Die glamouröse Seite der Roaring Twenties als Hintergrund für ein neues Leinwand-Musical, eine seit Ende der 60er praktisch ausgestorbene Gattung. Das ist Chicago, dessen Vorlage auf Prozessakten der Jazz-Morde im Chicago der 20er Jahre beruht und als Bühnenstück bereits 1930 ein Erfolg war. Einige Jahre später wandte sich Hollywood dem Stoff in Form einer pointierten Kinokomödie zu: Roxie Hart (1942, Musik: Alfred Newman).
Roxie Hart will ein Star werden, wie ihr Vorbild, die Sängerin Velma Kelly (Catherine Zeta-Jones). Beide landen wegen Mordes im Gefängnis. Velma wird von dem mit allen Wassern gewaschenen, publicitysüchtigen Staranwalt Billy Flinn (Richard Gere) verteidigt. Doch dieser beginnt sich für den Fall Roxie zu interessieren, deren Verteidigung ihm für seine Karriere nützlicher erscheint. In einer grotesken Shownummer inszeniert er Roxie als „Unschuld vom Lande“, dirigiert Presse und Gericht wie Marionetten. Als er schließlich den Freispruch für seine Mandantin erreicht, sieht sich Roxie damit am Anfang ihrer erhofften Karriere als Künstlerin, aber die Presse hat sie fallengelassen, ist bereits auf der Jagd nach der nächsten Sensation …
Regisseur Rob Marshall hat im Jahr 2002 aus der 1975er Broadway-Musical-Version mit einigem Geschick ein aufwändiges Filmmusical gemacht. Seine Version von Chicago funktioniert auf zwei Handlungsebenen: neben der realen, welche die eigentliche Story erzählt, dient eine surreale Fantasie-Ebene dazu, mit Hilfe von Musik- und Tanznummern, die Figuren und ihre Handlungen aus einer anderen Perspektive zu sehen. Die Welt des Showbusiness ist hier zugleich Metapher für die Realität des US-Justiz-Systems und die mediale Manipulation durch die Sensationspresse. Die auf Starruhm versessene Roxie Hart (Renée Zellweger) bestimmt dabei den Blickwinkel. Der Zuschauer erlebt ihren Eindruck der Realität und bekommt ihre Fantasien choreografiert vor Augen geführt.
Der mit Auszeichnungen überschüttete Film (sechs Oscars und drei Golden Globes) ist eine visuell und musikalisch reizvolle und aufwändig gemachte Neuinterpretation der Gattung Filmmusical. Als besonders geschickter Kunstgriff erweist sich dabei der Einfall mit den beiden Ebenen. Realität und Traum stehen dicht – mitunter im geteilten Bild sogar unmittelbar – nebeneinander, was auch fließende Übergänge ermöglicht. Dieses Konzept dürfte auf den musicalunerfahrenen Nachwuchs-Kinogänger in sich geschlossener und damit überzeugender wirken als die im klassischen Filmmusical die Handlung (scheinbar) „künstlicher“ unterbrechenden Tanz- und Gesangseinlagen.
Wobei Chicago die klassische Tradition des „Thats Entertainment“ trotz der in Teilen modernen Ästhetik keinesfalls verleugnet. Bei allem Charme zeigt sich hier ebenso – wie ehedem in den goldenen (Kino-)Tagen , dass Stars wie Richard Gere zwar schauspielerisch, aber tänzerisch nicht unbedingt gleichermaßen zu überzeugen vermögen.
So könnte Chicago für manch einen der Jüngeren zugleich auch Vorübung werden, sich doch einmal auf einen der schönen Klassiker des Genres einzulassen, wie den charmanten Hello Dolly (1969), den schwungvollen Singin in the Rain (1952) und – last but not least – auf den im wahrsten Wortsinn zauberhaften The Wizard of Oz (1939).
Der Film auf DVD:
Die Buena-Vista-DVD präsentiert Chicago in fast makelloser Qualität. Durchzeichnung, Kontrast und Auflösung erreichen annähernd Spitzenwerte. Und ebenso vorbildlich ruhig stehen die Farbflächen. Das gilt besonders für die kritischen Farben Blau und Rot, die besonders in größeren Flächen fast durchweg so gut wie kein sichtbares Rauschen zeigen. Der Schärfeeindruck schwankt minimal von sehr gut bis hin zu exzellent, gerade in den meisten Revue-Szenen. Ebenso vorbildlich kommt der Ton daher: Sowohl in AC3-5.1 (in Deutsch und Englisch) als auch in der dts-Version (nur in Deutsch) gibt es ein sehr sauberes dynamisches und auch gut verräumlichtes Klangbild, das natürlich besonders auf die Musik fokussiert, aber auch mit einigen wohlplatzierten räumlichen Effekten aufwartet.
Und auch das Zusatzmaterial überzeugt: Der Audio-Kommentar von Regisseur Rob Marshall und Drehbuchautor Bill Condon ist kurzweilig, humorvoll und bietet so manch interessantes Detail. In „Hinter den Kulissen“ gibt es rund 30 Minuten lang solide Einblicke und in einem zusätzlichen Segment ist die geschnittene Musikszene „Class“ abrufbar.