„John Williams in Wien“: Die Konzerte vom 18./19. Januar 2020
Im edlen, goldenen Wiener Musikvereinssaal hatte er seine beiden umjubelten Auftritte. John Williams, der Grandseigneur der sinfonischen Filmmusik, dirigierte erstmalig die Wiener Philharmoniker. Mit beträchtlichem Pathos versah die Wiener Presse das vermutlich einmalig bleibende Ereignis: Mit „Besuch vom lieben Gott“ trug dabei der Standard etwas arg dick auf, wobei die Wiener Zeitung maßvoller und zugleich treffender mit „John Williams: Die klangvolle Seite der Macht“ titelte.
Der sehr rüstig wirkende, mittlerweile 88 Lenze zählende John Williams ist der letzte noch lebende Filmkomponist, der in seinen Gesellen-Jahren noch mit verschiedenen der Golden-Age-Komponisten in Berührung gekommen ist, welche die klassische Filmmusik stilistisch seit den 1930er Jahren geprägt haben. Wie die Klangzauberer des klassischen Kinos ist auch John Williams ein Meister der farbigen Orchesterpartitur, welche sich durch vorzügliche thematisch-motivische Arbeit auszeichnet. Seine zwar durchaus moderne, in einzelnen Teilen avantgardistisch gefärbte oder auch mal mit Klangsynthetik angereicherte Tonsprache setzt aber noch betont auf das, was mittlerweile eher rar geworden ist, den breit ausschwingenden Melodiebogen. Dass Williams eben auch ein fähiger Melodiker ist, das ist wichtiger Teil seines Erfolges. Besagte Melodiebögen haben inzwischen vielfach rein atmosphärischen, dabei im Resultat häufiger recht beliebig anmutenden Klangdesigns Platz gemacht, die von den Filmbildern gelöst meist kein Eigenleben besitzen. In die Kategorie der Ohrwürmer mit Wiedererkennungswert gehört z. B. der „Imperial March“ aus The Empire Strikes Back. Bei dessen Darbietung als Zugabe (von der BD in der Video-Konzertversion) nicht nur ein Raunen durch den Saal geht, sondern sowohl dem Dirigenten als auch verschiedenen Musikern ein Lächeln übers Gesicht huscht.
Über die gesamte Spieldauer bietet „John Williams in Vienna“ zwar nichts wirklich Neues, sondern vielmehr ein Best-of-Programm, welches es in ähnlicher Form vielfach zu kaufen gibt. Etwas anderes dürften aber die vielen die beiden Konzerte besuchenden Freunde Williams’scher Filmmusik weder erwartet noch gewollt haben. Insofern spielt auch der geringe Repertoirewert an dieser Stelle eine kaum ins Gewicht fallende Rolle, denn natürlich war es eine besonders feine Sache, John Williams erstmalig überhaupt auch auf kontinentaleuropäischem Boden im Konzert begegnen zu können. Dabei beweist der Große Goldene Saal des Wiener Musikvereins, wo alljährlich die berühmten Neujahrskonzerte stattfinden, erneut, dass er eine exzellente Akustik besitzt. Der Mittschnitt betört durch seinen sowohl detailfreudigen, wie warmen majestätisch-opulenten Klang. Und dahinter steht auch das glasklare, sehr detailfreudige Bild nicht zurück. Es ist zudem von vorzüglicher Schärfe, zeigt natürliche Farben und ebenso ein ausgewogenes Kontrastverhältnis.
„John Williams in Vienna“ ist seit dem 14. August 2020 beim Gelblabel DG auf allen physischen und digitalen Medien erschienen. Für die Freunde des schwarzen, zu runden Scheiben gepressten Vinyls ist auch eine Doppel-LP-Ausgabe dabei. Diesem Artikel liegt die Deluxe-Kombi aus dem auch separat erhältlichen CD-Album (versehen mit praktisch identischem Cover) und einer Blu-ray-Disc zugrunde, wobei diese sechs zusätzliche Tracks enthält, die auch auf dem DG-Album „Across the Stars“ von 2019 vertreten sind, auf dem Anne-Sophie Mutter zusammen mit Maestro Williams speziell arrangierte Stücke aus seinen Filmmusiken präsentiert. Darüber hinaus wartet die BD noch mit einem knapp halbstündigen Gespräch zwischen John Williams und der Violinistin auf und enthält auch das per „patch-up-Session“, die im Anschluss an das zweite Konzert vom Sonntag erfolgte, von nahezu sämtlichen Live-Geräuschen sowie einzelnen spieltechnischen Ausrutschern befreite CD-Album-Programm nochmals. Allein die BD bietet übrigens die Möglichkeit sowohl die Video-Konzertversion als auch die CD-Albumfassung im derzeit wohl bekanntesten der den Ton 3-dimensional abbildenden Verfahren (Immersive Audio), Dolby Atmos, wiederzugeben. In der Videoversion greift Williams neben dem Taktstock zwischendurch auch zum Mikrofon und gibt charmante wie ironische Kommentare und Anekdoten zum Besten, etwa dass mit den Wiener Philharmonikern zu arbeiten eine ganz besondere Ehre in seinem Leben sei oder gerade ein Filmharmonisches Konzert die Gelegenheit biete, derartige Musik ohne die störenden Filme zu genießen.
Beide Datenträger enthalten als Novität noch eine zusätzliche Bearbeitung für Violine und Orchester, den „Devil’s Dance“ aus The Witches of Eastwick. Dass auch „The Raiders March“ aus Raiders of the Lost Ark als von Mutter interpretiert vermerkt wird, ist freilich eher ein etwas irreführender Marketinggag, denn natürlich soll das o. g. Williams-Mutter-Album mitbeworben werden. Wie nur der Videomittschnitt verrät, wirkte Mutter hier zwar schon mit, sie fungierte aber allein als ein Teil der Violinsektion und bleibt damit ein nicht speziell heraushörbarer Teil im üppigen Gesamtklang. Dass der Maestro bei den gewählten Tempi merklich hinter denen der Originaleinspielungen zurückbleibt, ist etwas, das sich nur an einzelnen Stellen, etwa bei der so doch etwas blass und unentschlossen wirkenden „Shark Cage Fugue“ aus Jaws, ein wenig nachteilig bemerkbar macht.
Es waren zwei Konzertabende, die nicht nur dem Publikum lange in Erinnerung bleiben werden. Dass neben den im Saale versammelten Fans auch die Mitglieder der renommierten Wiener Philharmoniker und ebenso Anne-Sophie Mutter und natürlich auch John Williams beträchtlichen Spaß an der Sache gehabt haben, daran lässt die Videofassung keinen Zweifel. Was unterm Strich davon bleibt, ist ein sowohl schön anzuschauendes als auch „nur“ angenehm anhörbares, edles Souvenir für alle, die dabei gewesen sind, und es ist zugleich ein vergleichbar feines Produkt für die bedeutend größere Zahl der Williams-Freunde, die nicht dabei sein konnten. M. E. sollte die Deutsche Grammophon unbedingt schauen, dass sie dem sehr überzeugenden Across-the-Stars-Album noch ein weiteres folgen lässt. Material, das sich zu vergleichbar reizvollen Konzertminiaturen mit obligatem Violinsolo bearbeiten lässt, findet sich im Williams’schen Gesamt-Œuvere zweifellos genug, und dass sich davon auch ein ähnlich großzügig bestücktes Volume II gut verkaufen lassen wird, dürfte kaum bezweifelt werden. Das „Thema aus Sabrina“ oder auch „Nice to be Around“ aus Cinderella Liberty belegen, dass auch weniger geläufige Williams-Themen es durchaus verdienen, ihrem Schattendasein entrissen und ein Stück ins Rampenlicht gerückt zu werden. Eine mehr in diese Richtung gehende Williams-Kompilation besäße zudem auch noch zusätzlich den Charme, eine gewisse Novität im Sinne von Rarität zu sein.
BLU-RAY
„JOHN WILLIAMS LIVE IN VIENNA“
- Flight to Neverland from Hook
- Excerpts from Close Encounters of The Third Kind
- Hedwig’s Theme from Harry Potter and the Sorcerer’s Stone (*)
- Theme from Sabrina (*)
- Donnybrook Fair from Far and Away (*)
- Devil’s Dance from The Witches of Eastwick (*)
- Adventures on Earth from E.T. The Extra-Terrestrial
- Theme from Jurassic Park
- Dartmoor, 1912 from War Horse
- Out to Sea and The Shark Cage Fugue from Jaws
- Marion’s Theme from Raiders of The Lost Ark
- The Rebellion is Reborn from The Last Jedi
- Luke & Leia from Return of the Jedi
- Main Title from Star Wars
- Nice to be Around from Cinderella Liberty (*)
- The Duel from The Adventures of Tintin (*)
- Remembrances from Schindler’s List (*)
- The Raiders March from Raiders of The Lost Ark (*)
- The Imperial March from The Empire Strikes Back
- BONUS: John Williams and Anne-Sophie Mutter in conversation
[(*) interpretiert von Anne-Sophie Mutter, Tracks 3–5, 15–17 & 20 exklusiv auf Blu-ray.]
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