Der Leopard
Die Umbrüche in der Zeit des Bürgerkrieges zur Einigung Italiens (Risorgimento) durch Garibaldi und seine „Rothemden“ sind Hintergrund für Luchino Viscontis spektakulär inszenierten Ausflug in Italiens Geschichte im 19. Jahrhundert: Il gattopardo • Der Leopard. Dieser Titel ist von KOCH Media in einer besonders sorgfältig edierten Box-Edition (2 DVDs + CD) erhältlich — nicht zu verwechseln mit der Einzel-DVD-Version der Süddeutschen Zeitung in der Reihe „Cinemathek“, erschienen im März 2005.
Don Fabricio Corbera, Fürst von Salina (auf Sizilien) — markant verkörpert von Burt Lancaster — ist ein konservativer Adliger, der sich zur Überraschung seiner Standesgenossen auf die Seite der neuen bürgerlichen Herren schlägt. Der Fürst ist dabei aber eher ein schlauer alter Fuchs, der die Zeichen der neuen Zeit erkennt: „Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.“ Es geht darum, sich geschickt den neuen Verhältnissen anzupassen, um die alten Privilegien soweit als möglich zu erhalten. Der alte Fürst von Salina ist sich dabei bewusst, dass die Zukunft nicht ihm gehört, er vielmehr einer abtretenden Klasse angehört. Zum „hoffnungsvollen“ Nachwuchs zählt vielmehr sein junger Neffe Tancredi (Alain Delon). Dieser hat sich bereits zukunftsträchtig auf die Seite der Rothemden geschlagen und weiß durch die Zuneigung zu einer Bürgerlichen, Angelica (Claudia Cardinale), Tochter des neuen Bürgermeisters Don Calogera, die Zeichen der Zeit geschickt für sich zu nutzen. Für Don Calogera ist die Politik ein so exzellentes Geschäft, dass er in absehbarer Zeit zu einem der größten Grundbesitzer der Gegend werden wird. Fürst Fabricio spricht sich während einer Volksabstimmung offen für die sich abzeichnende Einigung Italiens aus. Er unterstützt seinen Neffen Tancredi, indem er für ihn um die Hand von Don Calogeras Tochter anhält. Das Angebot, Senator im Piemonteser Parlament der konstitutionellen Monarchie von Victor Emmanuel zu werden, lehnt er ab: „Die Sizilianer, seit 2500 Jahren Kolonie, wollen Schlaf, Tod, Unbeweglichkeit. Wir waren Adler, Leoparden; an unsere Stelle treten Lämmer und Geier.“
Angelica wird bei einem großen, nochmals im alten Herrschaftsstil abgehaltenen Ball, vom Fürsten und Tancredi in die feudale Gesellschaft eingeführt. Tancredi hat sich zwischenzeitlich längst von den Republikanern um Garibaldi getrennt, ist zu den piemontesischen Royalisten hinübergewechselt. Und wenn der große Ball im Morgengrauen zu Ende geht, fallen in der Ferne Schüsse: Vier von Garibaldis Soldaten, denen die Revolution nicht weit genug ging, werden das Opfer eines royalistischen Exekutionskommandos
Luchino Visconti hat seine Leinwandadaption der berühmten Romanvorlage Der Leopard von Giuseppe Tomasi di Lampedusa als üppiges und ausladendes Fresco vom Ende einer Ära inszeniert. Den Zuschauer erwartet eine epische Bilderflut, ein Zeit-, Landschafts- und Gesellschaftspanorama, das ihn mit seiner opulenten Ausstattung und opernhaften Wirkung in den Bann zieht. Es gipfelt in der rund 40 Minuten dauernden Schilderung des finalen Balls. Diese mag einem auf den ersten Blick allzu detailverliebt und daher langatmig geraten erscheinen. Aber Vorsicht! Im Gegensatz zur eher hemdsärmelig und von einem unleugbaren Hauch von Dilettantismus umwehten Schilderung der Schlacht um Palermo verkörpert die Ballszene zweifellos den glänzenden Höhepunkt des Films. Sie ist zugleich seine alles auf den Punkt bringende Quintessenz und markiert die Meisterleistung ihres Regisseurs Luchino Visconti. Auch die Filmmusik Nino Rotas hat daran nicht unerheblichen Anteil.
KOCH Media hat den Film im vergangenen Jahr in einer limitierten Special Edition auf den Markt gebracht. Das in einem weißen Pappschuber untergebrachte aufklappbare elegant schwarze Digipack bietet Platz für drei Datenträger: Es enthält zwei DVDs sowie eine CD mit der Original-Filmmusik des italienischen CAM-Labels. DVD 1 macht den Film jetzt erstmalig in der seit 1983 wieder zugänglichen, vom Regisseur autorisierten und restaurierten 1963er Premierenfassung von 185 Minuten Länge auf DVD zugänglich. (Dieselbe Fassung ist seit Ende der 80er Jahre verschiedentlich im deutschen Fernsehen gezeigt worden.)
Das der Edition beiliegende, illustrierte Begleitheft macht wertvolle Angaben zum Film und den unterschiedlich verstümmelten Fassungen, die international über rund 20 Jahre ausschließlich verfügbar waren. Ursprünglich muss es sogar eine 205-minütige Schnittfassung gegeben haben, die Visconti selbst auf die besagten 185 Minuten kürzte. Außerhalb von Italien wurde der Film drastisch weiter mit der Schere bearbeitet, waren Fassungen von 165 bis zu nur noch 132 Minuten in Umlauf. Die eklatanten, den Rhythmus beeinträchtigenden Kürzungen sind im Falle von Der Leopard aber nicht alles, was man dem Film angetan hat. Das im hochauflösenden Super-Technirama-70-Verfahren aufgenommene Original wurde billig (!) auf Filmmaterial minderer Qualität auf 35-mm-CinemaScope umkopiert, wobei sowohl die herausragende Schärfe als auch die Farbqualität des Originals beeinträchtigt wurden. Erst durch die Restauration erstrahlt der Film wieder im ursprünglich intendierten Glanz, ist auf Filmfestivals auch in hochwertigen 70-mm-Kopien gezeigt worden. Die DVD-Version macht diese Brillanz (soweit Video dies kann) sichtbar und auch der monorale Ton ist sauber aufgefrischt worden — eine stereophone Tonspur hat es offenbar nie gegeben.
Auf DVD 2 findet sich die interessante, rund 50-minütige TV-Doku, „Zwischen Kino und Konzert — Der Komponist Nino Rota“, produziert 1993 von WDR und BR. Der Name des Tonsetzers war nie mit der Aura der Avantgarde und ihren Skandalen verknüpft. In seiner Musik ist er unabhängig von jeglichen Zeitströmungen seinen persönlichen Prinzipien einer verständlichen, tonalen und melodieorientierten Tonsprache stets treu und damit von der „seriösen“ Musikkritik weitgehend unbeachtet geblieben. Die Autoren lassen in ihrem subtilen Porträt des Künstlers auch Zeitzeugen zu Wort kommen, wie den ehemaligen Rota-Schüler, den Dirigenten Riccardo Muti. Dabei wird sehr schön deutlich, wie schwierig es ist, ja letztlich unmöglich bleibt, ein klares, eindeutiges Bild dieser ungewöhnlichen Komponistenpersönlichkeit zu erhalten.
Hinzu kommen noch jeweils ein französischer und italienischer Original-Trailer von Der Leopard. Beide wirken wie frisch gezogen, sind aber nicht nur bildlich und musikalisch unterschiedlich montiert, sondern auch in den Farben nicht identisch.
Mehrteilige Rezension:
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