopf Verlag, Berlin
Kennung:
ISBN 3-89602-296-2
Zusatzinfomationen:
€ 9,90 (D)

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