Rapsodia Satanica

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
12. November 2015
Abgelegt unter:
CD

Rhapsodie des Satans (Originaltitel: Rapsodia Satanica) ist ein im Jahr 1915 gedrehtes, aber erst zwei Jahre später uraufgeführtes Stummfilmmelodram des italienischen Regisseurs Nino Oxilia (1889–1917) und gilt als einer der ganz großen Klassiker des italienischen Stummfilms. Mit einer Aufführungsdauer von ca. 45 Minuten ist Rapsodia Satanica, in dem die nach ewiger Jugend strebende alte Gräfin Alba d´Oltrevita (Lyda Borelli) in einer Variante der Faust-Legende einen Pakt mit Mephisto eingeht, nach heutigen Maßstäben eher ein Kurzspielfilm.

Der 1996 mit 850 Metern von ursprünglich 905 Metern wieder annähernd in der Originallänge restaurierte Film, wurde am 1. Juni 2007 erstmalig auf arte gezeigt. Besonders bemerkenswert ist hierbei die Kombination von Viragierung (monochromer Einfärbung des Bildmaterials) mit Schablonen-Colorierung – von Hand, Bild für Bild (!), erfolgte Einfärbung bestimmter Bildteile mit Hilfe einer Schablone. Das stattet die schwarz-weißen Filmbilder mit einer für die Ära schon erstaunlichen Palette farblicher Nuancen aus – siehe dazu auch die ehedem als „Photochrome“ bezeichneten lithografischen Farbreproduktionen in Weltreise 1900 in farbigen Bildern. Ganz aktuell gibt es sogar eine in 4K erfolgte Neuabtastung des bereits 1996 verwendeten Materials der Cinémathèque Suisse in Lausanne, mit anschließender digitaler Restauration, uraufgeführt am 4. Juli 2015 im Teatro Comunale di Bologna.

Pietro Mascagni (1863 – 1945), der als einer der wichtigsten Vertreter des „Verismo“ angesehen wird, stand nicht allein zeitlebens im Schatten seines Freundes Giacomo Puccini. Er kann fast als zu den „Ein-Werk-Komponisten“ zählend angesehen werden. Immerhin sicherte ihm der außerordentliche, weltweite Erfolg seines berühmten Operneinakters „Cavalleria rusticana“ lebenslang ein sorgenfreies Auskommen. Dass daneben aber noch 15 weitere, meist abendfüllende Bühnenwerke aus seiner Feder stammen, ist, abgesehen vom Intermezzo aus „Freund Fritz“ („L’Amico Fritz“) und dem Sonnenhymnus aus „Iris“, in erster Linie eingefleischten Freunden der italienischen Oper geläufig. Er war jedoch zweifellos ein vorzüglicher Handwerker, der im Liebäugeln mit den aktuellen künstlerischen Strömungen seiner Zeit, etwa dem Symbolismus und auch dem Expressionismus, sich mindestens vergleichbar, wenn nicht gar experimentierfreudiger zeigte als der ungleich berühmtere Puccini. Die insbesondere in älteren Opernführern häufiger zu lesenden, eher abwertenden Feststellungen, wo Termini wie Trivialität und süßlicher Kitsch zu finden sind, sollte man mit großer Vorsicht zur Kenntnis nehmen. Sie verstellen nämlich den Blick auf einen in jedem Fall hochtalentierten Künstler, bei dem es noch so manches Wertvolle neu zu entdecken gibt.

Mascagnis Musik zum Stummfilm Rapsodia Satanica ist ein interessantes Kuriosum: Sie ist nämlich weniger Stummfilm-Musik, sondern eher im Sinne eines Gesamtkunstwerks, als eine mit Film unterlegte sinfonische Musik anzusehen. Exakt aus dieser Perspektive erfolgte seinerzeit unter der Leitung des Komponisten die Uraufführung: im Rahmen eines Sinfoniekonzerts, zu dem – quasi um die Musik zu illustrieren – ein dazu exakt passend produzierter Film projiziert worden ist.

Mascagni genoss in der künstlerischen Gestaltung dieser Arbeit für die Produktionsgesellschaft CINES, die ihn als Komponisten gewinnen wollte, außergewöhnlich große Freiheiten. Er durfte die Rapsodia Satanica nicht nur aus verschiedenen angebotenen Filmprojekten auswählen. Sein Einfluss ging sogar so weit, dass man auf seinen Wunsch das Filmfinale nochmals neu drehte, um dieses für die vom Komponisten gewünschte Musik exakt passend zu gestalten – und nicht umgekehrt (s. o.). Selbst Erich Wolfgang Korngold, der im hollywooder Exil die privilegierteste Sonderstellung besaß, hätte, wie auch die übrigen von Mascagnis späteren Tonfilmkollegen, von derartig gewichtiger Mitwirkung bei der Gestaltung eines Filmprojekts wohl kaum zu träumen gewagt. Wie Oliver Huck (s. u.) dazu vermerkt, wurde auch von der zeitgenössischen Kritik anstelle des Films von Regisseur Nino Oxilia die Musik Mascagnis ins Zentrum der Besprechungen gerückt und als die „Geburt der Filmkunst aus dem Geiste der Musik“ beschrieben.

Pietro Mascagnis ausgeprägt melodische Rapsodia Satanica ist sehr opulent gehalten, dabei farbig und facettenreich instrumentiert. Sie klingt wie eine Mixtur aus Puccini und Verdi, versetzt mit einer kräftigen Prise Wagner sowie Richard Strauss. Die Musik pendelt stilistisch zwischen Ballett, Oper (ohne Worte) und sinfonischer Dichtung. Man fühlt sich dabei mitunter wie in einer der von Verdi speziell für die Aufführungen an der Pariser Oper komponierten, edel ausgeführten Balletteinlagen. Das verschiedentlich widerkehrende enthusiastische, wohl als Motiv jugendlichen Überschwangs fungierende, fanfarenartige Trompetenthema erinnert stark an den 1888 komponierten „Don Juan“ von Richard Strauss. Das Finale wartet mit einem getragenen Liebestod tristanesker Prägung auf.

Capriccio hat nun die für die 2007er Arte-Präsentation erfolgte, hörbar engagierte Einspielung der Musik durch die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter dem Dirigat des renommierten Spezialisten für diese Art von Filmmusik, Frank Strobel, auf CD zugänglich gemacht. Als ansprechende Zugabe auf die ansonsten etwas knappe Spielzeit gibt’s noch die ebenso kompetent dargebotene, von Riccardo Muti zusammengestellte, rund viertelstündige Orchestersuite aus Nino Rotas Musik zu Viscontis Kostümfilm Il Gattopardo * Der Leopard (1963).

Fazit: Das Capriccio-Album ist eine prima Sache. Neben der Begegnung mit einer besonders bemerkenswerten Stummfilm-Komposition ermöglicht es nämlich klingende Einblicke in die Musik eines nicht nur hierzulande eher vernachlässigten italienischen Komponisten: Pietro Mascagni. In dessen umfangreichem Gesamtwerk gibt es auch darüber hinaus noch manch Wertvolles zu entdecken.

Literaturzitat: Oliver Huck, „Pietro Mascagnis Rapsodia satanica und die Geburt der Filmkunst aus dem Geiste der Musik“, in: Archiv für Musikwissenschaft, Jg. 61 (2004)

Weiterführende Links:

arte: Die Restaurierung von Rapsodia Satanica

Nino Oxilias Film Rapsodia Satanica (1917) auf Youtube

Rapsodia Satanica in 4K in Bologna 2015

Komponist:
Mascagni, Pietro

Erschienen:
2015
Gesamtspielzeit:
62:15 Minuten
Sampler:
CAPRICCIO
Kennung:
C5246
Zusatzinformationen:
Deutsche Staatshilharmonie Rheinland-Pfalz; Dirigent: Frank Strobel

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