Agora – Die Säulen des Himmels (Blu-ray)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
4. Dezember 2010
Abgelegt unter:
Blu-Ray

Film

(6/6)

Bild

(6/6)

Ton

(5/6)

Extras

(5.5/6)

Kommentar zum Film

Die Alejandro Amenábars Film den Titel gebende „Agora“ bezeichnete in der Antike den zentralen Platz einer Stadt, den Ort, an dem das politische wie religiöse öffentliche Leben sein Zentrum hatte. Die Handlung von Agora — Die Säulen des Himmels spielt in Alexandria, zum Ende des vierten Jahrhunderts. Damals war die von Alexander dem Großen im Jahre 331 v. Chr. gegründete Stadt geradezu das Symbol des kulturellen Fortschritts und der hochentwickelten wissenschaftlichen Forschung, wobei besonders astronomische Fragen die Menschen jener Zeit bewegten. Alexandria beherbergte eine berühmte Bibliothek und das ebenso berühmte Museion, eine Universität sowie als weithin sichtbares Wahrzeichen den als eines der sieben Weltwunder geltenden Leuchtturm auf der der Stadt vorgelagerten Insel Pharos.

ÀGORARegisseur Amenábars Film ist ein packendes antikes Drama um religiöse Intoleranz und die Ohnmacht des Einzelnen in Zeiten militanter Umbrüche. Agora ist zwar ein Sandalenepos, aber zugleich eine Novität. Der Film beleuchtet nämlich erstmalig ein historisches Kapitel in der Auseinandersetzung der Religionen, das zuvor noch nie für das Kino aufbereitet worden ist.

Im Zentrum der Handlung steht die bemerkenswerte Hypatia von Alexandrien (Rachel Weisz), Tochter des Mathematikers Theon (Michael Lonsdale), die als eine der gebildetsten Frauen ihrer Epoche galt. Zwar ist die Figur heutzutage nur noch wenig geläufig, ihre Geschichte wurde jedoch bereits im 18. und 19. Jahrhundert von Vertretern der Aufklärung popularisiert. Die Kämpferinnen für’s Frauenrecht begeisterten sich ebenfalls für sie und selbst die Christen vereinnahmten diese interessante heidnische Frauengestalt in Form der fiktiven Katharina von Alexandrien.

Der Film lässt das Bemühen um einen möglichst authentischen historischen Hintergrund deutlich erkennen, wobei auch in kleineren Details der auf Malta erbauten großen Sets überaus sorgfältig gearbeitet worden ist. Indem politisch-religiöse Fragestellungen unserer Tage möglichst eindrucksvoll in die Vergangenheit projiziert werden, soll der Film zudem in der Lage sein, den Zuschauer in besonderem Maße anzusprechen. Agora präsentiert die weit zurückliegenden Ereignisse letztlich in Form einer Parabel, die deutlich macht, wie sich die Bilder grundlegender Konflikte der Menschheitsgeschichte trotz aller zeitgebundenen Unterschiede eben doch gleichen, damals wie heute. Aus der Distanz von Raum und Zeit wird deutlich, wie wenig sich unsere Welt bis heute wirklich verändert hat, wie machtlos und ohnmächtig die wenigen Vernünftigen in einem Klima getragen von hetzerischer Agitation, Konfrontation und Gewalt sind.

Die Filmhandlung gliedert sich in zwei Teile, die durch Zwischentitel miteinander verbunden sind. Der erste konzentriert sich auf den um 391 kulminierenden Konflikt zwischen Heiden und militanten Christen. Er endet mit der Zerstörung des Serapeums und der Bibliothek sowie der Einführung des Christentums als Staatsreligion, gekoppelt mit dem Verbot der heidnischen Riten. Zeitlich annähernd parallel zerbrach das römische Reich endgültig in zwei Teile: in das seinem Untergang entgegen gehende Westreich und das deutlich langlebigere Ostreich (Byzanz). Im ungefähr gleichlangen zweiten Teil geht es um Ereignisse rund 20 Jahre später, zwischen 412 und 415. Kyrill (Sammy Samir) wird nach dem Tode seines Onkels Theophilos neuer Patriarch von Alexandria. Mit ihm flackert die Gewalt erneut auf. Dieses Mal geht es massiv gegen die Juden, die pogrommäßig vertrieben werden und auch gegen diejenigen, die sich noch nicht haben taufen lassen. In der Auseinandersetzung Kyrills mit dem römischen Präfekten Orestes (Oscar Isaac) um die Macht in der Stadt gerät Hypatia zwischen die Fronten und wird 415 von fanatischen Mönchen, den Parabolani, ermordet.

Inwieweit Bischof Kyrill (412—444 Patriarch von Alexandria), der tatsächlich übelst gegen Hypatia gehetzt hat, am Mordkomplott unmittelbar beteiligt war, ist unklar. So etwas wäre aber selbst heutzutage nur schwierig eindeutig beweisbar. Der Film zieht sich hier, wie auch sonst, geschickt aus der Affäre, indem er diese Frage offen lässt. Diskutieren doch die als Kyrills schlagkräftige Leibgarde fungierenden Mitglieder der militanten Bruderschaft der Parabolani darüber, den Präfekten, der ja von einer Armee geschützt wird, da zu treffen, wo es ihm weh tue, bei seiner vermeintlichen Hure. Dass Hypatia, als zum engen Bekanntenkreis des getauften Präfekten zugehörige Heidin, von Kyrill instrumentalisiert worden ist, dürfte kaum verwundern.

ÀGORADie Parabolani blieben übrigens ein auf das Ostreich beschränktes, primär ägyptisches Phänomen. Zuerst kümmerten sie sich um die Versorgung der Armen und Kranken wie auch um die Bestattung der Toten. Aber schon bald bewaffneten sie sich und entwickelten sich zu auch gewalttätigen Moral- und Tugendwächtern des öffentlichen Lebens. Regisseur Amenábar verdeutlicht dies zeitgemäß, indem er die Vertreter dieser radikalen Mönchsmiliz in die Nähe der iranischen Revolutionsmilizen rückt, wenn er sie (in einer der geschnittenen Szenen) einen Bürger einschüchtern lässt, darauf zu achten, dass seine Frau züchtig bekleidet sei. Das ist einer der Kunstgriffe, der den Betrachter das Geschehen auf der Leinwand in besonderem Maße als aktuell empfinden lässt.

Zwar ist Bischof Kyrill der Antagonist der Filmhandlung, aber in dieser Funktion keinesfalls ein platt klischierter Bösewicht. Er ist vielmehr ein gut aussehender, aalglatter, intriganter Taktiker und zugleich ein charismatischer Verführer. Kyrill versteht es, andere geschickt zu beeinflussen und diese zu Gewalttaten anzustacheln, ohne dass er hinterher damit unmittelbar in Verbindung gebracht werden kann.

Kyrill wurde übrigens nach seinem Tode nicht nur als heilig verehrt, sondern 1882 von Papst Leo XIII. sogar zum Kirchenlehrer ernannt — was nur ein Beispiel für die Verklärung äußerst zweifelhafter Figuren in den christlichen Reihen ist. Wobei man auch nicht übersehen darf, dass christliche Kopisten sich beim Kopieren antiker Quellen im Interesse ihres Glaubens häufiger schriftstellerische Freiheiten genommen und somit Geschichtsfälschung begangen haben.

Natürlich ist Agora ein Kinofilm, der auch unterhalten will/muss, und kein Dokumentarspiel. Aber die aus den realen Geschehnissen und Fiktion zu einer Filmhandlung verarbeiteten Ereignisse ergeben einen in sich stimmigen, glaubwürdigen Plot. Entsprechend nimmt sich das Drehbuch zwangsläufig einige Freiheiten, um aus den nur stark lückenhaft und damit nicht gänzlich zweifelsfrei überlieferten Vorfällen ein in sich stimmiges Handlungskonstrukt zu schaffen. Das betrifft z.B. die sehr frei gestaltete Rolle des Synesios (Rupert Evans), ebenfalls ein Hypatia-Schüler, Philosoph und späterer Bischof von Ptolemais (im Film als Bischof von Kyrene bezeichnet), der im Handlungszeitraum des zweiten Filmteils nicht mehr in Alexandria weilte und im Übrigen zur Zeit der Ermordung Hypatias bereits gestorben war.

Stark vereinfacht ist das präsentierte Bild der seinerzeit keinesfalls eine geschlossene Gruppierung, sondern vielmehr eine von heftigen Streitigkeiten zerrissene Fraktion darstellenden Christen, und das gilt ebenfalls für die Darstellung der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Heiden und Christen des Jahres 391. Und auch die römische Armee präsentierte sich infolge diverser Heeresreformen seit etwa 300 zur Zeit der Filmhandlung optisch schon deutlich anders als hier zu sehen — beispielsweise mit runden anstelle der so berühmten, für die Kampfformation „Schildkröte“ so perfekten Rechteckschilde. Hier haben sich die Macher aus dem Fundus der US-Fernsehserie Rom bedient und zeigen die römischen Soldaten so, wie sie dem Zuschauer landläufig aus den klassischen Monumentalverfilmungen geläufig sind: im Stil der frühen und hohen Kaiserzeit. Das kann man zwar kritisieren, aber dieses kleine Zugeständnis beeinträchtigt keineswegs den Gesamteindruck. Vielmehr könnten die in möglichst akkurater Ausrüstung um 400 n. Chr. eher ungewohnt erscheinenden römischen Legionäre beim darauf nicht gefassten Zuschauer doch gewisse Irritationen hervorrufen.

ÀGORAEin kleiner Schwachpunkt liegt allerdings darin, dass die Protagonisten im zweiten Teil der Handlung, der immerhin etwa 20 Jahre nach der des ersten Teils angesiedelt ist, äußerlich nahezu unverändert wieder auftauchen. Den über eine solche zeitliche Distanz immer sichtbaren Alterungs- und auch Reifeprozess der Figuren hätte man m.E. schon sehr überzeugend mit in das Drehbuch einbinden können. Hypatia hätte dies als eine inzwischen zwar reifere, aber immer noch attraktive Dame mit Ausstrahlung vermocht und auch Orestes wäre als Mitt- bis Endvierziger in der Rolle des desillusionierten römischen Präfekten noch ein Stückchen glaubwürdiger. Aber das bleibt in Anbetracht des letztlich so überzeugenden Gesamteindrucks eine Kleinigkeit, die man nicht überbewerten sollte.

Das sehr sorgfältig ausgestattete Epos überzeugt neben seinen ausgefeilten, detailfreudigen Sets auch durch die grandiosen Ansichten des alten Alexandrias, das zwar nicht mehr so prachtvoll erscheint wie in seiner Glanzzeit (Alexander), aber trotz dezent sichtbarer Spuren des beginnenden Verfalls immer noch zu begeistern vermag. Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine wissenschaftlich akkurate Rekonstruktion Alexandrias zum Ende des 4. Jahrhunderts. Aber das, was man hier an sinnvoll ausgeführter Fiktion zu sehen bekommt, überzeugt trotzdem. Das digital zum Leben erweckte mythische antike Alexandria erscheint fast wie eine Metropole unserer Tage, als ein pulsierender Schmelztiegel der Kulturen. Ebenso positive Eindrücke hinterlässt das Drehbuch, dessen lebensnahe Charaktere aus Fleisch und Blut erscheinen und weitab abgedroschener Kinoklischees agieren.

Agora ist außerdem ein Film ohne die Hollywood-üblichen Superstars. Alejandro Amenábar gelingt das Kunststück, seine abseits von Rachel Weisz international wenig bekannte, aber feine Darstellerriege recht modern agieren zu lassen — was die Aktualität des Gezeigten unterstreicht —, ohne dass dabei jedoch durch allzu zeitgemäße Lockerheit im Umgang der historische Bezug und damit die Glaubwürdigkeit des gezeigten Dramas gefährdet wird. Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg tadellos bis vorzüglich.

Agora — Die Säulen des Himmels wirkt in besonderem Maße aktuell und zugleich faszinierend zeitlos. Das rührt auch von der „modernen“ visuellen Darstellung her, bei der die Kamera verschiedentlich nicht nur zum Sternenhimmel hinauf, sondern auch aus dem All auf die Erde blickt und ebenso à la „Google-Earth“ faszinierend auf das antike Alexandria gezoomt wird. Das ist jedoch nicht einfach nur ein gefälliger, zeitgemäßer Gag, es passt vielmehr vorzüglich zur Story, in der ja die Astronomie ebenfalls eine gewichtige Rolle spielt. Es sind aber noch weitere elegante Regieeinfälle mit im Spiel. So, wenn Regisseur Amenábar über menschliche Existenz wie auch über die unseres Heimatplaneten philosophiert, indem er die sich als allem Übrigen so überlegen und groß wähnende menschliche Spezies optisch mit den winzigen Ameisen auf eine Stufe stellt und der für sich riesige Planet Erde ebenfalls als winzige Kugel erscheint, die als nur ein Stern unter vielen in einem gigantischen Kosmos ihre Bahn zieht. Mensch und auch der Heimatplanet Erde sind nur winzig im Angesicht des gigantischen Universums, dessen Teil sie sind. Ebenso beeindruckend ist einer der Höhepunkte des Films, der Sturm auf das Serapeum und die Bibliothek, inszeniert. Die Kamera fährt vom Boden des Kuppelsaals nach oben und dreht sich gleichzeitig gegen den Uhrzeigersinn — also wie die Erde um die Sonne — bis das Bild der Zerstörung und damit die Welt förmlich auf dem Kopf steht. In weiteren Einstellungen des Szenenkomplexes spielt wiederum das symbolträchtige Bild von den wie Ameisen herumwimmelnden Menschen eine wichtige Rolle.

AGORADer im Film zu sehende Sternenhimmel ist übrigens der, den auch Hypatia und ihre Zeitgenossen gesehen haben. Félix Bergés, Spezialist für digitale Effekte und zugleich Astrophysiker, hat dieses Kunststück vollbracht. Ebenso sind für den zu Beginn des zweiten Filmteils aus der Satellitenperspektive erfolgenden, „Google Earth“-Zoom auf Alexandria die damaligen, deutlich anderen topografischen Gegebenheiten berücksichtigt worden.

In einer fiktiven Parallelhandlung kommt Hypatia, die das geozentrische Weltbild des Ptolemäus, bei dem die Erde im Mittelpunkt steht, längst in Zweifel gezogen hat, schließlich der wahren Mechanik des Sonnensystems anhand einer geometrischen Lösung auf die Spur. Wie sie dieses Problem schließlich löst, das ist (auch musikalisch) überaus beeindruckend umgesetzt.

Einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis dazu liefert übrigens das in der durch die Christen belagerten Bibliothek des Nachts diskutierte, heliozentrische Weltbild des Aristarchos. Dieses wird im Film als nur noch mündlich überliefert dargestellt. (Real existiert es allein noch durch Zitate anderer antiker Schriftsteller, wie Archimedes.) Die originalen Aufzeichnungen dazu gingen lt. Agora bereits beim ersten Brand der wesentlich größeren Bibliothek Alexandrias verloren, als Cäsar im Jahr 48 v. Chr. die Stadt besetzte — etwas, an das sich der Freund des klassischen Sandalenkinos durch Cleopatra (1963) zumindest erinnern dürfte. Mit Hilfe des Apollinischen Konus wird schließlich der entscheidende Geistesblitz Hypatias effektvoll vermittelt und auch der Zuschauer erkennt, dass „die Wahrheit“ elliptisch ist.

Das Sandalenepos Agora wird so letztlich zum Hohelied der Aufklärung und der Wissenschaft. Und neben den prächtigen Ansichten des antiken Alexandrias ist es gerade dies, was dem Film schließlich eine der eher trostlosen, düsteren Botschaft zuwiderlaufende, tröstlich aufhellende Note verleiht. Der Film ist somit ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die Wahrheit zu suchen und dabei den eigenen Standpunkt immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen. So sagt Hypatia zu ihrem ehemaligen Schüler Synesios, der im zweiten Filmteil Bischof von Kyrene (im heutigen Lybien) ist und als äußerst pragmatischer Kirchenvertreter agiert: „Ihr stellt nicht in Frage, was ihr glaubt. Ihr dürft es gar nicht. Aber ich muss das tun!“ Und sie stellt außerdem fest: „Euer Gott hat noch nicht bewiesen, dass er barmherziger ist als seine Vorgänger!“

Dass die Umtriebe der Christen im Gegensatz zum sonstigen Kino nicht geschönt werden, die Christen hier vielmehr ganz schlecht weg kommen, ist relativ ungewohnt und damit überraschend. Dabei werden die Charaktere — wie bereits zu Kyrill erläutert — insgesamt nicht schlicht schwarz-weiß, sondern vielschichtig und auch ambivalent gezeichnet. In der Darstellung der Christen findet sich außerdem längst nicht nur einseitig Negatives. So ist Ammonius (Ashraf Barhom), Anhänger der Parabolani, zwar ein Fanatiker, aber zugleich der, welcher dem Sklaven Davus (Max Minghella) die Befriedigung durch soziale Arbeit bei der Betreuung der Ärmsten und Kranken vermittelt. Er beeindruckt Davus durch das „Wunder des Brotes“, den erfahrenen Dank beim Geben an die Hungernden. Das militant Fanatische des Ammonius, der schließlich den Stein gegen den Präfekten schleudert, wird wiederum zum entscheidenden Moment für Davus, sich von den Parabolani zu lösen. Ebensowenig schönt Agora die andere, die heidnische Seite. Auch dort gibt es Fanatiker, wie den Priester Olympius (Richard Durden), der den sich zuspitzenden Religionskonflikt massiv schürt, anstatt nach friedlichen Lösungen zu suchen. Geschickt beleuchtet der Film außerdem die Bildung von Mythen und Legenden, wenn sich zwei Sklaven über das „Wunder“ des Ammonius unterhalten, der in einer frühen Szene des Films auf der Agora eindrucksvoll durch ein großes Feuer schritt, ohne sich dabei zu verbrennen. Der eine spricht bereits verzückt davon, dass Ammonius von einem „himmlischen Leuchten“ umgeben gewesen sei. Worauf der andere (Davus) ihn als Dummkopf bezeichnet, dies seien doch nur die Flammen gewesen.

ÀGORAMehrere starke Szenen im zweiten Filmteil beleuchten das Verhältnis von Kirche und Staat. Besonders packend ist dies in dem Moment, wo Kyrill den Präfekten Orestes in der Falle hat. Er beleidigt den in einer angeblich versöhnlichen Geste zu einem gemeinsamen Gottesdienst Geladenen zuerst zutiefst, indem er perfide auf Hypatia anspielt und will schließlich neben sämtlichen Würdenträgern auch ihn zwingen, vor dem „Wort Gottes“ niederzuknien. Orestes‘ Minenspiel und sein wütender Abgang verraten ohne Worte die aufwallenden Emotionen angesichts der Provokation gegenüber dem direkten Vertreter des Kaisers. Den ihn und seine Leibgarde wütend bedrängenden Parabolani ruft er aufgebracht zu: „Ich bin genauso Christ wie ihr!“ Anschließend fällt er fast einem Attentat des Ammonius (s.o.) zum Opfer. Ammonius wird zwar hingerichtet, aber von Kyrill zum Heiligen erklärt. Orestes erkennt und verzweifelt schließlich, nachdem auch Synesios ihn unter Druck gesetzt hat, an seiner Machtlosigkeit gegenüber der neuen Staatsreligion.

Interessant ist unter dem Aspekt „Kampf der Religionen“ auch die zu Beginn gezeigte heidnische Zeremonie zugunsten der ägyptisch-hellenistischen Gottheit Serapis. Sind doch die dabei zu hörenden Texte denen der christlichen Liturgie in vielem sehr ähnlich. Damit bildet das Christentum hier letztlich auch nur eine weitere zeitlose Metapher, deren Platz auch irgendeine andere Religion besetzen könnte. Das relativiert den gelegentlich zu lesenden Vorwurf der antichristlichen Tendenz: Agora ist vielmehr antiklerikal.

„Es gibt mehr, was uns verbindet als uns trennt. Wir halten zusammen!“ Angesichts der in den Straßen Alexandrias stattfindenden Auseinandersetzungen richtet zu Beginn des Films Hypatia diesen Appell an ihre Schüler. Sie scheitert damit genauso wie ihr ehemaliger Schüler, der späterhin zum Präfekten von Ägypten aufgestiegene Orestes, als er fast dieselben Worte an heftig zerstrittene Abordnungen der Juden und der Christen richtet. Wie regelmäßig in der Menschheitsgeschichte geht auch dieses Mal der Ruf nach Vernunft unter im Fanatismus und dem rücksichtslosen Machtstreben derer, die ihre Ziele auch mit Gewalt erreichen wollen. Und schon bald stellt Orestes resigniert fest: „Wie naiv von mir zu glauben wir hätten uns endlich geändert.“

ÀGORADass Religion dem Fortschritt im Wege steht, ist eine der (nicht nur für die Astronomie einwandfrei belegbaren) Thesen des Films, welche gerade christlichen Fundamentalisten kaum gefallen dürften. Entsprechend hat sich in den USA auch nur ein kleiner Verleih ins Geschäft gewagt. Und so endet Agora stimmig mit dem Hinweis auf Johannes Kepler, der noch rund 1200 Jahre später durch seine Entdeckung starken Anfeindungen ausgesetzt war. Kepler profitierte allerdings von der Reformationsbewegung und wurde im Gegensatz zu seinem italienischen Zeitgenossen Galileo Galilei nicht durch die heilige Inquisition zum Widerruf seiner Thesen gezwungen.

Geschichte wiederholt sich zwar nicht eins zu eins. Bestimmte Handlungsschemata, wie die in Agora Beschriebenen, können allerdings als zeitlich wie örtlich universell angesehen werden und kehren fortlaufend wieder. Und das unterstreicht auch der Film, indem er die Geschicke der Menschen mit dem Lauf der Gestirne verbindet, sich damit im Kreis drehend darstellt. Immer wieder auf’s Neue standen und stehen einer rational-nüchternen, aufgeklärten Betrachtung der Dinge eine aus religiösem und/oder ideologischem Fundamentalismus herrührende Engstirnigkeit sowie Dogmatismus und Fanatismus entgegen. Diese Merkmale der menschlichen Unzulänglichkeit belegen das Unvermögen der Gesellschaften, überzogene Emotionalität durch sachbezogenes, fortschrittliches Denken und Handeln zu ersetzen.

Hierzulande ist Alejandro Amenábars vorzüglicher Film an den Kinokassen trotz respektabler Kritiken weitgehend untergegangen, dafür war er interessanterweise im erzkatholischen Spanien offenbar ein großer Erfolg. Von den modernen Sandalenepen ist Agora mit Abstand das intelligenteste. Es bietet eine mitreißende Leinwandunterhaltung mit beträchtlichem Tiefgang, die entsprechend Anreize für vielfältige Debatten bietet und ebenso Potenzial für den Einsatz in Bildungseinrichtungen besitzt.

Dario Marianellis Filmmusik

Bislang pflegte Regisseur Alejandro Amenábar selbst die Musik für seine Filme zu komponieren. Agora bildet hiervon derzeit die erste Ausnahme. Dario Marianellis Musik ist zum einen ein kaum auftrumpfender, zudem thematisch anfänglich etwas unscheinbar erscheinender Kommentar zu den Filmbildern, einer, dem man jedoch etwas Zeit geben sollte sich zu entfalten. Das was in den ersten Momenten ein wenig wie ein ambitionierter Zimmer-Score im Kielwasser von Gladiator (2000) wirkt, erweist sich nämlich beim eingehenderen Hören als eindeutig darüber hinausgehend. Zwar sind der Duduk und die weibliche Ethnovokalise sicher nicht rein zufällige Ingredienzien, sondern sind sicher auch gewählt worden, weil sie dem heutigen Hörer so geläufig sind. Als musikalische Synonyme für Alexandria, als Teil des oströmischen Reiches (Byzanz), sind diese allerdings von vornherein deutlich stimmiger angelegt als im Gladiator. Wobei für die Chöre neben frühen liturgischen Gesängen auch Carl Orffs „Carmina Burana“ als Vorbild diente.

Ein bemerkenswerter Kunstgriff in der Musik zu Agora ist der sich einstellende Höreindruck von alter neben zeitgemäßer (Film-)Musik. So klingen Teile der Cellisektion in einigen Stücken, wie in „The Skies Do Not Fall“ Gamben sehr ähnlich — was vermutlich von besonderer Bespannung (z.B. mit Darmsaiten) und — ebenso wichtig — von einer besonderen Spielweise herrührt. Eine Verbindung zur Zeit der Filmhandlung schafft dabei der in einigen Tracks quasi nachwehende Klang des antiken Aulos’ aus „Orestes Offering“. Damit kontrastieren die eher zeitgenössisch wirkenden Ethno- und sparsamen Actionpassagen. So schließt sich auch die Musik elegant dem allegorischen Brückenschlag des Films von der Antike bis in die Jetztzeit an.

Das nur in Spanien erschienene CD-Album ist als Import erhältlich. Mit rund 57 Minuten Spielzeit ist Dario Marianellis Filmmusik darauf annähernd vollständig vertreten. Ein mehrseitiges Begleitheft (natürlich in Spanisch) gibt’s dazu ebenfalls.

Agora auf Blu-ray und DVD

Die DVD zeigt den Film in für sich genommen bereits praktisch tadelloser Bildqualität. Farbe, Kontrast, Schärfe und Detailvielfalt lassen ohne Vergleich mit dem Besseren scheinbar keinen Raum für Beanstandungen. Trotzdem legt die Blu-ray-Version nochmals deutlich nach und zieht mit ihrem durch seine bestechende Brillanz beeindruckenden Bild den Zuschauer ganz besonders in den Bann. Da funkelt nicht bloß der eingangs zu sehende Sternenhimmel deutlich mehr, auch das Erscheinungsbild von Planet Erde wirkt geradezu entschleiert, so wie es von einem Satellitenbild gestochen scharf zu beobachten ist. Und dieser sich gerade beim Vergleich der Versionen einstellende „Aha-Effekt“ setzt sich fort in den detailverliebten, prächtigen Interieurs und Kostümen. Nur das Full-HD-Bild lässt übrigens in einzelnen Szenen ganz dezent (keineswegs störend) das Filmkorn erkennen. Dafür ist die Spitzenwertung verdient.

Für den besagten „Aha-Effekt“ bei HD sollte man sich allerdings etwas Zeit nehmen. Allein im Vorübergehen wird dieser nämlich nur teilweise deutlich. Eingehendere Betrachtung von HD-Bildern in Top-Qualität und dazu möglichst ein A/B-Vergleich desselben hochwertigen Bildmaterials (!) machen den Qualitätssprung bei Blu-ray nicht nur unübersehbar, sondern sind meist nachhaltig HD-suchtauslösend.

Auch bei den Boni ist die umfangreicher ausgestattete Blu-ray erste Wahl. Besonders erwähnenswert ist dabei, neben der Sektion mit rund 11 Minuten nach der Premiere in Cannes geschnittener Szenen, das Blu-ray-exklusive einstündige internationale Making-of. Gegenüber dem ebenfalls vertretenen kleinen, durchaus ansehnlichen deutschen Making-of geht das internationale erheblich tiefer ins Detail, macht z.B. deutlich, wie geschickt einzelne Figuren der Handlung den geradezu modern wirkenden überlieferten antiken Porträts nachgestaltet worden sind, und auch, welche sinnvollen Überlegungen in die Rekonstruktion des antiken Alexandrias eingeflossen sind.

ÀGORAIn Anbetracht der ansonsten sehr sorgfältigen Ausstattung ist das Fehlen deutscher Untertitel beim spanischen Audiokommentar des Regisseurs ein überraschender Lapsus. Anscheinend sind diese schlichtweg vergessen worden. Das verwehrt der Blu-ray die ansonsten ebenfalls verdiente Spitzenplatzierung bei der Ausstattung.

Fazit: Agora — Die Säulen des Himmels ist der derzeit fünfte Film des in Chile geborenen, spanischen Regisseurs Alejandro Amenábar. Das außergewöhnliche Leinwandopus ist sowohl ein bestechend inszenierter und vorzüglich bebilderter Ausflug ins Sandalenkino als auch eine facettenreiche Allegorie über religiöse Intoleranz und fundamentalistische Gewalt. Was auf den ersten Blick wie eine brillant inszenierte Reise zurück in die Vergangenheit aussieht, erweist sich schnell als geradezu verblüffend zeitloses Spiegelbild der Gegenwart. Dabei ist gerade die auf einer zweiten Handlungsebene eingebundene Lösung des Rätsels um die Bewegung der Planeten des Sonnensystems etwas, das den Streifen zusätzlich auszeichnet und sich von den eher actionlastigen Schemata des reinen Unterhaltungskinos kräftig abhebt.

Der in seinen Aussagen zeitlose Film demonstriert packend und mitreißend, wie bis heute gesellschaftliche und/oder religiöse Normen einer effizienten, fortschrittsorientierten Weiterentwicklung der Menschheit im Wege standen und noch stehen. Und das macht deutlich, wie wenig sich die Welt in diesen Punkten verändert hat und damit auch, wie wenig sie anscheinend überhaupt dazu in der Lage ist sich zu ändern. Somit sorgt Agora — Die Säulen des Himmels für ein (Heim-)Kinoerlebnis der Topklasse. Der Film besitzt wohl kaum das Zeug zum Publikumsliebling, aber unbedingt das zum Geheimtipp.

Link zur informativen Filmseite des Tobis-Verleihs: https://www.agora-derfilm.de/

Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema „Blu-ray-Disc versus DVD“.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2010.

© aller Logos und Abbildungen bei Tobis & Universal Pictures. (All pictures, trademarks and logos are protected.)


Mehrteilige Rezension:

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Erschienen:
2010
Vertrieb:
Tobis & Universal Blu-ray
Zusatzinformationen:
ES 2009

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