Ein Ausflug in die Frühzeit der Kino-Stereoskopie: „3D-Rarities – A Collection of 22 Ultra-Rare and Stunningly Restored 3D Films“
Geht es um das Angebot an Filmklassikern in bestmöglicher Qualität, so ist dieses international, insbesondere in den USA, erheblich umfangreicher als hierzulande. Da von derartigen Spezialitäten auch mittelfristig bestenfalls einzelne den Weg zu einer deutschen Veröffentlichung finden dürften, ist für hiesige Interessenten daher ein regelmäßiger Blick über den heimischen Tellerrand lohnend. Das Abwickeln von Auslandsbestellungen, etwa über Flicker Alley (bei denen man z.B. in Sachen Cinerama-Restaurationen fündig wird), Twilight Time (Filmraritäten, darunter auch einige 3D-Titel) oder auch über Amazon-USA, ist zwischenzeitlich zwar geradezu kinderleicht geworden. Das Importieren derartig spezieller, für sich meist schon teurerer Blu-ray-Veröffentlichungen ist allerdings auch wegen der hohen Versandkosten nicht gerade preiswert. Durch eventuell noch zusätzlich anfallende Zollgebühren werden solche Shopping-Touren schnell zu einem Hobby mit gewissem Luxus-Touch.
Eine weitere überaus bemerkenswerte Adresse ist das in New Jersey beheimatete 3D Filmarchiv. Gründer Bob (Robert) Furmanek und sein kleines Team sind für all diejenigen, welche sich bei 3D nicht ausschließlich für Avatar und seine Nachfolger interessieren, sondern auch für die Produktionen, die während des „Golden Age of 3D-Cinema“, also während der ersten großen 3D-Welle der Kinogeschichte, in den Jahren 1953–1955 über die Kinoleinwände flimmerten, geradezu eine Premium-Anlaufstelle. Infolge seiner bemerkenswerten Aktivitäten zur Rettung des 3D-Filmerbes, darunter auch Jack Arnolds beachtlichem Science-Fiction-Klassiker It Came from Outer Space * Gefahr aus dem Weltall aus dem Jahr 1953, ist das 3D Filmarchiv bereits im zugehörigen Artikel eingehender vorgestellt worden.
An dieser Stelle soll aber nun das dort gegebene Versprechen eingelöst werden und die zwar derzeit teuerste, aber dafür auch ganz besonders reizvolle Veröffentlichung des 3D-Filmarchivs auf 3D-Blu-ray gewürdigt werden: die auf Flicker Alley erschienene Kompilation „3D-Rarities – A Collection of 22 Ultra-Rare and Stunningly Restored 3D Films“.
Beim Schauen und Stöbern in einer so edel gemachten, für den Freund des 3D-Kinos liebevoll und kompetent zusammengestellten und zudem hochwertig produzierten Raritätenkollektion gibt es viel Sehenswertes zu entdecken, und auch die Zeit vergeht dabei wie im Flug. Der Titel deutet bereits an, dass es sich um eine Sammlung von dreidimensionalen Kurzfilmen handelt. Diese hat das 3D Filmarchiv über rund drei Dekaden zusammengetragen und hier nun in bestmöglicher Qualität auf 3D-Blu-ray zugänglich gemacht. Dabei wurden die vorliegenden Materialien nicht nur sorgfältig restauriert, sondern ebenso typische Mängel früher 3D-Materialien, wie Höhenfehler der beiden Teilbilder (Misalignment), sorgfältig korrigiert (s. u.).
Das eindrucksvolle Raritätenprogramm ist, wie das geschmackvolle Menü aufzeigt, zweigeteilt: Im ersten Teil geht es um „The Dawn of Stereoscopic Cinematography“ und nach einer für das 3D-Kino der Fifties typischen Intermission (mit entsprechender Pausenkarte) steht der zweite Teil unter dem Motto „Hollywood enters the Third-Dimension“.
Dabei nehmen bereits oder gerade die ganz frühen erhalten gebliebenen 3D-Tests, noch im nur schwarzweiße Bilder liefernden Anaglyphenverfahren, bereits die gleichen Pop-Out-Gags vorweg, auf die auch das moderne 3D-Kino in sehr ähnlicher Form reflektiert. Interessanterweise fehlt selbst die wohl berühmteste Attraktion der aufwändigen Cinerama-Show-Events nicht: eine hier zwar nur im schmalen Akademieformat, aber dafür in 3D gezeigte Fahrt mit dem Thunderbolt, der legendären Achterbahn von Coney Island. Bereits sehr überzeugend ist auch die Raumtiefe in den in Washington und New York aufgenommenen Sequenzen. Der aus den späten Dreißigern stammende Werbefilm Thrills for You verdeutlicht, wie für die Zeit ungewöhnlich komfortabel und bequem man schon damals mit der Pennsylvania Railroad lange Bahnreisen unternehmen konnte.
Ab Mitte der 1930er Jahre ermöglichte die Entdeckung der Polafilter erstmalig auch bewegte dreidimensionale Eindrücke in Farbe auf die Kinoleinwand zu bringen. Dafür ist der für die Weltausstellung im Jahr 1940 von Chrysler produzierte Kurzfilm New Dimensions ein besonders elegantes Beispiel. Hier wird mit Hilfe des bereits pfiffig ausgetüftelten Stop-Motion-Trickverfahrens überaus unterhaltsam (wie in der Sendung mit der Maus) gezeigt, wie ein Fahrzeug der Plymouth-Modellreihe entsteht. Zwei der für das fünfmonatige Festival of Britain im Jahr 1951aufwändig produzierten, experimentellen farbigen Shorts, Now is the time und Around is Around, erzeugen abstrakte dreidimensionale Formen und Farben mit Hilfe animierter Oszilloskopsignale, was schon ein wenig an Disneys Fantasia (1940) erinnert.
Besonders eindrucksvoll ist auch der 1953er Doom Town über Vorbereitung und Durchführung eines Atombombentests in Nevada. Infolge seines verblüffend kritisch-sarkastischen Tonfalls durch den Kommentator hinterlässt der Film keinerlei patriotischen, sondern vielmehr einen beklemmenden Eindruck. Wohl genau deswegen ist dieser Short auch nur ganz kurz gezeigt worden und war anschließend komplett von der Bildfläche verschwunden. Ob er bewusst gemieden oder gar gezielt unterdrückt worden ist, bleibt bemerkenswerterweise bislang rätselhaft. Das Material entging nur zufällig der Vernichtung.
Stellvertretend für die 3D-Welle der Fünfziger gibt es ein paar sehr ansprechende Trailer zu sehen, etwa zu The Maze, Miss Sadie Thompson * Fegefeuer oder Gefahr aus dem Weltall. Bei M.L. Gunzburg Presents Natural Vision 3-Dimension wird’s richtig erhaben nostalgisch, erlaubt dieser im Vorprogramm des ersten abendfüllenden 3D-Spektakels Bwana Devil * Bwana, der Teufel gezeigte schwarzweiße Kurzfilm doch einen eingehenderen, faszinierenden Blick auf das legendäre Natural-Vision-Kamerasystem. Bemerkenswert ist auch die einzige in 3D produzierte Wochenschau, welche sich besonders an die Freunde des Boxsports wendet mit Rocky Marciano vs. Joe Walcott.
Im Programmablauf wird auch der bislang eher nicht geläufige, aber wichtige Aspekt deutlich, dass die kommende Breitwandära bereits im Vorfeld von CinemaScope kräftige Schatten vorauswarf. Das belegt z.B. der auf Breitbild (1: 1,66) konzipierte und hier natürlich auch so präsentierte, charmante Zeichentrickkurzfilm Boo Moon. Dessen Held Casper, das freundliche Gespenst, war hierzulande übrigens zuerst unter Casimir & Co. bekannt. Das Weltraumabenteuer des liebenswürdigen Casper ist noch im wahrsten Wortsinn handmade und für sich genommen auch durchaus ein schon sehr ansprechend verräumlichter Zeichentrickfilm. An dieser Stelle erkennt man aber auch, dass die besten der modernen, per Computer erstellten Animationen in ihrer dreidimensionalen Gesamtwirkung schon ein merkliches Stück überlegen sind.
3D-Rarities auf 3D-Blu-ray
Die 3D-Blu-ray wird in einem Amaray-Case inklusive eines recht edel gestalteten, sehr informativen, 24 Seiten umfassenden Begleitheftes geliefert, das eine hochwillkommene Orientierungshilfe und einen Führer durch das Gebotene bildet: Das ist etwas, das man sich häufiger wünscht. Die enthaltene 3D-Blu-ray ist regionalcodefrei, d. h. sie kann weltweit problemlos wiedergegeben werden.
Bild und Ton
Die Bildqualität ist, wie zu erwarten, vom Zustand des verfügbaren Materials abhängig. Man muss berücksichtigen, dass Furmanek und seinen Mitstreitern für die erforderlichen Restaurationsarbeiten nur sehr überschaubare Budgets zur Verfügung stehen, die nur einen Bruchteil von dem ausmachen, was für die Widerherstellung einzelner Filmklassiker, etwa How the West Was Won * Das war der wilde Westen oder auch Jaws * Der weiße Hai ausgegeben werden konnte. Zum Vergleich: Warner hat für die sehr aufwändige Restauration von House of Wax * Das Kabinett des Professor Bondi rund 300.000 $ aufgewendet, das 3D-Filmarchiv dagegen konnte für September Storm nur ca.15.000 $ einsetzen. Hier sind unübersehbar Überzeugungtäter am Werk, die in der Lage sind, auch mit relativ bescheidenen Mitteln erstaunlich viel Qualität zu zaubern – was keinesfalls heißt, das nicht viel Arbeit drin steckt: Im Gegenteil! Drum sind selbst im ungünstigsten Fall, die Endresultate immer noch durchaus ansehnlich geraten.
Deshalb gibt es an den Filmpräsentationen auch nur wenig zu bemängeln. Das Bild ist nur bei den ganz frühen, aus den 20er Jahren stammenden, teilweise deutliche Anzeichen von Zersetzung zeigenden Anaglyphen-Shorts von etwas bescheidener, „nur“ befriedigender bis noch ausreichender, ansonsten aber von guter bis sehr guter Qualität. Bei den meisten der übrigen Kurzfilme zeichnet es sich durch einigen Detailreichtum und, soweit vorhanden, auch solide Farben und gute Schärfe aus. Das gilt ebenso für den Kontrast sowie den fast durchweg ebenfalls untadeligen Schwarzwert. Natürlich kann man das Programm auch in 2D wiedergeben, aber das bereitet dann auch nur halb soviel Spaß. Abgesehen von den frühen Anaglyphen-Shorts treten kaum Ghosting-Artefakte in Erscheinung.
Extras
Die vom 3D Filmarchiv übrigens auch als DCP (Digital Cinema Pack) verfügbare, z.B. im Juni 2015 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York aufgeführte Version der 3D Rarities umfasst 94 Minuten. Demgegenüber ist die 3D-Blu-ray-Ausgabe mit einer Lauflänge von 147 Minuten mehr als 50 Minuten länger. Eine Ergänzung ist z. B. This is Bolex Stereo, ein bemerkenswerter Werbefilm für das im Jahr 1953 vorgestellte, handliche 16mm-Stereo-Kamerasystem, das auch Amateurfilmern das Aufnehmen von 3D-Filmen für das private Heimkino ermöglichen sollte. Die beiden Stereo-Teilbilder wurden dabei direkt nebeneinander liegend auf demselben 16-mm-Frame aufgenommen. Das reduzierte allerdings auch die Bildbreite auf die Hälfte und führte entsprechend zu ungewohnt schmalen 3D-Bildeindrücken – was wohl der Hauptgrund dafür gewesen sein dürfte, dass dieses Verfahren nur geringe Resonanz gefunden hat.
Das ist aber noch längst nicht alles: Darüber hinaus gibt es zu einigen der Programmsegmente wählbar einen sehr informativen Audiokommentar von Mitstreitern Bob Furmaneks: Thad Komorowski und Jack Theakston. Außerdem laden umfangreiche 3D-Foto-Galerien zum Stöbern ein: darunter View-Master-Bilder vom Set zu Hunchback of Notre Dame (1923) oder der New Yorker Weltausstellung 1939 und ebenso liebevoll aufbereitete Anaglyphen-3D-Comics aus den Fünfzigern. Den originellen Abschluss bildet ein weiteres drolliges Kuriosum, der rund zweieinhalb-minütige, in Farbe präsentierte Ausschnitt aus der 3D-Sequenz des Soft-Porno-Streifens The Bellboy and the Playgirls (1962). Es handelt sich hierbei nämlich um die 1958 in schwarz-weiß und in 2D gedrehte Komödie Fritz Umgelters Mit Eva fing die Sünde an, die 1962 ergänzt um ein von Francis Ford Coppola auf 16-mm-Filmmaterial in 3D (allerdings nicht nach dem o. g. Bolex-Verfahren) produziertes Anhängsel, aufgemotzt zum Erotikfilm, in die US-Kinos kam. Die 3D-Sequenz konnte von den Theaterbetreibern wahlweise entweder schwarzweiß im Anaglyphen- oder farbig im Polarisationsverfahren gezeigt werden.
Epilog
Wie bereits im o. g. Artikel zu Gefahr aus dem Weltall ausgeführt, ist das 3D Filmarchiv zwischenzeitlich sehr aktiv geworden und hat mit viel Hingabe zwei weitere 3D-Filme gerettet: Seit Ende März 2017 ist September Storm (1960, ohne Regional-Code) auf 3D-Bluray erhältlich und Those Redheads from Seattle (1953, wohl leider Regional-Code A) ist noch fast presswarm seit dem 23. Mai verfügbar. Ob einem nun jede dieser von Überzeugungstätern liebevoll produzierten 3D-Filmausgrabungen das erforderliche Geld wert ist, sei natürlich dahin gestellt. Trotzdem sollte man hier nicht allzu geizig sein, denn derartig wertvolle Initiativen verdienen und benötigen dringend weltweite Unterstützung. Es ist ja schon ein beträchtlicher Wert an sich, auch einen unterm Strich vielleicht schwächeren Vertreter der Gattung überhaupt einmal selbst beurteilen zu können. Das ist etwas, das bei den beiden o.g. Filmen seit rund 60 Jahren kaum mehr möglich gewesen ist, was zugleich die filmgeschichtliche Bedeutung der Bemühungen des 3D Filmarchivs unterstreicht.
Fazit: Die mit so originellen wie beispielhaften Materialien bestückten „3D Rarities“ sind dank der liebevollen Gestaltung und natürlich auch der filmhistorisch besonders wertvollen, edlen Leckerbissen eine Veröffentlichung, die in der heimischen Kollektion von am dreidimensionalen Film Interessierten nicht fehlen sollte. Geht es um derartige, aus rühriger privater Initiative stammende Spezialitäten, dann zählt in besonderem Maße jede verkaufte Blu-ray und ist dabei hilfreich, auch weitere Projekte ins Leben zu rufen.
Zur Erläuterung der Wertungen lesen Sie bitte unseren Hinweis zum Thema Blu-ray-Disc versus DVD.