Kommentar zum Film Gladiator

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
28. Mai 2000
Abgelegt unter:
Lesen, Special

Kommentar zum Film Gladiator

Der Mai 2000 brachte nicht nur das alljährliche Maigrün, sondern erstmals seit rund vierzig Jahren ein neues Sandalen-Spektakel auf die Leinwand: Gladiator, der Film von Alien-Regisseur Ridley Scott, startete am 25. Mai in den deutschen Kinos. Die Filmhandlung orientiert sich locker sowohl an Stanley Kubricks Spartacus (1960) als auch an Hollywoods bislang letztem Ausflug in dieses Genre, Anthony Manns The Fall of the Roman Empire • Der Untergang des Römischen Reiches (1964).

Kaiser Marcus Aurelius (Richard Harris) favorisiert als Nachfolger für den Kaiserthron seinen tüchtigsten General Maximus (Russell Crowe). Sein machthungriger, korrupter Sohn Commodus allerdings meuchelt den Vater, lässt sich zum Cäsar ausrufen und seinen Gegenspieler Maximus verschleppen. Diesem gelingt zwar die Flucht, doch gerät er in Sklaverei und wird in der marokkanischen Provinz in der Gladiatorenschule des Proximus (Oliver Reed) zum Gladiator ausgebildet. Als ruhmreicher Arena-Kämpfer kehrt Maximus nach Rom zurück, um Rache zu nehmen …

Regisseur Ridley Scott ist hier wieder einmal ein bildgewaltiges Opus mit weitgehend guten schauspielerischen Leistungen sowie einer insgesamt akzeptablen Story gelungen, das sich in seiner visuellen Sprache deutlich von den Klassikern des Genres abhebt. Nicht nur die meisten Kamera-Fahrten und -Einstellungen sind überraschend anders als das Gewohnte, der Film ist insgesamt sehr dunkel und in überaus kühlen, teilweise grau dominierten Farben gehalten — so ist selbst in den sonnendurchglühten Arena-Kämpfen der Himmel nur fahlblau. Die computergenerierten Totalen des antiken Roms und die Ansichten des Colosseums sind in ihrer Monumentalität beeindruckend und ebenfalls deutlich anders in Szene gesetzt als vergleichbare Passagen z. B. in Ben-Hur oder Quo Vadis? — was nicht heißen soll, dass die klassischen Vorbilder nicht positiv spürbar wären.

Abseits der Prachtbauten wirkt das antike Rom auch weniger gepflegt und damit realistischer als in den vorgenannten Filmen. Die Barbaren-Schlacht zu Beginn wie auch die Arena-Kämpfe sind optisch eindrucksvoll und virtuos gestaltet, und obwohl durchaus heftig inszeniert, wird nicht in vordergründiger Brutalität geschwelgt. Ein Kritikpunkt ist allerdings die mangelnde Schärfentiefe des Gladiator-Films. Richtig überzeugend ist der Bildeindruck selbst im Vordergrund nie und sämtliche Hintergründe liegen hinter einem störenden Schleier. Hier vermisse ich die Bildbrillanz der meisten klassischen Filme — ganz zu schweigen von der selbst als Laser-Video auf dem Fernsehschirm sichtbaren, geradezu umwerfenden Schärfentiefe der auf hochauflösendem 70-mm-Filmmaterial aufgenommenen Filme wie Ben-Hur. Insgesamt bietet das Gezeigte einen interessanten Kontrast zu den in Sachen Farb- und Bild-Brillanz sowie antiker Opulenz nach wie vor die Spitze bietenden Filmen Cleopatra (1963) und Der Untergang des römischen Reiches — handlungsmäßig ist vor allem Letztgenannter jedoch erheblich schwächer.

Zum Teil erlauben sich Story und Inszenierung des Gladiator-Films schon sehr große Freiheiten, und auch Klischees bleiben nicht ausgespart. Letzteres gilt besonders für den historisch arg verzerrt dargestellten und dämonisierten Commodus, der in seinem latenten Wahnsinn und inzestuösen Gehabe mehr dem Kaiser Caligula ähnelt als der historischen Figur. Fantasyhafte Elemente bestimmen z. B. die ein wenig an Conan der Barbar erinnernden übertriebenen Gladiatoren-Masken, die „schwarze“ Prätorianer-Garde des Commodus wirkt ein wenig wie vorweggenommene Waffen-SS und auch die in einigen Kampfszenen verwendeten Armbrüste sind ihrer Zeit um einige hundert Jahre voraus. Im Ablauf der Filmhandlung gibt es zudem eine Reihe von Ungereimtheiten: Beispielsweise bleiben die Geschehnisse um die Versklavung des Maximus unklar und auch der zeitliche Ablauf der Story (wohl weniger als ein Jahr) ist arg weit von den Realitäten entfernt — Commodus regierte immerhin 12 Jahre. Überhaupt ist der Verlauf der Ära Commodus weit von der historischen Wahrheit gestaltet worden. Alles in allem ist Ridley Scott somit zwar kein perfekter Film gelungen, aber eine sehr wohl unterhaltsame, modern-eigenwillige Synthese aus klassischem Sandalen-Epos und zeitgemäßem Action-Kino. Das Spektakel kann man sich durchaus zweimal anschauen und mittelfristig wird es sicher auch ein interessanter Kandidat für die DVD-Kollektion.

Besonders der aus der Filmstory entstandene, detaillierter angelegte Roman ist eine gut und spannend lesbare Mixtur aus fiktiver Handlung und realem historischem Hintergrund. Die geschichtlichen Hinweise sind geschickt eingearbeitet und damit wird, trotz einiger Freiheiten, ein zwar nicht wissenschaftlich exaktes, aber weitgehend zutreffendes Bild des Römischen Reiches zur Zeit um Marc Aurel vermittelt. Immerhin hat dieses Weltreich am längsten von allen vergleichbaren Gebilden (als Großreich rund 500 Jahre) bestanden, und nach dem Untergang des weströmischen Teiles existierte das immer noch beeindruckend große Reststück, das „Byzantinische Reich“, noch für weitere rund 1000 Jahre. Allein durch rohe militärische Gewalt à la „1000-jähriges Reich“ wäre es zweifellos nicht möglich gewesen, ein derart gigantisches und auch komplexes Staatsgefüge zusammenzuhalten. Viele Aspekte des römischen Staatswesens und auch der Kultur sind in den Strukturen der modernen Demokratien fest verwurzelter Bestandteil geworden. Auch ein interessanter Teilaspekt, die kulturelle Vielfalt — auf Neudeutsch „Multikulti“ —, wird im Roman angerissen und dürfte für uns aktueller sein denn je. Ich halte es für denkbar, dass Buch und Film ein verstärktes Interesse breiter, vor allem junger Zuschauer- und Leserschichten an dieser zugleich faszinierend glanzvollen, aber auch rücksichts- und gnadenlosen geschichtlichen Epoche wecken könnten.

Hier geht’s zur Rezension des Filmmusik-Albums von Hanz Zimmer.


Mehrteilige Rezension:

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Erschienen
2000

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