Dichte Nebelbänke, ruhig liegt das Wasser. Harfenglissandi, eine leise, ferne Stimme. Eine Barke zeichnet sich zwischen den Schwaden ab, darauf eine Frau im Wallegewand. Samtener Streicherteppich, klagendes Flötensolo. Sturm bricht los, Soldaten überall, die Schlacht beginnt. Schlagwerk tobt, Blechbläser erheben sich. „Halt.“ Lee Holdridge senkt seinen Taktstock, der Film stoppt. „Die Trompeter akzentuierter, staccato“.
Filmmusik-Aufnahmen in den Bavaria-Musikstudios. Hollywood-Profi Holdridge spielt mit den Münchner Symphonikern seine Partitur zum TV-Mehrteiler The Mists of Avalon ein. Es ist der erste Tag für die mehr als 80 Musiker und das englisch-amerikanische Team aus Tontechnikern, Produzenten und Assistenten. Die Zeit ist knapp bemessen, jede Stunde mit den Musikern kostet tausende von Mark. „Nur die Streicher“, bittet Holdridge. Ein melancholischer Saitengesang, viel Moll. „Die Passage noch etwas breiter.“ Dann die Holzbläser allein, anschließend das Blech, das Schlagwerk. Ein weiterer Durchlauf, nach drei Proben ist Aufnahme.
Die Nebel von Avalon: die Artus-Saga aus Sicht der Frauen. Einst ein Millionen-Bestseller von Marion Zimmer Bradley. Tausend Seiten Magie, Intrigen, Herzschmerz, die jetzt als aufwändiger TV-Mehrteiler reanimiert werden. Starbesetzt (darunter Anjelica Huston, Joan Allen), von Bernd Eichinger koproduziert, von Ulli Edel (Last Exit Brooklyn, Body of Evidence) inszeniert, wird der Film weltweit vermarktet und später in diesem Jahr auch über die deutschen Bildschirme flimmern. In drei Worten erklärt Holdridge dem Orchester den Inhalt der Miniserie: „Liebesszenen, Schlachtszenen undsoweiter.“ Anlass für viel Klangkost: „Drei Stunden Film, vier Stunden Musik“, scherzt er. In der Tat hat der Routinier fast zweieinhalb Stunden Score geschrieben.
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40 Minuten der ersten Aufnahme-Session sind vorbei, der erste Cue, gerade mal zwei Minuten, ist im Kasten. Nach dieser Aufwärmnummer geht es ans Eingemachte: Der Main Title wird in Angriff genommen. Die Musiker sind nun mit dem Gestus der Musik vertraut, eingespielt, und hochkonzentriert, um die schwierigsten Passagen zu spielen.
Die Ouvertüre. Ein langsamer, ätherischer Beginn, pianissimo, dann erheben sich die Streicher mit einem prägnanten emotionalen Motiv. Schließlich traben Pferde aus dem Nebel, das Orchester marschiert los, und Holdridge schwingt am Pult seinen Taktstock wie einen Degen. Nach dem ersten Durchlauf wieder Feinarbeit. Holdridge ist knapp, präzise in seinen Angaben: „Very strong, very staccato“, sollen die Bläser einsetzen, für die Streicher gilt: „Keep it warm.“ Er lässt die einzelne Orchestergruppen schwierige Passagen über, die Hörner separat, die Holzbläser, mit dem Trommler arbeitet er ein Crescendo bildsynchron heraus.
Der Harfenist geht zu Holdridge ans Pult, er hat ein Notenproblem: „Sollte dieses g nicht ein a sein?“ Der komponist überfliegt den computergedruckten Harfen-Part und nickt: „Ja, das ist ein Schreibfehler“. Er vergleicht mit seiner Partitur, auch da steht ein „g“. Er korrigiert das Versehen. Es bleibt das einzige in dieser Session. „Man glaubt aber gar nicht, wie oft das bei einigen anderen Komponisten passiert“, erzählt William Bouton, seit 20 Jahren Konzertmeister der Symphoniker. „Die kommen mit unglaublichen Partituren hier an, mit irrsinnig vielen Schreibfehlern.“ Filmmusik-Aufnahmen seien ohnehin eine sehr anstrengende, da intensive Arbeit, „und viele Fehler machen das Ganze noch langsamer, ermüdender.“ Namen will er nicht nennen, das gehört sich nicht für einen Profi wie Bouton. Lee Holdridge sei auch ein Profi, das betont der Geiger immer wieder: „Lee ist klasse, ganz erfahren, einer der Besten.“
[img right]id=1349[/img]Beim zweiten Aufnahmeversuch setzt die Percussion zu früh ein, beim dritten Mal klappt alles. Mit diesen 2:45 Minuten Titelmusik ist bereits der ganze kompositorische Rahmen der Epos-Partitur umrissen: musikalische Keimzellen für Mythos und Magie, Themen für Liebe und Leid, Klangfarben für Kämpfe und Krieg. „Es ist ein leitmotivischer Score“, sagt Holdridge, „ich arbeite mit acht oder neun Themen“.
Keine elitäre Kunstmusik: Eine melodramatische Mittelalter-Soap für das Wohnzimmerkino verlangt nach konventioneller Sinfonik. Die Einflüsse sind unüberhörbar, bewährte Filmkost von Miklós Rózsas Ritterfilmen (Knights of the Round Table, Ivanhoe) über Basil Poledouris’ Conan bis zu James Horner Braveheart, daneben spätromantische Tonmalerei, die auf die beiden Richards (Wagner, Strauss) zurückgeht, und etwas schottische Folklore.
In den Action-Szenen zitiert der Komponist „Mars“ von Gustav Holst. Holdridge als Holst-dridge? Oder ist es gar die Mars-lastige Schlachtsequenz aus Gladiator (Hans Zimmer), die hier als Vorbild diente? Der 56-Jährige, ein kleiner, humoriger Mann mit schwarzgrauen Locken und Schnauzer, hat kein Problem, die Vorbilder einzugestehen: „Natürlich hatte ich einen Temp-Track. Da war von allem ein bisschen drin.“ Immerhin gebe ihm diese „provisorische“ Filmmusik einen Hinweis, was sich die Produzenten musikalisch vorstellen. Außerdem: „Die Komposition hat eine Funktion, sie muss dem Film dienen.“ Und Klischees funktionieren eben – sonst wären sie keine geworden. Der Zuschauer ist auf diese Muster konditioniert, die Hollywood-Produzenten ebenfalls: Zum Nebel gehören gemäß dieser Filmkonvention Harfen und Stimmen, keine Lippenberührung geht ohne Streicher über die Leinwand, und Männer marschieren nunmal martialischer zu „Mars“.
Doch trotz aller Zitate soll die Komposition „auch einen musikalischen Wert haben. Sie soll für sich selbst stehen können“, betont Holdridge. „Dafür arbeite ich hart.“ Zweieinhalb Monate saß er an der Partitur, „das war ausreichend Zeit“. Es war sogar genug, um die Musik selbst zu orchestrieren, was im Hollywood-typischen Zeitdruck zur Ausnahme geworden ist.
Lee Holdridge, 1944 auf Haiti geboren, schreibt seit den frühen 70er Jahren Konzert- (schönes Violinkonzert!), Film- und Fernsehmusik. Vertont hat er weit mehr als 100 Kino- und TV-Filme, darunter Splash, Mr. Mom, Beastmaster, Transsylvania 6-5000, Old Gringo, Into Thin Air, In the Arms of Strangers. Für seine Kompositionen zu Fernsehserien wie Das Model und der Schnüffler und Die Schöne und das Biest wurde er mit fünf Emmys ausgezeichnet.
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„Tock, tock, tock…“ Jeder Musiker im Studio trägt einen Kopfhörer, hört millisekundengenau den Rhythmus. Dieser „Click-Track“ ermöglicht perfekte Synchronität zwischen Bild und Ton. Es ist ein Musizieren zwischen der nüchternen Präzision der eisern vorgegebenen Tempi und des künstlerischen Ausdrucks im Spiel. Doch das erscheint nicht wirklich problematisch: Der Komponist ist sich dieses Spagats schließlich bereits beim Schreiben bewusst, daher rührt auch die so unmittelbare Emotionalität der Musik. Ein Filmscore muss aufs erste Hören wirken.
Beim Dirigieren hört Holdridge den Click-Track-Impuls nicht nur, er sieht ihn auch: Als optisches Signal läuft er auf dem Videoschirm über die Filmszene. Die Hammerschläge des Perkussionisten doppeln genau die Schwerthiebe im Kampfgetümmel. Ein weiterer Vorteil: Durch den Click-Track kann das Orchester dann auch perfekt mit einer bereits vorproduzierten Tonspur (Dudelsack, ethnische Instrumente, Solostimme, Synthesizer) verwoben werden.
Die Münchner Symphoniker sind filmerfahren. Vier, fünf Mal im Monat werden sie für Aufnahmen gebucht. Seit den 50er Jahren (damals hießen sie noch Symphonie-Orchester Graunke) haben sie hunderte von Film- und TV-Musiken eingespielt. Jeder deutsche Filmmusik-Schreiber von Rang und Namen war in den Bavaria Musikstudios zu Gast, aber auch zahllose Komponisten aus dem Ausland. Jerry Goldsmith hat hier seinen grandiosen Score zu The Wind and the Lion eingespielt, auch von George Fenton gibt es eine wunderbare Graunke-Aufnahme: High Spirits. Laurence Rosenthal und Joel McNeely haben hier die Young Indiana Jones Chronicles aufgenommen. Elmer Bernstein hat mit den Münchner gearbeitet (The Buccaneer), Alfred Newman (The Bravados), Miklós Rózsa (Fedora). Broughton, Conti, Davis, Delerue, Folk, Gold, Isham, Kamen, North, Portman, Shire, Shore, Talgorn, Zimmer, es ist eine fast endlose Liste prominenter Namen aus dem Filmmusik-Geschäft.
Hollywood-Produzenten sparen 25 bis 30 Prozent, wenn sie hier in München aufnehmen, trotz Organisations- und Reisekosten. Deutsche Orchester sind günstiger als amerikanische. Die Musiker haben Spaß an diesem Job, auch wenn sie die technisch oft anspruchsvolle Musik sofort vom Blatt spielen müssen. „Für Profis ist das Pflicht“, sagt Geigerin Gisela Bouton, „das muss man können, ist reine Konzentrationssache.“ Sie empfindet „Filmmusik als musikalische Bereicherung, weil sie so vielseitig ist. Wir spielen alles von schillernder Romantik bis zur komplexen Avantgarde. Wir haben Das Schweigen der Lämmer aufgenommen und dann wieder für Ralph Siegel. In diesem Studio ist wirklich schon jede Art von Musik gespielt worden.“
Altehrwürdige Bavaria-Studios: Eine Wand in der Kantine ist behängt mit Starbildern, einen andere vollgeschieben mit Autogrammen. An einer Seite des großen Aufnahme-Studions ist die riesige Leinwand zu sehen, auf die früher bei Filmmusik-Einspielungen der Film projizierte wurde. „Wenn man einen Take nochmal machen wollte, musste erst wieder zurückgespult werden“, erinnert sich William Bouton, „das hat gedauert, war viel zeitaufwändiger“. Die digitale Revolution habe auch die Filmmusik stark verändert.
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Eine weitere Sequenz ist aufgenommen, ein kurze Rittszene mit vorwärtspreschenden Celli, prächtigen Fanfaren. Holdridge eilt in den Kontrollraum, hört und sieht sich das Ergebnis genau an. Eine Fanfare missfällt ihm. „Posaunen und Trompeten ab Takt acht die Phrase sauber ausspielen“, sagt er, wieder am Pult. Er will einen guten Job abliefern, auch wenn er weiß: Nach der Endabmischung der Tonspur wird so manche musikalische Feinheit hinter Liebesschwüren, Säbelhieben und Hufgeklapper verschwinden.
Dennoch wird weiter gefeilt. Holdridge nimmt dabei nicht nur Anregungen der Tontechniker auf, mit denen er per Kopfhörer verbunden ist, auch Vorschläge der Musiker hört er sich an. Bei einer „schottisch“ klingenden Geigenmelodie akzentuiert William Bouton probeweise den Auftakt stärker – so klingt es noch schottischer, meint er. Holdridge nickt: „So machen wir es.“ Filmmusik-Aufnahmen sind keine Ego-Show, sondern Teamwork.
Die erste Vier-Stunden-Session ist zu Ende, 20 Minuten Score sind im digital unter Dach und Fach. Holdridge ist zufrieden: „The orchestra sounds terrific, gorgeous.“ Vier Tage stehen noch an. Insgesamt 30 Stunden sind die Münchner Musiker für die Serie gebucht, harte Probe- und Aufnahmearbeit. An einem Tag steht ein Chor zur Verfügung, dann wird mit reduzierten Besetzungen gearbeitet, kammermusikalisch bis zum Streichquintett.
Später in diesem Jahr werden deutsche Zuschauer mit den Frauen von Avalon mitfiebern, erschaudern – und gar nicht ahnen, wie viele Menschen nötig waren, um diese Gefühle in ihnen zu wecken. Nebelschwaden, Harfenglissandi, eine leise, ferne Stimme…
(eine kürzere Fassung dieses Artikels erschien am 24.02.2001 in der Südwest Presse)